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[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
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TEILDOKUMENT:


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Was ist geworden?

Heute umfasst die Bibliothek - wie das Archiv der sozialen Demokratie Teil des Historischen Forschungszentrums (Leiter: Prof. Dr. Dieter Dowe) - ca. 630.000 Bände. Sie zählt damit zu den der größten historisch-sozialwissenschaftlichen Spezialbibliotheken auf der Welt. Eine zweifache Bauerweiterung hat die neu hinzukommenden „Schätze„ aufgenommen.

In der überregionalen Literaturversorgung in Deutschland nimmt die Bibliothek einen wichtigen Platz ein. Im wohldefinierten nationalen Interesse sammelt sie die Parteien- und Gewerkschaftsliteratur des Auslandes.

Die Bibliothek hat unter Leitung des Verfassers mit besonderer Förderung des Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung Holger Börner und ihres Geschäftsführenden Vorstandmitglieds

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Dr. Jürgen Burckhardt die Probleme der Modernisierungsprozesse gemeistert. Als erste große deutsche Bibliothek bot sie ihren gesamten Bestand digital im Internet an.

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung versammelt heute die meisten Bibliotheken der deutschen Gewerkschaftsbewegung unter ihrem Dach. Sie spielt in den internationalen und nationalen Fachgremien eine wichtige Rolle. Der Rat ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und den Bibliotheken gefragt.

Tausendfach greifen Nutzer auf die digitalen Angebote der Bibliothek im World Wide Web zu. Dies gilt für Gewerkschafts- und SPD-Mitglieder sowie „neutrale„ Benutzer. Nach dreißigjährigem Bestehen unter dem Dach der Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Bibliothek Rechenschaft abgelegt. In ihrer publizierten Festschrift „Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung„ haben engagierte Kolleginnen und Kollegen Zeugnis abgelegt, was aus den Visionen und Überlegungen geworden ist. Der Inhalt der Festschrift braucht nicht wiederholt zu werden. Nur schlaglichtartig sollen einige Entwicklungszusammenhänge beleuchtet werden.

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Was sagt eigentlich die Labour Party zur Frauenfrage?
Spezialbibliothek überregionaler Bedeutung


Zu Beginn der siebziger Jahre konsolidierte sich die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung rasch. Teilweise war der Prozess schmerzlich. Der Erfahrungsgewinn war in jedem Fall groß. Die Verantwortlichen im Bibliotheksreferat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erkannten mit geschultem Auge rasch das ungeheure Potential, das in der Bonner Spezialbibliothek ruhte.

Die DFG steuert weitgehend Aufbau und Struktur des deutschen Bibliothekswesens. Sie stellt mit ihren Förderprogrammen sicher, dass alle wichtigen Veröffentlichungen wenigstens einmal in Deutschland greifbar sind. Welche Rolle wurde in diesem Konzert nun der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung beigemessen? Die Antwort fällt leicht. Es sind im Grunde genommen die alten Bebelschen Ziele. Im nationalen Interesse sammelt die Bibliothek die zentralen Veröffentlichungen der Parteien und Gewerkschaften Deutschlands und des westlichen Auslands. Eine Publikation des britischen gewerkschaftlichen Dachverbandes zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gehört ebenso zum Sammelprofil wie eine Veröffentlichung der französischen Sozialisten zur Kulturpolitik oder eine Studie der Sozialistischen Partei Europas zu Umweltfragen.

Auf durch die DFG geförderten Erwerbungsreisen werden Kontakte geknüpft, um einschlägige Materialien zu beschaffen. Im Inland nimmt die Bibliothek eine „nationalbibliographische Ersatzfunktion„ wahr. Die großen Pflichtexemplarbibliotheken haben der Friedrich-Ebert-Stiftung weitgehend die Sammlung der nichtkonventionellen Materialien, der außerhalb des Buchhandels erscheinenden sog. „Grauen Literatur„, überlassen. Die Sicherung des Kulturgutes der mitgliederstärksten politischen Organisationen liegt damit ausschließlich in der Hand der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stiftungsbibliothek.

Neben der ausländischen „Grauen Literatur„ sammelt die Bibliothek ausländische wissenschaftliche Materialien zur deutschen Arbeiterbewegung. Zeitschriften und Sammelwerke werden entsprechend erschlossen. Mit der „Bibliographie zur Geschichte der deutschen

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Arbeiterbewegung„ im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. wird die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie und der deutschen Gewerkschaftsbewegung angemessen dokumentiert. Zu diesem Zweck wurde der Zeitschriftenapparat auf internationales Niveau angehoben. Startfinanzierung gab die Bundesregierung mit ihrem ambitionierten „Informations- und Dokumentationsprogramm„ Mitte der siebziger Jahre.

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Alfred Nau hatte „Recht„: die größte Gewerkschaftsbibliothek der Welt

Mitte der sechziger Jahre war es Alfred Nau und dem Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung trotz großer Bemühungen nicht gelungen, deutsche Gewerkschaftsvorsitzende zu motivieren, ihre Büchersammlungen in die Obhut der neuen Zentralbibliothek zu geben.

Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes Werner Hansen beharrte in Düsseldorf auf einer eigenständigen Gewerkschaftseinrichtung und setzte damit ein Signal für alle anderen Einzelgewerkschaften. [Fn 177: Mündliche Mitteilung von Dr. Dieter Schuster, Düsseldorf.] Dem ehemaligen Mitglied des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes war kulturelle Autonomie besonders wichtig; solange er für Archiv und Bibliothek beim Hauptvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes verantwortlich zeichnete, konnte „seine„ Bibliothek mit ausreichenden Erwerbungsmitteln fest rechnen. Andere verantwortliche DGB-Vorstandsmitglieder setzten ihre Interessenschwerpunkte anders.

Die Diskussionen über „Kernaufgaben„ innerhalb der Gewerkschaften führte in Bibliotheks- und Archivfragen zu einem gewissen Gesinnungswandel. Beginnend mit der ehemaligen Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, gaben ab 1978 Gewerkschaftsorganisationen sukzessiv ganze Spezialbibliotheken an die Friedrich-Ebert-Stiftung ab. Die Transaktionen wurden von entsprechenden bilateralen Verträgen begleitet.

Die Liste der „Abgeber„ ist lang: die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Industriegewerkschaft Medien, die Gewerkschaft Textil und Bekleidung, die Deutsche Angestelltengewerkschaft. Viele Regionalorganisationen kamen hinzu.

Größter „Brocken„ war indes die komplette Übernahme der Bibliothek beim Hauptvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Jahr 1995. Über 120.000 Bände wechselten von Düsseldorf nach Bonn. Mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnten die Bestände restlos digital erfasst und allen Interessierten über die entsprechenden infrastrukturellen Netze zur Verfügung gestellt werden.

Internationale Berufssekretariate folgten dem Beispiel der deutschen Gewerkschaften. Aus der Schweiz kamen die Bestände des Internationalen Metall-Gewerkschaftsbundes, der Internationalen Graphischen Föderation und der Internationalen Union der Lebens- und Genussmittelarbeiter an den Rhein. Die Übergabe aus der Schweiz nach Deutschland war wohl überlegt und entsprang dem guten Ruf, den sich die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Zwischenzeit erworben hatte. Der Zugewinn an internationalen Gewerkschaftsquellen für die eigene Bibliothek und das gesamte deutsch-europäische Wissenschaftsnetz suchte im

deutschen Bibliothekswesen seinesgleichen.

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In jüngerer Zeit haben eine Fülle von weiteren Gewerkschaftsorganisationen Teile ihrer Materialien abgegeben. Die „Konzentrationswelle„ unter den internationalen Gewerkschaftsorganisationen begünstigte diesen Prozess nachhaltig: Die Internationale des öffentlichen Dienstes (IÖD), der Internationale Bund der Privatangestellten (FIET), die Bildungsinternationale und der Internationale Bund der Bau- und Holzarbeiter gaben ihre Bibliotheken nach Bonn ab. Das gewaltige Wachstum der Stiftungsbibliothek ist vor allem den reichen und seltenen Gewerkschaftsmaterialien geschuldet. Das Ende weiteren „Wachstums„ zeichnet sich ab, ist allerdings noch nicht in Sicht.

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Die Quellen nach Hause bringen: Mikrofilme bleiben wichtig

Allen modernen Digitalisierungsprojekten zum Trotz: Der Mikrofilm hat als „Sicherungsinstrument„ seine große Zukunft noch vor sich. Er stellt das einzige verlässliche Medium dar, vom Verfall bedrohte Bestände sicher zu speichern und die über Generationen überlieferten Informationen zu „retten„ . Kein seriöses Digitalisierungsprojekt ohne vorherige Mikroverfilmung. Mit keinem anderen Medium hätte die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung ihren hochgesteckten Ansprüchen entsprechen können. Auf dem Weg hin zu einem bedeutenden internationalen Dokumentationszentrum spielte die Mikrofilmtechnik eine zentrale Rolle.

In enger Kooperation mit dem Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse (MFA), nationalen und internationalen Partnern, aus eigener Kraft und mit finanziellen Mitteln von Förderern ist es weitgehend gelungen, auf verschlungenen Wegen den „Zeitschriftenschatz„ aus der alten SPD-Bibliothek wieder zu rekonstruieren. Mehr noch: Durch systematische Ausdehnung der Verfilmungstätigkeit auf SPD-Zeitungen, ausländische Zeitungen und Zeitschriften, Gewerkschaftsblätter, Arbeiterkulturzeitschriften und Zeitschriften internationaler Organisationen sprengte die Bibliothek den alten Rahmen und betrat in vielerlei Hinsicht Neuland. Die Zahl der Mikrofilmtitel in der Bibliothek steuert heute auf 2000 zu.

Zu den Verfilmungsprojekten zählten „spektakuläre„ Unternehmungen, so die Verfilmungen sozialdemokratischer Zeitungen aus den ehemaligen preußischen Ostprovinzen. Die sehr guten Beziehungen, die die politische Stiftung zu polnischen Einrichtungen und polnischen Einzelpersönlichkeiten pflegte, ermöglichten es, in Stettin, Danzig, Elbing und Breslau und in anderen polnischen Bibliotheken Verfilmungsprojekte anzustoßen. Alle Partner in Polen und Deutschland steckten viel Kraft in das Projekt. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Die Breslauer „Volkswacht für Schlesien, Posen und die Nachbargebiete„, die „Danziger Volksstimme„, der Stettiner „Volksbote„, die „Schlesische Bergwacht„ und andere Arbeiterblätter konnten auf Mikrofilm gesichert werden. Über die ambitionierten und umfänglichen Verfilmungsprojekte hat der langjährige Leiter der Bibliothek, Horst Ziska, detailliert berichtet. Seine umfangreichen osteuropäischen Sprachkenntnisse und seine Kenntnisse „von Land und Leuten„ öffneten in Polen viele Türen. [Fn 178: Ziska, Horst: „Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in den 70er und 80er Jahren - ein Rückblick„. In: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 1999, S. 31 f. (Veröffentlichungen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 8).]

Mit den Verfilmungen in Polen ging die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung seinerzeit in der Bundesrepublik eigenständige und eigenwillige Wege. Die Arbeiten waren zeit- und personalintensiv. Die Mühe lohnte sich mehrfach. Mit den Verfilmungsaktivitäten wurde in der

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Bundesrepublik Deutschland die Historiographie der ostdeutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung angestoßen und überhaupt erst möglich gemacht.

Gewollt ruhiger - aber forschungspolitisch nicht minder spektakulär - verliefen die Verfilmungen auf dem ehemaligen Gebiet der DDR. Die Deutsche Bücherei in Leipzig lieh Hunderte sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Zeitschriftenbände nach Bonn aus. Dazu kam ein fast lückenloser Bestand von Arbeiterkulturzeitschriften. In Bonn wurden die Zeitschriften verfilmt und damit auch die Originale in Leipzig geschützt. Die „Magdeburger Volksstimme„, das alte Parteiblatt Erich Ollenhauers, gehörte noch zu DDR-Zeiten ebenso zu den prestigeträchtigen Verfilmungsprojekten wie das Hallesche SPD-Blatt.

Bibliotheken waren zu DDR-Zeiten ein Ort der Resistenz. Manche DDR-Bibliothekare riskierten bei ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Bonner „Zentrum zur Verfälschung der Geschichte der Arbeiterbewegung„ einiges. Schon zu DDR-Zeiten mit den „richtigen„ Leuten gesprochen zu haben, erleichterte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems vieles. Die fachlichen Kooperationen konnten nach der friedlichen Revolution intensiviert und ausgebaut werden. Die SPD-Presse in den sozialdemokratischen Hochburgen in Sachsen und Thüringen liegt heute in höchstmöglicher Vollständigkeit auf Mikrofilm vor. Dies gilt auch für die „Diasporagebiete„ in Mecklenburg und Vorpommern. Die Originale selbst sind in ihren Heimatbibliotheken und Heimatarchiven durch den Gebrauch von Lesekopien geschützt.

Natürlich: Nicht alle Verluste gelang es auszugleichen. Knapper werdende Mittel haben nicht alle Blütenträume reifen lassen. Generell gilt jedoch: In der Zwischenzeit ist in Bonn ein Ensemble sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Zeitungen zusammengetragen worden, von dem Hermann Schlüter und August Bebel nie zu träumen gewagt hätten.

Mehr noch: Wichtige Parteizeitungen des Auslandes können in Bonn eingesehen oder über die Fernleihe angefordert werden. In Zürich, Wien und Prag verfilmte die Bibliothek Parteiblätter mit Hilfe von Freunden und langjährigen Tauschpartnern. Ein Kooperationsprojekt mit der Pablo-Iglesias-Stiftung sicherte wichtige Quellengruppen der spanischen sozialistischen Arbeiterpartei. In enger Zusammenarbeit mit der International Association of Labour History Institutions und der Erich-Brost-Stiftung wurden weltweit alle Zeitschriften im Umfeld aller sozialdemokratischer Organisationen verfilmt.

Zukäufe von kommerziellen Anbietern aus USA, Italien, Frankreich, Großbritannien, Lateinamerika, Skandinavien und Russland ergänzen die internationalen Sammlungen. Der Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung beschloss 1965, eine bedeutende Spezialbibliothek mit nationalen und internationalen Beständen zu errichten. Millionen verfilmter Zeitungs- und Zeitschriftenseiten haben dazu beigetragen.

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„Es ist vorgesehen, daß die Bibliothek als wissenschaftliche Bibliothek an das Netz des auswärtigen Leihverkehrs der wissenschaftlichen Bibliotheken angeschlossen wird.„

Die Bibliothek rasch an die Fernleihe anzuschließen, das war die Hausaufgabe, die der Präsident des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung, Walter Hesselbach, den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren bei der Grundsteinlegung 1967 mit auf den Weg gegeben hatte: „Die

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Arbeiterbewegung selbst hat, wie keine andere politische Bewegung in Deutschland„ - so führte der Bankier der „Bank für Gemeinwirtschaft„ aus - „ein spezifisches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte gehabt. Sie hat deshalb auch von Anfang an Wert auf die Sammlung der Dokumente ihrer Geschichte gelegt.„ [Fn 179: Archiv der sozialen Demokratie. Hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 1968, S. 12.] Und diese gedruckten Dokumente sollten nicht nur allein in Bonn zu sehen und zu lesen sein. Diese Dokumente waren allen Interessierten über fachliche infrastrukturelle Netze zur Verfügung zu stellen. Auch dafür war das „Archiv der sozialen Demokratie„ mit seiner Bibliothek errichtet worden.

Haben die Kolleginnen und Kollegen ihre „Fernleihhausaufgaben„ in knapp 35 Jahren gemacht? Gingen die „Hausaufgaben„ zügig von der Hand? Oder musste „nachgesessen„ werden? Die Leiterin der Fernleihstelle, Irmgard Bartel, hat 1999 in ihrem Beitrag „Von Anfragenbeantwortung zu elektronischer Dokumentlieferung. Die Fernleihe der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung„ [Fn 180: Bartel, Irmgard: „Von Anfragenbeantwortung zu elektronischer Dokumentenlieferung. Die Fernleihe der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung„. In: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 1999, S. 102-122 (Veröffentlichungen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 8). Die empirischen Aussagen sind diesem Artikel entnommen.] eine beindruckende Bilanz abgelegt. Das Bibliothekssigel Bo 133, nationales Kürzel für die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, genießt in der Zwischenzeit nicht nur bei Bibliothekarinnen und Bibliothekaren einen guten Ruf.

Nur: Alltagsprobleme drängten den Gedanken des Anschlusses an die Fernleihe zunächst zurück. Wer in nichtkatalogisierten Büchern erstickt, hat andere Probleme. Im Juni 1970 nahm Manfred Turlach mit dem wissenschaftlichen Leiter des Zentralkataloges des Landes Nordrhein-Westfalen erste Gespräche auf. Bis zur vollständigen Integration der Bestände sollten indes noch einige Jahre vergehen. Turlach hatte prinzipiell zugestimmt, Fernleihscheine, die auf unterschiedlichen Wegen in die Bibliothek gelangten („laut Angabe des Benutzers in Bo 133„), zu erledigen. Zu einer regulären Anbindung kam es jedoch nicht. Die Gründe waren vielfältig und lagen im vorbibliothekarischen Raum.

Die Fernleihscheine, die zwischen 1970 und 1978 in der Bonner Bibliothek eintrafen, zeigten das gewohnte Bild: Es waren durchgängig Veröffentlichungen der SPD, USPD, der deutschen Gewerkschaften und der deutschen Arbeiterkulturbewegung, die Studierende und Lehrende in deutschen Hochschulen vergeblich suchten. Zu Recht vermuteten sie diese Kostbarkeiten in Bonn. Rudolf Rothes und Paul Mayers Saat ging auf.

Im Herbst 1977 stellte die Friedrich-Ebert-Stiftung endgültig den Antrag, an der Literaturversorgung der deutschen und internationalen Bibliotheken teilzunehmen. Welche praktischen Schritte verbargen sich hinter diesem Antrag? In einem aufwändigen Verfahren wurde der Zettelkatalog von einer Fremdfirma kopiert und in den Zentralkatalog des Landes Nordrhein-Westfalen in Köln eingelegt. Dieser Schritt in den Kreis großer und bedeutender deutscher Bibliotheken bedeutete der Geschäftsführung der Stiftung viel. Sie finanzierte diese Integrationsmaßnahme personell mit einer eigenen zeitlich befristeten Stelle, um zusätzliche Dienstleistungsmaßnahmen anzubieten. Zehntausende „anonymer Nutzer„ haben in der Zwischenzeit von diesem Schritt profitiert. Im Gegenzug war es der Bibliothek erlaubt, selbst Materialien aktiv aus anderen deutschen Bibliotheken zu beschaffen.

Über mehrere Jahre hinweg blieben die Broschüren der Arbeiterbewegung das dominierende Moment im gebenden Leihverkehr. Veröffentlichungen aus der Weimarer Republik führten



Illustriertes Zwischenenblatt (Seite 56a/b)

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die Hitliste lange Zeit ungefährdet an. Die Leihverkehrsstatistik jener Zeit liest sich wie ein nachträgliches großes Lob auf die SPD-Parteibibliothekare.

Der stets gleichbleibende Trend der frühen Jahre veränderte sich erst zu Beginn der neunziger Jahre. Die Nachfrageveränderung wurde durch die Integration der Zeitschriften, Zeitungen, Protokolle und Jahrbücher in die nationale „Zeitschriftendatenbank„ bewirkt. Die Integration in den Kölner Zettelkatalog war primär eine Integration der Monographien. In Berlin wurde in den siebziger Jahre versucht, länderübergreifend die gesamten intellektuellen Ressourcen in Form „laufender Veröffentlichungen„ zu bündeln. Entsprechende Impulse wurden von der damaligen regierenden sozial-liberalen Koalition breit unterstützt. Frucht dieser Bemühungen war die Zeitschriftendatenbank, die der Bundesrepublik Deutschland für lange Zeit eine wissenschaftspolitische Avantgardefunktion unter den westlichen Industrienationen bescherte.

Die Mitarbeit an diesem nationalen Großprojekt war - im Zeitalter der Großrechner - alles andere als einfach und stellte die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung vor hohe Herausforderungen. Breite empirische Erhebungen hatten 1984/85 ergeben, über welch einzigartige Sammlung die Bibliothek verfügte. Die Daten zeigten jedoch auch, welch bedeutende Rolle die ausländische Literatur bei der Güte des Bestandes in der Zwischenzeit spielte. Das ausgebreitete Zahlenmaterial überzeugte nachhaltig. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte über mehrere Jahre hinweg mit sachlichen und personellen Mitteln die Einarbeitung der Bestände in die Zeitschriftendatenbank. Die Stiftungsleitung selbst erfüllte die Forderung der DFG nach adäquater personeller Eigenbeteiligung.

Heute gehen mehr als 6.000 konventionelle Bestellungen jährlich in der Bibliothek in der Godesberger Allee ein. Heute tendieren die Wünsche mehr zur neueren Literatur. In allen wichtigen Datenbanken sind die Bestände in der Zwischenzeit integriert. Die Welt der Katalogzettel gibt es nicht mehr. Darüber hinaus kann auf die bibliothekseigenen Datenbanken weltweit zugegriffen und bestellt werden. Dokumente der Magdeburger Sozialdemokratie, der Lübecker Genossenschaftsbewegung und der Münchener Arbeitersportbewegung gehen heute zusammen mit wissenschaftlichen Artikeln zur Gentechnologie und publizistischen Äußerungen Willy Brandts, Fritz Erlers oder Helmut Schmidts in alle Erdteile.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist gemeinnützig. In keinem anderen Arbeitsbereich zeigt sich die Gemeinnützigkeit deutlicher als in der umfangreichen weltweiten Literaturversorgung aus ihren Bibliotheksbeständen.

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Bits und Bytes: Von Bebel bis Brandt

Die weltweite Vernetzung hat auch die Bibliotheken der Arbeiterbewegung weltweit vor neue Herausforderungen gestellt. Das Internet ist nicht nur eine Chance der internationalen Gewerkschaftsorganisationen und der internationalen politischen Organisationen. Jede nationale Partei und jede nationale Gewerkschaft kann es nutzen. [Fn 181: Lee, Eric: The labour movement and the internet. The new internationalism. London, 1997.] Die Möglichkeit unmittelbarer „Kontaktaufnahmen„ über die Netze revolutioniert die Kommunikation von Gruppen und Einzelpersonen radikal. Der Charakter der politischen Kultur hat sich verändert, der Charakter der politischen Dokumente hat sich verändert. Archive und Bibliotheken müssen sich neu positionieren und neue Herausforderungen annehmen.

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Dennoch: Nicht alles verändert sich. Neues wächst aus Altem. Das meiste bleibt. Vieles existiert parallel. Im gemeinsamen Bewahren beider Kulturen, der gedruckten und der digitalen Kultur, entsteht das kollektive Gedächtnis sozialer und politischer Bewegungen. Archive und Bibliotheken sammeln „für die Ewigkeit„. Die Kunst liegt in der „richtigen„ Auswahl, in der „richtigen„ Erschließung, in der „richtigen„ Aufbewahrung der Dokumente.

Im digitalen Modernisierungsprozess nahm die Bibliothek im eigenen Hause zu Beginn der neunziger Jahre eine führende Stellung ein, im nationalen bibliothekarischen Modernisierungsprozess konnte sie beachtliche Akzente setzen.

Mit weitsichtiger, großzügiger Unterstützung der Geschäftsführung der Friedrich-Ebert-Stiftung gelang es der Bibliothek im Jahre1995 in einem ungeheuren Kraftakt, sämtliche konventionelle Katalogdaten maschinenlesbar zu konvertieren. [Fn 182: Zum Modernisierungsprozess der Stiftungsbibliothek s. Rösch, Hermann: „Spezialbibliotheken mit neuen Aufgaben. Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung auf dem Weg von der klassischen Bibliothek zum multi-funktionalen Informationszentrum„. In: Bibliothek. Forschung und Praxis, 24 (2000), H. 1, S. 93 f.] Im gleichen Jahr, anlässlich des 70. Geburtstages der Friedrich-Ebert-Stiftung, präsentierte die Stiftungsbibliothek als erste große deutsche Bibliothek ihren vollständigen Katalogbestand im World Wide Web. Zu Beginn des Modernisierungsprozesses stand die Vision, die Literatur der sozialdemokratischen und emanzipatorischen Bewegung mit Hilfe moderner Technologien weltweit nutzbar zu machen. Dieses Ziel wurde mit großer Anstrengung erreicht.

Elektronische Anfragen aus den USA nach einem Text des ersten sozialdemokratischen Reichskanzlers Philipp Scheidemann, während des Dritten Reiches versteckt, der SPD-Bibliothek geschenkt, innerhalb kürzester Zeit reprodigitalisiert und nach Wisconsin versendet - das ist heute ein Teil der Bibliotheksrealität. Altes und Neues verbinden sich.

Neben der Pflege elektronischer „Metadaten„ - das sind elektronische Informationen über „richtige„ gedruckte Bücher - verfügt die Bibliothek über beachtliche Sammlungen elektronischer Volltexte. Gedruckte Veröffentlichungen der Stiftung werden als parallele elektronische Ausgaben ins Netz gelegt. Der vielbeschworene informatorische Mehrwert kommt nicht automatisch: Auch elektronische Texte wollen in Ordnung gehalten und professionell strukturiert sein. Suchmaschinen müssen angelockt werden. Diese Arbeit leistet die Bibliothek. Vergriffene FES-Publikationen werden retrodigitalisiert und elektronisch neu aufgelegt. Fast unbemerkt ist die Bibliothek in die Rolle eines elektronischen Reprintverlages geschlüpft.

Darüber hinaus veröffentlicht die Bibliothek eigenständige elektronische Nachschlagewerke, die ausschließlich digital erscheinen. Die „Chronik der deutschen Gewerkschaftsbewegung„ von Dieter Schuster ist ein gutes Beispiel. In Papierform umfasst das Werk des Gewerkschaftshistorikers 1.000 Seiten, in der elektronischen Digitalen Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung 3 Megabyte. Die geplante Herausgabe der erweiterten Neuauflage der „Chronik der deutschen Sozialdemokratie„ von Dieter Schuster und Franz Osterroth und die Edition des sozialdemokratischen Emigrationsblattes „Sozialistische Mitteilungen„ in elektronischer Form werden die Rolle der Stiftungsbibliothek als Trägerin moderner Information im Umfeld der Sozialdemokratie steigern. Altes und Neues passt in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung gut unter ein Dach.

An allen wichtigen zukunftsweisenden nationalen bibliothekarischen Kooperationsprojekten ist die Bibliothek beteiligt. Sie stützt mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Aufbau „virtueller Fachbibliotheken„, und sie beteiligt sich am Aufbau einer nationalen ver-

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teilten virtuellen Forschungsbibliothek. Welches nationale Kulturerbe bringen die Stiftungs-bibliothekare und -bibliothekarinnen ein? Was haben strenge Gutachter für förderungswürdig erachtet? Die Antwort verblüfft nur auf den ersten Blick: Es sind Pressedienste der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus der Nachkriegszeit.

Von den Nachkriegsbibliothekaren der SPD gesammelt, von Stiftungsmitarbeitern weiter gepflegt, sind sie heute als großer elektronischer Informationsspeicher über Rolle, Struktur, Funktion und Politik der größten demokratischen Partei Deutschlands weltweit verfügbar und an jedem Ort der Welt abzurufen.

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Der Kreis schließt sich

Die deutsche Sozialdemokratie war stets eine moderne Kulturpartei. Die Errichtung eines eigenen Parteiarchivs mit einer großen Bibliothek Ende des 19. Jahrhunderts war eine solche „moderne„ Entscheidung. Nationalismus und Krieg, Unterdrückung und Zerstreuung der Bibliotheksbestände haben ungeheuren Schaden angerichtet. Nicht alle Wunden konnten geheilt werden. Aber viele. Das Erbe der alten Parteibibliothek lebt heute bei der Friedrich-Ebert-Stiftung weiter. Es ist dort in besten Händen.

In enger Arbeitsteilung mit dem Karl-Marx-Haus in Trier konnten die alten gedruckten Schätze in beachtenswerter Dichte im Original rekonstruiert werden. Durch die Mikrofilmtechnik wurde die gesamte Periode der Arbeiterbewegung von mehr als einhundertfünfzig Jahren wiederhergestellt und beträchtlich erweitert. Eingebettet in ein breites wissenschaftliches Umfeld und eingebettet in die Sammlungen der internationalen Sozialdemokratie und der internationalen Gewerkschaftsbewegung, können die einmaligen Bibliotheksbestände dank moderner Erschließung weltweit genutzt werden.

Viele Bibliothekare und Bibliothekarinnen im Umfeld der Arbeiterbewegung haben sich an dem Bebelschen Aufruf von 1878 gemessen und ihn als Leitbild genutzt. Es lohnt sich nochmals, einen Blick auf einige Schlagworte seiner Visionen zu werfen: „sämtliche Parteischriften und Broschüren„, „Räumlichkeiten [...], welche auf eine längere Reihe von Jahren genügen„, „die ganze einschlägige Literatur in möglichst Vollständigkeit„, „nicht einseitig bloß auf die sozialistische und volkswirtschaftliche Literatur beschränken„, „einige wirklich gute philosophische Werke„, „eine Sammlung der bedeutendsten in- und ausländischen Parteizeitungen und -zeitschriften, die am Schluß jedes Jahrganges zu binden wären„, „es müssen insbesondere Geschichte und Kulturgeschichte [...] darin Platz finden„, „die Verhandlungen des Reichstages und der wichtigsten Landtage„. [Fn 183: Vorwärts , Nr. 21, 20. Februar 1878.]

August Bebel war ein praktischer und kluger Handwerker und Parteiführer. Inhalte und die innere Ordnung lagen ihm gleichermaßen am Herzen. Sein Bild hängt im Lesesaal der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

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