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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
August 1933

Unter dem Pseudonym Miles (W. Löwenheim) erscheint als zweites Heft der Reihe »Probleme des Sozialismus« eine Schrift »Neu Beginnen. Faschismus oder Sozialismus. Diskussionsgrundlage zu den Streitfragen des Sozialismus in unserer Epoche«. Die Schrift soll die deutschen kämpferischen Sozialisten neu orientieren sowie die geistige und politische Grundlage für die Neuformierung ihrer Reihen schaffen. Es wird ein völliger Bruch mit der Vergangenheit gefordert, die überlebt sei und behauptet, nur die energischen jüngeren Kräfte könnten die Grundlage für eine erneuerte Partei bilden. Das Proletariat brauche eine »Avantgarde«, nicht nur, um es zum Siege zu führen, sondern auch, um den Sieg zu behaupten.

Miles kritisiert die »Unterwerfungspolitik« der sozialdemokratischen Spitze in der Endphase der Republik. »Jene haben Recht behalten, die schon immer nicht in der Toleranz, in der Unterwerfung, sondern im Kampf die Bewegungsform des Sozialismus in der kapitalistischen Gesellschaft sahen«.

»Neu Beginnen« erklärt, die sozialdemokratischen Genossen der Sopade im Ausland seien sowohl aufgrund ihrer früheren Erfahrungen wie aufgrund ihrer gegenwärtigen politischen Einstellung »völlig unfähig, den Bestand und die revolutionäre Arbeit der in Deutschland selbst unter dem faschistischen Regime allein in der Organisierung des Kampfes für den Sturz des Faschismus dastehenden Partei zu gewährleisten«. Wenn die alte Führung nicht zurücktrete, werde die Partei endgültig und völlig liquidiert werden.
Entschieden wendet sich Miles gegen die »Wahnsinnspolitik« der KPD-Führung, der er - ebenso wie der Kommunistischen Internationale (Kl) - die Schuld an der Spaltung der deutschen Arbeiterklasse zuschreibt.

». . . die noch relativ unentwickelte Fähigkeit der faschistischen Unterdrückungsmaschinerie gegen die sozialistische Arbeit, der heute noch die verschiedenen kläglichen Trümmer der alten sozialistischen Arbeiterparteien und Gruppen ihre Existenz verdanken«, dürfe nicht zu der Anerkennung der »absurden Illusion« führen, »daß die nationalsozialistische Machtübernahme nur eine Episode« sei; sie sei eine politische Revolution, die aus den Widersprüchen des Kapitalismus in der Zeit seines Niederganges erwachse. Man könne erwarten, daß die Nationalsozialisten ihre ganze Energie darauf konzentrieren würden, ihre restlichen Gegner auszuschalten. Miles prophezeit, daß »der Sturz des Faschismus zugunsten einer sozialistischen Revolution das schwere Werk eines viele Jahre langen, opferreichen Ringens und Kampfes ist«.
Der erste Schritt für die Zukunft der sozialistischen Bewegung in Deutschland ist die freieste und kritischste Diskussion unter allen jenen Elementen, die die Erneuerung der sozialistischen Bewegung aus kämpferischem Geist und marxistischer Erkenntnis für erforderlich halten und ihr dienen wollen. Aus diesen Debatten wird sich Umfang und Gliederung der kommenden Bewegung ergeben.

Die künftige Führung der Partei muß aus jenen Genossen bestehen, die unter schwersten Gefahren im Kampfe selbst die Formen und Methoden der antifaschistischen proletarischen Massenbewegung entwickeln und realisieren und die diese Arbeit rechtzeitig sachkundig vorbereitet haben.
Der Kampf gegen den deutschen Faschismus wird weder in Paris und Prag noch in der Schweiz und Saarbrücken entschieden. Er muß in den deutschen Fabriken, Städten und Dörfern geschlagen werden.
Die nächste große Aufgabe der erneuerten Partei ist die Sammlung aller deutschen Organisationen, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen und ihr Zusammenschluß in einer kampfgewillten und kampffähigen Einheitsfront.
Was die KPD anbelangt, so sind die Chancen für ihre Einbeziehung in diese Sammlung zur Zeit sehr gering einzuschätzen. Sie ist organisatorisch und politisch, aber auch geistig in starkem Maße von der Kommunistischen Internationale abhängig.
Das nächste Ziel unserer Arbeit ist der Sturz des faschistischen Systems. Wir wissen, daß nur bestimmte günstige geschichtliche Konstellationen den unmittelbaren Kampf um die Niederringung des Regimes gestatten, und zwar auch nur dann, wenn die entscheidenden Volksmassen von einer sozialistischen Partei mit klarer Zielsetzung geführt werden. Darum lehnen wir auf das schärfste alle terroristischen Maßnahmen und solche Kampfmethoden ab, die, auf Illusionen über den Faschismus beruhend, unnötige Opfer fordern, ohne dem Kampfe gegen das System irgendwie zu nützen.
Wir revolutionären Sozialisten wissen sehr genau, daß ohne die Wiederherstellung der Demokratie die Wiederaufnahme des sozialistischen Emanzipationskampfes als Massenbewegung unmöglich ist. Darum ist unser unmittelbares politisches Kampfziel die Niederringung des faschistischen Staatssystems und seine Ersetzung durch die breitesten Freiheitsrechte der Volksmassen in einem demokratischen Regime. Zur Erreichung dieses Zieles sind wir bereit, mit allen Gruppen und Organisationen zusammenzuarbeiten, die wenigstens geneigt sind, aus einer gleichartigen Einstellung in dieser Teilfrage der bürgerlich-demokratischen Freiheiten Konsequenzen zu ziehen.«
Leiter der Gruppe, die in ihren Anfängen bis 1931 zurückgeht, ist W. Löwenheim (Pseudonym: Miles) bis 1935; er wird abgelöst von K. Frank (W. Müller, P. Hagen). Führender Theoretiker ist seit 1935 R. Löwnthal (P. Sering).



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net edition fes-library | Juni 2001