DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
8. Mai 1891

Der Reichstag verabschiedet gegen die Stimmen der Sozialdemokraten eine Novelle zur Reichsgewerbeordnung. Sie sieht einen konkreteren Arbeiterschutz als bisher vor. Doch mit der Formulierung, daß die Schutzmaßnahmen von der "Natur des Betriebes abhängig zu machen seien", bleiben den Unternehmern viele Möglichkeiten, die Bestimmungen zu umgehen.
Das Gesetz legt fest: Sonn- und Feiertagsruhe in Industrie und Bauwesen; Arbeiter können an Sonn- und Feiertagen nicht zur Arbeit verpflichtet werden; die "den Arbeitern zu gewährende Ruhe" soll für jeden Sonn- und Feiertag mindestens 24 Stunden, für aufeinanderfolgende Sonn- und Feiertage 36, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden betragen. Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als fünf Stunden beschäftigt werden. An bestimmten Tagen z.B. vor Weihnachten kann die Arbeitszeit verlängert werden (§ 105 a + b). Trotz einer Reihe von Ausnahmeregeln wird damit der erste Durchbruch zur gesetzlichen Anerkennung einer Ruhepause für Arbeiter anerkannt, wenn diese Bestimmungen auch erst 1895 bzw. 1901 in Kraft treten.
Die Novelle enthält erneut das Verbot des Trucksystems, Werkzeuge müssen den Arbeitern zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt werden. Besonders wichtig sind die Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter "gegen Gefahr für Leib und Leben", soweit es "die Natur des Betriebes gestattet". Insbesondere ist für genügend Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betriebe entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen - ebenso sind Vorschriften gegen "gemeingefährliche Berührungen" mit den Maschinen und Fabrikbrände herzustellen. Nach der Novelle ist Kinderarbeit unter 13 Jahren in Fabriken verboten, die Arbeitszeit für Kinder über 13 Jahren wird auf sechs Stunden und Jugendliche unter 16 Jahren auf zehn Stunden täglich beschränkt. Nachtarbeit wird für diese Gruppen zwischen 20.30 Uhr und 5.30 Uhr verboten. Die Höchstarbeitszeit für Frauen wird auf 11 Stunden festgesetzt, die Nachtarbeit für Frauen verboten, ebenso die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen nach 17.30 Uhr.
Fabrikordnungen müssen, Arbeiterausschüsse können eingeführt werden. Die Vertreter der Ausschüsse können zu Fragen der Arbeitsordnung gehört werden.
Dieses Gesetz stellt den ersten bedeutenden Schritt zum gesetzlichen Arbeiterschutz in Deutschland dar. Es bleibt jedoch weit hinter den Wünschen und Forderungen der Arbeiter - Maximalarbeitstag, wirksame Kontroll- und Strafbestimmungen gegen Unternehmer - und dem Minimal-Arbeiterschutz-Programm des Internationalen Arbeiterkongresses in Paris (1889) zurück.



Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | 1999