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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
1. Oktober 1890

Erster Tag ohne Sozialistengesetz.
Der Zweck des Sozialistengesetzes, die Arbeiter der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften zu entfremden, wird nicht erreicht. Im Gegenteil. Dieses Gesetz hat besonders negative Folgen für die weitere Haltung der Arbeiterschaft und ihrer Organisationen gegenüber dem Staat. Es hat die Ansätze einer Integration der Arbeiterschaft in den bestehenden Staat für Jahrzehnte zunichte gemacht. "Zu keiner Zeit ist der Klassencharakter von Staat und Gesellschaft den Massen so zum Bewußtsein gebracht worden, als unter der fast zwölfjährigen Dauer des Ausnahmegesetzes", schreibt A. Bebel zum 1. Oktober. Das Gesetz stellt die sozialdemokratische Arbeiterschaft als "vaterlandslose Gesellen" außerhalb der Legalität. Daraus erwächst eine vielfach von Haß erfüllte Staatsfeindschaft. Die bewußte Ausschaltung eines großen Teils der Arbeiterschaft überzeugt diese, daß die Arbeiterbewegung bei ihrem Kampf um die Emanzipation auf keine Bundesgenossen rechnen kann. Sie ist in wachsendem Maße mit K. Marx der Auffassung, daß ihre Befreiung das Werk der Arbeiterklasse selbst sein müsse.
In den von K. Kautsky und W. Bernstein popularisierten Lehren und Begriffen von K. Marx und F. Engels finden die Arbeiter in zunehmendem Maße das System, das ihnen die Hoffnung für den Sieg der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung vermittelt.
Gerade nach den Erfahrungen des Sozialistengesetzes konzentriert sich die Sozialdemokratie, diesen Sieg auf parlamentarischem Weg zu erringen. Die Partei und die Gewerkschaften sind dabei besonders bedacht, nicht ungesetzlich zu handeln, da noch lange die Furcht vor einem erneuten Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung besteht. Nach den Erfahrungen des Sozialistengesetzes verstärken sich zwar für einige Zeit wieder die klassenkämpferischen Tendenzen, ehe sich bei den meisten sozialdemokratischen Gewerkschaften die reformistischen Grundtendenzen endgültig durchsetzen.



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net edition fes-library | 1999