Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
12. Kongreß des ADGB in Breslau. 313 Delegierte, davon 2 kommunistische, vertreten 4 557 032 Mitglieder. In den Bundesvorstand werden gewählt: Th. Leipart (Vors.); P. Graßmann und H. Müller/Lichtenberg (stellv. Vors.); W. Eggert und A. Knoll (Sekretäre); H. Kube (Kassierer); P. Umbreit (Redakteur). Beisitzer werden: E. Backert, L. Brunner, C. Bruns, H. Jäckel, A. Janschek, G. Sabath, G. Schmidt und H. Silberschmidt.
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
31. Aug./ 4. Sept. 1925
Tagesordnung: Die Sozialgesetzgebung in Deutschland (H. Müller/Lichtenberg); die Organisationsfrage (P. Graßmann); die Wirtschaft und die Gewerkschaften (P. Hennberg, H. Jäckel).
Der Kongreß fordert die Gewerkschaften und die gesamte Arbeiterschaft auf, zur Durchsetzung von Lohnerhöhungen - die Löhne des größten Teils der deutschen Arbeitnehmer erreichen bei weitem nicht den Realwert der Vorkriegslöhne - und zur Wiedergewinnung des Achtstundentages ihren Kampf »mit allen gewerkschaftlichen Machtmitteln bis zum endgültigen Sieg fortzuführen«.
Als besonders dringend erachtet der Kongreß neben einem einheitlichen, wirklich sozialen Arbeitsrecht die Schaffung eines Arbeitsvertragsgesetzes und einer Arbeitslosenversicherung.
Der Kongreß protestiert gegen die durch das gegenwärtige Schlichtungswesen geschaffene Beschränkung des Koalitionsrechts.
Die Auflösung der »Technischen Nothilfe« wird erneut verlangt.
Der Kongreß protestiert schärfstens gegen die aller sozialer Gerechtigkeit spottenden Durchführung der Hauszinssteuer, gegen die Erhöhung der Mieten und die Beseitigung des Mieterschutzes.
In seiner Entschließung »Die Gewerkschaften und die Wirtschaft« stellt der Kongreß fest: »Nur durch die Demokratisierung der Wirtschaft neben umfassender Rationalisierung der Arbeit durch betriebsorganisatorische und technische Maßnahmen kann die Lösung der wirtschaftlichen Probleme erfolgen«. Der Kongreß fordert deshalb u. a. gleichberechtigte Beteiligung der Gewerkschaften an dem Wirtschaftsausbau und der -führung; paritätisch verwaltete Wirtschaftskammern; Ausbau der gemeinwirtschaftlich arbeitenden Betriebe und Erweiterung der Mitbestimmung der Betriebsräte.
Der Kongreß erklärt, daß die Führung der deutschen Arbeiterschaft in allen Fragen der Wirtschaft bei den gewerkschaftlichen Organisationen liegen müsse.
Der Kongreß weist auf die Notwendigkeit hin, sich zu Industrieverbänden zusammenzuschließen.
Die Gewerkschaften erkennen die Berufsschule als eine unbedingt notwendige Bildungsstätte für die heranwachsende Jugend an. Um die schulentlassene Jugend zur Arbeit im Beruf, im Staat und in der Gesellschaft erziehen zu können, wie es ihre Aufgabe ist, muß die Berufsschule mehr als bisher neuzeitliche Lehrweisen und Lehrmittel zur Anwendung bringen.
Die wiederholten Versuche von Unternehmervereinigungen, den Wirkungskreis der Berufsschule einzuengen, z. B. durch die Forderung des Abendunterrichts und der Herabsetzung der Ausgaben, würden, wenn sie Erfolg hätten, die Unterrichtserfolge stark beeinträchtigen. Die örtlichen Gewerkschaftsleitungen werden deshalb aufgefordert, gegen solche Verstöße ganz entschieden, möglichst gemeinsam mit der Berufsschullehrerschaft, Stellung zu nehmen. Die Gewerkschaften halten nicht einen Abbau, sondern einen weitgehenden Ausbau der Berufsschule für eine volkswirtschaftliche und sozialpädagogische Notwendigkeit. Sie fordern deshalb die reichsgesetzliche Regelung des Berufsschulwesens und unterstützen den Entwurf eines Reichsberufsschulgesetzes, der von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion bereits im Februar 1925 eingebracht wurde.
Der im Sommer 1923 fertiggestellte Referentenentwurf eines Berufsausbildungsgesetzes stellt gegenüber der bisherigen gesetzlichen Regelung des Lehrlingswesens einen gewissen Fortschritt dar. Er gibt der Arbeiterschaft die seit langem geforderte Möglichkeit zur Mitwirkung, räumt jedoch dem Handwerk in einzelnen Fällen wieder eine Vorzugsstellung ein. Diese Sonderbehandlung entspricht nicht den wirtschaftlichen Erfordernissen und auch nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung.
Es ist weiter ein Mangel des Entwurfs, daß die Regelung des Lehrlingswesens durch Tarifverträge oder besondere Lehrlingsordnungen keine Würdigung gefunden hat.