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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
26./27. März 1944

In Stockholm findet die erste Landeskonferenz der deutscher Gewerkschafter in Schweden statt. An der Konferenz nehmen 27 Delegierte von 265 Mitgliedern, der Landesgruppenvorstand und F. Tarnow als Repräsentant der »Auslandsvertretung« teil.
F. Tarnow spricht über »Der Wiederaufbau der deutschen Gewerkschaften«: Es gelte, drei Ziele sofort sicherzustellen: Die Einheit der neuen Gewerkschaftsbewegung, die schnellste Herstellung der Aktionsfähigkeit sowie die Rettung des Vermögens und der Organisationseinrichtungen der DAF für die neuen Gewerkschaften. Dieser Punkt wird lebhaft erörtert.
Für den Neuaufbau der deutschen Gewerkschaftsbewegung schlägt die Konferenz vor:
»Damit die neue Gewerkschaftsbewegung auf eine möglichst effektive Weise zustande kommt, muß die DAF als ein Teil des politischen Apparates des Naziregimes zur Unterdrückung der Arbeiterklasse aufgelöst werden. Da die nach dem Sturz des Naziregimes zu lösenden sozialen und politischen Aufgaben nur unter Mitwirkung einer gut organisierten Arbeiterklasse bewältigt werden können, wird die schnelle Organisierung der in der DAF zwangsweise erfaßten Arbeiter und Angestellten in dem neu zu schaffenden Gewerkschaftsbund angestrebt. Durch diese Maßnahme soll erreicht werden, daß die deutsche Arbeiterklasse wieder eine kampffähige Gewerkschaftsbewegung erhält. Es ist ferner größtes Gewicht darauf zu legen, daß den Arbeitern ihre in den früheren Gewerkschaften und der DAF erworbenen Unterstützungsansprüche erhalten bleiben.
Das Koalitionsrecht der Arbeiterklasse ist durch Gesetz erneut sicherzustellen. Die Gewerkschaftsorganisationen sind als Träger der Interessenvertretung der Arbeiter und Angestellten gesetzlich anzuerkennen. Das Ziel ist ihre Vereinigung in einer einheitlichen Gewerkschaftsbewegung.

Es ist zu erwarten, daß beim Zusammenbruch des Naziregimes in allen Orten und Betrieben Deutschlands die Arbeiterschaft zu spontanen Einzelaktionen mit dem Ziele der Wiederaufrichtung von Gewerkschaften greifen wird, welche zweckmäßig koordiniert werden müssen. Außerdem werden nach dem Umsturz eine Reihe von anderen Aufgaben erwachsen, die nur zentral gelöst
werden können.

Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß so bald wie möglich eine Zentralstelle geschaffen wird, die von sich aus alle zweckmäßigen Maßnahmen zur Vertretung der Arbeiterinteressen durch Koordinierung aller einzelnen gewerkschaftlichen Aktionen im Lande einleitet.

Die Gewerkschaften sind Organisationen zur Vertretung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiterklasse. Zu diesem Zwecke vereinigen sie ausschließlich Arbeiter und Angestellte, unabhängig von ihren politischen und religiösen Auffassungen. Die politischen Parteien hingegen haben andere weiterreichende politische Aufgaben.

Diese Abgrenzung besagt nicht, daß die Gewerkschaften politisch desinteressiert sind. Die Interessenvertretung ihrer Mitglieder zwingt sie vielmehr zur politischen Stellungnahme auf bestimmten Gebieten und bei bestimmten Gelegenheiten.
In ihrem Verhältnis zu den politischen Parteien müssen die Gewerkschaften von diesen unabhängig sein. Sie werden jedoch zu solchen politischen Parteien in freundschaftlichen Beziehungen stehen, die ihre Bestrebungen unterstützen.
Die Unabhängigkeit der Gewerkschaften gegenüber den politischen Parteien ist für die Erhaltung der Gewerkschaftseinheit unbedingt erforderlich.

Auch gegenüber dem Staate müssen die Gewerkschaften selbständig sein und dürfen nicht den Charakter von Staatsorganen haben.

Den Gewerkschaften ist entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung Einfluß auf die staatliche Wirtschaftspolitik, insbesondere bei der Umstellung der Wirtschaft von der Kriegs- auf die Friedensproduktion, einzuräumen.

Sie haben dabei die Aufgabe, am Aufbau eines neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens nach sozialistischen Prinzipien entscheidend mitzuwirken.«

Zum Vorsitzenden der Landesgruppe wird M. Krebs gewählt.


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net edition fes-library | Juni 2001