DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
28. Febr. 1978

Zum Vorsitzenden des SPD-Parteirates wird Karl Lietke , zu stellvertretenden Vorsitzenden werden H. Rothemund , Waltraud Steinhauer und Beate Weber gewählt. W. Brandt bezeichnet auf dieser Sitzung in Bonn als wichtigstes innenpolitisches Arbeitsfeld der SPD das Thema „Ausbildung und Arbeit für alle„.

Bei der Erläuterung der Schwerpunkte der Regierungsarbeit unterstreicht Bundeskanzler H. Schmidt die Notwendigkeit einer expansiven Haushaltspolitik zur Belebung der Wirtschaft. Die damit verbundene und durchaus mögliche hohe Kreditaufnahme des Bundes liege im Allgemeininteresse und werde durch niedrigste Zinssätze begünstigt. Die Sparfreudigkeit der Bundesbürger, so teilt der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang mit, sei ungebrochen; auch die Rentner legten durchschnittlich acht Prozent ihrer monatlichen Einkünfte auf die hohe Kante. Bei der Fortschreibung des Energieprogramms praktiziere die Bundesregierung den Vorrang der Kohle, wie er auf dem Hamburger Parteitag der SPD aus guten Gründen Gegenstand der Beschlussfassung gewesen sei. Zum Bereich der inneren Sicherheit betont H. Schmidt das Prinzip der von ihm geführten Bundesregierung, dass keinerlei exzessive Gesetzgebung in Betracht kommen könne. Andererseits sei es aus der politischen Gesamtverantwortung heraus, die die Bundesregierung und Sozialdemokratie bei schwierigen außen- und innenpolitischen Entwicklungen zu tragen habe, unverständlich und nicht hinzunehmen, dass es einzelne Mandatsträger riskierten, die Bundesrepublik Deutschland an eine Rechtsregierung auszuliefern.

In seiner Berichterstattung befasst sich der Bundeskanzler auch mit der Situation der Arbeitnehmer und Rentner in der Bundesrepublik und warnte davor, sich durch die Propaganda- und Krisenstrategie der CDU/CSU und ihrer Hilfstruppen den Blick für die tatsächlichen Verhältnisse trüben zu lassen. Die Bundesregierung liege mit 143 Prozent des durchschnittlichen realen Lebensstandards in der Europäischen Gemeinschaft zusammen mit Dänemark an der Spitze der Skala. Die gleiche Rechnung könne für die Rentner aufgemacht werden. Bei diesen sei das Wissen darüber durchaus vorhanden, dass von 1957 bis 1969 die Löhne schneller gestiegen seien als die Renten, dass hingegen seit Beginn der sozial-liberalen Koalition 1969 die Renten erheblich schneller gewachsen seien als die Löhne und dass diese letztere Entwicklung nicht unbeschränkt fortgesetzt werden könne. „Es gibt kein Problem der Sicherheit der Renten, es gibt aber das Problem der Finanzierung der zukünftigen Rentensteigerungen und dazu sind jetzt in der Koalition vernünftige Lösungsvorschläge erarbeitet worden. Dieses Paket sieht für die Jahre bis 1981 Rentensteigerungen vor, die deutlich oberhalb der zu erwartenden Preissteigerungen liegen und also real dem einzelnen Rentner zusätzlich etwas einbringen„, erklärt H. Schmidt . Der Bundeskanzler bekennt sich uneingeschränkt zur Tarifautonomie der Sozialpartner. Niemand könne sich jedoch auf den Standpunkt stellen: Für die Löhne sind wir verantwortlich, für die Vollbeschäftigung dagegen der Staat. In diesem Zusammenhang sagt der Kanzler, es seien auf Grund von Beobachtungen bei den Arbeitsämtern und Erfahrungen bei Firmen, die Arbeitskräfte suchen, Zweifel daran erlaubt, dass es in der Bundesrepublik eine Million echte Arbeitslose gebe. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung in den letzten Monaten und voraussichtlich auch für 1978 bezeichnet der Bundeskanzler im Ganzen als ganz günstig, Sorgen bereite dagegen die Lage der Exportindustrie, die sich schwierigen Währungsproblemen ausgesetzt sehe. Diese Schwierigkeiten seien nicht zuletzt auf das hohe Vertrauen zurückzuführen, das die DM in der ganzen Welt genieße.

Der Parteirat begrüßt, dass der Verunsicherungskampagne der CDU und CSU mit den Beschlüssen der Fraktionen der sozial-liberalen Koalition ein klares und ehrliches Konzept zur Finanzierung der Rentenerhöhungen entgegengestellt werde. Dieses Konzept festige den Generationenvertrag, stabilisiere die Finanzlage der Rentenversicherung und halte an der dynamischen Rentenanpassung fest. Bei seiner Erarbeitung habe nicht außer acht bleiben können, dass die Renten seit Beginn der sozial-liberalen Koalition im Jahre 1969 bis heute um rund 124 Prozent, dagegen die vergleichbaren Nettoeinkommen der Arbeitnehmer um 98 Prozent gestiegen seien. Die Sozialdemokraten nähmen sich jetzt des Auftrages an, den das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen Bundestag aufgegeben habe: die Hinterbliebenenversorgung für Frauen und Männer bis 1984 gleichwertig gesetzlich zu regeln. Die Bundesregierung wird um Prüfung gebeten, ob zum 1. Januar 1979 die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte nunmehr herabgesetzt werden könne.

Zur Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung stellt der Parteirat fest: „Die innere Sicherheit ist gleichermaßen eine Aufgabe von Bund und Ländern. Die Bonner Koalition hat ihren Beitrag zur Erfüllung dieser Aufgabe geleistet. Die im Bundestag verabschiedeten Regelungen entsprechen den rechtsstaatlichen Grundsätzen unserer Verfassung. Sie stärken Polizei und Justiz im Kampf gegen den Terrorismus - zur Sicherheit des Bürgers, zum Schutz des Rechtsstaates. SPD und FDP haben hart und verantwortungsbewusst um wirksame rechtsstaatliche Lösungen gerungen. Die Opposition hat auch auf diesem wichtigen Feld nur Obstruktion betrieben. Auch dieses Manöver zum Sturz der Regierung Schmidt/Genscher ist gescheitert. Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, die nicht mit der Fraktion gestimmt haben, haben gemeint, ihre - aus jeweils subjektiv zu rechtfertigenden Gründen - negative Entscheidung in der Sache würde die Koalitions- und Regierungsfähigkeit der SPD nicht berühren. Die seitdem eingetretene Entwicklung hat gezeigt, dass dies ein Irrtum war. Eine Wiederholung dieses Irrtums beschwört die Gefahr einer Rechtsregierung in der Bundesrepublik herauf. Dies widerspricht dem Wählerauftrag an die sozial-liberale Koalition. Der Parteirat erwartet daher, dass alle Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion entsprechend dieser Einsicht ihre Pflicht tun.„


Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | 2003