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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
Juli 1979

Johano Strasser schreibt unter dem Titel: „Mehr Hilfen zur Selbsthilfe geben„ im „Sozialdemokrat Magazin„: „Wenn man sich die Grundprobleme der Sozialpolitik heute vergegenwärtigt, erkennt man bald, dass sie ohne eine Änderung der sozialpolitischen Strategie auf Dauer nicht lösbar sind. Nehmen wir zunächst das Problem der Finanzierung! Die Finanzierungsprobleme haben auch etwas zu tun mit der Art und Weise, wie unser soziales Sicherungs- und Leistungssystem organisiert ist. Statt den wachsenden Bedarf an sozialen Hilfen an der Quelle zu regulieren, gehen wir immer noch vor allem auf nachträgliche Ausgleichs- und „Reparatur„-Leistungen aus. Dazu kommt, dass das Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei vielen sozialen Leistungen (z. B. im Gesundheitsbereich) dramatisch absinkt.

In einigen Bereichen werden durch die Art und Weise der Leistungserbringung sogar mehr soziale Probleme erzeugt als gelöst. Dies gilt z. B. für einige Formen des sozialen Wohnungsbaus. Insgesamt können wir sagen, dass unser soziales Sicherungs- und Leistungssystem dem Anspruch, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, kaum genügt. Es hat im Gegenteil eine auffällige Tendenz, die Menschen immer mehr von Hilfeleistungen abhängig zu machen. Dass hier auch Profitinteressen im Spiel sind, liegt auf der Hand. Alle diese Merkmale unseres sozialen Sicherungs- und Leistungssystems haben zur Folge, dass die Kosten in diesem Bereich ständig steigen, während der Nutzeffekt gleichzeitig sinkt. Die Effizienz des sozialen Leistungssystems kann dadurch erheblich erhöht werden, dass man diesen Bereich weiter ,demokratisiert’, indem Strukturen geschaffen werden, in denen ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Arzt und Patient, Sozialarbeiter und Klient usw. möglich wird.

Wenn unser soziales Leistungssystem effizienter werden soll, dann muss es auf die aktive Mitwirkung der Betroffenen angelegt sein. Wenn wir nicht tatenlos zuschauen wollen, wie immer mehr Menschen in immer größerem Umfang von sozialen Leistungen abhängig werden, müssen wir verstärkt auf vorbeugende Sozialpolitik setzen, d.h. wir müssen mehr als bisher versuchen, die Ursachen von sozialer Not und Krankheit zu beheben. Es ist auf Dauer zugleich billiger und humaner, die Wohnverhältnisse und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Menschen daran nicht in wachsender Zahl kaputt gehen, und wir sie nicht nachträglich mit großem Aufwand wieder zurechtflicken müssen. Desgleichen können wir den Bedarf an sogenannten ,Transferleistungen’, also Sozialhilfe, Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung und –hilfe usw., erheblich vermindern, wenn wir über tarifpolitische und steuerpolitische Maßnahmen die Primäreinkommen stärker angleichen und eine aktive Vollbeschäftigungspolitik betreiben. Die angedeutete sozialpolitische Strategie hat zudem den Vorzug, dass sie entschlossen auf die Ermöglichung selbstverantwortlicher Lebensführung abzielt.

Die umfassende Betreuung von der Wiege bis zur Bahre ist auch für Sozialdemokraten kein attraktives Ziel. ,Sozialpolitik’, so heißt es im Godesberger Programm, ,hat wesentliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich der Einzelne in der Gesellschaft frei entfalten und sein Leben in eigener Verantwortung gestalten kann.’ Nehmen wir uns also selbst beim Wort!„


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