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[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 76]

Rainer Gries
Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: ein offenes Tor zur internationalen Gewerkschaftsbewegung


Themen wie Globalisierung, Zukunft des Sozialstaates, veränderte gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen in vielen Ländern sowie strukturelle Veränderungen der internationalen Gewerkschaftsorganisationen (Fusionen etc.) bilden den Hintergrund für programmatische Überlegungen und Debatten in den Gewerkschaften und in der Politik, die eine verstärkte Nachfrage nach Publikationen und Informationen auch aus dem Bereich der internationalen Gewerkschaftsbewegung entstehen lassen.
Zusätzlich bietet das 50-jährige Jubiläum des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) im Dezember 1999 einen Anlaß, auf die Publikationsbestände der internationalen Gewerkschaftsorganisationen einzugehen.

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Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat seit ihrer Gründung systematisch und in großem Umfang Publikationen der internationalen Arbeiterbewegung, besonders der Gewerkschaften, gesammelt - sowohl von Gewerkschaften in europäischen Ländern, Nordamerika und der Dritten Welt als auch von internationalen Gewerkschaftsorganisationen, vor allem die historischen wie die aktuellen Veröffentlichungen der Internationalen Berufssekretariate (IBS) und des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG). Der Anteil der ausländischen Gewerkschaftsperiodika war von Beginn an beträchtlich.

Diese Sammlung konnte besonders durch die Übernahme kompletter Bibliotheksbestände von Internationalen Berufssekretariaten (Internationaler Metallgewerkschaftsbund/IMB, Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Cafe- und Genußmittelarbeiter-Gewerkschaften/IUL, Internationale Grafische Föderation/IGF, Internationaler Bund der Privatangestellten/FIET, Internationaler Bund der Bau- und Holzarbeiter/IBBH) ganz beträchtlich ausgeweitet werden. Hinzu kommen weitere z. T. umfangreiche Bibliotheksbestände von weiteren Berufssekretariaten (z. B. der Bildungsinternationale/BI) und vom IBFG, die direkt oder über die Bestände der deutschen Gewerkschaften übernommen werden konnten.
Die Bibliothek bemüht sich nicht nur um die Übernahme weiterer Bestände der IBS, sondern auch ganz besonders um die fortlaufende Sammlung der aktuellen monographischen und periodischen Veröffentlichungen.
Die Bedeutung als eine der weltweit größten Gewerkschaftsbibliotheken wird durch dieses internationale Bestandssegment gestärkt.

Dieses Bestandssegment birgt eine große Zahl von Unikaten und Schätzen. Eine Fülle von monographischen und besonders periodischen Publikationen aus der Gründungszeit der internationalen Gewerkschaftsbewegung wären unwiderruflich verloren, würden sie nicht in der Friedrich-Ebert-Stiftung gesichert. Als Beispiele seien hier nur die äußerst wertvollen Zeitschriften und Zeitungen der Internationalen Grafischen Föderation genannt, Berichte über internationale Gewerkschaftskonferenzen sowie Protokolle und

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Zentralorgane der internationalen Gewerkschaftsorganisationen seit der Jahrhundertwende.
Besonders die Protokolle, Satzung, Beschlüsse und Periodika des IBFG aus den Gründungsjahren ab 1949 gewähren einen hervorragenden Einblick in die sich nach dem 2. Weltkrieg reorganisierende europäische Gewerkschaftsbewegung und die politischen Auseinandersetzungen im beginnenden "Kalten Krieg".
Die fortlaufend gesammelten Publikationen zu dem breiten Spektrum gewerkschaftspolitisch relevanter Themen stellen unverzichtbares Quellenmaterial für die Beschäftigung mit z. B. ökonomischen, industriesoziologischen oder politischen Themen dar.

Diese Bestände der gedruckten Publikationen der internationalen Gewerkschaftsorganisationen werden gegenwärtig im Rahmen der Digitalen Bibliothek der Stiftung - wie schon in anderen Beiträgen erwähnt - ergänzt um digitale Publikationen: eine Edition der Grundsatzprogramme europäischer Gewerkschaften und eine geplante Edition von zentralen Zeitschriften der Internationalen Berufssekretariate. Der Bestand und das Angebot der Digitalen Bibliothek werden kontinuierlich ausgebaut.

Sowohl hinsichtlich der gedruckten wie der digitalen Publikationen werden die klassischen bibliothekarischen Funktionen erfüllt: systematischer Bestandsaufbau, Sicherung der Bestände, Erschließung und Nachweis in Katalogen sowie die Bereitstellung für die Nutzer.
Die Sicherung der Bestände ist sowohl bei den gedruckten Publikationen - angesichts der strukturellen Veränderungen der internationalen Gewerkschaftsorganisationen - als auch bei den digitalen Publikationen dringlich und aus bibliotheks- wie aus gesellschaftspolitischen Gründen sehr wichtig.
Angesichts des "flüchtigen" Mediums Internet gewinnt die Sicherung digitaler Publikationen besondere Bedeutung, zumal Archivierungskonzepte für diese Publikationen bei den internationalen Gewerkschaftsorganisationen bisher kaum erkennbar sind.

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Lücken in der Literaturversorgung

Was mit Blick auf die mangelhafte Literaturversorgung durch wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken in Deutschland zur deutschen Arbeiterbewegung allgemein galt - und ein wichtiges Motiv für die Gründung der Bibliothek der Stiftung war - traf (und trifft) noch stärker für Publikationen der und über die internationale Gewerkschaftsbewegung zu.
Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte und Politik der internationalen Gewerkschaftsorganisationen beschäftigen, beklagen immer wieder das Problem der nur schwer zugänglichen Primärquellen [ Vgl. Sigrid Koch-Baumgarten, Peter Rütters (Hrsg.): Zwischen Integration und Autonomie. Der Kon flikt zwischen den Internationalen Berufssekretariaten und dem Weltgewerkschaftsbund um den Neu aufbau einer internationalen Gewerkschaftsbewegung 1945 bis 1949. Eine Quellenedition. Köln, 1991, S. 65.] . Da die Publikationen internationaler Gewerkschaftsorganisationen in anderen wissenschaftlichen oder öffentlichen Bibliotheken nicht oder sporadisch und zumindest nicht in einem vergleichbaren Umfang gesammelt werden, kommt hier der Bibliothek der FES national wie international eine besondere Rolle bei der Literaturversorgung zu.

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    "Welche erregende Aufgabe wird es schon bald für junge Wissenschaftler sein, mit dem Wissen um die europäischen Freiheitskämpfe des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts die Geschichte der sozialen Bewegungen in der Dritten Welt zu schrei-ben! Im historisch-kritischen Vergleich können sich gewiß neue Erkenntnisse für die Erforschung gesellschaftlicher Zusammenhänge ergeben.
    Das Ringen um die Verwirklichung der sozialen Demokratie ist ja nicht nur entscheidend für das politische Geschehen bei uns in Deutschland und in Europa. Die inter-nationale Verflechtung bietet große, unausgeschöpfte Möglichkeiten. Das Material dieses Hauses sollte - gemeinsam mit Wissenschaftlern aus West und Ost - auch nicht allein unter historischen Gesichtspunkten ausgewertet werden. Es muß den jungen, in die Zukunft weisenden Zweigen der Sozialwissenschaften zur Verfügung stehen."

    Willy Brandt zur Einweihungsfeier des Archivs der sozialen Demokratie, 6. 6. 1969. In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung "Archiv der sozialen Demokratie", Bonn-Bad Godesberg, 1970.



Die freie Gewerkschaftsbewegung hat in Europa nach dem letzten Weltkrieg einen wesentlichen Anteil an der politischen und gesellschaftlichen Stabilität auf diesem Kontinent.
Die Zeugnisse dieser politischen Arbeit und des Engagements von Millionen von Gewerkschaftern zu bewahren, bedeutet ein wichtiges Erbe unserer politischen Kultur zu sichern und als Erfahrungswissen auch in die aktuelle programmatische Debatte einzubringen, die gegenwärtig vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen und Umbrüche vor allem in vielen europäischen Ländern stattfindet.

Die gesellschaftspolitische Relevanz der Bestände wie der Dienstleistungen der Bibliothek der Stiftung ist vor dem aktuellen Hintergrund dieser programmatischen Debatte in Deutschland und vielen anderen Ländern offensichtlich.
Besonders die Primärliteratur der Gewerkschaften ist angesichts dieser Diskussionen in einem thematischen Bogen von der Zukunft des Sozialstaates über die Globalisierungsfolgen bis zur Erweiterung der EU für Forschung und Politik unverzichtbar.
Auch für den internationalen Bereich gilt: Für die vergleichende Gewerkschaftsforschung ist die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung eine zentrale Informations- und Materialquelle!

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Wissenschaftliche Bibliothek? Stiftungsbibliothek?

Gemessen an bibliothekarischen Standards und dem professionellen Niveau ist die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung als wissenschaftliche Spezialbibliothek anerkannt - nicht zuletzt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Der Blick auf den Sammelbereich internationale Gewerkschaftsbewegung macht deutlich, dass sich ihr als Bibliothek einer politischen Stiftung Arbeits- und Kooperationsmöglichkeiten eröffnen, über die andere wissenschaftliche Bibliotheken nicht verfügen.
Da ist zunächst die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem "Zwillingsinstitut" Archiv der sozialen Demokratie zu nennen: Die Kontakte zu den internationalen Gewerkschaftsorganisationen werden gemeinsam gepflegt, zum Nutzen von Archiv und Bibliothek - und zum Nutzen der Nutzer, die immer wieder den Vorteil hervorheben, die Angebote von Bibliothek und Archiv "unter einem Dach" zu finden.

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Beim Blick auf die internationalen Gewerkschaftsorganisationen und Gewerkschaften in anderen Ländern ist augenscheinlich, dass die Bibliothek wegen der guten Zusammenarbeit anderer Abteilungen der Stiftung mit den Gewerkschaften im Ausland erfolgreich sein kann, von der Kontaktvermittlung bis zur logistischen Unterstützung vor Ort. Ohne die Unterstützung der Auslandsmitarbeiter der Stiftung wäre besonders die erfolgreiche Sammlung von Grauer Literatur in Europa oder gar in der Dritten Welt kaum oder gar nicht möglich.

Auf der anderen Seite unterstützt die Bibliothek durch ihre Dienstleistungs- und Informationsangebote - als Hausbibliothek - auch die internationale Arbeit der Stiftung. Sie stellt wichtige Publikationen für die Auslandsarbeit zur Verfügung. Die Bedeutung der Digitalen Bibliothek als Informations- und Kommunikationsmedium wird von vielen Auslandsmitarbeitern der Stiftung begrüßt.
Die neuen Medien bieten zusätzliche Möglichkeiten der Kooperation innerhalb der Stiftung wie mit anderen Gruppen und Organisationen.

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Ein beständiges Ziel: die Nutzerorientierung

Die vielen positiven Rückmeldungen der Nutzer bestätigen, dass neben die "klassische" Bestandsorientierung die Nutzer- oder Serviceorientierung tritt sowie das gesellschaftspolitische Ziel, die Bibliotheksbestände einer möglichst breiten interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Mit dem Segment internationale Gewerkschaftsorganisationen bietet die Bibliothek diese Publikationen einem völlig offenen Nutzerkreis an - unabhängig von den Bemühungen, auch gezielt Nutzer und Nutzergruppen in den Bereichen Forschung, Politik und Medien anzusprechen.
Damit wird durch professionellen Bestandsaufbau, Erschließung und Bereitstellung (nicht zuletzt zunehmend im Internet) die gesellschaftspolitische Reichweite dieser Publikationsbestände vervielfältigt.
Sowohl das historische Publikationsgut der internationalen Arbeiterbewegung wie die aktuelle Primärliteratur wird erst durch die Bibliothek einem breiten öffentlichen Nutzerkreis zugänglich gemacht.
Erreicht werden Berufsgruppen oder Altersgruppen, die die Gewerkschaften häufig nur mit großen Schwierigkeiten erreichen - und die dieses Problem auch erkennen: "Die größte Herausforderung wird vielleicht darin bestehen, dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen, die die Erben der entstehenden Informationsgesellschaft sein werden, unsere Stimme hören. Unseren Organisationen ist es nicht immer gelungen, die Jugend mit Erfolg anzusprechen; diese ist manchmal der Auffassung, dass die Gewerkschaftsbewegung der Vergangenheit angehört. Wir müssen ihr zeigen, dass wir uns - selbst wenn wir stolz auf unseren Ursprung und unsere Geschichte sind - auch aktiv für Gegenwarts- und Zukunftsfragen engagieren." [ FIET: Der Mensch im Mittelpunkt in der Informationsgesellschaft. Hintergrundbericht für den 24. FIET-Weltkongreß. Genf, 1999, S. 19.]

Die Sammlung und Erschließung ihrer Publikationen bieten für die internationale Gewerkschaftsbewegung zusammenfassend vor allem folgende Vorteile:

  • Zugriff auf die eigenen, professionell erschlossenen Bestände

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  • Zugriff auf die ebenso erschlossenen Bestände der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung insgesamt, einschließlich der aktuellen Primärliteratur
  • Zugriff auf die Publikationen der FES, auch im Internet (besonders mit Blick auf ihre Arbeit in Mittel-, Ost- Südosteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika von Bedeutung)
  • Zugang zu weiteren Informationsquellen (Periodika etc.), die kontinuierlich ausgeweitet werden
  • die FES spricht ein größeres Nutzerpotential in unterschiedlichen Bereichen an und verleiht damit den Gewerkschaftspublikationen eine größere publizistische und gesellschaftspolitische Reichweite.

Auch bei der Entwicklung der Digitalen Bibliothek beschreitet die Bibliothek der FES einen Weg, der im Weltentwicklungsbericht der Weltbank als erfolgreich beschrieben wird - die Verbindung von zwei Ansätzen, die für sich alleine wenig erfolgversprechend seien: "... eine Organisation, die sich ausschließlich auf das Verbinden konzentriert und sich kaum oder gar nicht mit dem Sammeln abgibt, kann sehr ineffizient sein. ... Es ist [daher] auch so, dass eine Organisation, die sich gänzlich auf das Sammeln konzentriert und nur wenig oder gar nichts unternimmt, um Personen miteinander in Verbindung zu bringen, im Endeffekt über ein Magazin voller statischer, kaum benutzter Dokumente verfügt. ... Die meisten Wissensmanagementprogramme ... zielen auf einen integrierten Ansatz zum Wissensmanagement ab, indem sie die Vorteile der verbindenden und der sammelnden Dimension miteinander kombinieren. Sie erreichen so ein Gleichgewicht zwischen der Herstellung einer Verbindung von Personen, die etwas wissen müssen, mit solchen, die über dieses Wissen verfügen, und der Sammlung dessen, was im Zuge dieser Verbindungen gelernt wurde." [ Weltbank: Entwicklung durch Wissen: mit ausgewählten Kennzahlen der Weltentwicklung. Frankfurt am Main, 1999.]

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Informationsgesellschaft?

Die Begriffe "Informationsgesellschaft" oder "Wissensgesellschaft" werden fast so inflationär verwendet wie etwa "Globalisierung".
Wie verwirrend die Diskussion um die Informationsgesellschaft verlaufen kann, zeigt ein Beitrag von Wolfgang Bergsdorf [ Wolfgang Bergsdorf: Politische Kultur in der Informationsgesellschaft - Die Bürger sollen stärker an politischen Entscheidungen beteiligt sein. In: Das Parlament, 48. Jg., Nr. 40, 25.9.1998, S. 5.] , der folgende Feststellungen "bündelt": "Das 'Erfahrungswissen', ..., führt heute nicht mehr weit. ... Der wichtigste Effekt der Informationsgesellschaft dürfte die Verabschiedung der Relevanz des Alltagswissens sein. ... Die Welt der Informationsgesellschaft wird beherrscht von Hard- und Software. ... Hard- und Software sind unschlagbar im Suchen, Speichern, Rechnen. Aber die Menschen sind unschlagbar im Bewerten, in der Interpretation und im Kontextbewußtsein. Die Sintflut der Daten, die sich täglich über uns ergießt, bietet keinen Sinn. Sinn ergibt sich erst aus dem Kontext, und dieser kann nur vom Menschen hergestellt werden." - Mit Erfahrungswissen, möchte man hinzufügen!
Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung stellt als "gedrucktes Gedächtnis der Arbeiterbewegung" vor allem "Erfahrungswissen" der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung bereit - in gedruckter und zunehmend in digitaler Form im Internet.

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Die internationalen Gewerkschaftsorganisationen haben seit ihren Gründungen vor z. T. über hundert Jahren immer auch den Austausch von Erfahrungen und Informationen als ihr Ziel und ihren Zweck genannt und häufig in einen ökonomisch-politischen Zusammenhang gestellt, der uns auch heute aktuell erscheint.
In einer Denkschrift an den Internationalen Metallarbeiter-Kongress in Amsterdam 1905 schreibt der Deutsche Metallarbeiter-Verband im August 1904: "Es wird ein internationales Auskunftsbureau errichtet, dessen Funktionen sind: Über die Arbeiterbewegungen der verschiedenen Länder an die Arbeiterzeitungen und Vertrauensmänner der beteiligten Landesverbände Mitteilungen zu machen. ... Die moderne Warenproduktion und der Austausch der Erzeugnisse der verschiedenen Länder zeitigte, ... auch einen Austausch ihrer Arbeitskräfte und führte so nach und nach dazu, dass die Arbeiter eines Landes gegen die des anderen ausgespielt wurden. ... Diese Erscheinung zwingt auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der verschiedenen Länder zu einer Verständigung auf internationalem Gebiet und zunächst zum Austausch ihrer Erfahrungen, zu gegenseitigen Mitteilungen über die Arbeitsverhältnisse, kurzum, zu einer gegenseitigen Berichterstattung, ..." [ Internationale Metallarbeiterorganisation und ihre Aufgaben: Denkschrift des Deutschen Metallar beiter-Verbandes an den Internationalen Metallarbeiter-Kongress in Amsterdam 1905 (Internationaler Metallarbeiter-Kongress, Amsterdam, 12. und 13. August 1904). Stuttgart, 1904, S. 1.]

Wenn heute Informationen so wichtig sind, dass sie als Produktionsfaktor bezeichnet werden, wenn eine "neue" Teilung von "Wissenden" und "Nichtwissenden" die Prognose ist, dann kann es als ein gesellschaftspolitischer Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung gesehen werden, für die interessierte Öffentlichkeit, für Wissenschaft und Forschung und für den ihr nahestehenden gesellschaftspolitischen Bereich Zugang zu Informationen zu schaffen - sowohl in Form von Veranstaltungen, Foren, Seminaren oder Studien und Publikationen als auch Informationen aus eigenen Beständen in Bibliothek und Archiv bereitzustellen und bei der Beschaffung und vor allem bei der Auswahl von für die Nutzer relevanten Informationen zu helfen!

"Denn Informationsgesellschaft ist nicht mit 'informierter Gesellschaft' gleichzusetzen. Um die Vielzahl an Informationen verarbeiten, einordnen und bewerten zu können, brauchen wir eine 'Renaissance der klassischen Bildung' und einen überzeugenden Werte-Kompaß. Die nächste Runde im fundamentalen Veränderungsprozeß durch Informations- und Kommunikationstechnik geht nämlich um Inhalte." [ Siegmar Mosdorf,: Zur ökonomischen Bedeutung der Neuen Medien - Digitale Revolution führt zur globalen Wirtschaft. In: Das Parlament, 48. Jg./Nr. 40, 25.9.1998, S. 1.]

Eine politische Stiftung wie die Friedrich-Ebert-Stiftung scheint für eine Beteiligung an dieser Aufgabe nahezu ideal vorbereitet: sie verfügt über enorme Publikations- und Archivbestände, durch ihre vielfältige Arbeit sowohl im Inland wie im Ausland über den Zugang zu wichtigen Ziel- und Schlüsselgruppen und publiziert selber weltweit jährlich rund 800 Titel zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen.
Gerade weil gesellschaftspolitische Angebote im Internet einen geringen Stellenwert haben - man schätzt für Deutschland ein halbes Prozent des Angebotes - und ein großer Teil des Inhaltes für Nutzer von geringerem Wert ist [ Wolfgang Bergsdorf, a. a. O.] , liegt hier eine wichtige Aufgabe für die Stiftung, auch in den neuen Medien präsent zu sein.

[Seite der Druckausg.: 82]

Die Vergesellschaftung des Wissens mittels neuer Kommunikationstechnologien und die Förderung der Medienkompetenz im In- und Ausland könnte der Geschichte des Kampfes der Gewerkschaften national und international für Menschen- und Arbeitnehmerrechte - quasi als alter Wein in neuen (Kommunikations-) Schläuchen - eine neue gesellschaftspolitische Reichweite verleihen.

In der Kontinuität der von H. Heidermann genannten Ziele zur Gründung der Bibliothek, die Geschichte der Arbeiterbewegung zu dokumentieren und die Deutungs- und Interpretationshoheit nicht anderen (damals vor allem der SED) zu überlassen, können auch heute als aktueller Arbeitsauftrag gesehen werden:

  • den programmatischen Diskurs vor allem der demokratischen Arbeiterbewegung in Europa mit historischen und aktuellen Dokumenten, Publikationen und Informationen zu unterstützen;
  • die Kommunikation und den Austausch unter den betroffenen Organisationen anzuregen und zu fördern;
  • einer breiten Öffentlichkeit und wichtigen Zielgruppen (Journalisten, Wissenschaftler, Lehrer) Zugang zu diesem Diskurs zu verschaffen;
  • durch professionellen Bestandsaufbau, Erschließung und Bereitstellung von Publikationen eine Dienstleistung zu erbringen, die die Beratungs-, Seminar-, Veranstaltungs- und publizistischen Angebote der Friedrich-Ebert-Stiftung im In- und Ausland ergänzt und unterstützt;
  • als Bibliothek Navigationshilfe im weltweiten Informationsangebot zu leisten, denn nicht die Beschaffung von Daten, sondern deren sinnvolle (auf die Aufgaben- oder Fragestellung bezogene) Auswahl und Verknüpfung sind das Hauptproblem für die Nutzer.


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Perspektiven

Die neuen Medien haben die Bibliothekslandschaft schon verändert: Über das Internet hat die Bedeutung des (Bibliotheks-)Raumes abgenommen. Die Bibliotheken erreichen mit ihren Beständen mehr Nutzer - und mehr Informationen! Sie sind dadurch in der Lage, sowohl eigene Bibliotheksbestände - national und international - einem weitaus größeren Nutzerkreis zugänglich zu machen als auch externe Informationsquellen stärker in das eigene Informationsangebot einzubeziehen.
Hermann Leskien bezieht die "Folgen der Globalisierung für Bibliotheken" auf die Überwindung von drei Distanzen: der zwischen Bibliotheken, zwischen Bibliothek und Lieferant und der zwischen Bibliothek und Kunden; er sieht folgende Konsequenzen:
"- Globalisierung führt dazu, dass Leistungen einer Bibliothek mit den Leistungen anderer Bibliotheken verglichen werden können.
- Der Kreis der Lieferanten elektronischer Informationen und elektronisch vermittelter Dienstleistungen ist nicht mehr lokal, regional oder national begrenzt.
- Der Kundenstamm einer Bibliothek entsteht künftig nicht mehr primär unter den Kriterien räumlicher Nähe oder institutioneller Zugehörigkeit." [ Hermann Leskien: Ein Zeitalter für Bibliotheken. Vielfältig gewandelte Rahmenbedingungen erfor dern eine tiefgreifende Neuorientierung. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Neue Bibliographie. Frankfurt am Main, 44 (1997) 1, S. 2.]

[Seite der Druckausg.: 83]

Diese Entwicklungen bedeuten für Bibliotheken weniger die Entscheidung zwischen "alter" Bibliothek (Printmedien) und "neuer" Bibliothek als digitaler Bibliothek, sondern die Notwendigkeit zur konsequenten Weiterentwicklung zu umfassenden Informationsdienstleistern.
Auch auf dem Online-Informationsmarkt haben Bibliotheken - im Vergleich zu anderen Informationsvermittlern - einen bedeutenden Vorteil: den Zugang zu dem, was der Benutzer häufig braucht: die Originalpublikation und das Originaldokument!

Die neuen Medien sind keine Bedrohung, sondern bieten den "alten" Bibliotheken neue Entwicklungschancen! Die Bibliothek wird ein zentraler Dienstleister auch in der "neuen Wissensgesellschaft" sein. Als Ziel der Bibliotheken wird beschrieben: "Sie müssen, über die bloße Internet-Anbindung hinaus, ihre Aufgabe in der Organisation der Inhalte sehen und ihre eigenen Inhalte bereitstellen." [ Glen E. Holt: Qualität durch Wandel - der Auftrag der Bibliothek im Medienzeitalter. In: Charlotta Flodell, Andreas Mittrowann: Elektronische Medien in Öffentlichen Bibliotheken - Vom Experiment zum Konzept. Dokumentation einer Konferenz. Gütersloh, 1997, S. 43.]

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung hat, auch im internationalen Vergleich, Vorteile und Chancen, die sich aus der angesprochenen Kooperationsstruktur und dem mit Unterstützung der Geschäftsführung eingeschlagenen Entwicklungsweg zu einem umfassenden und künftig multimedialen Informationsangebot ergeben: für viele auch ein Tor zur internationalen Gewerkschaftsbewegung zu sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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