Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Die Weiterbildung unserer Redakteure / von Eugen Prager - [Electronic ed.], 1916 - 16 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse, - 17 (4. Juli 1916), 148, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Die Weiterbildung unserer Redakteure
von Eugen Prager

In der Märznummer der Mitteilungen vom vorigen Jahre hat Genosse Adolf Braun den Plan des Leipziger Professors Büster besprochen, durch ein besonderes Studium den Nachwuchs für die Presse heranzuziehen. Braun lehnt diesen Plan ab; auch in der Welt der bürgerlichen Presse ist Büster auf Widerstand gestoßen. Für uns hat diese Frage insofern nur geringeres Interesse, als der Nachwuchs der sozialdemokratischen Presse nur zum kleinsten Teile aus solchen Schichten stammt, die sich den Besuch einer Universität gestatten können. Die übergroße Mehrzahl unserer Parteigenossen, sämtliche Redakteure unserer Gewerkschaftspresse, kommen aus der Arbeiterschaft. Sie bringen als Vorbildung mit, was ihnen die Volksschule, die Tätigkeit in der Arbeiterbewegung und das Selbststudium gegeben haben. Das ist gewiss nicht wenig Die Redakteure unserer Presse können es an allgemeiner Bildung im Durchschnitt mit dem Gros der bürgerlichen Redakteure durchaus aufnehmen, auf den Gebieten der sozialen Praxis und in der Tagespolitik sind sie ihnen gewöhnlich sogar überlegen. Wenn aber auch vergleichsweise unsere Redakteure gut abschneiden , so beweist das doch noch nicht, dass wir mit ihrer Allgemeinbildung zufrieden sein können. Was fast allen abgeht, die keine akademische Vorbildung genießen konnten, das ist die wissenschaftliche, systematische Schulung. Man kann auch ohne sie auskommen, und mancher Redakteur mit Volksschulbildung hat schon seinen akademisch gebildeten Kollegen an Erkenntnis und Wissen übertroffen. Aber die Regel bleibt doch, dass dem Redakteur ohne die gründliche wissenschaftliche Vorbildung bestimmte Grenzen gezogen sind.

Man kann das deutlich an unserer Parteipresse erkennen. In der Provinz gibt es nur wenige Blätter, in denen der tägliche politische Stoff gründlich und selbstständig verarbeitet wird. Die meisten nützen die bei ihnen einlaufenden Korrespondenzen aufs äußerste aus, oft genug kann man erkenn, dass Artikel und Notizen in die Setzerei gewandert sind. ohne dass sie vorher einer Durchsicht unterzogen wurden. Ich unterschätze die Bedeutung der Korrespondenzen keineswegs; sie geben dem in der Provinz sitzenden Redakteur oft genug erst Kenntnis von dem politischen Wind, der durch die Wandelhalle des Reichtags und über deren Journalistentribünen zieht. Ich kenne auch die Gründe, die für die Verteidigung der Korrespondenzen und Meinungsfabriken bei früheren Gelegenheiten angeführt werden. Aber ich behaupte, dass der Schaden, den sie an der Selbstständigkeit der Provinzredakteure anrichten, unendlich schwerer wiegt als der Nutzen, den ihr schillernder Stil und die farbige Bearbeitung der politischen Vorgänge bringt. Mir erscheint es für unsere Bewegung viel wichtiger, dass wir in der Provinz and achtzig Tageblättern achtzig selbstständig arbeitende Redaktionen mit eigener Urteilsfähigkeit haben, als dass sie nach der Schablone von zwei oder drei Berliner Korrespondenten arbeiten, selbst wenn diese den glänzenden Stil an ihre täglichen Arbeiten wenden. Dass es auch ohne sie geht, weiß ich aus eigener Erfahrung.

Ich weiß aber auch, dass es nicht Mangel an Fleiß ist, der die Provinzredakteure zur Benutzung der fertig gelieferten Arbeit veranlasst. Oft stehen nur wenige Stunden zur Fertigstellung des aktuellen Stoffes zur Verfügung. Die meisten Redakteure haben Ämter in der Arbeiterbewegung inne, die ihnen einen großen Teil der Nachtruhe, der freien und oft auch der eigentlichen Redaktionszeit rauben. Das schlimmste aber ist, dass fast alle keine Gelegenheit mehr haben, das Maß ihrer Bildung zu erweitern und zu vervollkommnen. Und hier, so meine ich, müssten alle Besserungsversuche beginnen. Leider stößt man dabei auf eine nicht geringe Verständnislosigkeit. Ich hatte einige Zeit vor dem Kriege als Vorsitzender eines Bezirksbildungsausschusses die Anregung zu einer Zusammenkunft der Parteiredakteure des Bezirks gegeben, in der einige wichtige Fragen des Berufs erörtert werden sollten. Die Veranstaltung scheiterte aus äußeren Gründen; aber auch ohne dem wäre sie nicht zustande gekommen, denn nur wenige der Kollegen hatten ihre Zustimmung dazu gegeben, von anderen wurde die Zusammenkunft sogar als überflüssig bezeichnet.

Was der sozialdemokratischen Presse fehlt, ist weniger der Nachwuchs als die Weiterbildung der Redakteure. Allerdings sollte die Selbstbildung an erster Stelle stehen. Dafür mangelt es aber den meisten unserer Redakteure an der Zeit. Es ist ja nicht so, dass sie sich ausschließlich ihrem Beruf hingeben dürften. Wenn auch die Anschauung wenigstens an den größeren Orten nicht mehr so ausschließlich wie früher gilt, dass der Redakteur zugleich Agitator sein und das Wort mindestens ebenso beherrschen müsse wie die Feder, so haben wir doch immer noch darunter zu leiden, dass unsere Redakteure mit Ämtern in der Arbeiterbewegung mehr als reichlich bedacht werden. Bei uns gilt das Gesetz dass diese Nebenbeschäftigung um so umfangreicher wird, je kleiner der Erscheinungsort der Zeitung ist. Vielfach ist es so, dass der politische Redakteur, zuweilen auch ein Kollege der anderen Ressorts, an der Spitze einer oder mehrerer Zweige der Arbeiterbewegung des Bezirks steht, wozu dann gewöhnlich noch kommunale oder parlamentarische Ämter kommen.

Es hat das sein Gutes, denn anders als die Redakteure der bürgerlichen Presse stehen wir inmitten des öffentlichen Lebens, nicht nur Anteil nehmend und registrierend, sondern selbst handelnd. Aber mit diesem System sind auch große Nachteile verbunden: je mehr Zeit von der öffentlichen Betätigung verschlungen wird, desto weniger bleibt für die Weiterbildung der Redakteure übrig. Oft genug tritt ein geistiger Stillstand ein; oft genug glaubt man genug getan zu haben, wenn man die äußere Form beherrscht und sich damit begnügt, von der früher erworbenen Wissensmengen zu zehren.

Diese allzu umfangreiche nebenamtliche Betätigung in der Politik und in Posten der Arbeiterbewegung scheint mir auch die Hauptursache dafür zu sein, dass einige Teile unserer Parteipresse immer noch viel u schlecht bearbeitet werden. Ich denke vor allem an den lokalen Teil und das Feuilleton. Die Zeiten sind vorüber, in denen die Parteizeitungen eine Art erweitertes Flugblatt darstellten. Heute sollen sie die bürgerliche Presse ersetzen, sollen nicht nur für die Ziele unserer Bewegung werben, sondern über alle Vorgänge des öffentlichen Lebens unterrichten. Da aber unser Nachwuchs fast ausschließlich und recht oft einseitig durch das politische Leben erzogen wird, so verliert er die Fähigkeit, das Leben auch anders als durch die politische Brille zu betrachten und darzustellen. Wie trocken ist doch zumeist der lokale Teil! Wie stiefmütterlich wird das Feuilleton behandelt! Es gibt nur wenige Parteiblätter, die das Leben ihrer Stadt anschaulich widerspiegeln. Den Einwand, dass es dafür an Raum mangele, kann man nicht gelten lassen. In vielen Fällen fehlt es an einer zweckmäßigen Einteilung des Gesamtraumes der Zeitung, in anderen Fällen wird unter die Rubrik "Lokales" alles mögliche gesetzt; die wirklichen lokalen Angelegenheiten spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Wir haben bereits einige kleinere Blätter, die ihren beschränkten Raum ausgezeichnet einzuteilen wissen, die einzelnen Teile ihrem Zwecke entsprechend behandeln und besonders die lokalen Abgelegenheiten mit Liebe erörtern; wir haben aber auch größere Blätter, wo man oft vieles finden wird, was sich in anderen Orten und im Simplizissimus zugetragen hat, dafür aber die Darstellung der Begebenheiten in der eigenen Haupt- oder Weltstadt vermissen wird - mit Ausnahme etwa der Polizeinachrichten.

Unseren Redakteuren muß genügend freie Zeit gelassen werden, um an ihrer eigenen Weiterbildung zu arbeiten. Der Wahn muß, auch bei manchen unserer eigenen Kollegen, noch grünlicher als bisher zerstört werden, als wenn die Fähigkeit des Redakteurs und sein Fleiß sic nach de Anzahl von Stunden bemisst, die er auf der Redaktion, oft in hässlichen Räumen und meist mit mangelhaften Einrichtungen, zubringt. Aber die Möglichkeit muß auch geschaffen werden, diese Zeit richtig auszunutzen. Das Selbststudium darf sich nicht drauf beschränken, nur andere Zeitungen möglichst zahlreich und gründlich durchzulesen. Wir dürfen uns durch unseren Beruf weder die Fähigkeit noch die Zeit rauben lassen, geschlossene Werke der Geisteswissenschaften zu studieren. Ergänzt muß dieses Einzelstudium werden durch Anleitung auf regelmäßigen Zusammenkünften unserer Parteijournalisten. Zentrale Einrichtungen für das ganze Reich werden sich nicht leicht schaffen lassen; sie würden zu teuer sein und zudem nur einer kleinen Auslese zugute kommen. Wohl aber lassen sie sich für einzelne Bezirke durchführen, in denen allen Redakteuren die Möglichkeit einer Beteiligung mit geringen Geldkosten und Zeitverlusten geboten wird. Ich stelle es mir so vor, dass eine Zentralstelle, vielleicht der Zentralbildungsausschuß oder der Vorstand des Vereins Arbeiterpresse, die erste Anregung gibt, für die geeigneten Vortragenden sorgt und eine gewisse Kontrolle übt. Das Weitere müßte in den Bezirken selbst geschehen.

In seiner jüngst herausgekommenen Schrift "Die deutsche Presse im Kriege und später" hat der Professor Al. Meister in Münster aufgeführt, was der angehende Journalist auf der Universität studieren kann. Er nennt Geschichte (Wirtschaftsgeschichte, neuere politische Geschichte, Kulturgeschichte), Geographie, Völkerkunde deutsche und ausländische Literaturgeschichte, modernen Sprachen, Kunst- und Musikgeschichte, philosophische Fächer wie Ethik, Ästhetik, Psychologie, rechtswissenschaftliche Gebiete wie Völkerrecht, Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Prozessrecht, staatswissenschaftliche Vorlesungen und Übungen über Finanzwissenschaft, Politik, Sozialpolitik, Statistik, Volkswirtschaft "und vieles andere". Dazu müssten in Zukunft noch einige für die besonderen Zwecke des angehenden Journalisten kommen; etwa Vorlesungen über Geschichte des Zeitungswesens, ein Zeitungspraktikum über Konjunktur, Geldmarkt und andere wirtschaftliche Fragen: Zeitungsstunde überhaupt. Wenn ich noch hinzufüge, dass der sozialdemokratische Redakteur außerdem die Geschichte des Sozialismus und de sozialistischen Parteien, die Gewerkschafts- und die Genossenschaftsbewegung, die Kommunalpolitik und noch manches andere trennen muß, so ergibt sich ein außerordentlich großes Gebiet für unsere Arbeit. Doch kann es sich für uns weniger um die gründliche Zergliederung aller dieser Stoffe handeln, als zumeist nur um erste Anregungen, um die Anleitung zum Auffinden der Quellen und zur Benutzung des ausgedehnten Materials.

Genosse Stampfer hat den Vorschlag gemacht, eine aus den tüchtigen journalistischen und kommerziellen Kräften zusammengesetzte Kommission zu schaffen, die die Aufgeben unserer Presse nach dem Kriege zu studieren und dem nächsten Parteitage Bericht zu erstatten hätte. Ich halte dafür, dass die besonderen redaktionellen Fragen zuerst für sich allein zu prüfen wären. Ich vertrete ferner die Auffassung, dass die Parteipresse mit Unterstützung der hinter ihr stehenden Organisation solche Einrichtungen schaffen kann, ohne den Apparat der Gesamtpartei dazu in Bewegung zu setzen. Es dürfte keinen Parteitag geben, der es verurteilte, dass die Parteipresse das möglichste für die Heranziehung eines guten Nachwuchses und für Weiterbildung ihrer Redakteure getan hat.

Es ist durchaus kein müßiges Werk, jetzt schon und eingehend über diese Fragen zu sprechen. Wer will sagen, wenn der Friede kommt? Wenn er aber da ist, dann müssen wir besser als früher auch in der Parteipresse gerüstet sein. Aber alles Reden und Schreiben von Einzelpersonen nützt nicht viel, wenn nicht eine mit Befugnissen ausgerüstete Instanz sich mir Energie der Sache annimmt. Welche aber wird das sein? Der Vorstand des Vereins Arbeiterpresse? Der Zentralbildungsausschuß? Der Parteivorstand?

Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse, Nr. 148, Berlin, 4.Juli 1916, XVII. Jahrgang