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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
25. April 1891

Das "Correspondenzblatt" veröffentlicht einen Organisationsplan der Generalkommission.
Der Entwurf soll "in allgemeinen Zügen klarstellen, in welchem Rahmen sich in der Zukunft die Gewerkschaftsorganisation bewegen müßte, wenn sie den wirtschaftlichen Kampf mit dem unter den heutigen Verhältnissen möglichen Erfolge aufnehmen will". Dazu sei notwendig, "ein einheitliches, planmäßiges Vorgehen der unter den bestehenden Gesetzen in Deutschland möglichen Arbeiterorganisationen herbeizuführen, sowie zur Erreichung ihrer Zwecke, insbesondere bei Streiks und Aussperrungen, eine gegenseitige wirksame Unterstützung zu garantieren".
Der Entwurf erklärt die Zentralverbände der einzelenen Berufe zur organisatorischen Grundlage der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Die Zentralverbände haben die Aufgabe, "unter Ausschluß aller politischen und religiösen Fragen die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder allseitig zu wahren". Als Mittel zu diesem Zweck nennt die Generalkommission: Regelung der Arbeitsverhältnisse und Beseitigung von Mißständen an den einzelnen Werkstellen bzw. Arbeitsplätzen wie im ganzen Gewerke; Verbreitung von Bildung unter den Mitgliedern; Errichten von Herbergen und Arbeitsnachweisen; Pflege der Berufsstatistik; Unterstützung bei Arbeitseinstellungen, welche durch die Organisation auf Grund ihrer statuarischen Bestimmungen beschlossen werden; Reiseunterstützung und Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten, soweit die Kassenverhältnisse es gestatten.
Die verwandten Berufsverbände sollen sich auf der Ebene der Industriezweige sämtlicher dabei in Betracht kommender Berufsorganisationen zu Unionen zusammenfügen. Ihr Aufgabenbereich umfaßt: Planmäßige und auf gemeinschaftliche Kosten zu betreibende Agitation; Herausgabe eines gemeinschaftlichen Presseorgans, "welches so eingerichtet sein muß, daß den Interessen sämtlicher dabei beteiligten Zentralvereine Rechnung getragen wird"; Unterstützung solcher Streiks, die "innerhalb der zur betreffenden Gruppe gehörenden Industriezweige notwendig werden", von einem einzelnen Zentralverein jedoch nicht wirksam geführt werden können und von der Union gutgeheißen werden; Förderung und Veröffentlichung der Berufsstatistik; Zentralisierung der Herbergen, Arbeitsnachweise und Reiseunterstützungs-Zahlstellen in den einzelnen Städten. Für die Verbindung der einzelnen Unionen untereinander und für die "Besorgung derjenigen Angelegenheiten, an denen alle Gewerkschaften gleichmäßig interessiert sind, keine aber sich zu deren Regelung eignet", soll die Generalkommission als zentrale Körperschaft der deutschen Gewerkschaftsbewegung verantwortlich sein. Sie soll sich aus sieben von den allgemeinen Gewerkschaftskongressen zu wählenden Mitgliedern sowie aus je einem Vertreter der Unionen zusammensetzen. Der Generalkommission obliegt: die Agitation in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter noch nicht organisiert sind; die Herausgabe einer Zeitung zur Verbindung sämtlicher Gewerkschaften; die Zusammenstellung der Unionsstatistiken zu einer einheitlichen für die gesamte Arbeiterschaft; statistische Aufzeichnungen über sämtliche Streiks zu führen und periodisch zu veröffentlichen; Streikunterstützung an einzelne Gewerkschaften oder Unionen aus einem zu schaffenden Generalfonds zu gewähren in bestimmten und dringenden Fällen und unter Zustimmung der Mehrzahl der Unionen.
Um diesen Organisationsplan zu verwirklichen, bezeichnet die Generalkommission einen festen Wochenbeitrag als erforderlich, von dem die Berufsverbände 10 Prozent an die Unionen und diese davon 20 Prozent an die Generalkommission abführen sollen.
Prinzipiell wichtig sind zwei Vorschläge: Erstens die allmähliche Überwindung der engen Berufsgrenzen durch die Bildung von Unionen der "verwandten" Organisationen, die Entwicklungsrichtungen auf Industrieverbände frei geben. Zweitens ist die Zusammenfügung der Einzelorganisationen zur gesamtnationalen Gewerkschaftsbewegung statuarisch verankert. Durch die Einbeziehung der Unionsvertreter hätte die Generalkommission, deren Aufgabenkreis genau fixiert wird, eine breitere Basis gewonnen und ihr Gewicht gegenüber den Einzelgewerkschaften wesentlich vergrößert.
Dieser Organisationsplan facht eine lebhafte innergewerkschaftliche Diskussion an, die schließlich zur Einberufung einer Konferenz führt, um eine Vorklärung der auf dem geplanten Kongreß zu behandelnden Probleme zu erreichen.
Dieser Organisationsplan stößt auf zum Teil heftigen Widerstand bei den Lokalisten und bei Verbänden, die die Schaffung von Industrieverbänden erwarten, andere sind gegen die teilweise Aufgabe ihrer Selbständigkeit, die Verschmelzung der Gewerkschaftsblätter zu einer zentralen Zeitung oder gegen eine gemeinsame Streikunterstützung. Die Gewerkschaften einigen sich, den Organisationsplan auf einer Vorkonferenz zur beraten und den für 1891 geplanten Kongreß auf 1892 zu vertagen.



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