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2.4. Leiter der Genossenschafts-Buchdruckerei zu Hamburg (1874 – 1878)

„Über das alte Hamburg sei hier nur gesagt, daß es zwar unendlich viele enge und schmutzige Straßen, aber dafür auch große Vorzüge hatte. Denn durch die Zollfreiheit waren die Preise der Lebensmittel so niedrig, daß es heute fast märchenhaft erschien. Namentlich Fleisch, Fische und Gemüse waren billig. Die Amerikaner schickten massenhaft lebendes Schlachtvieh erster Qualität herüber. Man konnte also mit einem verhältnismäßig geringen Einkommen sich hier eine weit höhere Lebenshaltung ermöglichen wie anderwärts. Auch die politischen Zustände der Hansestadt waren nicht die schlechtesten im Reiche" [Zu diesem Abschnitt vgl. Kellenbenz (1971), Hauschild-Thiesen (1979), besonders aber die umfangreiche Studie von Kutz-Bauer (1988) und Ritter/Tenfelde (1992). Die Geschichte Hamburg[ - Altona]s und ihrer Arbeiterbewegung hat am ausführlichsten Laufenberg in seiner zweibändigen Darstellung (1911 und 1931) behandelt.] (Blos 1914, S. 195).

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2.4.1. Übersiedelung nach Hamburg und Faktor bei Philipsen

Georg Dietz nahm den älteren Bruder in Hamburg zunächst bei sich auf: Vom 4. Juni bis zum 20. Juli 1874 war Heinrich Dietz am Bohnsplatz gemeldet (StAH S 149/63, Bl. 258 [Zu allen angegebenen Adressen vgl. den Stadtplan von Hamburg (1876) im Anhang 2.] ). Gleich in der Nachbarschaft konnte Heinrich Dietz bei der Buch- und Steindruckerei von Martin Philipsen [Vgl. StAH 332-7, B III, 5680. Sofern M. Philipsen überhaupt in den biographischen Texten erwähnt wird, schwankt die Schreibweise seines Namens: bei Kautsky (1913, S. 4) heißt es ‘Philippson’ , bei Läuter (1966, S. 202) ‘Philippsen’ (vgl. auch Biogr. Anhang).] eine Stellung als Faktor antreten. Damit war er zum Setzer’meister’ bzw. technischen Leiter (Dröge 1978, S. 318 und 378) in einer Druckerei aufgestiegen.

Zum nächsten Quartalstag [Jährlich gab es festgesetzte Umzugstage, an denen ein Wohnungswechsel möglich war (vgl. hierzu Wischermann 1983[a], S. 215f.).] Anfang Juli nahm er für sich und seine Familie eine Wohnung in Altona, dem ‘Armenhaus Hamburgs’ [Vor der Eingemeindung 1885 bestand die Region Hamburg noch aus vier Gebietsteilen: Zum eigentlichen Hamburger Stadtgebiet, in dem fast drei Viertel der Menschen der gesamten Region wohnten, gehörten die Bezirke Altstadt-Nord und -Süd, Neustadt-Nord und -Süd, die Stadtteile St. Georg und St. Pauli und „die der Stadt zunächstgelegenen Landgemeinden und Wohnplätze als ‘Vororte’" . Eigenständig verwaltet wurden Altona [später mit Ottensen], Wandsbek und Harburg (Kutz-Bauer 1988, S. 15ff.), die zu Preußen gehörten.] . Dort lebten überproportional viele schlecht bezahlte Handwerker (Kutz-Bauer 1988, S. 432). Man wohnte in relativ beengten Verhältnissen [Zur Wohnsituation der Hamburger Bevölkerung, speziell der Arbeiterfamilien, vgl. Wischermann 1983[a], kurzgefaßt: Wischermann 1983[b] im Sammelband „Arbeiter in Hamburg" 1983. Vgl. hierzu auch Kutz-Bauer 1988.] , denn viele Hamburger Beschäftigte mußten im Gebiet von Altona, Eimsbüttel oder den anderen Randbezirken unterkommen [Zwischen 40 und 45 % der in dieser Gegend wohnenden männlichen Berufstätigen waren unselbständig beschäftigt und hatten ihre Arbeitsstelle außerhalb Altonas (Kutz-Bauer 1988, S. 83). ] . Bezahlbarer Wohnraum war knapp.

Im Hause Parallelstraße 29 (Adreßbücher Al 1874 – 1876) waren zu der Zeit 15 Mietparteien angegeben. Die Straße verlief, wie ihr Name sagte, ‘parallel’ zur Hamburg-Altonaer Verbindungsbahn [Sie heißt heute Eifflerstraße.] . Von dort aus, nahe an der Grenze zu Eimsbüttel, war der Fußweg zur Druckerei in der Hamburger Neustadt recht weit. Bei Martin Philipsen kam Heinrich Dietz nun in engen Kontakt mit den Hamburger Sozialdemokraten.

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2.4.2. Das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" und die Genossenschafts-Buchdruckerei

Hamburg war zum ‘Vorort’ (d.h. dem Sitz der Parteileitung) der im Mai 1875, nach dem Gothaer Vereinigungskongreß, neugegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bestimmt worden (Voss-Louis 1987, S. 164), weil „das Hamburger Vereinsgesetz ein sogenanntes Verbindungsverbot nicht kannte und die Polizei dort milder als in Sachsen und in Preußen vorging" [August Bebel nannte Hamburg auf dem 2. Kongreß der SAPD 1876 in Gotha die ‘Hauptstadt des Sozialismus’ (Laufenberg 1911, S. 573).] (Jensen 1966, S. 15f.; vgl. Laufenberg 1911, S. 565; Kutz-Bauer 1988). „Die Arbeiterbewegung erschien hier gleichfalls mächtiger, als ich sie bisher jemals hatte beobachten können. Hier gab es auch stärkere Traditionen als anderwärts. [...] Lassalle fand hier sofort eine große Anhängerschaft" (Blos, 1914, S. 195, Hervorhebung im Orig.).

Schon der SAPD galt die Parteipresse „als der beste Maßstab ihres äußeren Einflusses sowohl ihrer inneren Durchbildung sowie als wesentliches Mittel zu ihrer gedeihlichen Weiterentwicklung" (Parteigenossen 1879). So nahm der „Kongreß einen von Hasselmann gestellten Antrag an, wonach in Hamburg ein Lokalblatt zu gründen sei, welches Eigentum der Partei sein müsse" (Schröder 1910, S. 440, Hervorhebungen im Original). Mit der Herstellung des „Hamburg-Altonaer Volksblatts" wurde Martin Philipsen beauftragt. Seine Buchdruckerei hatte sich zunächst am Graskeller befunden – nur ein paar Schritte von August Geibs Leihbücherei am Rödingsmarkt (der damaligen ‘Parteizentrale’) entfernt – war mittlerweile aber in den Keller eines neuerrichteten Hauses in der Amelungstraße 5 umgezogen (Adreßbuch HH 1875). Wahrscheinlich hatten die Sozialdemokraten dort schon mehrfach Druckaufträge erledigen lassen [Über die Beweggründe, gerade diese Druckerei auszuwählen, sagen die vorhandenen Quellen nichts aus. Philipsen selbst war sicher kein Sozialdemokrat, in den Akten des Hamburger Staatsarchivs wurde in dieser Hinsicht auch nichts über ihn notiert (StAH 332-7, B III, 5680; S 6665).] .

Philipsens Faktor zumindest war den Sozialdemokraten nicht unbekannt, denn Heinrich Dietz war gleich im August 1874 in den Hamburger Buchdruckerverein eingetreten (Mit-gliederverzeichnis 1878, in: StAH V 2), möglicherweise auch noch dem ADAV in Hamburg [Genaueres ist nicht mehr festzustellen. „Er [Dietz, agr.] kam 1874 nach Hamburg in die Buchdruckerei von Philippson [sic] und trat nun in engere Berührung mit der Partei, der er geistig schon lange nahe stand" (Kautsky 1913, S. 4). Die biographischen Texte sind sich nicht einig: Biogr. Lexikon (1970): „[...] trat um 1874 dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein bei." Vorwärts (1913): „Im Jahre 1874 [...] wo er [...] sich der sozialistischen Bewegung anschloß." Wahrscheinlich darauf beruhend das Munzinger-Archiv (1914): „1874 schloß er sich der sozialdemokratischen Partei an." ] . Auch von den Hamburger Buchdruckern waren viele bei den Sozialdemokraten organisiert [Der Gothaer Vereinigungsparteitag hatte Grundsätze zur Haltung der Sozialisten gegenüber den Gewerkschaften formuliert: Einerseits Respekt vor den Gewerkschaftsorganisationen, andererseits sollten aber überall interessierte Männer aufgefordert werden, „sich der sozialistischen Arbeiterpartei anzuschließen, weil nur diese die politische und wirtschaftliche Stellung der Arbeiter in vollem Maße zu einer menschenwürdigen zu machen vermöge" („Neuer Sozialdemokrat" 5[1875]Nr. 67, zit. in: Laufenberg 1911, S. 562f.). ] , z. B. der Schriftsetzer und Journalist Carl Hillmann, der später Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung wurde. Hillmann war schon 1866 eingetreten. Man wurde dort auf den ‘hingebungsvoll’ politisch tätigen Heinrich Dietz aufmerksam: „Schon als Setzer war er durch sein fachliches Können aufgefallen. Die gleiche Hingabe an seine politische Arbeit, dazu die feste und vornehme charakterliche Haltung, Besonnenheit, aber auch mutige Entschlossenheit in kritischen Situationen lenkten sehr rasch in der jungen sozialistischen Bewegung Hamburgs die Augen auf Dietz" (G. Schöpflin 1947, S. 8).

Zur Herstellung der neuen Zeitung sollte eine Genossenschaft gegründet werden [Ein ähnlicher Beschluß führte zur Gründung der Druckerei in Berlin (Läuter 1966, S. 200. Vgl. auch FN 33). Die zusammenfassende Darstellung der ‘Allgemeinen Deutschen Associationsdruckerei’ wird zur Zeit vorbereitet (nach Mitteilung von Inge Kießhauer, Berlin). Zum Genossenschaftswesen vgl. z.B. Faust 1958; Eisenberg 1985 (mit ausführlicher Literaturliste). Zur Hamburger Genossenschaft s. Schulze-Delitzsch 1875, S. 98, und 1878, S. 73. ] (Schröder ebd.). Weil die dafür nötigen Gelder nicht so schnell beschafft werden konnten, erschien das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" (HAV) zunächst im Verlag von Heinemann, Külbel und Vater. Die Probenummer wurde den Mitgliedern der SAPD auf einer Versammlung am 19. September 1875 vorgestellt und dort mit „donnerndem Beifall" begrüßt. Unter dem Motto ‘Alles durch das Volk, alles für das Volk’, erschien die Zeitung ab dem 3. Oktober regelmäßig dreimal in der Woche: am Dienstag, Donnerstag und Sonntag [ Apitzsch schreibt fälschlich sechsmal (1928, S. 18, 27). Laufenberg irrte im Datum der Probenummer. Er gab den 19. November 1875 an.] . In der Redaktion arbeiteten Wilhelm Hasenclever [Wilhelm Hasenclever schied schon 1876 wieder aus der Hamburger Redaktion des „Hamburg-Altonaer Volksblatt" aus, er ging zum neugegründeten „Vorwärts" nach Leipzig. Für ihn trat der aus Rußland zurückgekehrte Jakob Audorf (d.J.) in die Redaktion des HAV ein (Laufenberg 1911, S. 569ff.). ] , Carl Hillmann und Wilhelm Blos.

Aus der Druckerei in der Amelungstraße wurde das sozialdemokratische Blatt durch Kolporteure vertrieben [Zum Thema Kolportagebuchhandel vgl. die lebendige Darstellung bei Dehn 1894; vgl. auch Engelsing 1966, Schenda 1970, Meyer-Dohm 1977 (Bd.4, S. 254) und Meinke (1980). Mit dem sozialdemokratischen Schriftenvertrieb beschäftigten sich u.a. Drahn (1913) und Dietz selbst (1914).] . Zu Anfang waren viele Helfer nötig; üblicherweise besorgten die Kolporteure auch das Falzen der Zeitungsblätter noch selbst. „In unserem Falle hatte die Expedition es mit lauter Freiwilligen zu tun, die vom Kolportagegeschäft nichts verstanden", berichtete Heinrich Dietz seine Eindrücke vom Start des Hamburger sozialdemokratischen Blattes. „Aber die Genossen wußten sich zu helfen, und bald boten die Amelungstraße sowie die angrenzenden Straßen ein ganz merkwürdiges Schauspiel, wozu ein schöner Herbstmorgen ein freundliches Gesicht machte. Ohne weiteres wurde auf der Straße niedergekniet und das noch menschenleere Trottoir als Falztisch benutzt. Es mögen wohl 1000 Genossen dabei beteiligt gewesen sein, die eifrig und scherzend das Blatt zur Verteilung fertig machten. Ein malerischer Anblick, der kaum jemals da war oder sich wiederholen dürfte" (Dietz, in: Laufenberg 1911, S. 571).

Bei der bürgerlichen Konkurrenz war die erste sozialdemokratische Zeitung der Hansestadt begreiflicherweise nicht hoch angesehen, denn man „griff sogleich wiederholt hamburgische Fabrikanten an, dann die ‘Hamb. Zeitung’, namentlich aber das ‘Fremdenblatt’, das ‘Zank- weib von den Großen Bleichen’, auch wohl ‘Reptiliencabinet’ genannt" (Baasch 1930, S. 112).

Am 17. Dezember 1875 konnte die Buchdruckerei-Genossenschaft [Die vereinigte SAPD übernahm das von der Eisenacher Partei angewandte „Leipziger Statut von 1872 [...] mit geringfügigen Abwandlungen [...] für die Betriebe in Berlin und Hamburg." Durch dieses Statut ließ sich gewährleisten, „daß der jeweilige Parteivorstand auch Aufsichtsrat der Genossenschaft war [und] neben den üblichen ökonomischen Kontrollfunktionen weitgehend diskretionäre Rechte in Personal- und Mitgliedschaftsfragen sowie bei Anteilstransaktionen besaß und damit politische Kontinuität garantieren konnte" (Liebknecht 1988, S. 13).] dann in das Handelsregister eingetragen werden [Die juristische Person Genossenschaft trug denselben Namen, wie das von ihr betriebene Geschäft: ‘Ge- nossenschafts-Buchdruckerei zu Hamburg (e.G.)’. Durch die Namensgleichheit der beiden Einrichtungen entstand in den Quellenangaben etwas Verwirrung, besonders, als unter dem Sozialistengesetz die Genossenschaft liquidiert werden mußte, die Druckerei aber noch eine Zeit weiterarbeiten konnte (siehe weiter unten).] (StAH Handelsreg., A 18 Nr. 25/1875). In den Vorstand wurden zunächst W.G. Nagel, Rudolf Praast und Heinrich Garve, später August Geib und Heinrich Braasch gewählt [Protokolle der Genossenschaftsversammlungen sind nicht erhalten. Jedes Mitglied zahlte 40 Pfennig Aufnahmegeld, man erwarb Anteilscheine, die auf je 6 Mark ausgestellt wurden und abbezahlt werden konnten. „Niemand [aber] durfte mehr als 15 Anteilscheine besitzen" (Laufenberg 1911, Zitat S. 572). Bei Eisenberg ohne Quellenangabe: „Die Mitgliedschaft stand jedermann offen, der 12 Sgr. Eintrittsgeld zahlte und mindestens einen, höchstens jedoch 15 Anteilscheine zu 2 Tlr zeichnete, die innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren in Raten zu ca. 10 Sgr. abzuzahlen waren" (1985, S. 149). Es kann sich hierbei nicht um die Hamburger Genossenschaftsbuchdruckerei gehandelt haben, Silbergroschen und Taler waren keine Hamburger Währung. Fälschlicherweise nach Laufenberg (1911, S. 571) und Eisenberg war August Geib gleich in den Vorstand gewählt worden: „Vorsitzender der Genossenschaft war August Geib, technischer Disponent Johann Heinrich Wilhelm Dietz" (Eisenberg 1985, S. 149). August Geib wurde nicht sofort in den Vorstand gewählt, er war zunächst Beisitzer im Aufsichtsrat (HAV 2[1876]Nr. 101 vom 22. Aug.). Beier schrieb Heinrich Dietz die Gründung der Genossenschaft und die Urheberschaft des „Hamburg-Altonaer Volksblatts" zu (1966, S. 453).] (Eisenberg 1985, S. 186). Zum 1. Mai 1876 kaufte die Genossenschaft, die schon bald über 400 Mitglieder zählte, Philipsens Druckerei [Anzeige im HAV. Martin Philipsen eröffnete nach dem Verkauf eine Buch- und Steindruckerei in der Brüderstraße 3-5 (Adreßbuch HH 1877).] ; und ab der Nummer 53 vom 2. Mai 1876 erschien das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" in der ‘Genossenschafts-Buchdruckerei’. „Der bisher in der Druckerei Philippsen [sic] als Faktor tätige Heinrich Dietz wurde mit der Leitung des Unternehmens betraut" [Andere Angaben bei Keil (1956): Er sah die Hamburger Partei schon seit 1874 als Besitzerin einer eigenen Druckerei) und danach Osterroth: „Dietz übernahm 1874 die Leitung der Tiefdruckerei, die das sozialdemokratische „Hamburg-Altonaer Volksblatt" herstellte" (1960, S. 63).] (HE 1955, S. II. Hervorhebung im Orig.). Als Expedient arbeitete in der Druckerei der Kassierer der Genossenschaft, Heinrich Garve, unterstützt von August Lange, später kam noch Rudolf Praast hinzu. „Nach kurzer Zeit war es, als hätten die drei Leute, von denen die beiden ersten Zigarrenarbeiter und der letztere Schuhmacher war, in ihrem Leben nichts anderes getan, als in Zeitungsexpeditionen gearbeitet" (Dietz in: Laufenberg 1911, S. 572 [Der hier bei Laufenberg zitierte Abschnitt beruhte u.a. auf „handschriftlichen Aufzeichnungen von J.H.W. Dietz" (Laufenberg 1911, S. 573). Leider waren diese Aufzeichnungen nicht mehr aufzufinden.] ).

Die Redaktion mietete sich bald in der Amelungstraße 6 ein, im Nachbarhaus der Expedition [Fast alle Altbauten im Bereich der Hamburger Neustadt sind 1943 zerstört worden. Auf dem Grundstück an der Amelungstraße steht heute ein Betonklotz, in dem lange das Grosso-Haus Libri untergebracht war.] (HAV 21876Nr. 107 vom 5. Sept.). Ab Ende März 1877 verstärkte Heinrich Oldenburg die Redaktion. Der Schriftsetzer Reinhard Bérard und Karl Schneidt waren als Berichterstatter tätig (Laufenberg 1911, S. 622f.). Von diesem Zeitpunkt an kam Heinrich Dietz als technischer Leiter der Druckerei täglich mit der Hamburger Parteileitung zusammen. Auch die leitenden Vorstandsmitglieder der SAPD gingen im Hamburger Geschäft ein und aus. Die Genossenschafts-Buchdruckerei wurde schnell zum lokalen Zentrum der Sozialdemokraten in Hamburg. „Obwohl es in Hamburg damals an Streitigkeiten in der Partei nicht fehlte, so gruppierte sich doch um das Volksblatt ein Freundeskreis, in dem es an angenehmen Stunden und geistiger Anregung nicht fehlte. Geib, Auer, Dietz, die beiden Kapell, die beiden Dichter Audorf und Johannes Wedde, und noch verschiedene andere gehörten dazu" [Zu diesem Zeitpunkt dürfte Heinrich Dietz ganz bestimmt Parteimitglied gewesen sein.] (Blos 1909 5, S. 5).

Die Sozialdemokraten hatten Erfolg mit ihrem „Volksblatt", denn die traditionell republikanische Bevölkerung las in Hamburg mit wachem politischen Interesse nicht nur bürgerliche Zeitungen [„Insbesondere konnte sich die sozialdemokratische Presse bei einem hohen Anteil an Arbeitern, Angestellten und Beamten mit niedrigem Einkommen [...] entfalten" (Jensen 1966, S. 16, dort auch ein Überblick zur Hamburger bürgerlichen Presse, S. 18ff.)] : Das vierseitige HAV begann mit 8.000 Abonnenten, die Auflage stieg schnell auf 10.000 im Dezember 1875 und 12.000 Exemplare im März 1876 an (HAV 2 1876Nr. 37). Ende März 1877 hatte es die höchste Verbreitung aller sozialistischen Blätter in Deutschland erreicht [Das HAV verfügte zu diesem Zeitpunkt über insgesamt 15.248 Abonnenten, davon 4.057 in Altona und Ottensen, 103 in Harburg, 553 in Schleswig-Holstein und 10.124 in Hamburg (HAV 3[1877]Nr. 40, 117 u. 120).] (Voss-Louis 1987, S. 169 und 175) und bald auch den größten Inseratenteil [Anzeigen in sozialdemokratischen Blättern waren in der Partei nicht unumstritten (vgl. hierzu Kantorowitz 1922, S. 58ff.; Loreck 1977, S. 20f.).] (Läuter 1966, S. 202). Nach nur neun Monaten Betrieb konnte die Genossenschaft im ersten Geschäftsbericht vom Juli 1876 (d.h. zwei Monate nach Übernahme der Druckerei) einen Reingewinn von 14.107 Mark und 2 Pfg. verbuchen (veröf-fentlicht im „Volksstaat" 1876). Aus diesem Geschäftsbericht ging auch hervor, mit welch geringer Ausrüstung das Zeitungsunternehmen damals begann: „Das Personal der Druckerei besteht aus 22 Personen, nämlich: 1 Faktor, 11 Setzer, 1 Maschinenmeister, 1 Setzerlehrling, 2 Heizer und 6 Anleger resp. Anlegerinnen. Inventar besitzt die Druckerei im Werte von M. 32 573 und 88 Pf. und verteilt sich dasselbe auf: 1 Doppelschnellpresse, 1 Handpresse, 1 Papierschneidemaschine, 1 eiserner Geldschrank, 1 Dampfmaschine von 3 Pferdekraft, diverse Schriften und Setzerei-Utensilien, Lampen etc." („Volksstaat" 1876).

Schon zu Pfingsten 1876 konnte das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" (21876 Nr. 67 vom 4. Juni) unter der Überschrift ‘Ein Arbeiterunternehmen’ stolz eine Ausweitung des Drukkereigeschäfts melden. Neben aktuellen Flugblättern wurde vor allem für die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten gedruckt. Es erschienen, neben einigen wenigen kleineren Schriften und Protokollen, die Tischlerzeitung „Der Bund" (ab 1876), die Maurerzeitung „Der Grundstein" und als Nachfolger „Der Pionier", die Wahlagitationszeitung „Der Wähler" (ab 1876) und als Nachfolger „Die Rundschau" (1878). Ab 1878 wurde dort auch „Der Schiffbauerbote" hergestellt, und ab Nr. 19 im Mai 1876 ging der Druckauftrag für die Holzarbeiterzeitung „Union" von der Leipziger auf die Hamburger Genossenschaftsdruckerei über [Vgl. die vorläufige Bibliographie der Schriften aus der Genossenschafts-Buchdruckerei 1875/76 – 1890 (in: Graf 1989).] . Bei der Expedition des HAV konnten ca. 100 Broschüren und Schriften bestellt werden. Der größte Teil dieser Texte stammte aus der Leipziger Genossenschaftsdruckerei oder aus dem Verlag von Bracke in Braunschweig.

In der Zwischenzeit war Heinrich Dietz ein viertes Mal Vater geworden. Helene Dietz war zur Geburt ihres zweiten Sohnes Franz Heinrich am 23. August 1875 (AHL Gen.reg.) zu ihrer Mutter zurück nach Lübeck gefahren. Aus der Altonaer Wohnung zog die nun sechsköpfige Familie Dietz am Quartalstag im April 1877 nach Hamburg, in die Großen Bleichen Nr. 30. Zwar lag die Wohnung noch im 1. Stock eines Hinterhauses, aber der soziale Aufstieg war erreicht: Man wohnte nun in ‘besserer’ Umgebung [Im Hause gab es ein Leinenlager, ein ‘Photoartistisches Institut und Atelier’. Es wohnten dort mehrere Lehrer, ein Kaufmann, eine Schneiderin und eine Pastorenwitwe (Adreßbuch HH 1878). Auf dem Grundstück befindet sich jetzt die Einkaufspassage ‘Hanseviertel’.] . Heinrich Dietz hatte jetzt wenige Minuten zur Druckerei in der Amelungstraße zu gehen, und auch das Stadthaus, Sitz der Hamburger Polizeibehörde, lag nur ein paar Häuser entfernt.

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2.4.3. Funktionär im Hamburg-Altonaer Buchdruckerverein

In der Buchdruckergewerkschaft übernahm Heinrich Dietz wieder Funktionen: Im April 1876 wählte ihn der Hamburger-Altonaer Gauverband „fast einstimmig" zum Mitglied in ein Schiedsgericht (Corr. 14[1876]Nr. 47 vom 26. April). Schon im Mai 1876 wurde Heinrich Dietz nach Leipzig delegiert und vertrat dort die Hamburger Gewerkschafter zusammen mit dem langjährigen Vorsitzenden Friedrich Erdmann Schulz und einem weiteren Abgesandten beim 5. (außerordentlichen) Deutschen Buchdruckertag (Krahl 1916, Anh. S. 13). Danach notierte der Hamburger Schriftführer etwas gelangweilt: „In der dritten Versammlung, am 25. Juni, berichtet H. Dietz über die Verhandlungen des Buchdruckertages. Er verbreitet sich über die verschiedenen Punkte, die zur Verhandlung standen [...]." (Corr. 14[1876] Nr. 80 vom 14. 7.; Hervorhebung im Orig.).

Als drei Kommissionsmitglieder für Tarifverhandlungen mit dem Hamburger Prinzipalverein bestimmt werden mußten, wurde auch Heinrich Dietz gewählt (Corr. 14[1876]Nr. 84 vom 23. 7.). Die Arbeitgeber wollten den Hamburger Lokaltarif herabsetzen, und die Kommission konnte gerade noch erreichen, daß der Status quo bis zum Jahresende erhalten blieb (Corr. Nr. 90 vom 6. 8.). Den Posten eines stellvertretenden ‘Einigungsmannes’ in einem gemeinsamen Ausschuß mit dem norddeutschen Prinzipalverein (ordentliches Mitglied wurde Friedrich Erdmann Schulz) nahm Heinrich Dietz aber nicht an – er hatte ja selbst mit der Leitung der Genossenschaftsdruckerei die Funktion eines Prinzipals inne (Corr. Nr. 103 vom 6. 9.). Einige Tage zuvor hatten ihn seine Gewerkschaftskollegen zum ‘Vice-Präses’ des Hamburg-Altonaer Buchdruckervereins gewählt (Nr. 107 vom 15. 9.).

Schulz, der seit 1867 als Vorsitzende der Hamburger Buchdrucker amtierte, war zu der Zeit nicht mehr unumstritten. Vornehmlich die jüngeren Kollegen hätten gern eine Statutenänderung erreicht und stellten deswegen den Antrag: „Eine Wiederwahl der abtretenden Mitglieder ist nur einmal statthaft". Erregte Debatten bestimmten mehrere folgende Sitzungen, in deren Verlauf der Antrag abgelehnt und sich der Vorsitzende – politisch unsensibel – auch noch ein Gehalt für seine Verbandstätigkeit bewilligen ließ. Ohnehin wurde in dieser Zeit wiederholt über die zu hohen Extra-Beiträge in der Buchdruckergewerkschaft geklagt. Deswegen war für den September 1876 in Leipzig eine Versammlung der zehn größten Gaue einberufen. Heinrich Dietz wagte es, gegen Schulz als Delegierter zu kandidieren, unterlag aber in der Abstimmung.

Damit war der schwelende Konflikt zwischen der etablierten Führungsgruppe und den jüngeren Mitgliedern unter den Hamburger Buchdruckern noch nicht beendet. Die Gewerkschaftopposition kritisierten die Höhe der Aufwandsentschädigung für den Vorsitzenden weiterhin. Sie beantragten daher auf einer der nächsten Ortsgruppensitzungen, daß der Vorsitzende anstatt 300 nur 120 Mark erhalten sollte. Für sie war nicht einzusehen, daß nur der Vorsitzende ein Gehalt bekommen sollte, andere Amtsinhaber aber keine Entschädigung erhalten sollten. Weil „in jedem Amte Opfer gebracht werden müßten, deshalb wünsche man eine Entschädigung sämtlicher Vorstandsmitglieder" (Corr. 14[1876]Nr. 127 vom 1. 11. und Nr. 149 vom 24.12.). Der versuchte ‘Aufstand der Jungen’ gegen den Führungsanspruch des alten Gauvorstehers schlug aber offenbar fehl, und Heinrich Dietz stand nicht mehr als Gegenkandidat zur Verfügung. Denn anders ist nicht zu erklären, daß im Juni 1877 – als neue Vorstandswahlen anstanden – „eine seltene Einstimmigkeit" herrschte. „Von der bei dieser Gelegenheit in früheren Jahren entfalteten Agitation war diesmal nichts zu spüren, denn man wählte nur wie ein ‘einig Volk von Brüdern’." In der spärlich besuchten Versammlung wurden Vorsitzender, Vize-Präses und Schriftführer wiedergewählt, notierte der „Correspondent" (151877Nr. 66, 10. 6.).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1998

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