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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
14./20. Oktober 1891

Der Parteitag der SPD in Erfurt berät vor allem ein neues Programm. Die Kritik richtet sich gegen G. von Vollmar und die Angriffe der oppositionellen "Jungen", die vor allem mit außerparlamentarischen Parolen gegen die "Führer" polemisieren. Die Berliner Gruppe der "Jungen", wird aus der Partei ausgeschlossen. Gegen G. von Vollmar nimmt der Parteitag eine von A. Bebel vorgelegte Resolution an, daß kein Grund vorliege, die Taktik der Partei zu ändern.
Der Parteitag verabschiedet ein neues Programm, das sogenannte "Erfurter Programm": "Die ökonomische Entwicklung ... trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden ... Immer größer wird die Zahl der Proletarier ... immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat ... Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln ... in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebluteten Klassen zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde.
Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.
Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei ...
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft ... für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller, ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung ..."
Im praktischen Teil fordert die SPD vor allem die Erweiterung der politischen Rechte u.a. direkte Gesetzgebung durch das Volk, Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit, Gleichberechtigung der Frau, Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; Weltlichkeit und Unentgeltlichkeit der Schulen; Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung, einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel; stufenweise steigende Einkommens- und Vermögenssteuer; Erbschaftssteuer; Abschaffung der indirekten Steuern und eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung. Dazu gehören u.a.: die Festsetzung des Achtstundentages, das "Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter vierzehn Jahren", das "Verbot des Trucksystems", die Stärkung der Gewerbeaufsicht, die "rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern", die "Sicherstellung des Koalitionsrechts" und die "Übernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung".
Die Reichstagsfraktion soll wie bisher die prinzipiellen Forderungen der Sozialdemokratie gegenüber den bürgerlichen Parteien und dem Klassenstaat rücksichtslos vertreten, ebenso aber auch die auf dem Boden der heutigen Gesellschaft möglichen Reformen erstreben, ohne über die Bedeutung dieser positiven gesetzgeberischen Tätigkeit für die Klassenlage der Arbeiter in politischer wie ökonomischer Hinsicht Illusionen zu wecken.
Der Parteitag empfiehlt "allen Parteigenossen die kräftige Unterstützung der gewerkschaftlichen Bestrebungen". In einer weiteren Resolution ersucht er "die Parteigenossen allerorts, den bestehenden gewerkschaftlichen Organisationen sich anzuschließen und, wo solche nicht vorhanden sind, sie ins Leben zu rufen". Die Delegierten erklären den 1. Mai zum dauernden Feiertag der Arbeiter. Der Parteitag protestiert "gegen die erneuten Versuche der Regierungen und der Unternehmerklasse, den in Deutschland vorhandenen Rest des Koalitionsrechts durch die reaktionären Bestimmungen in der Novelle zur Gewerbeordnung vollends zu vernichten".
Trotz dieser einstimmigen Haltung ist bei einigen Delegierten eine skeptische Auffassung über die Notwendigkeit von Gewerkschaften vorhanden.



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