Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den
Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger
Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999
Auch innerhalb der chemischen Industrie versuchen die Unternehmer, ihre Betriebe möglichst "gewerkschaftsfrei" zu halten. In vielen Fällen benutzen die Chemieindustriellen einen Streik zur "Säuberung" ihrer Betriebe, durch koalitionsfeindliche Reverse und Anfragen bei früheren Arbeitgebern nach der Gewerkschaftzugehörigkeit eines Bewerbers. So z.B. in diesem Jahr die Badischen Anilin- und Sodafabriken in Ludwigshafen. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen wechseln ca. 50% der Belegschaften jährlich ihren Arbeitsplatz. Einen "stark übernormalen Wandertrieb" entwickeln die 17- bis 26jährigen Arbeiter, wobei sich die Jahre zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr als die mobilste Lebensphase zeigen. Die weiblichen Beschäftigten und ungelernten Arbeiter, die leichter ersetzbar sind, weisen eine höhere Mobilitätsquote auf als gelernte Facharbeiter. Rund 77% aller Tarifverträge sind Firmentarifverträge. Die Vollversammlung des Deutschen Handelstages fordert, daß "neuen sozialpolitischen Plänen nicht eher nähergetreten werden dürfe, als bis der Ausgleich zwischen unserer sozialpolitischen Belastung und derjenigen unserer Konkurrenzstaaten hergestellt ist und man der Industrie gestatten müsse, einmal tief Atem zu holen und sich auszuruhen von all demjenigen, was man ihr an Belastungen gegenwärtig zumutet".
Stichtag:
1911
Mitte 1912 greift der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands in einem vertraulichen Rundschreiben die "Gewerkschaftsagitatoren und ihre Presse" scharf an. "Durch Verbreitung von Lügen, durch Übertreibung einzelner Ereignisse wird von diesen Elementen bei den Arbeitern Haß und Erbitterung, bei den Arbeitgebern eine tiefe Verbitterung gesät und jedes ruhige Zusammenarbeiten, wie es in beider Interesse läge, unmöglich gemacht." Von "Zunahme und Machtzuwachs" des Fabrikarbeiterverbandes befürchtet der Verein "eventuell eine ernste Gefahr für die Prosperität der chemischen Industrie Deutschlands in der Zukunft".
Im Oktober 1912 empfiehlt der Verein auf seiner Hauptversammlung die Gründung von Werkvereinen.
Für die Berliner Gewerkschaftskommission ist die Fluktuationsrate von Frauen und Jugendlichen "geradezu erschreckend". Sie ist doppelt so hoch wie bei den Männern.
Bis 1913 bleibt diese Zahl konstant.