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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
27. Juni 1978

Auf einer gemeinsamen Sitzung von SPD-Parteivorstand, Parteirat und Kontrollkommission erläutert W. Brandt: „Der jedenfalls momentane Erfolg, den sogenannte Grüne Listen bei den Wahlen am 4. Juni errungen haben, wird uns aus mehreren Gründen und wohl auf einige Zeit beschäftigen. Es ist ziemlich sicher, dass die „Grünen„ nicht nur momentan ein Sammelbecken für Protestwähler sind. Es geht nicht allein um gewachsenes, wenn auch manchmal missverstandenes Umwelt-bewusstsein. Emotionale Unzufriedenheit mit Teilen unserer Steuergesetzgebung kommen ebenso hinzu wie Gefühle der Ohnmacht gegenüber immer mehr Bürokratie. Die Parteien werden hier auf eine Bewährungsprobe gestellt. In Niedersachsen haben die „Grünen„ übrigens auch in solchen Gegenden Erfolg gehabt, in denen es zugespitzte Umweltprobleme nicht gibt. Das lässt darauf schließen, dass sich hier ein allgemeines Unbehagen artikuliert.

Vor einer Bewährungsprobe steht besonders die Sozialdemokratische Partei. Wir wollen uns nichts vormachen: In manchen Bürgerinitiativen, gerade auch in solchen, die sich jetzt in Grünen Listen zusammenschließen, geht es um eigentlich sozialdemokratische Themen: Umweltschutz, Humanisierung der Arbeitswelt, Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung - dies sind nicht nur alte sozialdemokratische Forderungen; tatsächlich stehen auch große Teile der auf diesen Gebieten engagierten Bürger der SPD näher als jeder anderen Partei. Im Übrigen haben wir in den vergangenen Jahren gerade im Umweltschutz einiges durchgesetzt. Im Vergleich mit anderen EG-Staaten schneiden wir sogar hervorragend ab. Warum trotzdem das Unbehagen protestartigen Ausdruck findet, wird uns zu mehr als einer selbstkritischen Frage zwingen. Die Antworten können gewiss nicht übers Knie gebrochen werden. Dies ist umso schwieriger, als - gerade was den Umweltschutz anbelangt - durchaus unterschiedliche Interessen auf einen Nenner gebracht werden müssen.

„Ökologisten„ und „Ökonomisten„ müssen gegensätzliche Auffassungen, die nicht naturgegeben sind, in der Partei austragen, anders würden wir unserem Anspruch nicht gerecht, gesellschaftlichen Wandel aufzunehmen und ihn politisch zu verarbeiten. Wir wollen allerdings auch nicht so tun, als hätten wir nicht die bisher bekannten Argumente mit großer Sorgfalt beraten; auf dem Energie-Kongress in Köln, auf dem Parteitag in Hamburg. Auf dieser Basis - und sie ist solider als in jeder anderen Partei - können und wollen wir mit allen sprechen, die mehr wollen als bloße Agitation. Es dürfte deutlich geworden sein, dass ich vor zweierlei warne: weder haben wir ein Recht dazu, Bürgerinitiativen verächtlich zu machen, noch dürfen wir uns den Schuh einer „etablierten„ Partei anziehen. Wenn wir das tun oder uns vielleicht auch noch so benehmen, bringen wir uns von vorneherein um die Chance, wenigstens den verständlichen Teil des Protestes aufzunehmen - und eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen.„

H. Wehner weist darauf hin: Gerade im Hinblick auf Bürgernähe, die der Bundeskanzler mit Recht immer wieder betone, komme es in der Zukunft nicht so sehr darauf an, ständig neue Gesetze zu präsentieren, sondern den bereits verabschiedeten Gesetzen zur Wirkung zu verhelfen.


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