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[Seite der Druckausg.: 15 (Fortsetzung)]

Horst Heidermann
Vorbedingungen und Überlegungen bis 1969


Die Eröffnung des "Archivs der sozialen Demokratie" im Juli 1969 war der Beginn einer neuen Phase für Bibliothek und Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ein etwa zehnjähriger Vorlauf fand damit seinen Abschluss. Über diese Zeit der Vorüberlegungen und Vorbereitungen will ich berichten. Ich stütze mich dabei im Wesentlichen auf meine persönlichen Erinnerungen. Ihnen ist natürlich wie allen nicht-schriftlichen und schriftlichen Überlieferungen mit Vorsicht zu begegnen. Um möglichst korrekte Berichterstattung will ich mich bemühen.

Zur Stiftung kam ich 1959. Sie war damals noch in einigen gemieteten Räumen in der Koblenzer Straße in Bonn untergebracht. Schon 1956 war die Heimvolkshochschule der Stiftung im oberbergischen Bergneustadt eröffnet worden. [ Die 1925 gegründete Stiftung hatte bereits 1947 die Studienförderung wieder aufgenommen. 1954 wurde sie in das Vereinsregister eingetragen. Der erste Vorsitzende war Prof. Dr. Gerhard Weisser.] Probleme der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung gerieten nach meiner Erinnerung zum ersten Mal 1959 ins Blickfeld. Georg Eckert erläuterte seinen Plan, in der Nachfolge des Grünberg’schen Archivs ein Jahrbuch "Archiv für Sozialgeschichte" zu gründen. Eine vorbereitende Sitzung hatte bereits 1958 stattgefunden. [ Protokoll der Sitzung über die Veröffentlichung eines Friedrich Ebert-Archivs für Sozialgeschichte am 5. 12. 1958.]

Den wissenschaftlichen Aktivitäten im Umfeld der SPD war durch den Stuttgarter Parteitag im Mai 1958 ein wichtiger Impuls gegeben worden. Damals war neben anderen auch Waldemar von Knoeringen an die Spitze der Partei gewählt worden. Sein Interesse an Wissenschaft und Forschung hatte er, manchmal unkritisch fortschrittsgläubig, schon früh formuliert. 1959 erschien das Programm "Die Zukunft meistern" im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. in Hannover. Es war in erster Linie Alfred Nau und dem von ihm herangezogenen Dr. Günter Grunwald zu verdanken, dass diese Impulse in realisierbarer Form in Aktivitäten der Friedrich-Ebert-Stiftung umgesetzt wurden. [ Zu Alfred Nau siehe vor allem die Ausführungen von Willy Brandt in der Festschrift "Solidarität - Alfred Nau zum 65. Geburtstag", Bonn-Bad Godesberg, Verlag Neue Gesellschaft 1971, S. 7-15.] Auch die Wiederbelebung der Stiftung nach Kriegsende war das Verdienst von Alfred Nau und Willi Eichler.

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Georg Eckert war damals nicht nur Inhaber eines historischen Lehrstuhls an der Pädagogischen Hochschule in Braunschweig, er war auch Vorsitzender der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft, eines Zusammenschlusses von Hochschulangehörigen, die der SPD nahe standen oder ihr angehörten. Allerdings blieb diese Gruppe ohne nachhaltige Bedeutung. Das gilt auch für die in der FES unter Vorsitz von Eckert gegründete "Historische Kommission". Zu ihr gehörten vor allem Freunde von Georg Eckert, die er aus seiner internationalen Arbeit kannte, wie z. B. Prof. Jaques Droz, Paris, Prof. Silberner, Jerusalem, Dr. Na’aman, Jerusalem und Prof. Carl Landauer, Berkeley. [ Vgl. H. Heidermann: Bericht über die Arbeit des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung auf der Kuratoriumssitzung in Hannover am 21.l0.1964.] Mir ist nicht in Erinnerung, dass sie jemals in einer Plenarsitzung zusammentrat.

Die Begründung des Jahrbuches "Archiv für Sozialgeschichte" lief parallel zur Etablierung der "Forschungsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung", der Gründung des "Verlages für Literatur und Zeitgeschehen" in Hannover und dem Start einer eigenen wissenschaftlichen Schriftenreihe. Der erste Band erschien 1960. [ Samuel Karres: Die Energiewirtschaft, Hannover, Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1960.]

Bei den Überlegungen zur Intensivierung der historischen Arbeit der Stiftung spielten neben dem geschilderten allgemeinen Auftrieb für die Wissenschaft zwei Gesichtspunkte eine besondere Rolle:

In Ostdeutschland hatten die Kommunisten seit 1956 mit beträchtlichem Aufwand begonnen, die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu dokumentieren, zu erforschen und im Sinne der Projektion gegenwärtiger politischer Interessen der SED in die Vergangenheit zu modellieren. [ Beschluß zur Erarbeitung eines Lehrbuches zur Parteigeschichte am 29.7.1956. Dieses Lehrbuch konnte allerdings erst 1962 als "Grundriß zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" vorgelegt werden.] Die Grundauffassung der SED wurde klar ausgesprochen, nämlich "daß sich die Geschichtswissenschaft in der gesamten Arbeit jederzeit von den politischen Erfordernissen des gegenwärtigen Kampfes leiten läßt und daher von den Beschlüssen der Partei ausgehen muß" (Kurt Hager 1962 auf der 16. ZK-Tagung). Die Übernahme des Karl-Marx-Hauses in Trier durch die FES im Jahre 1968 ist - auch - in diesen Zusammenhang zu stellen. Der Slogan: "Wir lassen uns unsere eigene Geschichte nicht stehlen" zeigte Wirkung. Georg Eckert war als Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission wesentlich an der Vorbereitung einer Gedenkveranstaltung zum 150. Geburtstag von Karl Marx in Trier 1968 beteiligt. [ Dazu Jürgen Herres: Das Karl-Marx-Haus in Trier. 1727 - Heute, Trier 1993.]

In Westdeutschland hatte die Schule um Werner Conze (er war noch 1944 Professor in Posen geworden) einen Schwerpunkt Sozialgeschichte (Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte) etabliert, der aus eher rechtsbürgerlicher Sicht auch die Geschichte der SPD und der Gewerkschaften zum Thema hatte. [ Siehe auch Werner Conze: Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht. In: Ge schichte in Wissenschaft und Unterricht, 3, 1952, S. 648-657.] Georg Eckert, der als deutscher Offizier in Griechenland mit der dortigen Widerstandsbewegung zusammengearbeitet hatte, war die

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Vita von Conze zudem sicher besser bekannt als manchen jüngeren und unpolitischeren Wissenschaftlern. [ Damit ist keine Kritik an verdienstvollen Arbeiten aus diesem Kreis, wie etwa der Veröffentlichung von Frolinde Balser "Sozial-Demokratie 1848-1863", die 1962 erschien, verbunden.]

Beide Tendenzen waren nach Meinung Eckerts und der Verantwortlichen in der FES wenig geeignet, der Wahrheitsfindung zu dienen, wohl aber (auch politisch) zu schaden. Dass es im Zusammenhang mit der Gründung des "Archivs für Sozialgeschichte" auch zu einer Auseinandersetzung zwischen Georg Eckert und dem marxistisch orientierten Arkadij Gurland kam, sei nur am Rande erwähnt. Gurland blieb draußen vor der Tür.

Es sei nur angemerkt, dass Eckert bei seinen Überlegungen auf einen modernen sozialgeschichtlichen Ansatz Wert legte. Das war allerdings leichter postuliert als ausgeführt, wie man an den ersten Bänden des "Sozialarchivs" leicht erkennen kann. Die Autoren bestanden im wesentlichen aus den persönlichen Freunden von Eckert.

Es ließ sich nicht vermeiden, dass sich in dem neuen Forschungsinstitut der FES wissenschaftliche Veröffentlichungen verschiedenster Sachbereiche, vor allem der Ökonomie und der Historiographie ansammelten. Mit Dr. Imanuel Geiss war auch ein, der Sozialgeschichte allerdings eher fern stehender, Historiker eingestellt worden. Geiss war Schüler von Professor Fritz Fischer, mit dem die Stiftung schon in dieser frühen Zeit eng zusammenarbeitete. Imanuel Geiss habilitierte sich später mit der in der Stiftung geschriebenen Arbeit und wurde Hochschullehrer. Helmut Esters, Hans Pelger und Kurt Klotzbach kamen und damit entstand der neue Forschungsschwerpunkt "Widerstand der Arbeiterbewegung".

Bald wurden die Räume in der Koblenzer Straße zu klein. Das Forschungsinstitut zog in die größeren und geeigneteren Räume in Bad Godesberg, Gotenstraße, um. Damit konnte die Bibliothek des Instituts endlich geordnet und katalogisiert werden. Immerhin waren zeitweise drei Bibliothekarinnen/Buchhändlerinnen damit befasst.

Mitte der sechziger Jahre wurden auch die Überlegungen, die Stiftung müsse nun ein eigenes zentrales Gebäude haben, konkreter. Zu zahlreich waren inzwischen die Dependancen, die innerbetriebliche Kommunikation war schwieriger geworden. Festzuhalten bleibt, dass finanzielle Mittel "natürlich" nicht vorhanden waren. Zunächst ging es aber erst einmal um einen geeigneten Standort. Verhandlungen mit der Stadt Bonn führten zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Der spätere Aufbau einer eigenen Bibliothek und eines eigenen Archivs zur Geschichte der Arbeiterbewegung führte natürlich in ganz andere Dimensionen. In dieser Anfangszeit wurden übrigens auch in der FES beide Zweige immer in einem Atemzug genannt. Schon das alte und berühmte "Archiv" der SPD hatte ja beide Arbeitsbereiche umfasst, war mehr eine Bibliothek als ein Archiv im modernen Sinne gewesen. Beim Parteivorstand (PV) der SPD war nach dem Bau der "Baracke" auch mit dem Aufbau einer be-scheidenen Bibliothek und dem Sammeln einiger Nachlässe begonnen worden. Räumlich wie personell unzulänglich ausgestattet, kamen aber diese Bemühungen nie zur hinrei-chenden Entfaltung. Die Arbeit der Bibliothekare Rudi Rothe (seit 1947) und (ab 1962) Paul Mayer fand unter ungünstigen Bedingungen statt. Beide leisteten Erstaunliches.

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Nun war mit alledem noch nichts darüber entschieden, ob und wie die Stiftung ein eigenes größeres und damit auch kostenträchtiges "Archiv" aufbauen sollte. Bei den entsprechenden Vorüberlegungen kommt ganz entscheidend Alfred Nau ins Spiel, unterstützt von dem promovierten Historiker Dr. Günter Grunwald. Das geht nun weit in die deutsche Geschichte. 1933 ging die Bibliothek des Parteivorstandes der SPD weitgehend verloren. Restbestände gerieten 1945 in die Hände der russischen Besatzungsmacht, die sie der SED zur Verfügung stellte. Wichtige Archivbestände, besonders der Marx-Engels-Nachlass, konnten auf abenteuerliche Weise vor dem Zugriff der Nazis gerettet werden. Diese wertvollen Bestände wurden vom Exil-Parteivorstand der SPD zur weiteren Finanzierung seiner Arbeit 1938 an die niederländische NV Centrale Arbeiders-Verzekerings- en Depositobank, s’Gravenhage - weit unter Wert - verkauft. Aus diesem Grundbestand ging das "Internationale Institut für Sozialgeschichte" (IISG) in Amsterdam hervor. [ Vgl. Paul Mayer: Die Geschichte des sozialdemokratischen Parteiarchivs und das Schicksal des Marx-Engels-Nachlasses. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. VI/VII, 1966/67, S. 5-198.]

Der Parteivorstand der SPD hatte sich damals zweifellos in einer Notlage befunden. Otto Wels, der Parteivorsitzende, und Siegmund Crummenerl, der Parteikassierer, waren überdies schwer krank und starben im darauffolgenden Jahr. Viele meinten nach Kriegsende, dass die Situation bei der Festlegung der Höhe des Kaufpreises und der Vertragsbedingungen (keine Rückkaufklausel, nur das Recht auf Kopien auf eigene Kosten) ausgenutzt worden sei und dass das Archivgut unter Rückzahlung des Gegenwertes des Kaufpreises der SPD wieder zurückgegeben werden müsse. Verhandlungen scheiterten. Der Rechtsweg war angesichts eindeutiger Vertragsformulierungen wenig aussichtsreich. RA Allerdt, Hamburg, wurde ohne Erfolg eingeschaltet. Die Folge war, dass zwar nichts erreicht wurde, aber eine jahrelange Verstimmung zwischen dem holländischen Institut und der SPD eintrat. Georg Eckert war einer derjenigen, die sich um Ausgleich bemühten. Eine Verständigung konnte nach dem Wechsel in der Institutsleitung in Amsterdam schließlich erreicht werden. Waldemar von Knoeringen trat in den Beirat des Instituts ein.

Nau war von vornherein vom Erfolg der Rückführungsbemühungen nicht überzeugt. Zuviel war auch von holländischer Seite inzwischen in diese Bestände investiert worden. Auch vor dem Zugriff der deutschen Besatzungsmacht konnten sie durch die holländischen Besitzer gerettet werden. Die besonders wertvollen Bestände des Marx-Engels-Nachlasses wurden bereits 1938 nach England ausgelagert. Teile der Bestände waren in Frankreich geblieben, wo sich eine Außenstelle des Amsterdamer Instituts befand. Sie konnten zum größten Teil vor dem Zugriff der deutschen Sonderkommissionen verborgen und so gerettet werden.

Nau beurteilte den Verkauf, besonders zu den vereinbarten Bedingungen, durch den damaligen Parteivorstand äußerst kritisch und war als traditionsbewusster Sozialdemokrat bemüht, diese Scharte auszuwetzen. Sein Konzept: Wir fangen neu an! Viele warnten. Nau und Grunwald wurden als unseriöse Utopisten verlacht. Auch Eckert war skeptisch, da er neue Schwierigkeiten mit Amsterdam wegen Aufbau eines Konkurrenzinstituts fürchtete. Das Bundesarchiv stand in kritischer Habachtstellung.

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Geld war nicht vorhanden. So war den Initiatoren klar, dass für dieses bedeutende Projekt Mittel Dritter beschafft werden mußten. Weder die Stiftung noch die SPD waren in der Lage, solche Summen aufzubringen. In dieser Situation kam ein Fund in Schweden wie gerufen. In Schweden wurden in einem vermauerten Keller Schriften und Akten des Prager Exil-Parteivorstandes (SOPADE) aufgefunden, die vor dem zu erwartenden Zugriff der Gestapo von Mitarbeitern des PV in Kisten verpackt und auf Umwegen in Sicherheit gebracht worden waren. Diese spektakuläre Fund trug mit zur Wende in der Meinung der "parteiinternen Öffentlichkeit" und der Fachleute bei. Auch der bisher noch zögernde Parteivorsitzende der SPD (seit Februar 1964), Willy Brandt, stimmte zu, dass Archiv und Bibliothek der SPD in ein in der Friedrich-Ebert-Stiftung einzurichtendes Institut, zunächst als Leihgaben, eingebracht werden sollten. Dass bei ihm und Alfred Nau auch die zu erwartende finanzielle Belastung der Partei durch die Bibliothek und das wachsende Archiv eine Rolle spielten, war nur realistisch. Beide waren auch gegenüber dem eigenen Verein zu kritisch, um ihm einen kontinuierlichen, wissenschaftlich einwandfreien Aufbau einer solchen Einrichtung zuzutrauen. Schließlich sei das auch nicht Aufgabe der Partei. Also bot sich die Friedrich-Ebert-Stiftung an. Der PV konnte von Brandt und Nau überzeugt werden. Nun fehlte nur noch das Geld.

In dieser Situation erwies sich die Politik der CDU/FDP-Bundesregierung, öffentliche Unternehmen zu privatisieren, als segensreich. Am 19.5.1961 wurde die Stiftung Volkswagenwerk errichtet. Das Stiftungskapital betrug eine Milliarde DM. Die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel zur Förderung von Wissenschaft und Forschung setzten sich aus dem Ertrag des Stiftungskapitals sowie aus dem Ertrag der nach der Privatisierung verbleibenden Anteile des Bundes und des Landes Niedersachsen am Volkswagenwerk zusammen. Für die Verteilung der Mittel wurde ein Kuratorium eingerichtet. [ Vgl. Volkswagen-Stiftung, Bericht 1998, Hannover 1999, S. 188-195.] Dr. Grunwald wurde als Vertreter des Landes Niedersachsen (Alfred Kubel war Ministerpräsident) in das Kuratorium entsandt. 1962 erfolgten die ersten Ausschüttungen.

Nach vieler Vorarbeit und langen Verhandlungen, schließlich einer langen Debatte und endlich erfolgreichen Abstimmung im Kuratorium der Stiftung Volkswagenwerk gelang es, unter tätiger Mitwirkung des Generalsekretärs der Stiftung, Dr. Gotthold Gambke und seines Justitiars Dr. Waldemar Krönig, ein Grundstück in Bad Godesberg-Friesdorf von einer Erbengemeinschaft zu erwerben und der Friedrich-Ebert-Stiftung für den Bau eines neuen Archiv-, Bibliotheks- und Verwaltungsgebäudes zur Verfügung zu stellen. 1966 bewilligte die Stiftung 1,5 Millionen DM für den Neubau. 1967 wurde der Friedrich-Ebert-Stiftung durch die Stiftung Volkswagenwerk schenkungsweise das Grundstück Kölner Straße 147/149 (heute Godesberger Allee) übertragen. Dipl.-Architekt Joachim Steinecke wurde mit den Planungen und der Bauausführung beauftragt. Am 17.12.1967 konnte der Grundstein gelegt werden. Am 6. Juni 1969 wurde der Neubau eingeweiht. Dass Architekt Steinecke wenig Erfahrung mit dem Bau von Archiven und Bibliotheken hatte, dass er "von außen nach innen" baute, sollte Grund für mancherlei Unbill für die späteren "Nutzer" werden.

Nachdem die Grundsatzentscheidung für die Schaffung des "Archivs der sozialen Demokratie" gefallen war, begann parallel zu den finanziellen Bemühungen und technischen Vorarbeiten auch ein Beschaffungsprogramm. Für die Bibliothek wurden im wesentlichen Zeitschriften wie "Die neue Zeit", "Die Gesellschaft" usw. erworben, die "Inter-

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nationale Bibliothek" des Verlages J.H.W Dietz Nachf. rekonstruiert. Beim Antiquariat Sauer & Auvermann waren wir gern gesehen. Als dann 1969 der Neubau bezogen werden konnte, stand so aus den Beständen des Forschungsinstituts der Stiftung, der ehemaligen Bibliothek des Parteivorstandes der SPD und durch die Übernahme einiger Nachlassbibliotheken eine beträchtliche Büchermasse bereit. Eine Bibliothek mußte dar-aus noch werden!

Von Anfang an war für die wichtigsten Beteiligten, vor allem Alfred Nau, klar, dass die Bibliothek und das Archiv nach den Grundsätzen zu führen seien, wie sie in öffentlichen wissenschaftlichen Einrichtungen galten. Auch die Volkswagenstiftung konnte nur unter diesen Bedingungen ihre Mittel zur Verfügung stellen. Dies war sicher auch in deutlicher Abgrenzung von einer parteilichen Wissenschaft zu sehen, wie sie in der DDR betrieben und gerechtfertigt wurde.

Ferner sollte versucht werden, die bereits vorhandenen Bibliotheken und Archive der deutschen Gewerkschaften in die neue Einrichtung zu integrieren. Trotz persönlicher Intervention von Nau bei allen wichtigen Gewerkschaftsvorsitzenden war diesem Plan zunächst kein Erfolg beschieden. Keine der Gewerkschaften war bereit, sich von ihren teils kleinen und ungeordneten, teils bedeutenden und gut geführten Einrichtungen zu trennen. Zunächst waren es dann einige Berufssekretariate, d. h. internationale Gewerkschaftsvereinigungen, die ihre Akten abgaben. Dass die Einbeziehung der Gewerkschaften in das "Archiv der sozialen Demokratie" in jüngster Zeit fast vollständig gelang, beweist einmal mehr die Richtigkeit der ursprünglichen Konzeption Naus.

Die Entwicklung hatte, wenn auch langsam, in seinem Sinne gearbeitet. Die Gewerkschaften waren jetzt in der gleichen Lage, in der sich schon 1969 die SPD befunden hatte: das Geld wurde knapp, man musste sich auf die "Kernbereiche" konzentrieren, und durch die Verlagerung in das inzwischen national und international anerkannte Institut der FES konnte manches eingespart werden. Es ist sehr zu begrüßen, dass das ursprüngliche Konzept Alfred Naus, wenn auch unter veränderten Umständen, jetzt verwirklicht werden kann. [ Dass Alfred Nau nicht der kleinkarierte Macher war, als der er oft verkannt wurde, sondern in seinem Kompetenzbereich durchaus auch kühne Konzepte entwickelte, zeigt der gelungene Versuch des Wie deraufbaus der Friedrich-Ebert-Stiftung. Alle anderen politischen Stiftungen folgten wesentlich später dem von ihm gegebenen Beispiel. Eine weitere ungewöhnliche Aktivität war die spektakuläre Buchaktion. 1964 schlug Nau vor, dass die SPD die ihr zur Verfügung stehenden öffentlichen Finanzmittel zur politischen Bildung zu einer großen Ankauf- und Versandaktion politischer Bücher verwenden sollte. Über hunderttausend Bücher wurden an die Bibliotheken von Volks-, Mittel- und Oberschulen geschickt. Auch der bis heute praktisch unbekannte Versuch Naus, den Sitz des Sekretariats der Sozialistischen Internationale nach Deutschland (Hamburg) zu verlegen, muss hier genannt werden. Er vertrat diese natürlich mit Brandt abgesprochene Idee als eine rein persönliche Initiative. Ihr durchaus wahrschein liches Scheitern, trotz persönlicher Besuche Naus bei allen wichtigen europäischen Mitgliedsparteien der SI, führte so nicht zu einer Schädigung des Ansehens von Willy Brandt. ] Die Friedrich-Ebert-Stiftung wendet heute mehr als jede andere Stiftung der Bundesrepublik Deutschland finanziell für ihre Bibliothek und ihr Archiv auf. Der hier knapp angedeutete schwierige Weg, der ebenso einmalig ist, war und ist eine wesentliche Vorbedingung dieses stiftungspolitischen Kurses.

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Foto Willy Brandt, Guenter Grunwald, Alfred Nau - 1973

1. R. v. l.: Willy Brandt, Günter Grunwald, Alfred Nau, 1973


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