Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag: 11./12. Dez. 1971

Die Jungsozialisten führen in Hannover einen außerordentlichen Bundeskongreß zur politischen Ökonomie und Strategie durch. In den beschlossenen Thesen, die Maßstäbe für künftiges Verhalten festlegen sollen, heißt es u.a.: Die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik ist vom Grundwiderspruch aller kapitalistischen Gesellschaftsordnungen geprägt, dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, ökonomische Krisen, Inflation und Arbeitslosigkeit führen, solange sie auf eine politisch verunsicherte und unvorbereitete Arbeiterklasse treffen, nicht notwendig zu Fortschritten für eine sozialistische Politik. Daraus folgt, daß wir unsere politische Praxis vorrangig an dem Ziel orientieren müssen, wie können wir dazu beitragen, daß sich die organisierte Macht der Arbeiterklasse in einem solchen Ausmaß entfaltet, daß die Krisenreaktion der Unternehmer sich gegen sie selbst kehrt - und zwar dergestalt, daß die Arbeiter schließlich die vom Kapital stillgelegte Produktion selbst übernehmen (Selbstorganisation). Die Demokratisierung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, die die Vergesellschaftung notwendig einschließt, ist also auch heute noch der entscheidende Hebel zur Abschaffung des kapitalistischen Systems. Die Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel taugt in seiner allgemeinen Form jedoch nicht dazu, die Massen für eine sozialistische Politik zu gewinnen. Es ist notwendig, aus ihr Forderungen abzuleiten, die zur Vergesellschaftung hinführen, die aber an den für die Menschen erfahrbaren Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft ansetzen. Von zentraler Bedeutung ist die schrittweise Organisation gewerkschaftlicher Gegenmacht im Produktionssektor.