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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
16./21. April 1873

Der 2. Verbandstag der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine in Berlin behandelt die Stellung der Gewerkvereine zur Politik.
Die Gewerkvereine fühlen sich von der Fortschrittspartei im Stich gelassen. Die Mehrheit der Partei stehe den Gewerkvereinen sogar feindlich gegenüber, da sie zur Klasse der Besitzenden gehöre und für Arbeiterforderungen nicht zu haben sei.
Der Verbandstag empfiehlt deshalb die Aufstellung eigener Kandidaten für die kommenden Reichstagswahlen. Die Praktizierung dieses Beschlusses endet jedoch mit einem völligen Mißerfolg.
Erneut beschäftigt sich der Verbandstag eingehend mit der Streikfrage und insbesondere der Festsetzung eines Streikreglements. In diesem wird nachdrücklich betont, daß die Beilegung von Streitigkeiten zunächst auf anderem Wege - durch Einigungsämter - versucht werden müsse und daß eine Einstellung der Arbeit jedenfalls nur dann stattfinden dürfe, wenn Aussicht auf Erfolg bestehe und die nötigen Geldmittel vorhanden seien. Eine Unterstützung seitens des Verbandes soll in der Regel erst nach vierwöchiger Dauer des Streiks eintreten.
Der Abschnitt 5 enthält eine besondere Streikvariante:
"Sind irgendwo gerechte Beschwerden, besonders betreffs Lohn und Arbeitszeit, vorhanden und eine gütliche Erledigung derselben nicht zu ermöglichen, so empfiehlt sich statt der kostspieligen und höchst zweifelhaften Streiks folgendes praktisch bewährte Verfahren, jedoch ebenfalls unter Zustimmung und Mitwirkung der Verbandsbehörden: Ein Teil der betreffenden Arbeiter (und zwar vorzugsweise die ledigen) treten möglichst geräuschlos einzeln und allmählich aus der Arbeit, indem dieselben sich an anderen Orten Beschäftigung suchen resp. solche durch den Generalrat usw. nachgewiesen erhalten und Zuzug fremder Arbeiter durch Zirkulare usw. energisch abgehalten wird. Nach dem wirtschaftlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage werden die betreffenden Arbeitgeber durch diese Pression zur Nachgiebigkeit gegen berechtigte Forderungen mit Sicherheit veranlaßt werden."
Die Delegierten fordern das Verbot industrieller Beschäftigung für alle schulpflichtigen Kinder und Beschränkung auf 10 Stunden für alle Minderjährigen, sowie für weibliche Personen. Ein anderer Beschluß verlangt staatliche Anerkennung der Gewerk-Vereine durch Verleihung der Korporationsrechte. Die Gelder der Unterstützungskassen sollen von denjenigen des Vereins streng getrennt werden. Das Koalitionsrecht ist gegen jede Beeinträchtigung zu schützen, insbesondere ist die Aufhebung des § 152 Abs. 2 der Gewerbeordnung anzustreben.
Der Verbandstag spricht sich erneut für Schiedsgerichte und Einigungsämter aus.
Die Delegierten lehnen jede Erhöhung bzw. Vermehrung der indirekten Steuern ab, erwarten demgegenüber deren baldige Abschaffung und an deren Stelle progressive Einkommensteuern.
Das Zensus- und Klassenwahlrecht in den Einzelstaaten und Gemeinden muß durch das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht ersetzt werden. Der Verband beschließt die Gründung einer Witwen- und Waisenkasse. Dagegen sollen die Kranken- und Begräbniskassen auch künftig den einzelnen Vereinen überlassen bleiben.



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