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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
10./16. Okt. 1920

SPD-Parteitag in Kassel; 378 stimmberechtigte Teilnehmer, davon 283 Delegierte.
Tagesordnung: Die Wohnungsfrage (P. Hirsch, W. Engler); das Parteiprogramm (A. Braun); Richtlinien für die Agrarpolitik (G. Schmidt).
O. Wels erklärt im Bericht des Parteivorstandes, die allgemeine Verwirrung, die in der Arbeiterschaft und in der ganzen Bevölkerung als Folge des Krieges vorhanden sei, mache eine Einigung unter der Arbeiterschaft zur Zeit unmöglich. R. Wissell und R. Schmidt referieren über die Sozialisierungsfrage sowie die Wirtschafts- und Ernährungspolitik. Die Weimarer Verfassung mache den Weg zur sozialistischen Wirtschaftsordnung frei. Auf der Grundlage der Verfassung soll der Sozialismus allmählich durch Reformen erreicht werden. Die Voraussetzung für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sei jedoch eine Kräftigung des Wirtschaftslebens. Für die Sozialisierung kämen als erste der Bergbau, die Roheisen- und Stahlerzeugung und die zur Gemeinwirtschaft reifen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in Frage. Die Fraktion soll die schleunige Überleitung der Betriebe, die künstliche Düngemittel herstellen, in den Besitz der Allgemeinheit mit Nachdruck betreiben und die Sozialisierung des Baugewerbes und der Baustoffindustrie fördern.
Als Aktionsprogramm zur Außenpolitik werden die Revision des Versailler Friedens im Rahmen der Beschlüsse der II. Internationale; die sofortige Inangriffnahme der Wiedergutmachung durch den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete Nordfrankreichs, möglichst in Zusammenarbeit der Arbeiterorganisationen beider Länder; die Schaffung eines internationalen proletarischen Aktionsausschusses für die auswärtige Politik der Arbeiterklasse durch die II. Internationale und die sofortige Wiederaufnahme der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Sowjet-Rußland, gefordert.
Mit tiefster Empörung wird von den ungeheuren Wiedergutmachungsforderungen der Entente, deren Erfüllung weit grausamer als die Hungerblockade sei, Kenntnis genommen.
Die Haltung des Parteivorstandes und der Fraktion bei der Regierungsbildung wird ausdrücklich gebilligt. Ein Wiedereintritt der SPD in die Reichsregierung könne nur in Frage kommen, wenn die Interessen des Proletariats, vor allem die Demokratisierung der Verwaltung, die Republikanisierung der Reichswehr, die Sozialisierung der dafür reifen Wirtschaftszweige und eine pazifistische auswärtige Politik es zwingend erheischten. Die Zusammenarbeit mit einer Partei, die nicht grundsätzlich auf dem Boden der Republik steht, könne nicht in Frage kommen. Mit Entschiedenheit wird die völkische Rassenhetze verurteilt, ebenso alle separatistischen Bestrebungen.
Das rücksichtsvolle Vorgehen gegen die am Kapp-Putsch Beteiligten wird verurteilt. Die Justiz müsse endlich den Geist des neu geordneten Gemeinwesens in sich aufnehmen.
Aufgabe der Fraktion sei es, für eine rasche und scharfe Besteuerung des Besitzes und für eine Aufwandssteuer einzutreten, um die kleinen Lohn- und Gehaltseinkommen zu entlasten.
Die Arbeiterversicherung müsse einer gründlichen Reform unterworfen werden. Ein Reichsjugendwohlfahrtsgesetz sei schleunigst in die Wege zu leiten. Die Parteimitglieder seien verpflichtet, für eine Schulreform einzutreten, dabei sei besonders auf die Weltlichkeit, die Einheitlichkeit und Unentgeltlichkeit des Schulwesens, auf die Einführung der Arbeit in den Erziehungsplan und auf die Notwendigkeit einer Reichsschulgesetzgebung hinzuweisen.
Die Parlamentsabgeordneten werden aufgefordert, mindestens bei wichtigen Abstimmungen unbedingt anwesend zu sein.
Zur Agrarpolitik werden Richtlinien verabschiedet.
Die Parteiorganisationen werden verpflichtet, in ihrem Rahmen und ihrer Beschlußfassung unterstehende jungsozialistische Gruppen zu bilden.
Zur Beratung eines neuen Parteiprogrammes wird eine Kommission gewählt, der Toni Pfülf, E. Bernstein, A. Braun, H. Cunow, G. Gradnauer, W. Keil, H. Molkenbuhr und H. Müller angehören.
In den Parteivorstand werden bei 330 gültigen Stimmen gewählt:
H. Müller (327), O. Wels (309) als Vorsitzende, F. Bartels (330), O. Heinrich (325), W. Pfannkuch u. H. Molkenbuhr (je 328), Marie Juchacz (312), A. Braun (316), F. Krüger (262), /. Stelling (318) als Sekretäre, R. Fischer (329), O. Frank (327), K. Hildenbrand (327), A. Ritter (327),
Elfriede Ryneck (321) und H. Schulz (312) als Beisitzer; bei 316 gültigen Stimmen in die Kontrollkommission: F. Brühne (303), P. Löbe (283), A. Brey (280), K. Hengsbach (275), K. Pinkau (261), A. Fischer (248), Helene Grünberg (212), H. Müller/Lichtenberg und A. Schönfelder (je 212).



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net edition fes-library | Juni 2001