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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
11. April 1886

Der "Streikerlass" des preußischen Innenministers Robert v. Puttkamer leitet mit verschärftem Terror gegen die Arbeiterbewegung eine neue Phase des Sozialistengesetzes ein. Der Erlaß fordert von allen Staatsorganen verschärftes Vorgehen gegen Streiks, Streikende und ihre Führer, um die Gewerkschaften zu unterdrücken. "In der Mitte" zwischen strafbaren Delikten "und der erlaubten Ausübung des Koalitionsrechtes" lägen "Ausschreitungen, welche, ohne gerade mit Notwendigkeit unter den Begriff von Straftaten zu fallen", für "die Polizei vollen Anlaß und Beruf" gäben, sich ihnen auf Anrufen der Unternehmer "tatkräftig entgegenzustellen". Dazu gehörten alle Versuche, Streikbrecher zu überreden, zu belästigen oder zu beunruhigen oder "die Kluft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einer unüberbrückbaren zu erweitern" und unter den Arbeitern "den Haß gegen die Gesamtheit unserer politischen und gesellschaftlichen Zustände anzufachen und zu unterhalten". Besonderes Augenmerk solle die Polizei auf sozialdemokratisch beeinflußte Streiks richten. Gegen Streiks, von denen "anzunehmen ist, daß sie durch die sozialdemokratische Agitation angestiftet sind oder auch in ihrem weiteren Fortgange der Leitung derselben verfallen, die somit ihren wirtschaftlichen Charakter abstreifen und einen revolutionären annehmen", soll im Sinne des Sozialistengesetzes mit aller Schärfe vorgegangen werden. R. von Puttkamer fordert auf, den Ausweisungsparagraphen "auch gegen Führer von Streikbewegungen" anzuwenden und gegebenenfalls den Belagerungszustand zu verhängen.
Der Streikerlaß ist die Reaktion auf die stark anschwellende Streikbewegung und den Aufschwung der Gewerkschaften. Er bedeutet das offizielle Eingeständnis des Scheiterns der "milden Praxis". Trotz Streikerlaß und verstärkter Verfolgung nehmen Umfang, Intensität und Zahl der Streiks jedoch weiter stark zu. Der Zentralrat der Gewerkvereine verwahrt sich dagegen, daß der Erlaß "die Anwendung der gesetzlichen Mittel durch die Verquickung mit dem Sozialistengesetz in hohem Grade einseitig bedroht. Das gesetzliche Koalitionsrecht darf, auch wenn Sozialisten sich desselben bedienen, unbedingt nicht mit den durch das Ausnahmegesetz verbotenen Handlungen in eine Reihe gestellt werden, wenn nicht eine Parteinahme der Regierung für die Unternehmer und eine Schädigung der ohnehin bedrängten Verhältnisse großer Arbeiterkreise Platz greifen soll."



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