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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 3]


Einleitende Informationen


  1. Die entschiedene Mehrzahl der archivalischen und gedruckten Quellen, die für die Geschichte der Arbeiterbewegung von zentraler Bedeutung sind, befindet sich in Warschauer Sammlungen. Dies gilt jedoch in erheblichem Maße nur für den Zeitraum nach 1918, d. h. nach der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit. Für die früheren Zeiten weist die archivalische Topographie offenkundige Spuren der damaligen Teilung Polens zwischen Rußland, Deutschland und Österreich auf und dies um so mehr, als auch organisatorisch die polnische Arbeiterbewegung seit den neunziger Jahren in jedem der drei Teilungsgebiete eine eigene Partei besaß und nur die frühen Versuche einer Organisierung der sozialistischen Bewegung in Polen seit dem Ende der siebziger und der ersten Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts einen gesamtpolnischen Charakter trugen. Deshalb befinden sich auch für den Zeitraum der Teilung Polens zwischen Rußland, Deutschland und Österreich in Warschau von den Archivalien staatlicher Provenienz nur die zentralen, das russische Teilungsgebiet betreffenden Sammlungen, während die das preußische und das österreichische Teilungsgebiet betreffenden Materialien ebenso wie die Materialien, die diejenigen Gebiete des ehemaligen Deutschen Reiches betreffen, die erst seit 1945 zu Polen gehören, sich entsprechend in den regionalen Archiven Nord-, West- und Südpolens befinden und im Falle Galiziens auch in den Archiven Lembergs [Lwów], das jetzt zur Ukraine gehört.

    Im Falle des russischen Teilungsgebietes ist die Forschungssituation insofern einfacher, als mit Ausnahme der Region Bialystok die Gesamtheit der ethnographisch polnischen, unter russischer Herrschaft befindlichen Länder verwaltungsmäßig ein besonderes Gebiet bildete, das sogenannte Königreich Polen. An der Spitze der zehn Gouverne-

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    ments stand der unmittelbar Petersburg untergeordnete Generalgouverneur in Warschau, der faktisch auf diesem Territorium der Stellvertreter des Zaren war.

    Ein bedeutender Teil der Quellen, die für jedes der drei polnischen Teilungsgebiete von zentraler Bedeutung sind, befindet sich in den zentralen Archiven der drei Teilungsmächte, d. h. in Moskau, Petersburg, Potsdam und Wien. Der nachfolgende Überblick befaßt sich jedoch ausschließlich mit den Quellen, die sich jetzt in polnischen Sammlungen befinden.

  2. Ein bedeutender Teil der Sammlungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung hat in den letzten drei Jahren den Eigentümer gewechselt und manchmal auch den Aufbewahrungsort. Einige Sammlungen unterlagen auch nach 1989 der Teilung zwischen zwei neuen Eigentümern. Der Teilung unterlag vor allem die bis 1990 größte polnische Sammlung von Materialien zur Geschichte der polnischen und internationalen Arbeiterbewegung: das ehemalige Zentralarchiv des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau (im folgenden: ZA PVAP). Seine - sensu stricto - Archivalien übernahm im Jahre 1990 das staatliche Archiv für neuere Akten <Archiwum Akt Nowych> in Warschau (im folgenden: AAN) während die gedruckten Materialien - darunter auch seltene Titel der Arbeiterpresse - von der Bibliothek des Sejm <Biblioteka Sejmowa> übernommen wurden. Sie bildete aus diesen Sammlungen eine besondere Abteilung unter der Bezeichnung Sammlungen zur Sozialgeschichte <Zbiory Historii Spolecznej>.

    Grundsätzlich wurden alle Archive der PVAP aufgrund des Regierungsbeschlusses vom 19. März 1990 vom Staat übernommen, und so, wie das ZA der PVAP in das AAN eingegliedert wurde, wurden auch die Archive der Woiwodschaftskomitees der PVAP von den entsprechenden staatlichen Regionalarchiven übernommen.

    Das von den staatlichen Archiven übernommene Material der ehemaligen Archive der PVAP ist sehr umfangreich - insgesamt etwa 9.000 lfd. m. Akten, die bereits früher in den 49 Archiven der Woiwodschaftskomitees der PVAP oder dem ZA der PVAP archiviert wurden, sowie etwa 2.000 lfd. m. neuere Akten, die 1990 noch nicht archiviert

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    waren oder sich auch - wegen ihres streng geheimen Charakters - im unmittelbaren Besitz des Sekretariats des ZK oder der Sekretariate der Woiwodschaftskomitees befanden.

    Dieses umfangreiche Aktenmaterial betrifft natürlich nicht nur die Geschichte der PVAP selbst und ihrer unmittelbaren Vorgänger, sondern alle Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Polen der Jahre 1944/45 bis 1990, da die Parteikomitees der verschiedenen Ebenen bekanntlich die eigentlichen Machtzentren im Lande bildeten. Es schließt jedoch in der Regel auch für die Zeit vor 1945 reiches historisches Material ein, da die Mehrzahl der Archive der Woiwodschaftskomitees der PVAP sich auch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung in ihrer Region befaßte, eine entsprechende Sammeltätigkeit ausübte und Darstellungen und Quellenpublikationen sowie häufig auch regionale biographische Wörterbücher veröffentlichte. Bei den meisten Komitees bestanden auch über viele Jahre regionale Referate für Parteigeschichte. All dieses Material ist jetzt in staatliche Archive gelangt.

    Der Forscher muß jedoch berücksichtigen, daß nur 17 der ehemaligen Archive der Woiwodschaftskomitees der PVAP über Material aus dem gesamten Zeitraum von 1944/45 bis 1990 verfügten, weil in Polen 1975 eine Gebiets- und Verwaltungsreform stattfand, durch die sich die Zahl der Woiwodschaften von 17 auf 49 erhöhte. Deshalb besaßen auch die 32 Woiwodschaftsparteiarchive der neuen Woiwodschaften nur Akten, die nach dem 1. April 1975 entstanden waren, sowie eine gewisse Zahl historischer Materialien unterschiedlicher Provenienz, die sich aus der Tatsache ergaben, daß sich diese Archive auch mit der Regionalgeschichte der Arbeiterbewegung beschäftigten.

    Diese letzte Gruppe von Materialsammlungen in den ehemaligen Archiven der Woiwodschaftskomitees der PVAP ist in der Mehrzahl der Fälle von großem Quellenwert. Es handelt sich um unveröffentlichte Erinnerungen von Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, biographische Materialien und persönliche Dokumente dieser Personen, ihren Schriftwechsel, die alte Arbeiterpresse, Flugschriften und Plakate. Sehr oft waren das auch die Arbeiterbewegung betreffende Polizei-, Gerichts- und Gefängnisakten, die man eigenmächtig aus staatlichen Ar-

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    chiven entnommen oder von Privatpersonen erhalten hatte, die diese Akten gleich nach dem Kriege an den verschiedensten Orten gefunden hatten, oft dort, wo man es am wenigsten erwartet hätte.

  3. Einige wichtige Einrichtungen mit Sammlungen von Materialien zur Geschichte der Arbeiterbewegung haben nach 1990 ihren Namen geändert. So heißt z. B. das ehemalige Museum für die Geschichte der polnischen revolutionären Bewegung <Muzeum Historii Polskiego Ruchu Rewolucyjnego> in Warschau jetzt Museum der [polnischen] Unabhängigkeit <Muzeum Niepodleglosci>. Auch einige regionale Museen zur Geschichte der Arbeiterbewegung sind jetzt entweder unter anderem Namen tätig, oder sie wurden auch in die örtlichen landeskundlichen oder historischen Archive eingegliedert. Dies ist ein Prozeß, der noch nicht zum Abschluß gekommen ist, und deshalb können die hier enthaltenen Informationen über einige Museen der Arbeiterbewegung sich bereits als überholt erweisen.

  4. Grundsätzlich sind alle Archive und anderen Sammlungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, die vor 1990 zugänglich waren, weiterhin zugänglich. Der "Besitzstand" des Historikers hat hier sogar eine gewisse reale Erweiterung erfahren. Dies nicht nur deshalb, weil der Zugang zu den Parteiarchiven vor 1990 gewissen Einschränkungen unterlag, sondern auch deshalb, weil viele Materialien sich entweder in geschlossenen Archiven befanden oder vor 1990 überhaupt noch nicht archiviert worden waren. Jetzt bildet die einzige Barriere für ihre Zugänglichkeit die in polnischen Archiven allgemein gültige Sperrfrist von 30 Jahren, zusätzlich verstärkt durch den Erlaß des Ministers für Wissenschaft und Hochschulwesen vom 27. Juli 1984, der die Bedingung stellt, daß die Zugangsgewährung zu den einzelnen Akten nicht die Interessen des Staates und seiner Bürger verletzt.

  5. Unsere Übersicht gliedert sich in zwei Hauptteile: "Zentrale Sammlungen" und "Regionale Sammlungen". Im zweiten Falle handelt es sich in der Hauptsache um Sammlungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung in den einzelnen Regionen des Landes. Dabei muß man jedoch daran denken, daß diese Unterteilung nur von relativer Gültigkeit ist, denn viele Sammlungen außerhalb Warschaus enthalten Materialien von allgemeiner Bedeutung und oft solche, für die es in den

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    zentralen Sammlungen keine Entsprechung gibt. Außerdem tragen einige Bibliotheken außerhalb Warschaus und ihre Handschriftensammlungen gemäß ihren Statuten gesamtnationalen Charakter, wie die Bibliothek der Jagiellonen-Universität in Krakau und das Ossolineum in Wroclaw.

    Innerhalb des Abschnitts "Zentrale Sammlungen" wurde das Material dieser Übersicht in dem Sinne "hierarchisch" geordnet, daß die einzelnen Archive - soweit sich das konsequent durchführen läßt - in der Reihenfolge ihrer Bedeutung für unser Thema besprochen werden. Ebenso werden im zweiten Abschnitt an erster Stelle diejenigen Archive genannt, die Materialien der für die Entwicklung der polnischen Arbeiterbewegung historisch wichtigsten Zentren enthalten: der Warschauer, Lodzer, Krakauer und oberschlesischen Region mit dem Dombrowaer Becken <Zaglebie Dabrowskie>.

  6. In den Fällen, in denen der Autor ermitteln konnte, daß das jeweilige Archiv auch Materialien zur deutschen Arbeiterbewegung oder auch zu gemeinsamen Aktionen deutscher und polnischer Arbeiter besitzt, wird darauf hingewiesen. Es versteht sich von selbst, daß sich die meisten Informationen zur deutschen Arbeiterbewegung in den Archiven Nord- und Westpolens befinden, d. h. jener Gebiete, die bis 1945 zum Deutschen Reich gehörten. Es muß jedoch festgestellt werden, daß Archivalien zur Arbeiterbewegung dieser Gebiete grundsätzlich ziemlich spärlich vertreten sind, was zum Teil aus Kriegsschäden herrührt, zum Teil aber auch aus Schäden, die schon 1933 entstanden: Der Hauptteil des Aktenmaterials der Parteien und anderen Organisationen der deutschen Arbeiterbewegung, darunter auch der Gewerkschaften, in den preußischen Ostprovinzen, wurde damals von den Funktionären dieser Organisationen selbst vernichtet, weil sie befürchteten, daß diese Materialien von den Nationalsozialisten zur Verfolgung von Mitgliedern der Arbeiterbewegung verwendet werden könnten. Daraus erklärt sich das fast völlige Fehlen von archivalischen Materialien deutscher Parteien in diesen Gebieten. Erhalten haben sich - mit Ausnahme einiger Gruppen von Aktenmaterial zu Arbeiter- und Soldatenräten in den Jahren 1918/19 in diesen Gebieten - in der Regel nur Polizeimaterialien sowie Meldungen und Berichte von Vertretern der staatlichen Verwaltung über die Arbeiterbewegung in ihrem Gebiet.

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  7. Es muß auch berücksichtigt werden, daß die staatlichen Archivalien zu Arbeiterparteien in der Zwischenkriegszeit in disproportionaler Weise vor allem über die kommunistische Bewegung berichten. Dies nicht deshalb, weil sie die größte Partei der Arbeiterbewegung gebildet hätte, sondern weil es sich in Polen um eine illegale Partei handelte. Die polnische Regierung behandelte sie als politische Agentur eines fremden Staates, und deshalb wurde sie von den Organen der Staatsmacht besonders aufmerksam beobachtet.

  8. Für alle in der Übersicht erwähnten archivalischen Bestände existieren in den jeweiligen Archiven Verzeichnisse in Buch- oder Kartenform. In den Fällen, in denen ein Archiv über ein gedrucktes Verzeichnis oder einen Führer verfügt oder eine andere detaillierte Information über den Inhalt seiner Sammlungen zur Arbeiterbewegung existiert, erfolgt eine entsprechende bibliographische Information in den Anmerkungen.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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