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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
13. Dez. 1966

Bundeskanzler K. G. Kiesinger (CDU) betont in seiner Regierungserklärung, daß die Bundesbürger hofften, daß es der Großen Koalition gelingt, die ihr gestellten schweren Aufgaben zu lösen, darunter vor allem die Ordnung der öffentlichen Haushalte, eine ökonomische, sparsame Verwaltung, die Sorge für das Wachstum der Wirtschaft und die Stabilität der Währung.
Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Mißbrauch der Macht sei der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur bis zum Ende dieser Legislaturperiode fortzuführen.
Unsere nächstliegende Sorge ist es, den Haushalt 1967 auszugleichen. Dies muß rasch geschehen. Das Finanzplanungsgesetz, das Steueränderungsgesetz 1966 und das Haushaltsergänzungsgesetz 1967 reichen nicht aus, um die Deckungslücken des Haushalts voll zu beseitigen. Trotz der drei Gesetze muß 1967 mit einer Deckungslücke von rund 3,3 Milliarden DM gerechnet werden. Die Regierung wird in dieser Höhe alsbald neue Ausgleichsvorschläge vorlegen. In den kommenden Jahren bietet die Finanzlage des Bundes ein noch düstereres Bild.
Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau: Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden. Aber die in der Hochkonjunktur anschwellenden Staatseinnahmen, eine überalterte Haushaltspraxis, die verwirrende Vielfalt der öffentlichen Aufgaben, aber auch zu große Nachgiebigkeit gegenüber Interessengruppen und Überschätzung unserer Möglichkeiten, haben dazu geführt, Jahr für Jahr neue fortlaufende Ausgaben und fortwirkende Einnahmeverminderungen zu beschließen, ohne ihre Folgen für die Zukunft genügend zu bedenken.
Bei der Neuorientierung der Haushaltspolitik und der Auswahl der Maßnahmen zur Ausgabenverminderung oder Einnahmeerhöhung wird die Bundesregierung u.a. von folgenden Leitlinien ausgehen: Wir werden uns um eine Normalisierung der Kapitalmarktlage bemühen und Investitionsausgaben, soweit das wirtschaftspolitisch und konjunkturpolitisch vertretbar ist, durch Kredite finanzieren.
Wirtschaftswachstum, Erhöhung der Produktivität und Vollbeschäftigung müssen gesichert bleiben.
Die notwendigen Einschränkungen und Belastungen müssen möglichst gleichmäßig auf alle Gruppen und Schichten des Volkes verteilt, die großen Blöcke der Konsumausgaben im Bundeshaushalt müssen ohne Scheu vor Tabus überprüft werden.
Ob die Aufgabenverteilung durch das Grundgesetz heute noch sachgerecht ist, oder ob etwa bestimmte Bundeskompetenzen auf die Länder, Länderkompetenzen auf den Bund übertragen werden sollten, wird zu prüfen sein im Zusammenhang mit der Reform unserer Finanzverfassung, die die Bundesregierung als eine der großen innenpolitischen Aufgaben betrachtet und verwirklichen will.
Stabilität im Wachstum kann nur dann gesichert werden, wenn ein enges Zusammenwirken mit den autonomen Tarifvertragsparteien zustande kommt. Der Spielraum der Expansionspolitik hängt entscheidend von dem Erfolg einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zu einem stabilitätsgerechten Verhalten im Aufschwung ab.
Die Bundesregierung wird deshalb durch ihr Beispiel und ihr Vorangehen eine solche konzertierte Aktion unterstützen und hierzu sofort die notwendigen Initiativen ergreifen.
Die Bundesregierung wird den Tarifpartnern Orientierungsdaten für deren eigene Entscheidungen zur Verfügung stellen und diese mit allen Beteiligten erörtern. Wachstumsförderung und Zusammenwirken mit allen verantwortlichen Kräften müssen in eine neue Politik der Globalsteuerung eingeordnet werden. Die Bundesregierung sieht in der Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung für diese Politik.
Der Wille zum Frieden und zur Verständigung der Völker ist das erste Wort und das Grundanliegen der Außenpolitik dieser Regierung.
Die deutsche Regierung tritt daher für eine konsequente und wirksame Friedenspolitik ein, durch die politische Spannungen beseitigt und das Wettrüsten eingedämmt werden. Wir werden an Vorschlägen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsminderung und Abrüstung mitarbeiten.
Wir streben keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an. Wir sind entschlossen, mit allen Völkern Beziehungen zu unterhalten, die auf Verständigung, auf gegenseitiges Vertrauen und auf den Willen der Zusammenarbeit begründet sind. Das gilt auch für unser Verhältnis zur Sowjetunion. Es liegt uns daran, das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu verbessern und, wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Die Bundesregierung wiederholt das Angebot, der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Staaten den Austausch von Gewaltverzichterklärungen anzubieten. Sie ist bereit, das ungelöste Problem der deutschen Teilung in dieses Angebot einzubeziehen.
Die Bundesregierung begreift Polens Verlangen, endlich in einem Staatsgebiet mit gesicherten Grenzen zu leben. Die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands können nur in einer frei vereinbarten Regelung mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden, einer Regelung, die die Voraussetzungen für ein von beiden Völkern gebilligtes, dauerhaftes und friedliches Verhältnis guter Nachbarschaft schaffen soll. Die Bundesregierung erklärt gegenüber der Tschechoslowakei, daß das Münchener Abkommen von 1938 nicht mehr gültig sei.
Mit den Vereinigten Staaten sind wir durch vielfache, freundschaftliche Beziehungen und im Nordatlantischen Pakt eng verbunden, dessen Festigung und zeitgerechte Fortentwicklung uns ein wichtiges Anliegen ist.
Wir werden auf den konsequenten Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Institutionen hinwirken. Die Gemeinschaft der Sechs soll allen europäischen Staaten offenstehen, die sich zu ihren Zielen bekennen. Die entscheidende Rolle für die Zukunft Europas fällt der Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses zu. Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die wir wünschen, ist unerläßlich, wenn Europa ein mitverantwortlicher Partner werden soll. Europa kann nur mit Frankreich und Deutschland, nicht ohne oder gar gegen eines der beiden Länder gebaut werden.
Wir wollen, soviel an uns liegt, verhindern, daß die beiden Teile unseres Volkes sich während der Trennung auseinanderleben. Deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern. Wo dazu die Aufnahme von Kontakten zwischen Behörden der Bundesrepublik und solchen im anderen Teil Deutschlands notwendig ist, bedeutet dies keine Anerkennung eines zweiten deutschen Staates.
Die Bundesregierung wird alles tun, um die Zugehörigkeit Berlins zur Bundesregierung zu erhalten und gemeinsam mit dem Senat und den Schutzmächten prüfen, wie die Wirtschaft Berlins und seine Stellung in unserem Rechtsgefüge gefestigt werden können. Wir wollen, was zum Wohl der Menschen im gespaltenen Deutschland möglich ist, tun und, was notwendig ist, möglich machen.



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