Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Die erfreuliche Spaltung / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1920 - 10 KB, Text
    In: Freiheit. - 3 (14. September 1920) 282
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Die erfreuliche Spaltung.
Von Eugen Prager

In der "Hamburger Volkszeitung", die wieder unter der segensreichen Leitung des aller proletarischen und revolutionären Ehren werten Wilhelm Herzog steht, war am 17.8. in einem Leitartikel von Werner Scholem zu lesen, daß die Drohung mit der Spaltung "Ein Popanz" sei, vor dem sich die revolutionären Massen innerhalb der U. S. P. nicht zu fürchten wissen. Einige Tage las man in dem Blatte am Schluß eines Artikels über die Reichskonferenz: "Auch für die U. S. P. gilt das alte Wort: Man muß zur rechten Zeit zu sterben wissen". Etwa zu der gleichen Zeit konnte man in einer Berliner Parteiversammlung, der auch ich beiwohnte, aus dem Munde des Genossen Walter Stöder, Mitglied des Parteivorstandes der U. S. P., hören, daß es nun erfreulicherweise auch in Frankreich zu einer Spaltung kommen werde.

Das kommunistische Manifest von Karl Marx schließt mit den Worten: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Welch ein Fortschritt von Karl Marx zu Werner Scholem, Walter Stöcker und Wilhelm Herzog! Diese Führer und wahren Revolutionäre lehren uns: Proletarier aller Länder, reinigt Euch! Sozialisten aller Länder, spaltet Euch! Die "Post" aber darf jubeln: "Dem deutschen Bürgertum kann diese Uneinigkeit nur willkommen sein, denn sie schwächt die Schlagkraft des Proletariats und bedeutet einen heilsamen Dämpfer gegenüber allzu hoch gesteckten Zielen."

Diese Spaltungsabsichten beschränken sich aber nicht nur auf Zeitungsartikel und Versammlungsreden. Es haben sich schon besondere Organisationen innerhalb der U. S. P. gebildet, die die Spaltung der Partei mit allem Eifer vorbereiten. In Berlin wurde der Diskutierklub "Adler" aufgemacht, der unter dem Vorsitz des Genossen Paul Schwenk steht und regelmäßig Versammlungen abhält zu dem Zweck, die Massen der Parteigenossen durch Hintertreppenagitation für die Annahme der Moskauer Bedingungen zu gewinnen und die Spaltung der Organisation vorzubereiten. Dieser Klub, mit dem Namen des altpreußischen Wappentiers, steht in enger Verbindung mit einer Zentrale, die Referentenmaterial in das ganze Reich verschickt, allerdings nur an die "zuverlässigen" Genossen. Den Rednern für die Annahme der Bedingungen wird genau vorgeschrieben, was sie in den Versammlungen zu sagen haben. Das Thema wird in verschiedene Abteilungen verlegt, den Rednern werden die Stichworte für ihre Ausführungen genau zergliedert und in den Mund gelegt. Beigefügt sind Artikel von Däumig, Stöcker, Lenin und Schwenk. Als dringende Aufgaben werden den Empfängern des Referentenmaterials bezeichnet:

  1. In allen Kneipen, Bezirken und Distrikten Versammlungen mit dem Thema: "Die 3. Internationale" abzuhalten.
  2. Alle als Referenten in Betracht kommenden Genossen einheitlich zusammenzufassen und zu schulen.
  3. Ueberall Entschließungen annehmen zu lassen, die verschieden abgefaßt, von einheitlichem Geist getragen sind. (Siehe unten.)
  4. Die Entschließungen sind an die Presse einzusenden und ihr Abdruck zu erzwingen.
  5. Die Presse, namentlich die gegen den Anschluß gerichtete, möglichst reichlich mit Artikeln versehen. Der Vorzug gebührt Beiträgen aus Arbeiterkreisen.
  6. Von allen wichtigen Beschlüssen und Vorkommnissen umgehend hierher zu berichten.

Es wird weiter mitgeteilt, daß Material laufend überwiesen wird und schließlich noch folgende zwei Entwürfe für Resolutionen beigefügt, die den Parteiversammlungen zur Beschlußfassung vorgelegt werden sollen:

Entwurf 1.

Die Versammlung beschließt: "Die U. S. P. D. hat sofort unter grundsätzlicher Anerkennung der vom 2. Kongreß der 3. Internationale beschlossenen Bedingungen und Leitsätze den Anschluß an die Kommunistische Internationale zu vollziehen."

Entwurf 2.

Gegen die Moskauer Bedingungen und Thesen können grundsätzliche Einwände nicht erhoben werden. Sie sind das Mindestmaß dessen, was eine wahrhaft revolutionäre Partei für sich als richtunggebend anerkennen muß. Da die weltpolitische Lage jeden Augenblick tatkräftiges, internationales Handeln erfordern kann, ist der Anschluß an die 3. Internationale mit der größten Beschleunigung zu vollziehen. Sollte die Entwicklung der Dinge schon vor dem definitiv vollzogenen Anschluß internationale Aktionen erfordern, so muß unsere Partei bereits handeln, als ob sie bereits angeschlossen sei."

Diese Anweisungen von Berlin werden in der Provinz auch prompt befolgt. Aus Gleiwitz wird mitgeteilt, daß am Sonntag der außerordentliche Parteitag der U. S. P. Oberschlesiens nach eingehender Diskussion mit 42 gegen 10 Stimmen folgende Resolution angenommen hat:

"Gegen die Moskauer Bedingungen und Thesen können grundsätzliche Bedenken nicht erhoben werden. Die U.S. P. D. Oberschlesiens stellt sich deshalb auf den Standpunkt, daß bis zum nächsten Parteitag eine rege Agitation für den Anschluß betrieben werden muß. Da die weltpolitische Lage jeden Augenblick ein tatkräftiges Handeln erforderlich machen kann, ist der Anschluß an die 3. Internationale auf schnellstem Wege zu vollziehen. Sollte die Entwicklung der Dinge vor dem Anschluß ein Handeln erforderlich machen, so ist so zu verfahren, als wenn der Anschluß an Moskau tatsächlich schon vollzogen sei."

Man vergleiche diese Resolution mit dem Entwurf 2, der von Berlin aus verschickt worden ist, und man wird sofort sehen, woher unseren oberschlesischen Genossen die Erleuchtung gekommen ist.

Man sieht aber auch weiter, wohin diese organisierte Spaltungsarbeit führt: zur Tötung des selbstständigen, freien Denkens, zur Verhinderung einer eigenen Urteilsbildung, zur geistigen Abhängigkeit der schlecht unterrichteten Arbeiter von den Glaubenssätzen einer Berliner Zentrale. Die Moskauer Kirche hat ihre Filiale bereits in Berlin eingerichtet und wehe dem, der ihrem Diktat nicht folgt. Er fliegt hinaus: der einzelne, eine Minderheit, ganze Organisationen, die halbe oder dreiviertel Partei. Die Spaltung des Proletariats marschiert in erfreulichster Weise. Marx und Engels, Liebknecht und Bebel, die die Einigung der Arbeiterklasse als die Vorbedingung für ihren Sieg über den Kapitalismus bezeichnet haben, wandern in die Galerie für Altertümer!

Freiheit, 14.09.1920