DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
11./15. Nov. 1975

Parteitag der SPD in Mannheim. Tagesordnung: Rechenschaftsbericht (W. Brandt); Referat (H. Schmidt); Orientierungsrahmen 85 (Einleitungsreferat: P. v. Oertzen). Arbeitsgemeinschaften behandeln: OR 85 - Der Staat in der parlamentarischen Demokratie; OR 85 - Wirtschafts- und Sozialordnung.
Während des Parteitages findet eine ausführliche Diskussion zwischen W. Brandt und H. Schmidt mit 150 ausländischen Gästen aus 34 Ländern statt.
W. Brandt versichert, daß die SPD entschlossen ist, die bewährte Zusammenarbeit mit der FDP in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen. Die Union in ihrem gegenwärtigen Zustand ist nicht nur nicht regierungsfähig; sie wird zu einem Sicherheitsrisiko für unser Land - in der Außen- wie in der Innenpolitik, wirtschaftlich und sozial. Ich weiß, dies ist ein hartes Urteil. Wenn im nächsten Jahr der Auftrag an die sozialliberale Koalition erneuert wird, woran ich nicht zweifle, dann sollten alle Beteiligten wissen: Die SPD ist der größere, aber sie ist ein fairer Partner. Es ist der Glaubwürdigkeit der SPD schlecht bekommen, daß bei mehr als einer Gelegenheit der Eindruck aufkommen konnte, als stünde diese Partei nicht mehr einheitlich und ohne taktische Winkelzüge auf dem Boden des Godesberger Programms. Unser Ansehen ist auch dadurch gemindert worden, daß der Eindruck von Zerstrittenheit entstand und in vergröberter Form vermittelt werden konnte. Und außerdem mußte es die Wirkung und Wirksamkeit nach außen beeinträchtigen, daß beträchtliche Teile der Partei über weite Strecken mit sich selbst beschäftigt waren. Das ist zwar schon wieder etwas besser geworden, aber ich will hier in aller Offenheit sagen, was noch besser werden muß. Die moderne Sozialdemokratische Partei verträgt weder sektiererisches Gebaren, noch verträgt sie bürokratisches Gehabe, sondern sie braucht Bürgernähe. In einer undoktrinären Partei dürfen Meinungsunterschiede nicht ausgetragen werden, als ob Glaubenskriege - mit Verbrennungen und Heiligsprechungen - ausgebrochen wären.
Unser sozialdemokratisches Profil muß klar umrissen sein. Nur so erreichen wir das breite, wahlentscheidende Vertrauen in die SPD als die große Volkspartei. Die SPD hat eine starke Umschichtung ihrer Mitgliedschaft erfahren. Der starke Generationsschub und der beträchtliche soziale Wandel haben zu mancherlei Unrast geführt, auch zu Gleichgewichtsstörungen, die behoben werden müssen. Ein Leistungs- und Konkurrenzverhalten, daß sich die jüngeren Mitglieder in der Schule, in der Ausbildung und im Beruf aneignen mußten, um Erfolg zu haben, hat weitgehend den Stil geprägt, in dem man heute in der Partei miteinander umgeht. Ein zumindest formaler Vorsprung, der sich aus dem Bildungs- und Ausbildungsgang ergibt, wird bei der Besetzung von Parteiämtern und der Vergabe von Mandaten nur zu leicht in einen zusätzlichen Startvorsprung umgesetzt. Ich kann nicht verordnen, daß man brüderlich miteinander umgeht, aber ich muß darauf bestehen, daß Duldsamkeit, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft in dieser Partei geübt werden.
Durch eine elitär klingende Sprache, die doch in Wirklichkeit oft nur eine gehobene Form von Unbeholfenheit ist, brauchen sich unsere Genossen aus den Betrieben gewiß nicht abschrecken zu lassen. Sie sollen reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Auch komplizierte Dinge lassen sich in verständlicher Sprache und sogar auf deutsch darstellen; es erfordert nur etwas mehr Arbeit.
Der Partei wird es gut bekommen, wenn sie - Programme logischerweise ausgenommen - sich wieder stärker dazu versteht, daß in aller Regel über kurze verständliche, den Kern der Dinge umfassende Texte entschieden wird. Ich meine, wir müssen uns auf allen Ebenen unserer Arbeit um mehr Rationalität bemühen. Über die Rolle und Aufgaben von Arbeitsgemeinschaften dürfen wir keine neuen Unklarheiten entstehen lassen. Die SPD ist kein Dachverband von Verbänden. Die Arbeitsgemeinschaften haben die Politik der Partei zu vertreten, und sie sollen von ihrem jeweiligen Arbeitsbereich her die Willensbildung der Gesamtpartei mit formen helfen. Die parlamentarische Arbeit ist nicht überall gut genug mit der allgemeinen Parteiarbeit verzahnt. Ich bin übrigens dafür, daß Kandidaten Rede und Antwort stehen, ich bin gegen inquisitorische Befragungen. Diese sind mit der innenparteilichen Ordnung nicht vereinbar.
Dies ist heute mein Appell an den Parteitag, an die gesamte Partei, an das Lager der sozialen Demokratie in unserem Land: Wir alle müssen mithelfen, daß Liberalität und geistige Freiheit nicht Schaden leiden. Wir alle müssen wachsam sein, damit die freiheitliche Demokratie nicht nur gegen offene Feinde, sondern auch gegen Kleinmut und Torheit bestehen kann.
Die deutschen Sozialdemokraten werden sich nicht wieder - wie im unglücklichen Jahr 1930 - selbst aus der Verantwortung entlassen. Ein Rückzug in die Resignation findet nicht statt.
H. Schmidt ruft die Partei auf, ihre tatsächliche Fähigkeit zur Gesetzgebung und zum Regieren zu demonstrieren. Wer die heutige Politik der CDU/CSU durchschaue, der könne den Arbeitern und Angestellten nicht ein Zurückfallen der SPD in die Opposition wünschen. Das bedeutet, daß die Sozialdemokraten ihre Bündnisfähigkeit erhalten und stärken müßten. H. Schmidt fordert ein klares Ja zur sozial-liberalen Koalition. Es gilt, der Versuchung von Wunschbildern zu widerstehen. Der Erfolg steht und fällt mit unserem Augenmaß. Die Koalition mit der FDP sei unter den Umständen dieses Jahrzehnts die Voraussetzung, das bestmögliche Maß sozialdemokratischer Politik zu verwirklichen. H. Schmidt verurteilt die fatale Neigung der SPD, die eigenen Leistungen und Erfolge schamhaft zu verstecken oder gar zu zerreden. Den Jungsozialisten empfiehlt er, das Licht der Erfolge ihrer Partei unter dem Scheffel hervorzuholen.
Ich möchte für meine Person für die große Leistung Willy Brandts danken. Ich denke, die Geschichtsschreibung wird hierbei festhalten: W. Brandt hat ein Vierteljahrhundert nach dem zerstörerischen Kriege endlich den Boden zur Aussöhnung auch mit dem Osten bereitet. Der Kampf um die Bewahrung der Freiheit Berlins ist ohne W. Brandt nicht zu denken. W. Brandt hat das Tor zur Regierungsführung durch die Sozialdemokraten aufgestoßen und den Weg zum modernen Deutschland geöffnet. Und du weißt, Willy, und du spürst in diesen Tagen, daß wir, daß deine Partei von dir noch sehr vieles erwartet!
Paritätische Mitbestimmung bleibt für uns ein unverzichtbares Ziel. Der Schritt, den wir jetzt tun, ist für uns keine Frage des Alles oder Nichts. Die Mitbestimmung wird die Marktwirtschaft nicht schwächen, sondern sie wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie stärken. Wir dürfen im nächsten Jahr wieder mit beträchtlichem realen Wachstum rechnen. Aber dazu gehört, daß 1976 die wichtigste Aufgabe ist, die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen.
Wenn wir »Marktwirtschaft« sagen, dann meinen wir die Unternehmerentscheidung auch mit allen Risiken, nicht nur mit allen Chancen.
In der Bundesrepublik wird kaum irgendwo eine gewerbliche Investition vorgenommen, die nicht staatlich beeinflußt wäre. In der Energiewirtschaft auf staatliche Standort- und Investitionsplanung zu verzichten, wäre unverantwortlich. Der Staat soll sich, wo immer das möglich ist, auf indirekte Lenkung von Investitionen beschränken.
Nach der Überwindung der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten muß und wird der Ausbau des Sozialstaates weitergehen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die noch bestehenden Ungleichheiten schrittweise zu verringern. Gleichzeitig wollen wir den Freiheitsraum jedes einzelnen sichern und erweitern. Für uns ist das soziale Netz eine entscheidende Voraussetzung für die Freiheit des einzelnen Menschen, nämlich Freiheit von Angst und von Abhängigkeit. Zur Sicherung von Freiheit und Liberalität gehört auch die Verteidigung des Rechtsstaates. Wir Sozialdemokraten sorgen zugleich dafür, daß bei Abwehr von Gefahren die liberalen Bürgerrechte nicht aufs Spiel gesetzt werden.
H. Schmidt betont, daß er ein Pragmatiker sei, aber kein theorieloser und kein wertfreier, sondern er halte es mit Immanuel Kant, nachdem ein moralischer Politiker nur derjenige ist, der die programmatischen Prinzipien der allgemeinen Wohlfahrt in Übereinstimmung mit den Geboten der Moral anwendet.
P. v. Oertzen, der Vorsitzende der Kommission Orientierungsrahmen, erläutert, daß es nicht möglich war, den Begriff Lebensqualität abschließend zu verdeutlichen, und denkbare Alternativen zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen zu liefern.
Vor allem habe man auf eine quantifizierte Vorausschau der wirtschaftlichen Entwicklung und Zielwerte für die Verteilung des künftigen Sozialproduktes wegen der weltwirtschaftlichen Risiken und der noch nicht abschätzbaren Konsequenzen aus der Verknappung der Ressourcen verzichtet. Dieses Programm ist den Problemen der realen gegenwärtigen Situation und der zukünftigen politischen Praxis näher als irgendein anderes programmatisches Dokument in der langen Programmgeschichte der deutschen Sozialdemokratie. Keine andere Partei hat bisher eine derartige Leistung vorzuweisen. Der OR ’85 soll, wie P. v. Oertzen feststellt, ein Bindeglied zwischen den sehr allgemeinen und langfristigen Zielvorstellungen des Godesberger Grundsatzprogramms und der praktischen sozialdemokratischen Tagespolitik sein.
Die wesentlichen Aussagen des vorliegenden Entwurfs konzentrieren sich auf vier Problembereiche: Die Grundwerte und ihre Konkretisierung; die internationalen und nationalen Bedingungen unserer ökonomischen, sozialen und politischen Lage; Probleme und Instrumente sozialdemokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die Rolle des Staates und die Aufgaben der Partei bei der Durchsetzung sozialdemokratischer Politik.
Gemeinsam sind uns Sozialdemokraten die Grundwerte des demokratischen Sozialismus - Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität - und unsere grundlegenden politischen Ziele, die im Godesberger Programm verankerten Grundforderungen für eine menschenwürdige Gesellschaft. Auf diese Grundlagen unserer Politik ist jeder Sozialdemokrat verpflichtet; in der Begründung und Rechtfertigung dieser unserer gemeinsamen politischen Zielsetzungen ist er jedoch frei. Die Grundwerte sind also sowohl die Bürgschaft für die politische Einheit als auch für die unverzichtbare innere Freiheit unserer Partei. Die gesellschaftlichen Verhältnisse neigen dazu, sich zu verselbständigen und über die Köpfe der Menschen hinweg Wirkungen zu entfalten, die den Interessen der Menschen zuwiderlaufen und die sie selber im Grunde nicht gewollt haben. Die Verselbständigung von Wirtschaftsmechanismen und Machteliten, von sozialen Institutionen und kulturellen Wertvorstellungen entgegen den Wünschen und Bedürfnissen der lebenden Menschen ist Ausdruck dieses grundlegenden Widerspruchs unserer sozialen Existenz. Wer die Probleme der Gesellschaft lösen will, so lautet daher die Konsequenz des vorliegenden Entwurfs aus diesen Feststellungen, muß daher diese Fremdbestimmung überwinden und die gesellschaftlichen Verhältnisse so weit wie möglich der freien Selbstbestimmung der Gesellschaft lebender Menschen unterwerfen.
Dies ist die zentrale Aussage unseres Entwurfs. Der Entwurf weist aber auch sehr nachdrücklich auf die Gebrechlichkeit der menschlichen Existenz und auf die Grenzen unseres politischen Wirkens hin. Der Mensch strebt nach Leistung, und unsere Gesellschaft braucht Leistungen.
Die vielberufene Leistungsgesellschaft ist eine der größten Lebenslügen unserer Zeit. Was ist das für eine Gesellschaft, in der die Arbeiter nicht wagen können, alles zu leisten, was sie leisten können, da sie befürchten müssen, mit einer Kürzung ihrer Vorgabezeit bestraft zu werden? Was ist das für eine Gesellschaft, in der Dauerstreß als eine Art von Auszeichnung gilt und die Fähigkeit zur Muße als ein Zeichen beruflichen Mißerfolges? Was ist das für eine Gesellschaft, in der die nicht leistungsfähigen Kinder und Alte, Kranke und Behinderte an den Rand geschoben werden? Was ist das für eine Gesellschaft, in der Kinder zum Konkurrenzkampf gegeneinander statt zum Arbeiten und Leben miteinander erzogen werden? Und was ist das für eine Gesellschaft, in der überkommene Eigentums- und Machtverhältnisse ganz selbstverständlich als leistungsgerecht respektiert werden, während der Anspruch der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung als leistungsfeindlich verketzert wird? Auf diese Frage müssen wir Antworten finden. Ich bin überzeugt, wir können sie finden, und dann werden wir feststellen, daß wir dann nicht nur menschlicher leben, sondern außerdem auch noch mehr leisten werden als heute.
Wir wollen den Staat nicht den Gruppen überantworten, die Gruppen aber auch nicht durch den Staat reglementieren. Staatliche Gesellschaftspolitik soll den einzelnen nicht etwa zu einem Anhängsel übermächtiger Bürokraten machen, sondern im Gegenteil seine Fähigkeiten zu solidarischer Selbsthilfe und Selbstbestimmung stärken.
Die Diskussion über den Orientierungsrahmen hat auch dazu beigetragen, sachlich inhaltlose und zumindest überspitzte Gegensätze in der Partei abzubauen und damit zu größerer Geschlossenheit beizutragen, einer Geschlossenheit, die freilich auf eigener Einsicht beruht und nicht so sehr auf äußerer Disziplin oder auf moralischen Appellen, so unverzichtbar dieses beides auch sein mag.
Der Parteitag verabschiedet nach jahrelanger Diskussion den grundsätzlichen (allgemeinen) Teil des Orientierungsrahmens ’85 gegen eine Stimme bei zwei Enthaltungen. Der erste Abschnitt behandelt die Ziele des demokratischen Sozialismus. Dessen Grundwerte sind: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die politisch-gesellschaftlichen Grundforderungen des demokratischen Sozialismus ergeben sich aus der Entscheidung für diese Grundwerte. Gerechtigkeit verwirklicht die Freiheit jedes einzelnen, indem sie ihm gleiche Rechte und gleichwertige Lebenschancen in der Gesellschaft eröffnet. Solidarität drückt die Erfahrung und die Einsicht aus, daß wir als Freie und Gleiche nur dann menschlich miteinander leben können, wenn wir uns füreinander verantwortlich fühlen und einander helfen.
Es ist der Irrtum der kommunistischen, marxistisch-leninistischen Bewegungen, es gäbe Gleichberechtigung ohne Freiheit und man könne Solidarität erzwingen. Es ist der Irrtum des Faschismus, man könne eine solidarische Volksgemeinschaft auf der Grundlage prinzipieller Ungleichheit der Menschen und ohne Freiheit der einzelnen errichten.
In den Kirchen sehen wir nicht nur willkommene Partner des staatlichen oder sozialen Handelns, sondern wir erhoffen uns aus ihren Reihen auch Unterstützung im Kampf um eine menschlichere Gesellschaft.
Die Grundforderungen des demokratischen Sozialismus müssen in einer Welt durchgesetzt werden, die den Anforderungen unserer Grundwerte nicht entspricht.
Die gesellschaftliche Ordnung der Gegenwart ist in allen Ländern durch den Widerspruch gekennzeichnet zwischen dem, was den Menschen wirtschaftlich, sozial, politisch und geistig möglich wäre und dem, was sie aus diesen Möglichkeiten machen. Aus der Möglichkeit der Auflösung dieses Widerspruchs schöpft der Sozialismus die Hoffnung, daß Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im gesellschaftlichen Leben mehr sind als Utopie.
In diesem Zusammenhang sind folgende gesellschaftliche Probleme von grundlegender Bedeutung: Eine Wirtschaftsordnung, die auf der einzelwirtschaftlichen Verfügung über die Produktionsmittel und auf der Marktkonkurrenz beruht, führt zwar in der Regel zu hoher Produktivität, steht jedoch in der Gefahr, an den Bedürfnissen der Menschen vorbeizuproduzieren. Ihre Ersetzung durch staatliche Planung bringt jedoch die andere Gefahr mit sich, daß herrschende Minderheiten (Bürokratien) unkontrollierbar über die Bedürfnisbefriedigung der Menschen entscheiden. Die menschliche Persönlichkeit verwirklicht sich auch in ihren Leistungen.
Auch eine sich in Richtung des demokratischen Sozialismus entwickelnde Gesellschaft muß bestimmte und nicht geringe Leistungsanforderungen stellen, auf ihre Erfüllung achten und die jungen Menschen in diesem Sinne erziehen. Der herkömmliche Leistungsbegriff engt die Möglichkeiten menschlicher Selbstverwirklichung und Lebenserfüllung ein. Materielle Sicherheit ist zwar die notwendige Voraussetzung eines menschenwürdigen Daseins, aber nicht dieses selbst. Ohne Lebensgenuß und Bildung, ohne Freundschaft und Liebe, ohne das Streben nach Wahrheit und ohne jene innere Befriedigung, die aus Quellen wie der philosophischen Einsicht oder dem religiösen Glauben erwächst, ist menschliches Leben sinnlos. Unbestreitbar ist, daß die politische, soziale und kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft in erheblichem Umfang von ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft abhängt. Die reale Freiheit und Gleichheit der Menschen ist - von ihren materiellen Voraussetzungen her gesehen - zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte möglich geworden.
Der zweite Abschnitt behandelt die Bedingungen und den Bezugsrahmen: Das Ziel des demokratischen Sozialismus ist ein System internationaler Sicherheit und Zusammenarbeit auf der Grundlage gerechterer Verteilung. Die Weltpolitik, besonders die Weltwirtschaftspolitik, zeigt die Beschränkung der politischen Handlungsfähigkeit. Die internationalen politischen Organisationen müssen funktionsfähiger ausgebaut, die Kontrolle internationaler Konzerne verbessert werden. Wir müssen uns freihalten von jedem dogmatischen Fortschrittsglauben.
Weder die Lenkungsmöglichkeiten in den überwiegend marktwirtschaftlichen Volkswirtschaften noch die zentralistische Planung reichen bisher aus, Größen und Strukturen innerhalb der Gesamtwirtschaft so zu beeinflussen, daß gesellschaftlich erwünschte Ergebnisse bei vertretbaren gesellschaftlichen Kosten erreicht werden. Konjunkturschwankungen sowie regionale und sektorale Strukturprobleme machen dies immer erneut deutlich.
Die moderne Inflationsproblematik ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sich zunehmend inflationäre Preissteigerungen auch in der Rezession fortsetzen, also mit Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation oder gar schrumpfendem Sozialprodukt einhergehen.
Eine Rolle spielt zweifellos das unternehmerische Preisverhalten auf zunehmend vermachteten Märkten, auf denen die Großunternehmen ihre Gewinnspannen selbst bei rückläufiger Nachfrage durch Preiserhöhungen zu verteidigen versuchen, die wiederum die Gewerkschaften zu entsprechenden Lohnforderungen zwingen. Die herkömmlichen, auf Nachfragedämpfung abzielenden Mittel der geld- und finanzpolitischen Globalsteuerung reichen gegenüber der Inflation neuen Typs nicht aus.
Die Analyse der Ursachen dieses neuen Inflationstyps und die Entwicklung von wirksamen Instrumenten zu ihrer Bekämpfung gehören zu den vordringlichen Aufgaben der Wirtschaftsforschung und der Wirtschaftspolitik.
Bei geringer werdendem Wachstum treten Verteilungsfragen verstärkt in den Vordergrund, da konkurrierende Ansprüche nicht mehr im bisherigen Umfang aus den Zuwächsen befriedigt werden können. Gerade in einer solchen Situation ist es notwendig, daß sich die Einkommens- und Vermögenspolitik und die Ausgestaltung der staatlichen Leistungen stärker am Ziel der Verteilungsgerechtigkeit orientieren.
Die Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Macht mit dem Ziel Verhinderung ökonomisch unerwünschter und demokratiegefährdender Ballungen bleibt ein Problem, unabhängig von der Eigentumsordnung.
Unter den Bedingungen einer modernen arbeitsteiligen Volkswirtschaft kann der Staat die Wirtschaft nicht sich selbst überlassen oder sich auf die Beseitigung der Folgen wirtschaftlicher Fehlentscheidungen beschränken.
Für eine erfolgreiche Gesellschaftspolitik müssen Sozialdemokraten hinwirken auf stetiges, qualitativ sinnvolles Wirtschaftswachstum; Modernisierung der Wirtschaft durch langfristige Strukturpolitik; wirksame demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Verfügungsgewalt und wirksame parlamentarische Kontrolle der öffentlichen Planungsträger.
Die Forderung nach Mitbestimmung ist der Ausdruck des Strebens der Menschen nach mehr Freiheit und Selbstverantwortung. Die Unternehmerfunktion wird durch Kapital und Arbeit gleicherweise legitimiert und kontrolliert.
Die Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie die teilweise damit verbundene Verteilung von Lebenschancen führen noch immer zu krassen Ungerechtigkeiten. In diesem Sinne ist die Bundesrepublik eine Klassengesellschaft geblieben.
Die Verwirklichung des vermögenspolitischen Beschlusses des Parteitags von Hannover würde die Rahmenbedingungen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik entscheidend verbessern. Soziale Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Umfassende soziale Sicherung gehört zur solidarischen Gesellschaft. Vollbeschäftigung ist vorrangiges Ziel sozialdemokratischer Politik.
Die sich ergebenden Veränderungsbestrebungen stoßen auf den Widerstand von Gruppen, die um ihre gesellschaftliche Stellung fürchten und nur mit der verstärkten Ausnutzung ihrer Machtpositionen in Wirtschaft, Politik und Meinungsbildung antworten.
Das Bekenntnis der Sozialdemokraten zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat als menschenwürdiger Ordnung umfaßt die Bejahung der aktiven Rolle des Staates in der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zum Wohle des Bürgers.
Wir haben deshalb die Zunahme der öffentlichen Verantwortung in Bereichen wie Bildung, Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, vor allem aber in Fragen der sozialen Sicherheit und der Gesamtentwicklung der Wirtschaft von jeher gefördert und begrüßt. Die Auseinandersetzungen der organisierten gesellschaftlichen Gruppen um den Inhalt der staatlichen Entscheidungen und die Schwierigkeiten ihrer praktischen Durchsetzung zeigen deutlich, daß der Staat kein unabhängig über der Gesellschaft stehender neutraler Schiedsrichter, kein Vertreter eines »objektiven« Gemeinwohls gegenüber den Interessen der konkreten gesellschaftlichen Gruppen ist.
Der Staat ist nicht Vollzugsorgan der nach wie vor spontan wirksamen Gesetze des Kapitalismus. In der Demokratie hängen staatliche Entscheidungen in erheblichem Maße vom Wählerwillen ab, zum anderen ist das Ausmaß, in dem die privatkapitalistische Wirtschaft heute von staatlichen Entscheidungen abhängig ist, nicht gering.
Die Unabhängigkeit des Staates von den Interessen der Großwirtschaft muß erstritten, seine Handlungsfähigkeit im Interesse der freien, gerechten und solidarischen Gestaltung unserer Gesellschaft verstärkt werden. Die Politik des demokratischen Sozialismus muß daher zugleich die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer verstärken, die »Gegenmacht« der Gewerkschaften gegenüber der Kapitalseite sichern und den Handlungsspielraum des Staates gegenüber privater Wirtschaftsmacht erweitern. Die wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an den Staat bergen die Gefahr in sich, die Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern und eine bürokratische Ausweitung des Staatsapparates zu erzeugen, dessen Kosten unerträglich wachsen und dessen Effektivität doch immer weit hinter den gesellschaftlichen Anforderungen zurückbleibt. Ohne gesellschaftliche Strukturreformen, die die Fähigkeiten und Bereitschaft der Gesellschaft zur Selbstregulierung und zur Selbsthilfe nutzen und stärken, droht uns eine Entwicklung, in der wachsende, lähmende soziale Konflikte nur noch durch den Staat reguliert werden können, der zur Durchsetzung seines Zieles eines wachsenden Apparats bedarf. Einem zunehmenden Versorgungsdenken und abnehmender Fähigkeit und Bereitschaft zu solidarischer Selbsthilfe stünde eine abnehmende Leistungsfähigkeit des Staatsapparates gegenüber. Sozialdemokratische Gesellschaftspolitik bejaht auch in dieser Hinsicht die aktive Rolle des Staates in der Gestaltung unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Sie lehnt aber jede »Verstaatlichung« der Gesellschaft mit Nachdruck ab.
Die Bereitschaft des Bürgers, getroffene Entscheidungen solidarisch zu tragen, wird um so größer sein, je durchsichtiger die Prozesse der Wissensbildung und Entscheidung für ihn sind und je mehr Möglichkeiten der Mitwirkung er am Zustandekommen der Entscheidung hat. Eine solche Mitwirkung ist aber ihrerseits eine Frage der Erziehung und der praktischen Erfahrung. Nur durch bewußte soziale Erziehung und freiwillig gewonnene praktische Erfahrungen können solidarisches Verhalten und nicht auf Zwang beruhende Autorität neu entstehen. Ohne beide kann eine bessere Gesellschaftsordnung nicht geschaffen werden. Hierin wurzelt die Notwendigkeit einer Erziehungs- und Bildungsreform ebenso wie die einer breit und langfristig angelegten Vertrauensarbeit der Partei in der Bevölkerung.
Qualifiziertes Wirtschaftswachstum dient nicht nur der Erhaltung und Steigerung des allgemeinen materiellen Lebensniveaus, es ist auch mitbestimmend für Art und Umfang gesellschaftlicher Reformen. Deshalb muß es gefördert werden. Für unsere Politik ergibt sich als dringlichste Forderung aus dem enger gewordenen finanziellen Spielraum, daß die zur Verfügung stehenden Mittel künftig sparsamer und gezielter eingesetzt werden.
Die einzelwirtschaftliche Verfügung über die Produktionsmittel und die Marktkonkurrenz sind weitgehend unentbehrlich. Gleichzeitig bedarf es aber geeigneter Instrumente staatlicher Beeinflussung und Förderung, Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses, um die Ziele demokratischer Wirtschaftspolitik zu erreichen.
Für die privatwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen sollen ein Bundesentwicklungsplan, der Ausbau der Landesentwicklungspläne, ein abgestimmtes öffentliches Infrastrukturkonzept sowie eine verbesserte Struktur- und Konjunkturpolitik bessere Orientierungshilfen geben. Direkte staatliche Eingriffe in die privaten Investitionsentscheidungen sollen auf die üblichen Anwendungsbereiche beschränkt bleiben; jedenfalls nicht als Mittel gesamtwirtschaftlicher Lenkung benutzt werden. Ein Minderheitsvotum, das in besonderen Fällen (z.B. Vermeidung struktur- wie konjunkturpolitisch unerwünschten Überkapazitäten) Investitionsverbote fordert, wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Von einer bestimmten Größe an soll eine Meldepflicht für Investitionen eingeführt werden. Außerdem sollen autorisierte öffentliche Planungsträger die Möglichkeit erhalten, gegenüber einzelnen privaten Unternehmen festzustellen, ob und inwieweit Investitionen unerwünschte oder schädliche Folgen hervorrufen könnten.
Mit großer Mehrheit wird ein Minderheitsvotum abgelehnt, das die Überführung privater Bank- und Versicherungskonzerne sowie markt- und wirtschaftsbeherrschender Industriekonzerne in Formen öffentlichen Eigentums unter demokratischer Kontrolle verlangt. Ein Änderungsantrag, der die Einrichtung von Branchenausschüssen im Bereich gleichartiger Massenproduktion vorsieht, wird ebenfalls abgelehnt.
Die Bankaufsicht ist wesentlich zu verschärfen. Das System der Universalbank sollte abgeschafft werden. Die Neugliederung des Bankensektors erfolgt nach Funktionen. Die Haltung oder der Erwerb von Schachtelbeteiligungen soll melde- und genehmigungspflichtig sein, wobei die Genehmigung widerruflich ist. Banken darf es nicht gestattet sein, ein Unternehmen zu beherrschen.
Eine vorausschauende und mit Maßnahmen der Investitionslenkung verbundene Strukturpolitik muß durch eine Konjunktursteuerung vornehmlich über die Einnahmen- und nicht nur über die Ausgabenseite wirtschaftlich und finanziell abgesichert werden.
Bei einer erfolgreichen Bewältigung des Inflationsproblems ist die Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen von entscheidender Bedeutung.
Der Ausbau der Planungs-, Lenkungs- und Koordinierungs- sowie Kooperations-Kapazität muß aber begleitet sein von einer Reform überholter Strukturen im Staatsapparat und im öffentlichen Dienst und von einem Ausbau der demokratischen Planungskontrolle, die eine Verselbständigung der Planungsapparaturen gegenüber der Politik verhindert.
Der dritte Abschnitt behandelt die Durchsetzung einer Politik des demokratischen Sozialismus als Aufgabe der sozialdemokratischen Partei. Dabei wird darauf hingewiesen, daß die Form gesellschaftlicher Selbsthilfe und -verwaltung zwischen dem einzelnen und dem Staat noch nicht gelöst ist. Für die Durchsetzung einer Politik des demokratischen Sozialismus ist von zentraler Bedeutung, wie der Bürger seine Stellung in Staat und Gesellschaft einschätzt.
Sozialdemokratische Politik muß an dem vorhandenen Bewußtseinsstand anknüpfen, wenn sie Notwendigkeit und Möglichkeit der Veränderung unserer Gesellschaft einsichtig machen, gesellschaftliches Bewußtsein schärfen will. Gleichzeitig wird aber bei dem Bürger das Gefühl der Einflußlosigkeit, wenn nicht des Ausgeliefertseins verstärkt durch den Mangel an Möglichkeiten, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse mitzubestimmen.
Die zur Durchsetzung einer langfristigen sozialdemokratischen Politik erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten können nur gewonnen und behauptet werden, wenn es gelingt, die Grundwerte und Grundforderungen des demokratischen Sozialismus fest im Bewußtsein unseres Volkes zu verankern.
Sozialdemokratische Politik hat auch auf der staatlichen Ebene nur dann Erfolgschancen, wenn sie mit einer breit und langfristig angelegten Vertrauensarbeit unserer Partei in der Bevölkerung einhergeht. Bei diesem Sachverhalt - der mit dem oft mißverstandenen Begriff »Doppelstrategie« belegt worden ist - handelt es sich um zwei Seiten einer einheitlichen sozialdemokratischen Strategie. Eine Strategie dagegen, die den Konflikt zwischen der Basis der Partei und deren Mandatsträgern zum Prinzip erhebt, muß zur Handlungsunfähigkeit der Partei führen und kann nicht mit dem Begriff »Doppelstrategie« in Übereinstimmung gebracht werden. Von entscheidender Bedeutung der Vertrauensarbeit der Partei mit der Bevölkerung ist, daß Sozialdemokraten überall die Übereinstimmung ihres Handelns mit ihren eigenen Ansprüchen deutlich werden lassen. Die Vertrauensarbeit hat vor allem fünf Aufgaben zu erfüllen: die Probleme und Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere der Arbeitnehmer, zu ermitteln und sie in die politische Diskussion und Entscheidung einzuführen; eine längerfristige politische Orientierung anzubieten, die es allen Mitgliedern und Wählern unserer Partei erlaubt, einen Maßstab für die Beurteilung tagespolitischer Kompromisse zu gewinnen; die vielfältige Zusammenarbeit von Sozialdemokraten mit anderen demokratischen Kräften zu stützen; die Fähigkeit der Bürger zur selbstverantwortlichen Lösung gesellschaftlicher Probleme in ihrem eigenen Lebens- und Arbeitsbereich zu verbessern und politische Entscheidungen sozialdemokratisch geführter Regierungen vor dem Bürger zu begründen. In den erforderlichen vielfältigen Vermittlungs- und Diskussionsprozessen auf allen Ebenen der Parteiorganisation liegt die wichtigste und zugleich die schwierigste Funktion, die von der Partei zu erfüllen ist. In einer politischen Strategie dürfen und können staatliche und kommunale Amtsträger nicht im Sinne eines imperativen Mandats in Einzelentscheidungen festgelegt werden. Erste Voraussetzung einer wirksamen Vertrauensarbeit ist der konsequente Ausbau der innerparteilichen Demokratie im Sinne der offenen Diskussion und der Aktivierung möglichst vieler Mitglieder für unsere politischen Ziele. Weitere Voraussetzung ist, daß die Partei sich verstärkt nicht nur um ihre eigenen Probleme, sondern um die der Bürger kümmert.
Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften muß noch enger werden. Die Gewerkschaften und die SPD müssen die Selbständigkeit ihrer Organisationen und Aufgabenstellung wechselseitig respektieren. Die SPD bejaht die Organisationsform der Einheitsgewerkschaft.
Den besonderen Teil des OR ’85 nimmt der Parteitag gegen vier Stimmen und zwei Enthaltungen an. Dieser Teil (der 4. Abschnitt des OR) bedarf nach Meinung des Parteitages einer weiteren Überarbeitung. In diesem Teil werden die Darlegungen der Abschnitte 1 bis 3 des OR durch sechs konkrete politische Bereiche, denen für die Politik der SPD bis 1985 besondere Bedeutung zukommt, ergänzt: Modernisierung der Wirtschaft als Grundvoraussetzung langfristiger Arbeitsplatzsicherung; Reform der Berufsausbildung; Humanisierung der Arbeitswelt; Reform des Gesundheitswesens; Städteplanung und Stadtentwicklung sowie Gleichstellung der Frauen.
Der Bundesparteitag bekräftigt die in Hannover 1973 beschlossenen Grundsätze sozialdemokratischer Außenpolitik für die 70er Jahre. Die Erfolge waren nur möglich durch die Verträge, die wir auf der Basis unserer Bündnisse abgeschlossen haben. Um zu weiteren Erfolgen zu kommen, erwartet der Parteitag den weiteren Abbau der Spannungen mit der DDR, zwischen Ost und West in Europa, zwischen den industrialisierten und den unterentwickelten Ländern und den weiteren Ausbau der Europäischen Gemeinschaft.
In ihrem elementaren Drang zur Selbstbestimmung und Befreiung können die Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas unserer Solidarität sicher sein. Wir fordern und fördern das Ende der Herrschaft rassischer Minderheiten. Sozialdemokratische Entwicklungspolitik respektiert die Freiheit jedes Volkes, seinen eigenen Weg zu gehen. Die Völker in den Entwicklungsländern fordern mit Recht eine Weltwirtschaftsordnung, welche die Deckung der Grundbedürfnisse aller Menschen sicherstellt. Dies schließt materielle Opfer der Industrieländer, also auch der Bundesrepublik ein.
Der Zusammenschluß der neun europäischen Staaten gibt uns die Chance, in Zukunft gegenüber Nordamerika ein noch stärkerer Partner zu werden. Der Parteitag begrüßt den Entschluß der Pariser Gipfelkonferenz, die Direktwahl des Europäischen Parlaments ab 1978 einzuführen. Gleichzeitig müssen die Befugnisse des Europäischen Parlaments gestärkt werden. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, daß das vorgelegte Konzept der Mitbestimmung in Europa verwirklicht wird. Die EG muß den Ländern im südlichen Teil unseres Kontinents, die sich nach langen Jahren aus der Diktatur gelöst haben, Hilfe und Beistand leisten.
Achtung der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit und Unabhängigkeit eines jeden Staates im Nahen Osten sowie seines Rechtes, innerhalb sicherer und anerkannten Grenzen zu leben, sind Voraussetzungen für einen gerechten und dauerhaften Frieden. Ein solcher Friede zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn schließt die legitimen Rechte der Palästinenser ein.
Das Atlantische Bündnis ist unverzichtbare Basis unserer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Fähigkeit zur gemeinsamen Verteidigung muß auch in Zukunft die Grundlage der Entspannungspolitik sein.
Der Parteitag ist für die Universalität des Profilerationsverbots.
Der Bundeswehr fällt im Bündnis vor allem die Rolle zu, durch Präsenz und konventionelle Schlagkraft dazu beizutragen, daß ein atomarer ebenso wie ein begrenzter konventioneller Krieg verhindert wird. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedarf die Bundeswehr einer angemessenen und hinreichenden Ausstattung mit Personal und Rüstungsmaterial. Sie muß in der Lage sein, sicherheitspolitischen Wandel mitzuvollziehen. Die Rüstungskosten müssen durch drastische Rationalisierung und Standardisierung im Rahmen der NATO begrenzt werden.
Der Parteitag begrüßt die Ergebnisse der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Es kommt nun darauf an, die Prinzipien von Helsinki möglichst umfassend zu verwirklichen. Die SPD unterstützt nachhaltig die Verhandlungen über ausgewogene beiderseitige Truppenreduzierungen. Dabei hält sie die Einbeziehung taktischer Atomwaffen in diese Verhandlungen für möglich. Sie steht zu der gemeinsamen Zielsetzung der NATO, in diesen Verhandlungen ein ausgewogeneres, stabiles Kräftegleichgewicht in Mitteleuropa auf niedrigerem Niveau herbeizuführen. Einseitige Vorleistungen würden den Erfolg der MBFR-Verhandlungen ebenso in Frage stellen wie vorgenommene Verstärkungen von Truppen oder Rüstungen während der Verhandlungen. Es bleibt die Aufgabe in den vor uns liegenden Jahren, die Entspannung zwischen Ost und West auszubauen und zu einer friedenssichernden Qualität zu entwickeln, die zusätzlich und schließlich gleichwertig neben der militärischen Seite Sicherheit gibt.
Der Parteitag begrüßt die mit der Volksrepublik Polen getroffenen Vereinbarungen. Das Verhältnis zur Sowjetunion hat sich auf der Grundlage des Moskauer Vertrages politisch und wirtschaftlich positiv entwickelt. Der logische und erwünschte weitere Ausbau auf allen Gebieten verlangt die Beteiligung von Berlin (West) in strikter Einhaltung und unter voller Anwendung des Viermächteabkommens. Soweit bei den Ausfüllungsverträgen Kosten entstehen, müssen die Lasten von beiden Seiten gleichmäßig getragen werden. Die Glaubwürdigkeit der Politik der Entspannung in der Mitte Europas, wie die getroffenen Vereinbarungen selbst, verlangen auch auf diesem Gebiet weitere Fortschritte für die Menschen in beiden deutschen Staaten.
Erklärungen über die Wahrung der Menschenrechte sind in mehr als 100 Ländern nur Lippenbekenntnisse. Die Solidarität der Sozialdemokraten mit den gefährdeten Andersdenkenden hat nie vor den nationalen Grenzen haltgemacht und darf das auch weiterhin nicht tun.
In jedem Einzelfall muß geprüft werden, ob Zusammenarbeit mit undemokratischen Regierungen diese stärkt und dem unterdrückten Volk schadet. Physische und psychische Folterungen sollen durch die UNO weltweit geächtet werden.
Der Parteitag verurteilt die Zionismus-Resolution der UNO-Vollversammlung, in der festgestellt wird, »daß Zionismus eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung ist« und begrüßt die Ablehnung durch die Bundesregierung und die einheitliche Haltung der EG-Staaten in dieser Frage.
Die zur Zeit praktizierte Selbstbeschränkung der Bundesrepublik beim Export von Rüstungsgütern darf nicht aufgehoben oder gelockert werden, auch wenn die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dazu verführen mögen, durch Freigabe des Exportgeschäftes die Kapazität der Rüstungsindustrie zu erhöhen und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Bundesrepublik soll so bald wie möglich erreichen, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes an öffentlicher Hilfe für die Entwicklungsländer aufzubringen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem portugiesischen Volk und der im Wiederaufbau begriffenen portugiesischen Demokratie den Weg in die Familie der demokratischen Völker Europas zu erleichtern. Die Sozialistische Partei Portugals soll materiell und politisch unterstützt werden. Die SPD unterstützt die Bemühungen der in Spanien wirkenden Gruppen des demokratischen Sozialismus und bekräftigt die solidarische Verbindung zur spanischen Bruderpartei PSOE. Die Annäherung Spaniens an die Europäischen Institutionen hat die Umwandlung des Franco-Regimes in eine Demokratie zur Voraussetzung. Die SPD verurteilt die Diktatur in Chile. Sie wird fortfahren, die fortschrittlichen und demokratischen Kräfte Chiles, insbesondere die Radikale Partei, weiterhin tatkräftig zu unterstützen.
Die Weltwirtschaft befindet sich in der tiefsten Rezession seit Ende des zweiten Weltkrieges. Die rasche Überwindung der Rezession, die Lösung der Strukturprobleme und damit die Bemühungen um ein dauerhaftes, sozial und qualitativ ausgewogenes Wachstum sind die wichtigsten Aufgaben der nationalen und internationalen Politik geworden. Die SPD sieht es als oberstes Ziel an, national und weltweit diese große Aufgabe mit anzupacken. In enger internationaler Kooperation muß es gelingen, eine gleichzeitig auf Vollbeschäftigung, Wachstum und Stabilität gerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik in allen Industrienationen zur Geltung zu bringen, die Kooperation mit den Ländern der Dritten und Vierten Welt zu verstärken.
Das in den letzten Jahren geknüpfte Netz sozialer Sicherheit sowie die verantwortungsvolle Haltung der deutschen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften haben entscheidend dazu beigetragen, daß die soziale und politische Stabilität erhalten geblieben ist. Die Wahrung unserer sozialen Stabilität bleibt für die Wirtschafts- und Finanzpolitik oberste Leitlinie.
Die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden müssen stärker als bisher auf mögliche positive Beschäftigungsauswirkungen ausgerichtet werden. Die öffentlichen Investitionen müssen weiter zunehmen, sie müssen aber mittelfristig mit den Folgekosten finanzierbar sein. Subventionen, die keinen positiven Beschäftigungseffekt haben, müssen abgebaut werden. Besonderen Wert ist auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu legen.
Die Kombination von globaler Steuerung, staatlicher Datensetzung und Rahmenplanung, Wettbewerbswirtschaft und Tarifautonomie dürfte die Flexibilität geben, um die ökonomischen und sozialen Probleme unserer Zeit zu bewältigen. Es ist zu überlegen, wie die Investitionskraft der Unternehmen gestärkt und die Investitionsrichtung ausreichend an gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiert werden können, ohne negative Verteilungsfolgen auszulösen oder die Unternehmerinitiative zu lahmen. Steuerliche Entlastungen für Unternehmen lehnt die SPD ab, weil sie gegenwärtig keine positive Wirkung auf die Beschäftigung auslösen. Es muß geprüft werden, ob Ausnahmen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen notwendig sind. Die Hilfen für die Privatwirtschaft sollen ständig auf Berechtigung und Wirkungsgrad überprüft werden. Die direkte Förderung ist indirekten Zuschüssen bzw. Steuervorteilen vorzuziehen.
Grundsatz sozialdemokratischer Politik ist die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit für jeden Arbeitnehmer in der Bundesrepublik.
Die SPD fordert: Die schnelle Abwicklung der laufenden Konjunkturprogramme, die nicht nur die privaten Investitionen, sondern auch die öffentlichen Investitionen als Ansatzpunkt für eine Belebung nehmen. Erleichterung der Finanzierung der Eigenanteile der Gemeinden bei Projekten, die gemeinsam mit dem Land und dem Bund finanziert werden. Verstärkte Schaffung von Ausbildungs- und Fortbildungsstätten zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und struktureller Arbeitslosigkeit, die sich aus dem Abbau der Beschäftigung in schrumpfenden Branchen ergibt. Ausnutzung aller Beschäftigungsmöglichkeiten, insbesondere auch im Ausbildungssektor bei den öffentlichen Händen und bei von ihnen beeinflußbaren Unternehmen.
Der verständliche Widerstand der jeweils betroffenen Bevölkerung gegen Kernkraftwerke ist zu einem politischen Faktum geworden. Im einzelnen stellt die SPD fest: Energiesparende Techniken müssen die erste Förderungspriorität erhalten. Kraftwerksstandorte sollten möglichst so gewählt werden, daß die Kopplung von Stromerzeugung und Abwärmenutzung möglich wird. Bei der Planung, bei der Genehmigung und beim Bau von Kernkraftwerken ist daran festzuhalten, daß der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Schädigungen absolute Priorität hat. Gleichzeitig sind die Probleme der Raumplanung und der Bürgeranhörung zu beachten. Dazu wird u.a. gefordert: Eine Regelung über die Zuständigkeit für die Endlagerung hochaktiver Abfälle und für die Sicherheit bei der Sicherstellung des Brennstoffkreislaufs.
Die von der SPD auf ihrem Parteitag in Hannover betonte Selbstverständlichkeit, daß Personen, die verfassungswidrige Ziele verfolgen, nicht in den öffentlichen Dienst gehören, darf nicht länger dazu mißbraucht werden, Konservativismus oder Duckmäuserei mit Verfassungstreue gleichzusetzen. Zur Verwirklichung unserer freiheitlichen, auf einen demokratischen und rechtsstaatlichen Sozialstaat ausgerichteten Grundordnung werden vielmehr zukünftig mehr denn je auch im öffentlichen Dienst geistig unabhängige und selbstbewußte Demokraten benötigt, die über politische Urteilsfähigkeit verfügen und politische Überzeugung nicht nur besitzen, sondern auch vertreten. Das vom Bundestag am 24. Oktober angenommene Gesetz will gewährleisten, daß einerseits der öffentliche Dienst der Bundesrepublik keine Personen aufnimmt, die verfassungswidrige Ziele verfolgen, daß aber andererseits auch angesichts der notwendigen Auseinandersetzung mit verfassungswidrigen Bestrebungen jedem Bewerber eine Behandlung zuteil wird, die den Grundsätzen des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates entspricht. Die bloße Gesetzesänderung allein kann allerdings den heute teilweise bestehenden Mißbrauch noch nicht ausschließen. Eine Änderung von Verwaltungsrichtlinien und der Verfahrenspraxis muß heute hinzutreten. Der Parteitag begrüßt daher die vom Bundestag zusammen mit dem Gesetz angenommene Entschließung.
Der Parteitag erwartet, daß alle sozialdemokratischen Regierungsverantwortlichen sich für die Durchsetzung und Einhaltung dieser Grundsätze einsetzen; daß alle Sozialdemokraten mit Wachsamkeit dafür sorgen, daß jeder Versuch der bewußten Mißdeutung oder des schleichenden Abbaus der Verfassung der Bundesrepublik vereitelt wird.
Nur eine Politik, die als ganzes dem äußeren und inneren Frieden, der Freiheit und dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist, wird die Bestandskraft unserer Verfassung für die Zukunft bewahren.
Die Anträge über die geplante Aufnahme der Befürwortung von Gewalttaten in das Strafgesetzbuch werden nach langer Aussprache, z.T. mit knapper Mehrheit, an die Bundestagsfraktion überwiesen. Das betrifft sowohl den Antrag, der die Aufnahme einer gesonderten Strafbarkeit für öffentliche Aufforderung zur Gewalt ablehnt, wie für den des Parteivorstandes, der sie mit bestimmten Einschränkungen bejaht.
Der Parteitag nimmt ein Kommunalpolitisches Grundsatzprogramm an. Die raschen und tiefgreifenden Veränderungen aller Lebensgebiete und Institutionen durch Wissenschaft und Technik und die kapitalistischen Produktions- und Verwertungsbedingungen unserer Gesellschaft sind die Ursachen für den steigenden Problemdruck in unseren Gemeinden. Dadurch vergrößert sich die Kluft zwischen wachsenden Bedürfnissen und berechtigten Ansprüchen der Bürger einerseits und den vorhandenen Möglichkeiten zu ihrer Erfüllung andererseits. Rücksichtsloses Gewinnstreben und übertriebenes kommunalpolitisches Bemühen um Zuwachsraten gefährden die kommunalen Lebensbedingungen. Sollen sich unsere Lebensverhältnisse bessern, so müssen die Gemeinden in die Lage versetzt werden, ihre Investitionen und Dienste wesentlich zu verstärken. Die Leitlinien Lebensqualität, Chancengleichheit benachteiligter Bevölkerungsgruppen und Mitwirkung der Bürger sollen in den Schwerpunkten Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Umwelt, Bildung, Kultur, Freizeit sowie soziale Sicherung und Integration verwirklicht werden. Dafür muß die Selbstverwaltung und die finanzielle Stellung der Gemeinden wesentlich gestärkt werden. Der Anteil der Gemeinden an der Lohn- und Einkommenssteuer soll von 14 auf 18 Prozent erhöht, die Bedeutung der Gewerbesteuer als kommunale Einnahmequelle dafür vermindert werden. Die Kommunalverfassungen sollen vereinheitlicht werden; Bürgerinitiativen sollen unterstützt werden, wenn sie demokratisch und ehrenamtlich sind und nicht Einzelinteressen dienen. Das Programm enthält das Bürgerbegehren, das im Erfolgsfall das Gemeindeparlament zur Befassung mit einem Gegenstand zwingt. Ein Bürgerentscheid indessen findet keine Mehrheit. Ausländer sollen nach fünfjährigem Aufenthalt in einer Gemeinde das aktive und passive Wahlrecht bekommen. Die Gemeinde muß die Entscheidung über die Nutzung ihres gesamten Bodens erhalten. Außergewöhnliche Wertzuwächse sollen besteuert, die Masse der Haus- und Grundbesitzer durch Freibeträge und progressiven Steuertarif freigestellt werden. Die Erträge aus einer Bodenwertzuwachssteuer müssen den Gemeinden zufließen, die Lohnsummensteuer muß in allen Gemeinden obligatorisch sein.
Vom derzeitigen Prinzip der Belohnung von Arbeit im Strafvollzug soll auf das der Entlohnung mit allen sozialpolitischen Konsequenzen übergegangen werden.
Der Parteitag erklärt den Beschluß von 1973 zum »Maklerverbot« hinsichtlich des jetzt geltenden Maklerrechts für gegenstandslos.
Im Rahmen der allgemeinen Sparmaßnahmen wird die Bundesregierung aufgefordert, die Flugbereitschaft des Bundestages und der Minister auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken.
Die öffentlichen Unternehmen dürfen weder ganz noch teilweise in private Hand überführt werden, sofern dadurch das Leistungsangebot für die Bürger bzw. die Finanzkraft der Gebietskörperschaften auch längerfristig beeinträchtigt werden.
Mit 171 gegen 170 Stimmen überweist der Parteitag den Antrag als Material an Parteivorstand und Bundestagsfraktion, sich künftig entschiedener als bisher für soziale und nichtlineare Einkommenszuwächse einzusetzen.
Bundesregierung und Fraktion des Bundestages sollen dafür sorgen, daß bei der Förderung von Betriebsumstrukturierungen oder Industrieansiedlungen ausreichend viele Arbeitsplätze für Frauen und Teilzeitbeschäftigte, und zwar nicht in Leichtlohngruppen, geschaffen, Ausbildungsberufe regelmäßig auch für Frauen rechtlich und praktisch geöffnet werden und die berufliche Beratung darauf abgestellt wird, daß erkennbare und attraktive Angebote auch für Frauen gemacht werden können.
Der Parteitag hält es für erforderlich, die bei einer Reform des Gesundheitswesens zu treffenden Entscheidungen auf der Grundlage des OR ‘85 und der Parteitagsbeschlüsse eingehend abzuklären. Hierzu ist ein gesundheitspolitischer Fachkongreß vorzusehen.
Der Parteitag verabschiedet ein Programm zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Die starken Kostensteigerungen sind auf die Dauer nur zu dämpfen, wenn es zu einer wirtschaftlicheren und effizienteren Gesundheitsversorgung kommt, wozu die niedergelassenen Ärzte durch eine sparsamere und wirtschaftlichere Leistungserbringung besonders beitragen müssen. Zur Beseitigung muß die von der Bundesregierung in Angriff genommene Neugestaltung des gesamten Gesundheitswesens, wozu besonders die Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung gehört, fortgeführt werden. Die SPD lehnt eine über die Beitragszahlung hinausgehende, auch freiwillige Selbstbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten ab. Die Krankenhausbedarfsplanung muß sich stärker am Bedarf ausrichten; die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser ist zu erhöhen; die Pflegesätze sind nach Art und Schwere der Krankheiten zu differenzieren und mit zunehmender Verweildauer zu senken; den Krankenkassen ist bei den Pflegesätzen ein Mitbestimmungsrecht zu gewähren. Die ambulante und die stationäre Versorgung sind miteinander zu verzahnen; im ambulanten ärztlichen Bereich ist eine kostengünstigere und bedarfsgerechtere Versorgung erforderlich, vor allem eine regional ausgeglichene medizinische Versorgung; die niedergelassenen Ärzte sollen sich vermehrt moderner Kooperationsformen bedienen; die Vergütung ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen ist so zu gestalten, daß die bisher überhöhten Einkommenszuwächse der Ärzte stufenweise abgebaut werden. Die Organisation der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung muß verbessert werden; die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist sozial gerechter zu gestalten; die Beitragsbelastung der Mitglieder soll angeglichen werden; die Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung ist der der Rentenversicherung anzugleichen; die Arzneimittelversorgung ist neu zu gestalten, u.a. durch Einschränkung übermäßigen Medikamentenverbrauchs und der Arzneimittelwerbung; überhöhte Gewinne der Pharmaindustrie sind zu verhindern; zur medizinischen Begutachtung ist ein einziger unabhängiger sozialmedizinischer Dienst zu schaffen. Die Abschaffung der Privatliquidation der Chefärzte soll auf dem Fachkongreß behandelt werden. Die Information über vorbeugende Gesundheitsmaßnahmen, die kostenlos vom Staat angeboten werden, sollen durch die zuständigen Bundesministerien wesentlich verbessert werden.
Nach langer Diskussion werden alle Anträge zur Regelung der Mitbestimmung an die Bundestagsfraktion überwiesen, um die weiteren Verhandlungen mit der FDP über die gesetzliche Regelung nicht zu belasten. Denn der Kompromiß ist zumindest nach Auffassung der Führung der SPD ein Schritt nach vorn und sollte auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden.
Bei der Regelung des Mitbestimmungskomplexes soll eine Öffnungsklausel geschaffen werden, die den Tarifvertragsparteien Raum schafft, weitergehende Mitbestimmungsregelungen als die im Gesetz vorgesehenen zu vereinbaren. In den SPD-eigenen Druck- und Verlagsunternehmen sollen auf der Grundlage des Parteitagsbeschlusses von 1973 die sozialdemokratischen Vorstellungen zur Mitbestimmung vorbildlich und modellhaft verwirklicht werden. Die Unternehmen sollen eine Obergesellschaft bilden, die bei gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung wettbewerbsfähig ist.
Die Mitgliedschaft in der SPD ist jetzt auch unvereinbar mit der Tätigkeit, Kandidatur oder Unterschriftsleistung für eine andere politische Partei.
Der Parteivorstand soll bundesweit einheitliche Tätigkeits- und Besoldungsmerkmale für hauptamtliche Mitarbeiter der Partei festlegen.
W. Brandt stellt in seiner Schlußrede fest, die SPD steht geschlossen hinter dem Bundeskanzler und der von ihm geführten Bundesregierung.
Der Parteitag hat noch einmal mit aller Klarheit festgestellt: die SPD ist entschlossen, unseren Staat und seine Verfassung vor deren Feinden zu schützen. Wir sind uns auch einig, nicht zuzulassen, daß in ihrem Namen Mißbrauch mit der Freiheit getrieben wird. Die SPD ist die Partei der Freiheit und sie bekennt sich mit Leidenschaft zur freiheitlichen Demokratie.
Die Wahlen zum Parteivorstand bringen folgende Ergebnisse: W. Brandt wird mit 407 von 418 (9 Neinstimmen; 2 Enthaltungen) Stimmen zum Parteivorsitzenden; H. Schmidt mit 407 von 429 (14 Neinstimmen; 8 Enthaltungen) und H. Koschnick mit 391 von 428 (21 Neinstimmen; 16 Enthaltungen) werden zu stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Neuer Schatzmeister wird mit 410 bei 432 Stimmen (15 Neinstimmen; 7 Enthaltungen) W. Dröscher. Zu weiteren Mitgliedern des Parteivorstandes bei 433 gültigen Stimmen werden gewählt: W. Arendt (359); H. Wehner (355); H. Börner (338); H. Rohde (323); H. Apel (322); H. Kühn (310); H.-J. Wischnewski (305);G. Leber (296); K. Schütz (295); E. Eppler (289); P. v. Oertzen (287); H. Matthöfer (272); F. Läpple (269); D. Posser (260); J. Rau (253); H.-J. Vogel (252); B. Friedrich (244); H. Ehmke (243); H. Buschfort (241); V. Gabert (241); K. Matthiesen (237); R. Arndt (226) und J. Steffen (220).
Im zweiten Wahlgang (sie erhielten im ersten Wahlgang nicht die erforderliche Stimmenzahl von 219) werden gewählt: H. Heinemann (275); Elfriede Eilers (274); H. Ehrenberg (261); Antje Huber (250); H. Junker (239); Anke Riedel-Martiny (220); W. Vitt (218); H. Ristock (217) und W. Roth (213).
Nicht gewählt werden u.a. A. Osswald (199); Herta Däubler-Gmelin (186); H. Ruhnau (186); K. Porzner (183) und H. Klose (169).
In die Kontrollkommission werden gewählt: A. Möller; Luise Herklotz; M. Seidel; H. Hansing; W. Damm; W. Könen; F. Kauerman; F. Höhne und K. Behnke.



Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | Juni 2001