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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
4./7. Juni 1870

Auf dem Kongreß der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Stuttgart weist Th. Yorck in seinem Referat über die Gewerkschaftsfrage darauf hin, daß sich die Gewerkschaftsbewegung noch am Anfang ihrer Entwicklung befindet. Er hebt ihre Bedeutung als "ein politisches Agitationsmittel" und ihren internationalen Charakter hervor und wendet sich gegen deren starre Zentralisation. Th. Yorck nimmt Streiks als die "Lehrschule des Sozialismus" in Schutz, meint aber auch, daß die Gewerkschaften nur Arbeitseinstellungen zu organisieren haben, sei falsch. Bei den Streiks werde die meiste Kraft erfolglos vergeudet. Auf Verkürzung der Arbeitszeit hinzuwirken, sei wichtiger als Lohnerhöhungen anzustreben. Gerade deshalb hätten die Gewerkschaften einen politischen Zweck, indem sie auf die Gesetzgebung einzuwirken versuchen müßten, ein Weg, der rascher zum Ziele führen werde als die Streiks. Sache der Gewerkschaften sei, den Arbeitern klarzumachen, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen müßten. Der Kongreß mißbilligt jeden, den Arbeitern nicht direkt durch das Kapital aufgezwungenen Streik, der nicht von einer Organisation genügend vorbereitet ist, um Aussicht auf Erfolg zu verbürgen.
Th. Yorck führt weiter aus: Wenn erst die Bataillone formiert seien, wäre es nicht schwer, sie zur Armee zusammenzufassen. An kleineren Orten, wo die Bildung von Fachgenossenschaften nicht möglich ist, sollen gemischte Gewerkschaften gegründet und diese sich dann zu einer "einzigen Unionsgewerkschaft" verbinden und durch Freizügigkeit mit den Fachgewerkschaften, ebenso wie die letzteren unter sich, eine weitere Union durch Kartellverträge (Gegenseitigkeitsverträge) herstellen sollen.
Durch eine Gewerkschaftsunion will Th. Yorck auch dem lassalleanischen Arbeiterschaftsverband entgegenwirken.
Der Kongreß erklärt, das Parlament grundsätzlich als Tribüne zur Darlegung des Klassenstandpunktes des Proletariats zu benutzen und es "für die Pflicht eines jeden Arbeiters, einzutreten für die Erkämpfung eines durch Gesetz festgestellten Normalarbeitstages von höchstens zehn Stunden zum Schutz der Arbeiter gegen übermäßig lange Arbeitszeit". In der Begründung zu diesem Antrag weist Th. Yorck darauf hin, daß durch eine gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit die "persönliche Freiheit des einzelnen" beschränkt werde, doch frage sich, ob dies nicht "im Interesse der Gesamtheit notwendig" sei. "Abgesehen davon, daß die lange Arbeitszeit weniger durch den freien Willen der Arbeiter, als durch die heutigen gesellschaftlichen Zustände herbeigeführt ist, wird durch Einführung des Normalarbeitstages zwar nicht die persönliche Freiheit der Arbeiter, sondern nur deren Ausbeutung durch das Kapital beschränkt und darum das wohlwollende Geschrei der Kapitalisten und Unternehmer über Beschränkung der persönlichen Freiheit, d.h. ihrer Freiheit, der Freiheit, die Arbeitskraft ihrer Arbeiter 14-16 Stunden jeden Tag ausbeuten zu dürfen."



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