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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
17./23. September 1905

Der SPD-Parteitag in Jena nimmt nach einem ausführlichen Referat, in dem der Kölner Gewerkschaftsbeschluß kritisiert und der anarchische Generalstreik ablehnt wird und nach anschließender Diskussion mit 287 gegen 14 Stimmen, bei 2 Enthaltungen, eine Resolution A. Bebels an, daß es Pflicht der gesamten Arbeiterklasse sei, namentlich im Falle eines Anschlages auf das Reichstagswahl- und Koalitisonsrecht jedes geeignet erscheinde Mittel zur Abwehr nachdrücklich anzuwenden. Wenn das Wahlrecht verloren gehe, dann sei es auch mit dem Koalitionsrecht-, Vereins- und Versammlungsrecht vorbei, deshalb müßten sich auch die Gewerkschafter auf die Abwehr einrichten. Als eines der wirksamsten Kampfmittel, um ein solches politisches Verbrechen abzuwehren oder um sich ein gewichtiges Grundrecht für die Befreiung der Arbeiterklasse zu erobern, betrachtet der Parteitag gegebenenfalls die umfassendste Anwendung der Massenarbeitseinstellung.
Vergebens versuchen die anwesenden Gewerkschaftsführer, den auf die Anwendung des Massenstreiks bezüglichen Absatz aus der Resolution Bebels zu beseitigen, um eine Übereinstimmung mit dem Kölner Beschluß herbeizuführen, vergebens weisen sie nach, daß die Berufe, die bei einem Massenstreik die entscheidende Rolle auszuüben hätten, am schwächsten organisiert, ja der gewerkschaftlichen Organisation direkt entzogen seien, und daß die Propagierung des Massenstreiks als das große Kampfmittel die notwendige Kleinarbeit der Gewerkschaften schädige. Man könne und dürfe sich auch nicht im voraus auf ein gewisses Kampfmittel festlegen.
Jeder Parteigenosse ist nun verpflichtet, einer Gewerkschaft beizutreten und die Ziele und Zwecke der Gewerkschaften zu unterstützen.
Die Reichstagsfraktion wird beauftragt, Gesetzentwürfe für Handelshilfsarbeiter einzubringen.
Die Fraktion soll künftig statt für paritätische Arbeitskammern für Arbeiterkammern eintreten.
Einstimmig wird nach langen Diskussionen die bisherige Auffassung der Partei zum 1. Mai bekräftigt, daß die Arbeitsniederlegung die würdigste Form der Maifeier ist. Der Parteitag brandmarkt das Fleischeinfuhrverbot und die dadurch ausgelöste Fleischverteuerung.
Der Parteitag spricht den Sozialisten und Arbeitern Rußlands seine tiefste Sympathie und Bewunderung aus.
Die Vertreter der deutschen Sozialdemokratie erklären, daß sie die Versuche, zwischen dem englischen und deutschen Volke Unruhe zu stiften und die beiden Völker, die mit in der vordersten Reihe der Kulturnationen stehen, zu einem Krieg zu erheben, auf das entschiedenste als gewissenlos und verbrecherisch verurteilen, sie erklären, daß die deutsche Sozialdemokratie entschlossen ist, mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften den Ausbruch eines Krieges zwischen den beiden Völkern zu verhindern.
In seinem Vorstandsbericht bemerkt H. Molkenbuhr: "Daß nun unsere Gewerkschaften sich immer mehr im Sinne der trade-unions entwickeln, liegt nicht an der Bosheit einiger Gewerkschaftsführer, sondern es ist in der Natur der Sache begründet ... Die Gewerkschaften sind die Streitkörper, die innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft Verbesserungen der Lage der Arbeiter erkämpfen sollen; sie stehen mit ihrem ganzen Wesen auf dem Boden der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung."
In der Presse beginnt bald nach dem Parteitag eine lebhafte Diskussion über die richtige Auslegung der Massenstreikresolution.



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