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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
Mitte Juni 1925

Der Bundesausschuß des ADGB legt gegen die am 12. Mai von der Vereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände an die Reichsregierung gerichtete Denkschrift über Arbeitstarifpolitik, Wirtschaftskrisis und Währung ernsteste Verwahrung ein:
»Die Unternehmer haben wiederholt in Denkschriften an die Regierung und in der Öffentlichkeit den von ihnen mit allen Machtmitteln verfochtenen Standpunkt, durch Tiefhalten der Löhne, verbunden mit noch weiterer Drosselung des Konsums der Massen und durch unerträgliche Verlängerung der Arbeitszeit die Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft zu überwinden, zu rechtfertigen versucht. Die Gewerkschaften haben demgegenüber stets den von den Unternehmern geforderten Weg als durchaus falsch, als unerträglich für die deutschen Arbeitnehmer und auch als für die deutsche Wirtschaft verhängnisvoll abgelehnt und bekämpft. Sie werden dies auch weiter tun.
Deutschland krankt nicht an einer für seine Wirtschaft gefährlichen Entwicklung der Löhne und Arbeitszeit der Arbeitnehmer, sondern an dem Streben der Unternehmer, sich selbst möglichst jedem persönlichen Opfer zu entziehen und einseitig den Arbeitnehmern die Last des Wiederaufbaues der durch den Weltkrieg und seine Folgewirkungen zerstörten deutschen Wirtschaft aufzuerlegen.
Der Reallohn der breiten Schichten der deutschen Arbeitnehmer ist noch immer sehr viel geringer als in der Vorkriegszeit.
Die direkten Soziallasten sind, gemessen an der allgemeinen Geldentwertung, nicht über die Belastung in der Vorkriegszeit hinausgewachsen.
Die Arbeitsintensität ist allgemein gegenüber der Vorkriegszeit wesentlich gestiegen. Stärkere Anspannung des einzelnen Arbeiters hat den Ausfall an Arbeitszeit mindestens ausgeglichen, wenn nicht überholt. Aber auch hinsichtlich der Arbeitszeit ist Deutschland im Wettbewerb nicht ungünstiger gestellt, weil auch das Ausland, meist in sehr viel stärkerem Ausmaße als Deutschland, die Arbeitszeit verkürzte.
Die Gewerkschaften sind bereit, alle Schritte zur Steigerung der Produktivität zu unterstützen, aber sie wehren sich dagegen, daß diese Steigerung auf Kosten von Lohn und Arbeitszeit geschieht. Die Arbeitgeber sind zum Generalangriff auf die Arbeitsbedingungen der deutschen Arbeiter gewillt. In dieser ernsten Stunde erhebt der Bundesausschuß des ADGB seine warnende Stimme. Die Gewerkschaften nehmen den Kampf auf in dem Bewußtsein, daß sie die kulturelle Zukunft der Masse des deutschen Volkes zu verteidigen und zu sichern haben. Die deutsche Wirtschaft kann nur dann vor gefahrvollen und tiefaufwühlenden Kämpfen bewahrt werden, wenn die deutschen Unternehmer endlich begreifen, daß nicht die weitere Verelendung der Arbeiter zur Gesundung führt. Dieses Ziel kann nur erreicht werden durch höhere, zweckvolle Technisierung, energische Ausschaltung aller überflüssigen und verteuernden Glieder in Industrie, Handel und Geldverkehr, durch Beschränkung auf volkswirtschaftlich tragbare Gewinnquoten und durch endliche Preisgabe des durch Krieg und Inflation schädlich überspannten Produktionsapparats, ohne Rücksicht auf die Interessen der einzelnen.
Der Bundesvorstand erwartet, daß die Reichsregierung dem von der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände an sie gerichteten Appell, durch Einwirkung auf die Schlichter und durch Verweigerung von Lohnerhöhungen an Arbeiter und Beamte des Staates zur Herabdrückung des Lebensstandards des deutschen Volkes beizutragen, nicht folgt, sondern im Gegenteil den Gewerkschaften in ihren dem Volksganzen dienenden Bestrebungen jeden staatlichen Schutz und Beistand gewährt.«



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net edition fes-library | Juni 2001