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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17. Mai 1974

Die neue Bundesregierung setzt sich wie folgt zusammen: Bundeskanzler: H. Schmidt; H.-D. Genscher (Äußeres); W. Maihofer (Inneres); H. Friderichs (Wirtschaft); G. Leber (Verteidigung); H.-J. Vogel (Justiz); Katharina Focke (Jugend, Familie, Gesundheit); K. Ravens (Raumordnung, Bauwesen, Städtebau); H. Rohde (Bildung, Wissenschaft); J. Ertl (Ernährung, Landwirtschaft, Forsten); W. Arendt (Arbeit, Sozialordnung); H. Matthöfer (Forschung und Technologie); K. Gscheidle (Verkehr, Post- und Fernmeldewesen); E. Eppler (Wirtschaftliche Zusammenarbeit); E. Franke (Innerdeutsche Beziehungen); H. Apel (Finanzen).
Außer H.-D. Genscher, H. Friderichs, W. Maihofer und J. Ertl gehören alle Bundesminister der SPD an.

Bundeskanzler H. Schmidt betont in seiner Regierungserklärung: Die neue Regierung der Bundesrepublik setzt das sozial-liberale Bündnis fort, das seinen poltischen Willen in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 zum Ausdruck gebracht hat. Der Wechsel im Amt des Bundeskanzlers ändert nichts an der fortgeltenden Richtigkeit und Notwendigkeit sozial-liberaler Politik in unserem Lande. Wir werden diese Leitlinie konsequent weiterverfolgen. Kontinuität und Konzentration - das sind die Leitworte der neuen Regierung.
Die Positionen unserer Außen- und Sicherheitspolitik bleiben unverändert. Wir werden die Politik der Friedenssicherung fortsetzen und die Sicherheit unseres Landes wahren und festigen. Wir bekennen uns zur politischen Einigung Europas in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten und zum atlantischen Bündnis.
Die Bundesregierung mißt der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) eine vertrauensbildende Bedeutung zu.
Die Bundesregierung wird alles tun, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern. Wir werden trotz aller Rückschläge nicht in dem Bemühen nachlassen, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu verbessern. Beide Vertragspartner müssen sich auch an den Geist der abgeschlossenen Verträge halten. Wir brauchen eine stabile Weltwirtschaft, freien Handel und ein geordnetes Währungssystem. Protektionismus ist eine Sackgasse.
Seit der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hat sich die Weltwirtschaft tiefgreifend verändert. Wie bisher werden wir uns anstrengen, den hohen Beschäftigungsstand zu erhalten. Unsere Arbeitsplätze sind sicher; unsere Löhne können sich sehen lassen; bei uns ist der Arbeitsfriede gewahrt. Weitaus dem größten Teil unseres Volkes geht es wirtschaftlich gut, besser als je. Die Realeinkommen der Arbeitnehmer sind in den letzten Jahren stärker angestiegen als die Einkommen aus Unternehmertätigkeit. Wir müssen aber auch die Grenzen sehen. Angemessene Erträge sind Voraussetzung für die erforderlichen Investitionen. Nur die fortwährende Modernisierung unserer Volkswirtschaft sichert und verbessert unseren Lebensstandard und die Leistungsfähigkeit des Staates für seine Bürger. Dazu bedarf es ausreichender Investitionen. Ohne Investitionen kein Wachstum. Ohne Wachstum keine Arbeitsplatzsicherheit, keine höheren Löhne und auch kein sozialer Fortschritt. Wir werden den Kurs unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen.
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Wir sehen in einer Mitbestimmung, die vom Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern ausgeht, einen der wesentlichen gesellschaftspolitischen Aktivposten der Koalition. Eine Gesellschaft, die sich wirtschaftlich und sozial nach vorn bewegen will, ist weder ohne Mitbestimmung noch ohne dazugehörige Mitverantwortung denkbar. Wir wollen durch Mitbestimmung den Arbeitnehmern Chancen und Rechte schaffen, auf die Gestaltung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse mehr Einfluß zu haben. Sie sollen ihre Erfahrungen und Vorschläge zur Geltung bringen können.
Die Bundesregierung hält an dem Vorhaben fest, ein Gesetz zur Vermögensbildung vorzubereiten. Sie wird trotz großer sachlicher und technischer Schwierigkeiten die Arbeiten an diesem Gesetzentwurf fortsetzen mit dem Ziel, das Gesetz so rechtzeitig zu verabschieden, daß es am 1. Januar 1978 wirksam werden kann.
Die Bundesregierung wird weitere Maßnahmen ergreifen, um langfristig den Ölanteil an unserer Gesamtenergieversorgung zu reduzieren und andere Energieträger - Erdgas, Kernenergie sowie Stein- und Braunkohle - stärker zu entwickeln.
Beim Bau neuer Kraftwerke müssen die berechtigten Forderungen des Umweltschutzes berücksichtigt werden, ohne daß es zu Verzögerungen kommt, die sachlich nicht geboten sind.
Wettbewerb hat in unserem Lande Grundlagen für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt geschaffen. Eingebunden in die vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen löst die Marktwirtschaft die ökonomischen Aufgaben besser als andere vergleichbare Systeme. Marktwirtschaft ist aber zu keinem Zeitpunkt vollkommen. Sie muß vielmehr ständig fortentwickelt werden. In diesem Zusammenhang wird die Bundesregierung auch in Zukunft die Kräfte des Wettbewerbs stärken und fördern. Wir lehnen Preis- und Lohnstopps ab und halten auch Indexierung für kein geeignetes stabilitätspolitisches Instrument.
Die Bundesregierung will die Gleichwertigkeit für die berufliche Bildung. Uns geht es darum, eine sinnvolle Aufgabenteilung und Zusammenarbeit von Betrieb, Schule - soweit notwendig -, auch von überbetrieblichen Ausbildungsstätten erreichen.
Die Bundesregierung erwartet auch, daß der zur Erhaltung unserer freiheitlichen Rechtsordnung gezogene gesetzliche Rahmen von allen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen eingehalten wird. Wir sind entschlossen, die Freiheit und die sie schützende gesetzliche Ordnung zu wahren und zu verteidigen. Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung gehören nicht in den öffentlichen Dienst.
Wir stehen ein für eine offene Gesellschaftsordnung, in der Platz ist für eine Vielfalt der Meinungen und Gruppen. Der Staat kann nicht alles allein leisten. Er braucht die freien gesellschaftlichen Kräfte und kann nicht auf die tätige Selbsthilfe seiner Bürger verzichten.
Unsere wirtschaftliche Lage ist gut. Unser Volk lebt in sozialer Sicherheit und in Freiheit. Der innere und der äußere Frieden sind gefestigt. Unser Land hat Ansehen und Freunde in der Welt. Deshalb steht diese Regierung auf festem Boden. Unsere Koalition ist auf Kontinuität der sozial-liberalen Politik gerichtet.



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net edition fes-library | Juni 2001