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Allgemeine Dienstpflicht : Alternative zur Berufsarmee? / Florian Gerster ; Eckhardt Lübkemeier (Hrsg.). Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Außenpolitikforschung. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 31 S. = 95 Kb, Text . - (Studie zur Außenpolitik ; 69). - ISBN 3-86077-481-6
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






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Vorwort

Das Fehlen einer existentiellen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bündnispartner, neue Aufgaben der Bundeswehr jenseits von Landes- und Bündnisverteidigung sowie steigende Wehrdienstverweigerer-Zahlen haben der Diskussion über die Zukunft der Wehrpflicht neuen Auftrieb gegeben. Damit verbunden ist die Frage, ob und wie die heute von Zivildienstleistenden erfüllten Aufgaben ohne Wehrpflicht wahrgenommen werden können.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete der Gesprächskreis "Sicherheit und Abrüstung" der Friedrich-Ebert-Stiftung im September 1995 eine Diskussion zum Thema "Allgemeine Dienstpflicht - Alternative zur Berufsarmee?".

Auf dem Podium saßen:

Karl Feldmeyer
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Pfr.i.R. Ulrich Finckh
Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V.

Oberst Bernhard Gertz
Bundesvorsitzender Deutscher Bundeswehr-Verband e.V.

Brigitte Schulte, MdB
Sprecherin der Arbeitsgruppe Nordatlantische Versammlung

Nachfolgend dokumentieren wir den Verlauf der Veranstaltung.

Florian Gerster
Staatsminister und Leiter des Gesprächskreises "Sicherheit und Abrüstung" der Friedrich-Ebert-Stiftung

Eckhard Lübkemeier
Leiter der Abteilung Außenpolitikforschung der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Allgemeine Dienstpflicht - Alternative zur Berufsarmee?

Gerster
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich zum Gesprächskreis Sicherheit und Abrüstung der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ich selbst will einführend wenig sagen. Ich denke, daß für jeden - nicht nur für die, die beruflich damit umgehen müssen - die Akzeptanz der Wehrpflicht sehr viel zu tun hat mit dem, wie wir Verfassungswirklichkeit beschreiben, wie wir die Sicherung unseres Staates nach außen gegenüber früheren Auffassungen heute von neuem definieren, rechtfertigen und gestalten wollen. Und da reicht es m. E. nicht, mit alten Antworten auf neue Erscheinungen zu reagieren, etwa mit der Antwort: Es steht ja alles im Grundgesetz, und es steht vielleicht dann auch noch ergänzend im NATO-Vertrag und in der UN-Charta. Ich denke, das läßt nicht genügend Spielraum für die Bewältigung der heutigen Akzeptanzprobleme der allgemeinen Wehrpflicht, die eben in jeder Generation von neuem wieder ihre besonderen Spielarten hat und auch von neuem besonders begründet werden muß.

Ich begrüße auf dem Podium in der Reihenfolge ihrer Plazierung Herrn Karl Feldmeyer, der als ausgewiesener Fachmann und Redakteur der "Frankfurter Allgemeine" allen bekannt ist, die an diesem Thema in irgendeiner Weise interessiert sind. Ich begrüße herzlich Herrn Pfarrer i.R. Ulrich Finckh. Herr Finckh ist ein streitbarer Mann, der seit langem an der Debatte um Wehrdienst und Verweigerung teilnimmt, denn er ist Vorsitzender der "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen". Als nächsten begrüße ich Oberst Bernhard Gertz, den Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehr-Verbandes. Der Verband vertritt alle Soldaten, also auch wehrpflichtige Soldaten, und er hat sich vor geraumer Zeit mit Vorschlägen in Richtung einer allgemeinen Dienstpflicht gemeldet, die durchaus damals gegen den Strich gebürstet waren. Schließlich begrüße ich Brigitte Schulte. In der Einladung stand Walter Kolbow, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD-Bundestagsfraktion. Brigitte Schulte vertritt ihn nicht, das wäre falsch, denn sie ist in jeder Hinsicht eine ausgewiesene Expertin der Sozialdemokraten für Sicherheitspolitik, inbegriffen die normalerweise eher von Männern gepflegten Themen der Wehrpflicht im engeren Sinne und der Innensicht der Bundeswehr.

Ich erlaube mir, zu Anfang vier Fragen zu stellen, die möglichst, das wäre meine Bitte, knapp beantwortet werden durch unsere Podiumsteilnehmer.

Meine erste Frage soll sein: Hat die Wehrpflicht an sich einen staatspolitischen Wert? Ist sie also etwas, was als solches verteidigungswert ist, erhaltenswert ist, und warum, wenn es so ist, ist das so, oder wenn es nicht so ist, warum ist es nicht so. Ich fange jetzt ganz einfach bei der Politikerin an. Bitte, Brigitte Schulte.

Schulte
Ich glaube schon, daß die Wehrpflicht einen staatspolitischen Wert zumindest so lange hatte, wie wir nach dem Zweiten Weltkrieg eine demokratische Armee aufbauen mußten und wir den Ost-West-Gegensatz hatten. Heute würde ich allerdings fragen, ob wir sie in der Zukunft noch brauchen. Das hängt ab von den Aufgaben, die die Bundeswehr zu leisten hat, aber meine Beobachtung ist, daß die jungen Männer, die ihrer Wehrpflicht nachgekommen sind oder ihren Zivildienst geleistet haben, eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft geleistet haben, und deswegen würde ich die Wehrpflicht nicht gern aufgeben wollen.

Gerster
Vielen Dank. Bitte, Herr Gertz.

Gertz
Ich neige zu der Auffassung, daß eine Gesellschaft, die die unangenehme Aufgabe der Landesverteidigung auf einige wenige delegiert, in der Tat einen schwerwiegenden Fehler begeht. Ich glaube, daß es tatsächlich nicht nur im staatspolitischen Interesse liegt, die Staatsbürger an der Verteidigung ihres Landes zu beteiligen. Es ist auch an sich sinnvoll, jungen Menschen deutlich zu machen, daß das Leben in einer Gesellschaft, daß das Leben in einem Staat in der Tat auch mit Pflichten verbunden ist. Und dazu gehört für mich die Wehrpflicht. Ich würde nicht soweit gehen wie Frau Marienfeld und von einer "Generation von Egoisten" sprechen. Ich meine allerdings, daß unser Bildungssystem ein wenig die Tendenz zum Weg des geringsten Widerstandes begünstigt. Dieser Weg mag in der Vergangenheit von denen gegangen worden sein, die sich gescheut haben, vor einer Prüfungskammer für Kriegsdienstverweigerer die Gründe darzulegen, weshalb sie den Kriegsdienst mit der Waffe nicht leisten wollen. Heute glaube ich, daß den Weg des geringsten Widerstandes eher die gehen, die die Postkarte abschicken und die unangenehmen Rahmenbedingungen des Wehrdienstes nicht auf sich nehmen wollen.

Gerster
Vielen Dank. Herr Finckh, bitte.

Finckh
Von mir werden Sie nicht erwarten, daß ich die Wehrpflicht verteidige. Ich gehe davon aus, daß die Normalität des Grundgesetzes und unseres freiheitlichen Staates die ist, daß Zwangsdienste verboten sind. Das ist in Artikel 12 Grundgesetz sehr klar gesagt. Die Möglichkeit, eine Wehrpflicht durch Gesetz einzuführen, bedarf der besonderen Begründung. Die Begründung war vor 40 Jahren die angenommene Bedrohung aus dem Osten, und diese Begründung besteht so heute nicht mehr. Erster Grund, warum ich meine, daß die Wehrpflicht weg muß. Zweiter Grund: Das Normale in einer modernen Industriegesellschaft ist, daß man von Leuten nicht Naturalleistungen erwartet, sondern daß Dienste, Leistungen, die für die Allgemeinheit nötig sind, über Bezahlung geregelt werden, über freiwilliges Engagement, über entsprechende Vergütung und Belohnung dafür. Ich meine, es ist längst fällig, daß wir entsprechend bei uns umorganisieren. Das Dritte: Die Wehrpflicht ist nur tragbar als allgemeine Wehrpflicht, aber davon kann keine Rede mehr sein. Wir haben im Grunde in jedem Jahrgang etwa eine Drittelung. Diejenigen, die wirklich als Grundwehrdienstleistende den vollen Grundwehrdienst leisten, sind etwa ein Drittel des Jahrgangs. Die, die Ersatzdienste leisten, vor allem Zivildienst, aber auch Dienst als freiwilliger Helfer im Katastrophenschutz, und einige Tausend in anderen Diensten, das ist das zweite Drittel. Und das dritte Drittel, das müßte man unterteilen. Da sind die Leute, die normal bezahlt tätig sind - Polizisten, Bundesgrenzschutz, Zeitsoldaten, Berufssoldaten, unabkömmlich Gestellte in anderen wichtigen Berufen (Feuerwehr z.B.) -, und es gibt jene, die untauglich sind oder aus irgendwelchen Gründen vom Dienst ausgenommen sind (Theologen, Abgeordnete z.B.). Also wenn man von allgemeiner Wehrpflicht redet, dann betrifft das nur noch etwas mehr als ein Drittel der jungen Männer eines Jahrgangs. Böse gesagt, um näher zu unserem Thema zu kommen, de facto haben wir eine Art allgemeine Dienstpflicht für Männer unter dem Rechtstitel der Wehrpflicht.

Gerster
Danke. Herr Feldmeyer.

Feldmeyer
Herr Finckh, Sie haben lange dafür gekämpft, daß die Verhältnisse so geworden sind, wie sie jetzt sind, daß die Wehrpflicht möglichst wenig praktiziert wird, und nachdem die Wehrpflichtigen, die dienen, in der Minderheit sind, triumphieren Sie und sagen, das führt die Wehrpflicht ad absurdum. Aber dennoch, Ihre Argumente haben vieles für sich. Sie werden nicht erwarten, daß ich Ihnen deshalb in der Schlußfolgerung zustimme. Ich würde das Pferd gerne vom Kopf und nicht vom Schwanz her aufzäumen, und ich meine damit, die Fragestellung "Ist die Wehrpflicht ein Selbstzweck?" ist eigentlich die Verkehrung dessen, worum es geht. Aus meiner Sicht heißt die eigentliche Fragestellung: Willst Du ein Staatswesen, das so ausgestattet ist, daß alle seine Bürger es für verteidigungswert halten? Das ist die eigentliche Fragestellung. Und weil ich dies für ein Ideal halte, mit dem ich mich identifiziere, komme ich dann auch zu dem Umkehrschluß: Wenn ich einen Staat will, der für alle ein so großes Gut ist, ein so positiv besetztes Gut, daß sie ihn alle für verteidigungswert halten, dann sollten ihn auch alle verteidigen. Ja, ich halte die Wehrpflicht für einen Wert in sich, weil ich den Staat, den die Wehrpflicht im Idealfall voraussetzt, für ein Ideal halte.

Gerster
Ich würde gern als zweite Frage formulieren: Welche Voraussetzungen bestehen für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht? Damit sind auch ganz technokratische Fragen gemeint: Personenzahl derer, die noch bereit sein müssen, den Wehrdienst abzuleisten, Größe der Bundeswehr, natürlich auch die Frage der Einsatzarten der Bundeswehr, etwa zwischen der echten Landesverteidigung und dem, was eben nun zusätzlich und in verstärktem Maße an Krisenreaktionskräften aufgebaut wird mit mehr oder weniger Landesverteidigungsbezügen.

Herr Feldmeyer, darf ich bei Ihnen anfangen? Sonst haben wir immer dieselbe Reihenfolge.

Feldmeyer
Die Wehrpflicht als eine verbindliche Pflicht für alle Staatsbürger existiert heute nur noch juristisch, aber niemand, der ehrlich ist und nicht heuchelt, zweckgebunden heuchelt, ist bereit zu sagen, daß dieser Staat seine Wehrpflicht ernstnimmt. Es ist eben so, und man kann das sogar belegen, daß der Staat sich in einem augenzwinkernden Einverständnis mit denen befindet, die die Wehrpflicht nicht erfüllen wollen. Er hat dafür die Voraussetzungen geschaffen, die Voraussetzungen für eine tatsächliche freie Wahl, und wir sind in der Frage der öffentlichen Akzeptanz und des öffentlichen Klimas an einem Punkt angelangt, wo selbst jemand wie ich, der die Wehrpflicht vom Prinzip her ohne Abstriche bejaht, sich schwer tut, seinem Sohn zu sagen "Erfülle deine Wehrpflicht", weil ich den Eindruck habe, diejenigen, die sie erfüllen, werden für dumm verkauft, werden benachteiligt, werden eigentlich mit intellektueller Geringschätzung behandelt.

Derjenige, der die Wehrpflicht erfüllt, ist sich darüber im klaren, daß er im Prinzip sein Leben zu riskieren bereit ist für das Gemeinwohl. Derjenige, der - aus welchen Gründen auch immer - der Wehrpflicht nicht nachkommt, verweigert dies. Ein Staat, der zu der Ansicht gelangt, daß beide Haltungen als moralisch gleichwertig zu beurteilen sind, mißachtet oder schätzt die Bereitschaft, das eigene Leben für das Gemeinwohl zu wagen, gering, wie ich finde, zu gering. Ich empfinde das sogar als eine skandalöse Geringschätzung.

Gerster
Herr Finckh, bitte.

Finckh
Ich kann natürlich nichts zu den Details, wie das in der Bundeswehr sein muß, sagen, aber ich möchte doch zwei Punkte sagen: 1. Wenn nicht jedes Jahr 120.000 verweigern würden, müßten wir die Wehrpflicht abschaffen wegen Wehrungerechtigkeit, schlicht und einfach. Das Verfassungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine allgemeine Wehrpflicht eine Wehrgerechtigkeit voraussetzt, und wenn 120.000 Leute nicht gezogen würden, hätten wir keine Wehrgerechtigkeit, könnten auch keine herstellen. 2. Ich war selber noch Soldat, Luftwaffenhelfer, im Arbeitsdienst, auch eine zeitlang im Partisanengebiet, war da noch Soldat, und ich habe die Zeit davor, als ich als Junge im Luftschutzkeller saß und in der Schule Luftschutzwache gemacht habe, als sehr viel schlimmer empfunden als die Zeit, als ich Soldat war. Und ich wehre mich dagegen, daß man sagt, der, der kranken und behinderten Menschen hilft, der entzieht sich dem, daß ein Soldat im Kriege sein Leben riskieren muß. Im modernen Krieg ist meistens der Bereich der Zivilisten sehr viel schlimmer, weil schutzloser und weniger vorbereitet gegenüber dem, was da geschieht. Ich erlebe auch, daß diejenigen, die zu mir kommen, um sich beraten zu lassen, sehr viel mehr danach fragen, wie man sich dem entziehen kann, daß man andere töten soll und nicht danach fragen, wie sie mehr Sicherheit für sich selbst bekommen können.

Einer meiner Söhne hat Zivildienst im Altenpflegeheim gemacht, und nach wenigen Monaten hatte er ständig Kreuzschmerzen, obwohl er wirklich kräftig und sportlich ist. Als ich dann gefragt habe, hat er mir gesagt "Das haben doch alle hier". Wir sollten das also nicht so leichtnehmen, was das für Tätigkeiten sind, die die Zivildienstleistenden machen. Übrigens erfüllen die Zivildienstleistenden mit dem Zivildienst ihre Wehrpflicht, das ist ein erhebliches Problem für die, die jeden Dienst ablehnen, da gibt's einige.

Gerster
Herr Gertz. Welche Voraussetzungen braucht die Wehrpflicht?

Gertz
Die Frage ist schwer zu beantworten, weil es sehr stark von den Prämissen abhängt, die gesetzt werden. Wenn wir uns mal lösen von der Bundeswehr, so wie sie derzeit ist und wie sie jetzt gerade umgebaut wird, müßte man sagen, Wehrpflicht muß Sinn machen im Sinne des Auftrages der Streitkräfte. Das ist übrigens ein Punkt, an dem wir auch gegen Grenzen stoßen mit einer Verkürzung auf 10 Monate. Und wenn wir allgemeine Wehrpflicht sehen als einen Beitrag zur Erhaltung der staatlichen Integrität, und wenn wir den Auftrag von Streitkräften, jedenfalls den Verteidigungsauftrag, so definieren, daß Streitkräfte vorgehalten werden, um die staatliche Integrität vor Pressionen von außen zu sichern (nicht notwendig nur mit der Waffe, sondern auch durch ihre Anwesenheit), dann muß in der Tat der Dienst, den Wehrpflichtige in der Armee machen, Sinn haben. In unseren Hauptverteidigungskräften wird die Ausbildung im wesentlichen auf Zugebene stattfinden. In der Planungsweisung des Generalinspekteurs aus dem letzten Jahr steht wörtlich, daß gegen Ende des militärischen Grundwehrdienstes der geschlossene Einsatz auf der Ebene Kompanie/Batterie/Staffel erlebbar sein soll. Ich bezweifele, daß diese Konstruktion des Grundwehrdienstes dazu geeignet ist, jungen Menschen, die bereit sind, ihren Dienst gegenüber dem Staat abzuleisten, dann auch tatsächlich den Sinn dieses Dienstes zu vermitteln.

Zweiter Punkt: Ich glaube, sowohl unsere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung als auch unsere Parlamentarier haben in der Vergangenheit einen falschen Weg eingeschlagen, indem sie Wehrdienstleistende und Zivilersatzdienstleistende um jeden Preis gleich behandeln wollen. Genausowenig, wie man Äpfel mit Birnen vergleichen kann, kann man den Dienst in Streitkräften und den Dienst in Einrichtungen, in denen Zivilersatzdienstleistende ihren Dienst leisten, miteinander vergleichen. Weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen und auch die Pflichtenbindungen nicht übereinstimmen, kann man nicht meinen, man müsse die Dauer des Dienstes, die finanzielle Abgeltung des Dienstes und alles andere ebenfalls gleichmachen. Der Weg, den man einzuschlagen versucht mit der lästigen Alternative, hat nicht geklappt, das sehen wir alle. Ich will das Beispiel aus Frankreich mal kurz anführen: 10 Monate Wehrdienst, 20 Monate ziviler Ersatzdienst, 7% Verweigerungsrate, die Verhältnisse bei uns kennen Sie.

Damit habe ich auch den 3. Punkt schon angesprochen. Wer glaubt, jungen Menschen den Sinn ihres Dienstes in den Streitkräften vermitteln zu können bei den Rahmenbedingungen, die die Bundesrepublik Deutschland ihnen zu bieten bereit ist, der befindet sich auf dem Holzweg. Ein Staat, der nur noch bereit ist, knapp 1,5% seines Bruttosozialprodukts zur Verteidigung aufzubieten - die Franzosen haben 3,1%, auch ohne die "force de frappe" - und dann ausgerechnet bei den Grundwehrdienstleistenden spart, indem man ihnen - übrigens auch bei den Zivildienstleistenden - die Wehrsolderhöhung vorenthält, damit er auf dem Weg einer Umwegfinanzierung irgendwelche Zulagen machen kann, ein solches Parlament und eine solche Regierung haben offensichtlich nicht begriffen, daß die Rahmenbedingungen entscheidend verbessert werden müssen, wenn man die Akzeptanz für den Wehrdienst erhöhen will.

Gerster
Brigitte Schulte, bitte.

Schulte
Ein bißchen bin ich schon verwundert, weil mit der Realität vieles hier nichts zu tun hat. Das muß ich auch meinem Freund Karl Feldmeyer sagen. Wir sind heute sehr froh darüber, wenn junge Menschen ihren Wehrdienst oder ihren Zivildienst leisten, wir Wahlkreisabgeordneten. Ich kenne meinem Wahlkreis sehr gut, und wir beobachten folgendes: Die jungen Menschen, die bereit sind, Zivildienst oder Wehrdienst zu leisten, respektieren sich unter sich, weil sie ihre Aufgabe wahrnehmen. Aber wir haben eine große Schicht von Leuten, die gar nichts machen. Es wundert mich sehr, Herr Gertz, daß Sie hier nicht erwähnen, daß es gerade die Schichten sind, die normalerweise nicht an erster Stelle die Sozialdemokratie wählen, die zu mir sagen, "Aber liebe Frau Schulte, warum soll mein Sohn denn Wehrdienst machen, der geht dafür lieber ein Jahr nach Amerika zum Studium". Es gehen die Kinder der Normalbürger, und wenn sie was gegen den Wehrdienst haben, sagen ihnen die Eltern, daß sie Zivildienst machen sollen. Und wir haben nämlich für die Zivildienstplätze gerade genügend junge Leute, die bereit sind, zu kommen. Aber wir haben eine unheimlich geschickte Gruppe von Leuten, die sagt, ich mach' doch gar nichts.

Hinzu kommt, daß die Kreiswehrersatzämter und die Hardthöhe einen großen Fehler machen. Es werden nämlich Leute nicht in dem Moment eingezogen, wenn sie ihr Abitur oder ihre Berufsausbildung fertig haben. Statt die jungen Leute einzuberufen, werden die 23- und 24jährigen geholt. Aber es muß doch die erste Aufgabe sein, daß die jungen Leute früh gezogen werden und daß das organisiert wird. Wir haben im Bundeshaushalt 1996 ganze 135.000 Plätze für Grundwehrdienstleistende veranschlagt. Diese 135.000 bekommen wir spielend zusammen, wenn der Konsens in der Gesellschaft darin besteht, daß es auch zu den Pflichten gehört, Zivildienst zu leisten, denn die Zivildienstleistenden werden fast alle gezogen, weil wir ja froh sind, in den ganzen sozialen Einrichtungen die Leute zu haben. Ich habe kein Verständnis, daß der Bundeswehr-Verband hier einen Unterschied macht. Wir müssen es schaffen, einen Konsens in der Politik hinzubekommen, daß die jungen Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden höher zu respektieren sind als die, die sich drücken.

Ich möchte dem jungen Wehrpflichtigen und dem jungen Zivildienstleistenden wenigstens soviel Geld geben, wie er als Auszubildender im 1. Jahr, wenn er zu einer öffentlichen Verwaltung geht, an Geld bekommt. Wenn er das bekäme, wäre das Ganze ein bißchen fairer. Und was die Gestaltung des Wehrdienstes betrifft, da sind die Militärs und nicht die Politiker gefragt. Wir haben in der Politik und auch in den Medien, Herr Feldmeyer, dafür zu sorgen, daß nicht der als Dummkopf dargestellt wird, der seine Wehrpflicht oder seinen Zivildienst leistet. Und wir haben dafür zu sorgen, daß gerade die Kinder gutbürgerlicher Elternhäuser wieder begreifen, daß es für sie auch zumutbar ist, den Wehrdienst zu leisten.

Gerster
Herr Feldmeyer möchte reagieren.

Feldmeyer
Liebe Frau Schulte, ich will mir den Schuh, daß die Journalisten die Wehrdienstleistenden nicht als die Dummen hinstellen sollen, nicht anziehen. Dazu habe ich keinen Anlaß. Aber ein bißchen hatte ich eben den Eindruck, Sie reagieren nach dem Motto "Haltet den Dieb". Die Journalisten tragen sicherlich zur öffentlichen Meinungs- und Bewußtseinsbildung bei, und wir geben uns da auch Mühe, jeder nach seiner eigenen Überzeugung. Aber die Politiker, Frau Schulte, sind dafür verantwortlich, daß die Gesetze und die Normen greifen und stattfinden, die die Wertigkeit des Wehrdienstes, der Wehrpflicht, wenn man sie denn will, auch für jeden erlebbar machen, das können nicht die Journalisten.

Und noch eins möchte ich doch anmerken. Sie sprechen immer von den Wehrdienstleistenden und von den Zivildienstleistenden. Ich äußere mich doch nicht abfällig oder geringschätzig über die Zivildienstleistenden, wenn ich dieses besondere Wesensmerkmal des Wehrdienstes herausstelle. Im Gegenteil, ich habe junge Freunde unter den Zivildienstleistenden, ich habe einen völlig unkomplizierten Umgang mit ihnen, ich schätze sie nicht gering, ich schätze auch ihren Dienst nicht gering. Ich möchte Sie bitten, auf die Frage einzugehen: Hat jemand, der für die Gemeinschaft sein Leben einzusetzen bereit ist, weil die Gemeinschaft ihm das zur Pflicht macht, eine besondere Wertschätzung von der Gemeinschaft zu erwarten oder hat er sie nicht? Und wenn wir der Ansicht sind, daß er das nicht hat, dann schaffen wir die Wehrpflicht ab. Darüber kann man ja reden. Man kann die Wehrpflicht auch aus anderen Gründen abschaffen. Beispielsweise wenn sich eine technische oder sonstige Entwicklung ergibt, die die Erfüllung der Wehrpflicht unsinnig macht. Einfach, weil keine Funktion mehr bleibt, die von den Wehrpflichtigen sinnvoll erfüllt werden kann. Dann kann man die Wehrpflicht auch abschaffen. Man kann also nicht nur wertebezogen, sondern man muß auch funktional und praktisch argumentieren. Aber ich kann mich nicht immer an diesem unangenehmen Punkt vorbeidrücken.

Gerster
Herr Gertz und Frau Schulte.

Gertz
Eine ganz kurze Replik. Ich habe nicht gefordert, die Zivildienstleistenden schlechterzustellen, liebe Frau Schulte, sondern ich habe gefordert, die Rahmenbedingungen des Wehrdienstes zu verbessern, nicht den Weg, der gescheitert ist, der lästigen Alternative, fortzugehen, sondern in der Tat diejenigen besonderen Belastungen, die wehrdiensttypisch sind, besonders auszugleichen. Und daraus ergibt sich für mich, daß jedenfalls, weil unterschiedliche Belastungen vorliegen, auch unterschiedliche Rahmenbedingungen herrschen, und das ist nicht die Forderung nach Schlechterstellung von Ersatzdienstleistenden.

Schulte
Vielleicht sind wir ja gerade bei der Stunde der Mißverständnisse, denn mir ist aufgefallen, daß Sie die dritte Gruppe, die sich erfolgreich in dieser Gesellschaft um beide Aufgaben drückt, und die immer größer wird, nicht angesprochen haben.

Gerster
Herr Finckh, welche Alternativen gibt es zur Wehrpflicht, braucht es überhaupt Alternativen aus Ihrer Sicht, wäre die schlichte Abschaffung ein gangbarer Weg, oder welche Alternativen sehen Sie?

Finckh
Also, die alte Forderung der Pazifisten ist natürlich, daß gewaltsame Konfliktaustragung abgelöst wird durch rechtliche Möglichkeiten. Die Vereinten Nationen sind geschaffen worden, um Konflikte zu vermeiden und zu verhindern. Das ist das, was eigentlich das Ziel pazifistischer Politik ist. Und wenn Sie sich erinnern an die Worte von Carl Friedrich von Weizsäcker, daß wir im Grunde so eine Situation haben, wo die einen noch überlegen, wie man im alten Stil sein Land sichert, und die anderen überlegen, wie man schon in dem Stil leben kann, daß es auf eine Weltinnenpolitik, wie er gesagt hat, zugeht, dann zeigt das schon, daß wir an sich an einer Stelle sind, wo so etwas geschehen muß. Es gibt viele Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktaustragung. Es gibt viele Möglichkeiten gewaltlosen Widerstandes. Die Frage, wie man das durchsetzen kann, ist eine politische Frage. Aber für Kriegsdienstverweigerer, und in dem Fall zähle ich mich dazu, obwohl ich ja selber als Pfarrer nie verweigern konnte, ist die Frage: "Wie können wir Politik so gestalten, daß das anders wird?" Und die Schwierigkeit ist, daß wir immer erst gefragt werden, wenn eine Situation entstanden ist, die einfach zur Gewalt geführt hat. Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens hat ja auch etwas damit zu tun gehabt, daß verschiedene Staaten den verschiedenen Teilen Jugoslawiens Zusagen und Hoffnungen gemacht haben, und es ist nicht vom Himmel gefallen. Meine Schwägerin war längere Zeit als Leiterin eines Goethe-Instituts dort unten, die hat immer damit gerechnet, daß es dort die größten Konflikte gibt, und Kriegsdienstverweigerer und Friedensleute, die etwas wußten von der Situation, haben sehr geraten, die multikulturellen Gruppen zu stärken über Propaganda, über Beeinflussung dort hineinzuwirken. Aber wir werden erst dann gefragt, wenn man die Sache hat falsch laufen lassen und dann sagt, jetzt geht's doch nur noch mit Gewalt. Vor allem, es weiß auch noch keiner, was aus dieser Gewalt werden soll, ob das nicht endet wie in Somalia. Wer auf die Gewalt setzt, hat damit keine Garantie, daß er damit eine Lösung findet. Wir müssen alles tun, was wir können, um solche Institutionen wie die UNO zu stärken und Auseinandersetzungen auf den Weg des Rechtes und nicht der Gewalt zu verweisen.

Gerster
Herr Feldmeyer, welche Alternativen sehen Sie zur Wehrpflicht und damit auch zur Wehrpflichtarmee?

Feldmeyer
Die Frage stellt sich in zweifacher Weise. Erstens mal von der Funktion her, was die Wehrpflicht Bundeswehr heute leistet, und die Frage stellt sich schon sozusagen vom Wertebezug her. Ich sehe eigentlich keine Notwendigkeit, eine Alternative für die Wehrpflichtarmee zu konzipieren, weil die Wehrpflicht in Deutschland eine demokratische Tradition hat, weil sie vom demokratischen Ansatz der Französischen Revolution her auf Deutschland hin übernommen worden ist. Wenn die Wehrpflicht vom Staat und seinen Trägern auch nach außen hin glaubwürdig praktiziert wird und mit der Wertschätzung versehen wird, die erlebbar ist und ihren Rang plausibel macht, dann besteht überhaupt keine Notwendigkeit, die Wehrpflichtarmee zu ersetzen, sondern dann kann sie endlich stattfinden und dieser Zustand aufhören, auf den Herr Finckh eben hingewiesen hat, daß nämlich praktisch nur noch ein Drittel der Wehrpflichtigen tatsächlich in der Bundewehr dient. Ich gebe zu, daß man sich dann bei einer Änderung dieser Situation die Frage der Wehrgerechtigkeit neu stellt und sie stellen würde, daß man da dann etwas tun müßte. Das sind aber sozusagen dann nachgeordnete Fragen. Ich halte nichts davon, jetzt über Alternativen zu reden, weil ich den starken Eindruck oder den sehr bestimmten Verdacht habe, daß das Reden von Alternativen im Grunde nur dazu dient, eine Nebelwand für den Rückzug aus der Wehrpflicht zu legen.

Gerster
Herr Gertz, der Bundeswehr-Verband vertritt überwiegend länger dienende Soldaten oder ehemalige länger dienende Soldaten. Wäre der Bundeswehr-Verband auch ebensogut eine Interessenvertretung in einer Berufsarmee oder einer Freiwilligenarmee? Das könnten ja auch Freiwillige sein, die sich für zwei Jahre verpflichten, zum Beispiel, es müssen ja nicht immer nur Berufs- oder langfristige Zeitsoldaten sein. Wie sehr ist der Bundeswehr-Verband in seinem Selbstverständnis an die Wehrpflichtarmee gebunden?

Gertz
Wir bekennen uns nicht nur verbal zur Wehrpflichtarmee, sondern wir haben immer zwischen 35.000 und 50.000 Wehrpflichtige unter unseren Mitgliedern, das ist eine nicht ganz kleine Gruppe. Das ist zwar von den im Dienst befindlichen Wehrpflichtigen nur ein Teil, aber es ist dennoch ein beträchtlicher Teil, und deswegen vertreten wir natürlich auch deren Interessen. Wir vertreten sie gern, weil wir der Meinung sind, daß dieser Dienst gegenüber der Gesellschaft wichtig ist, auch für den Erhalt der staatlichen Ordnung. Und deswegen ist für uns die Berufsarmee oder auch die Freiwilligenarmee keine gangbare Alternative. Wir haben wirklich die Sorge, daß, sollte eine Berufsarmee gebildet werden, die gesamte Gesellschaft dazu neigen wird, und da schließe ich das Parlament mit ein, diese unangenehmen Aufgaben Landesverteidigung, Bündnisverteidigung, Blauhelm-Einsätze, friedenserzwingende Maßnahmen und ähnliches mehr auf ein paar Profis zu delegieren, die man ja schließlich dafür eingekauft hat, ihren Kopf hinzuhalten. Und damit wird man der Sache bei weitem nicht gerecht, denn der Soldat der Bundesrepublik Deutschland schwört, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen, und zwar tapfer, unter Einsatz seines Lebens. Und da ist es ein absolut unbilliger Weg zu meinen, etwas, was ärgerlich ist, was unangenehm ist und was man den eigenen Söhnen nicht mehr zumuten kann, das delegiert man auf ein paar, die man eigens dafür eingekauft hat. Das ist eigentlich so das Gastarbeitersystem, und wenn man's wirklich mal auf den Punkt bringen will, dann kann man sagen, dann unterscheidet uns eigentlich nicht mehr sehr viel von der Fremdenlegion. Und das ist für uns kein erstrebenswerter Zustand. Genausowenig ist die Freiwilligenarmee ein Ersatz. Wir glauben, daß die Armee auch die Herausforderung braucht, mit jungen Menschen umzugehen, die den Ausbildern, den Vorgesetzten in der Armee die Gelegenheit geben, teilzunehmen an der Entwicklung, wie in der übrigen Gesellschaft die Werte sich verändert haben oder wie das Verständnis von Werten sich verändert hat. Wenn wir das nicht haben in der Armee, dann neigen wir ein bißchen dazu, uns auf einer Insel der Seligen zu sehen, und die könnte sich unversehens relativ weitab von der Gesellschaft befinden. Das bedeutet nicht, daß ich diesen alten Schmus vom "Staat im Staate" hier wiederbeleben möchte. Ich habe genügend Vertrauen in meine Kameraden in Uniform, daß ich nicht glaube, daß an dem Tage, wo wir eine Berufsarmee wären, jeder seine demokratische Einstellung am Garderobenhaken abhängt. Das wird sicherlich nicht der Fall sein. Aber die Neigung, daß die Gesellschaft ihre Brücken zur Armee abbricht, diese Neigung halte ich für sehr gefährlich. Und deswegen würde ich diesen Weg nicht mitgehen wollen.

Gerster
Danke. Brigitte Schulte, gibt es eine Alternative zu der Wehrpflichtarmee?

Schulte
Natürlich gibt es die. Es gibt die Frage, ob wir in den nächsten Jahren das Bündnis aufrechterhalten und ob dieses Bündnis sich gemeinsam darauf verständigt, die Sicherheit gemeinsam zu organisieren, womit ich nicht eine europäische Streitmacht meine. Das halte ich für schwärmerisch. Aber wenn wir zusammen mit unseren Nachbarstaaten, und da ist Frankreich natürlich ein ganz wichtiges Element, aber z.B. auch die Holländer, und wenn ich mit anderen zusammen darüber diskutiere, dann kann ich sagen, ich möchte Streitkräfte in Europa und im Nordatlantischen Bündnis, die bestimmte Aufgaben wahrnehmen. Und ich habe eigentlich soviel Vertrauen, daß wir uns darauf verständigen müssen. Ich habe überhaupt nichts dafür übrig, auch nicht in der eigenen Partei, daß wir immer eigene Pläne machen, ohne die anderen zu befragen, d.h. Deutschland muß seinen Anteil, gemessen an seiner Einwohnerzahl und gemessen an seinem Bruttosozialprodukt, selbstverständlich leisten. Wir tun es übrigens auch jetzt, indem wir nämlich mehr anteilmäßig für Europa zahlen, als wir nach unserer Wirtschaftskraft tun müßten, gerade mit dem Hinweis, daß England und Frankreich einen größeren Anteil zur gemeinsamen Sicherheit tragen. Aber ich kann mir vorstellen, daß wir in eine Situation kommen, wo wir die Wehrpflicht aussetzen, weil die Gefährdungen des eigenen Territoriums nicht gegeben sind. Ich kann mir das allerdings nur vorstellen, wenn wir es wirklich mit unseren Nachbarn gemeinsam machen, und wenn wir uns auch genau überlegen, welche Aufgabenteilung wir vornehmen. Ich persönlich habe eine große Sympathie für das Aufrechterhalten der Wehrpflicht. Im Grunde ist es inzwischen ja auch eine Art Freiwilligkeit, wenn nur ein Drittel geht und die anderen nicht gebraucht werden. Wir wollen ja mal ehrlich miteinander umgehen, wir könnten die anderen ja gar nicht unterbringen bei der Größenordnung jetzt. Daß wir da natürlich auch dann darüber nachdenken sollten, lieber allen jungen Menschen das anzubieten und es attraktiv zu machen mit der Wehrpflicht, so daß wir einen guten qualitativen Durchschnitt bekommen. Aber es gibt Alternativen, und vielleicht treffen wir uns in fünf Jahren wieder und stellen fest, auch Deutschland hat seine Wehrpflicht ausgesetzt. Das weiß von uns in dieser Runde, meine Damen und Herren, keiner. Wer behauptet, er wüßte das, den halte ich für einen ziemlichen Utopisten. Wer hätte gewußt vor fünf Jahren, was uns heute alles bevorsteht. Also das ist eine Frage, daß das Bündnis erhalten bleibt, daß Rußland stabil bleibt, spielt auch eine wichtige Rolle, daß wir unsere Aufgaben in der Bevölkerungsentwicklung in Afrika ernstnehmen und nicht nur immer so ein paar Trostpflästerchen da verbreiten, ich glaube, das sind so Dinge, die wir damit in Verbindung bringen müssen.

Gerster
Meine Damen und Herren, eine letzte Frage ans Podium, und dann wollen wir allgemein und miteinander diskutieren. Die Überschrift für heute lautet: "Allgemeine Dienstpflicht - Alternative zur Berufsarmee?". Diese Frage möchte ich gerne ans Podium stellen und in den Fällen, wo die Teilnehmer am Podium sagen "Nein, das ist keine Alternative zur Wehrpflichtarmee oder zur Wehrpflicht bzw. es scheidet aus als realistisches Modell" wäre ich dankbar, wenn noch mal ganz konkret dann nächste Schritte vorgeschlagen werden, die gegangen werden müssen. Herr Feldmeyer, wären Sie bereit, diese Frage zu beantworten?

Feldmeyer
"Allgemeine Dienstpflicht" möchte ich erstmal definieren als ein Wahlrecht. So wie Sie es eben gesagt haben, lehne ich es ab. Herr Gerster, wem wollen Sie eigentlich zumuten, sich frei zu entscheiden zwischen einem anstrengenden, vielleicht auch unangenehmen Dienst in einer Pflegestation z.B. und dem Risiko, auf dem Schlachtfeld zerfetzt zu werden, also sein Leben zu riskieren? Das kann man nicht machen. Dieses Angebot leugnet den großen Ernst, den die Wehrpflicht beinhaltet. Sie müssen jemand, dem Sie das abverlangen, sagen, dies ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, daß deine Familie, daß deine Stadt, daß dein Land überlebt, daß du Kinder hast und daß du eine Zukunft hast. Und wenn Sie das nicht glaubwürdig und plausibel machen können, dann begeben Sie sich in eine sehr, sehr dramatische Situation, auch in eine moralisch dramatische Situation. Da komme ich nicht mit, und da bin ich auch nicht bereit, mitzugehen. Wenn Sie aber Dienstpflicht so definieren, daß Sie sagen, ich brauche nur die Zahl X Wehrpflichtige; diejenigen, die die Wehrpflicht leisten, gehen eine besondere Verpflichtung ein, erbringen eine besondere Leistung für das Gemeinwohl; es kann nicht sein, daß die anderen, die wir nicht brauchen, leer ausgehen und wir, d.h. der Staat, entscheidet, daß diejenigen, die nicht in der Armee gebraucht werden, in anderen Teilen der Gesellschaft sich so nützlich machen, wie es eben vereinbar und zumutbar ist, dann ist das etwas ganz anderes. Nur das ist doch gar nicht das Thema. Wir sind doch nicht in einer mentalen Situation, wo die Politik bereit wäre, dem Staatsbürger zusätzliche Lasten aufzubürden, weil er das für sittlich und sachlich geboten hält, sondern wir diskutieren dieses Thema doch nur aus einem einzigen Grund: Wie kommen wir mit Anstand von der Wehrpflicht runter? So, daß wir nicht das Gesicht verlieren, und zwar das Gesicht als Politiker verlieren. Das sind Nebelwände, und da mach' ich nicht mit.

Gerster
Herr Finckh, wenn ich vorhin bei Ihnen richtig zugehört habe, dann haben Sie diese Frage, die ich eben gestellt habe, eigentlich schon beantwortet. Sie haben nämlich gesagt, wir haben de facto eine Dienstpflicht auf der Grundlage der Wehrpflicht, die eben die Alternativen recht weit ausgebaut hat. Ist das sozusagen der Status quo, oder schlagen Sie andere realistische Schritte vor, um den allgemein unbefriedigenden Zustand zu überwinden?

Finckh
Hier bin ich weitgehend mit Herrn Feldmeyer einig. Die derzeitige Situation, daß wir de facto eine Dienstpflicht für junge Männer unter dem Rechtstitel der Wehrpflicht haben, ist sicher weder vom Grundgesetz gemeint noch angemessen. Ich halte sie schon für verfassungswidrig. Ich würde noch die Bedenken von Herrn Feldmeyer gegen eine beliebige Wahlmöglichkeit dahingehend verstärken, daß die Untersuchungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr ergeben haben, daß bei rechtsradikalen Jugendlichen durchaus Bereitschaft zum Militärdienst ist, und zwar so ein bißchen Abenteuer, Rambo und so, aber übrigens nicht zu Auslandseinsätzen. Auf der anderen Seite besteht bei liberalen und linkeren Jugendlichen eben Abneigung dazu, d.h. wenn Sie da beliebig freistellen würden, würden Sie eine ganz schlechte Auswahl für die Armee kriegen. Ich meine, wenn man überhaupt Schritte machen will, wieder zu richtigen Verhältnissen zu kommen, die auch verfassungskonform sind, dann müßten wir eine Freiwilligenarmee haben, die aber so gestellt ist, daß man aussuchen kann, daß man nur die Leute nimmt, die man wirklich haben will, daß man für die angemessen sorgt, daß man das auch demokratisch kontrolliert. Ich denke wie Herr Gertz, daß wir nicht Angst haben müssen vor einem Rechtsrutsch, wenn die Bedingungen so sind, daß man da auch zumutbar Leute für anwerben kann. Aber das ist nicht mehr mein Thema.

Gerster
Herr Gertz, bitte.

Gertz
Ich möchte versuchen, mich der Antwort zu nähern, indem ich den Gedanken zu Ende denke, der hier mehrfach angeklungen ist. Was passiert eigentlich, wenn keiner mehr verweigert? Dann muß Volker Rühe den Offenbarungseid schwören, weil er die wehrfähigen jungen Männer eines Geburtsjahrgangs beim besten Willen nicht mehr unterbringen kann. Und wenn man sich das vor Augen hält, dann muß man sich fragen, ob das System auf Dauer noch lebensfähig ist. Und da ist natürlich die allgemeine Dienstpflicht in der Tat eine verlockende Alternative, die allerdings eine ganze Reihe von hohen Hürden hat, von denen ich fürchte, daß sie nicht übersprungen werden. Erste Hürde ist, Pastor Finckh hat es vorhin schon erwähnt, das Grundgesetz verbietet Zwangsdienste und läßt diesen einen "Zwangsdienst", das berühmte Regel-Ausnahme-Verhältnis, Wehrdienst nur zu, weil das Grundgesetz sagt, hier muß ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut geschützt werden, nämlich die staatliche Integrität. Und andere wichtige Gemeinschaftsgüter, wie Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, Katastrophenschutz, Altenpflege, können verfassungsrechtlich nicht ohne weiteres so bewertet werden, daß sie genauso überragend wichtig sind wie dieses Gemeinschaftsgut Landesverteidigung.

Eher - ich habe mich darüber mit der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts vor einiger Zeit unterhalten -, eher muß man fürchten, daß die allgemeine Dienstpflicht, wenn der Gesetzgeber sie einführte, an der Tatsache scheitert, daß das Grundgesetz den Staat und damit auch den Gesetzgeber verpflichtet, jeweils den geringstmöglichen Eingriff zu wählen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Bürger zur Erfüllung staatlicher Aufgaben nur mit dem zu belasten, was unabdingbar ist. Das ist zur Durchführung von Gesundheitsvorsorge, Katastrophenschutz und Umweltschutz nicht der Zwangsdienst unter Unterbrechung der beruflichen Ausbildung, sondern das ist der Griff in die Kasse, in die Tasche des Steuerzahlers, damit der Staat sich am Markt das Personal kaufen kann. Das ist das erste große Problem, das ich sehe.

Das zweite mindestens genauso große Problem ist nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch politisch brisant, und das ist die Frage, wie wir eigentlich junge Männer und junge Frauen behandeln, wenn wir eine allgemeine Dienstpflicht einführen. Denn niemand kann behaupten, daß junge Frauen - etwa für Aufgaben im Bereich der Gesundheitsvorsorge, der Altenpflege und ähnlichen Bereichen - weniger gut geeignet sind, Aufgaben zu übernehmen. Man kann dann nur an den Unterschied der Geschlechter anknüpfen und sagen, die Frau hat bei uns üblicherweise die Rolle der Gebärenden und trägt die Last der Erziehung der Kinder. Aber, meine Damen und Herren, das ist bei 19jährigen, und um die geht es, ein ungewisses zukünftiges Ereignis. Keineswegs jede junge Frau wird Kinder gebären und sie erziehen. Und wo ist da die Gleichbehandlung? Ich sehe keine Gleichbehandlung. Und deswegen bin ich pessimistisch, was die Chancen angeht.

Lassen Sie mich noch einen Randaspekt erwähnen, weil der hier ein paarmal angeklungen ist, der ganz interessant ist. In verschiedenen Beiträgen ist durchgekommen, also Landesverteididung und Wehrpflicht ja, aber Auslandseinsätze nein. Ich habe gerade ein Gespräch mit General Eisele geführt, der ja als Assistant Secretary General zuständig ist für die UNO-Blauhelm-Missionen, und er hat mir erzählt, daß 70% der von den Vereinten Nationen eingesetzten Blauhelmsoldaten Wehrpflichtige sind. Bislang haben wir nach unserer Rechtsordnung nur einen Status des Soldaten mit gleichen Rechten und Pflichten, egal ob er Berufssoldat ist, Soldat auf Zeit oder Wehrpflichtiger. Wer das ändern will, der muß das Recht ändern. Nur mit politischen Entscheidungen geht das nicht.

Gerster
Brigitte Schulte, allgemeine Dienstpflicht - ja oder nein?

Schulte
Ich halte die Diskussion für abenteuerlich. Ich muß sagen, wir haben es nie, auch in den schwierigsten Zeiten der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, nötig gehabt, darüber zu diskutieren. Wir haben nie alle jungen Wehrpflichtigen einberufen können, weil wir eben gar nicht soviele Soldaten unter Waffen hatten, wir waren da immer gebunden, auch in der Zahl. Wir sind jetzt mit 370.000 maximal gebunden, und wir haben im Laufe der 70er und 80er Jahre eine gesellschaftliche Entwicklung gehabt, die ich für positiv halte, daß junge Wehrpflichtige auch Zivildienst leisten können. Politisch kommt es überhaupt nicht in Frage, daß die Bundesrepublik Deutschland hier vorwegmarschiert. Also es müßte ja alle um uns herum grausen machen, wenn ausgerechnet die Deutschen mit einer allgemeinen Dienstpflicht anfangen, und es gibt keine politische Situation, die dies verlangt. Es gibt keine politische Situation. Hingegen gibt es die Notwendigkeit, in dieser Gesellschaft klarzumachen, daß es leider auch wieder Kriege gibt. Und es gibt die Notwendigkeit, daß diejenigen, die bei uns als Zeit- und Berufssoldaten diese Aufgaben der Bewältigung von Konflikten übernehmen, daß sie eine sehr gute Ausbildung und eine sehr anständige Bezahlung haben und auch den Respekt dieser Gesellschaft genießen. Lieber Herr Gertz, ich halte es auch für abenteuerlich, den Vergleich mit den jungen Wehrpflichtigen in den UN-Verbänden zu ziehen. Wir haben heute im Verteidigungsausschuß darüber diskutiert, wie schrecklich die Erfahrungen der Holländer, die dort keine Wehrpflichtigen haben, in Srebrenica waren und daß es nie wieder eine Situation geben kann, wo man Soldaten nicht exzellent ausgebildet und mit bester Bewaffnung dorthin schicken kann. Junge Wehrpflichtige haben dort in der Tat nichts zu suchen. Denn da hat Herr Finckh ja Recht, wir müssen uns genau überlegen, wo Konflikte beginnen. Wir müssen versuchen, sie rechtzeitig zu erkennen.

Aber es gibt eben leider auch die Situation, wo nur Soldaten dann helfen können, einen Aggressor zur Vernunft zu kriegen. Und daher denke ich, wir sollten das Thema "Allgemeine Dienstpflicht" lassen. Wir sollten lieber dafür sorgen, daß wir in dieser Gesellschaft das Bewußtsein erhalten, daß man weiterhin Streitkräfte braucht, daß man für diese Streitkräfte eine gute Ausbildung und eine gute Ausrüstung braucht - das sind zwei ganz wichtige Punkte -, und darüber hinaus soll man sich freuen über jeden jungen Menschen, der auch bereit ist, als junger Mann seinen Zivildienst zu leisten.

Gerster
Danke schön an das Podium. Ich bitte nun um Wortmeldungen aus dem Publikum.

Schmidt
Bei allen unterschiedlichen Standpunkten scheint mir eine Grundauffassung durchgängig gewesen zu sein: So, wie es jetzt mit der Wehrpflicht ist, so geht's nicht weiter. Wenn es also so ist und wenn die Allgemeine Dienstpflicht aus den unterschiedlichsten Gründen nicht kommen kann, wir sie also auch gar nicht mehr ernsthaft zu diskutieren brauchen - wie steht es denn dann in Zukunft mit der Berufsarmee? Und wenn wir dazu kämen, daß wir sagen, es bleibt gar keine Alternative, denn so geht's nicht weiter, wie steht's denn dann mit den Argumenten, die von Herrn Feldmeyer angesprochen worden sind, d.h. das Auskoppeln der Gesellschaft von der Pflicht, etwas zu tun, der Frage einer bezahlten Feuerwehr für einen bestimmten Zweck und der Frage, ob wir es dann nicht am Schluß mit einer Söldnerarmee zu tun haben, die wir - so wie bei den Franzosen - auch anderen überlassen könnten als nur deutschen Soldaten?

Bartels
Frau Schulte, Sie sagten vorhin, daß Sie sich vorstellen könnten, daß die Wehrpflicht ausgesetzt würde. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, was denn dann mit dem Zivildienst passiert, d.h. mit den Altenheimen und den ganzen Stationen, die auf Zivildienstleistende angewiesen sind? Es würde nämlich im Endeffekt heißen, der Zivildienst würde auch ausgesetzt. An Herrn Gertz die Frage, obwohl er eigentlich nicht der Zuständige ist, sondern hier müßte die militärische Führung gefragt werden: Tun wir nicht zur Zeit alles dafür, daß die Wehrpflicht eigentlich unattraktiv ist? Wir sprechen zur Zeit eigentlich nur von den hochattraktiven KRK-Kräften oder den Kräften, die zur Zeit mit Tornados rumfliegen oder wie in Split ein Krankenlazarett einrichten. Über Wehrpflichtige, über ihren Dienst und seine Attraktivität wird nicht mehr gesprochen. Ich halte es für unverantwortlich persönlich, daß man aufgrund der Zahlen, die man braucht, einen Tauglichkeitsgrad T7 einführt für Soldaten, die man eigentlich im Endeffekt für nichts gebrauchen kann, mit Ausnahme von Ablichtungen machen und Geschäftszimmeraufgaben, aber die man für ihre Aufgabe als Wehrpflichtige im Ernstfall nicht gebrauchen kann. Und wenn ich dann im übrigen darüber nachdenke, wie hochattraktiv unsere Kreiswehrersatzämter als erste Anlaufstelle für die Wehrpflichtigen sind, dann kommt mir das Grausen.

Schwall-Düren
Was ich vermißt habe, ist eine Antwort auf die Frage, wie denn in einer 10monatigen Wehrpflicht tatsächlich eine Ausbildung geleistet werden kann, daß diese Wehrpflichtigen einsatzfähig sind. Ich höre aus der Bundeswehr, daß für die Aufgaben, die heute anstehen, wirklich hochqualifizierte Soldaten gebraucht werden und man diese Ausbildung in 10 Monaten nicht leisten kann. Dann frage ich, wie soll das funktionieren? Und eine zweite Frage unter dem Stichwort "Wehrgerechtigkeit" auf der einen Seite und das, was unter dem Stichwort "Drückebergerei" genannt worden ist. Ich frage mich, wie wir das Problem lösen wollen, daß ein Teil der jungen Männer diese unattraktive Pflicht in der Armee übernimmt und ein anderer Teil die auch schwierigen Aufgaben im Zivildienst und der dritte Teil aus verschiedensten und manchmal auch verständlichen Gründen, aber wie ich weiß aus meiner Umgebung, eben auch tatsächlich unter dem Stichwort "Drückebergerei" zu subsumierenden Gründen, nichts tut. Was für Alternativen haben wir wirklich?

Schumm
Ich schreibe zur Zeit an einer Dissertation in diesem Themenbereich und arbeite in der politischen Erwachsenenbildung. Bei Seminaren mit Wehrpflichtigen habe ich anfangs nach der Motivation gefragt, weil das ein zentraler Ansatzpunkt für die Frage des staatsbürgerlichen Bewußtseins ist, und die Antworten, die ich da bekommen habe, waren nicht so optimistisch wie die von Herrn Feldmeyer gegebenen. Ich habe gehört, daß da Leute hingegangen sind, die gesagt haben, ihnen war die Aussicht, im Altersheim arbeiten zu müssen, zu unerquicklich, und da war die Bundeswehr die bessere Alternative an dieser Stelle. Das heißt nicht, daß ich mit diesem Zustand zufrieden bin, denn das ist nicht unbedingt die Idealvoraussetzung für den Staatsbürger in Uniform. Ansonsten möchte ich aber Herrn Feldmeyer unbedingt zustimmen und auch vor diesen Nebelwänden warnen. Ich habe den Eindruck, daß Sie hier über eine Perspektive diskutieren, ohne zwei Grundfragen geklärt zu haben. Die eine ist: Welche Armee für welche Aufgaben wollen Sie eigentlich? Welche Aufgaben sollen für die UNO geleistet werden, welche Spezialisten benötigt man dafür? Die können nicht in ein paar Monaten ausgebildet werden. Was ist mit der Territorialverteidigung, was ist mit anderen Bereichen, in denen in diesem Staat Waffen getragen werden? Soll das spezialisierten Gruppen gegeben werden oder nicht? Das ist der eine Bereich, ob man diese Spezialisierungen und damit auch die Partikularisierung der Gesellschaft will. Damit komme ich zur zweiten Frage, die von vornherein beantwortet werden muß: Was für eine Demokratie möchte ich überhaupt? Soll das eine Zahlungsgemeinschaft sein oder soll das eine Lebensgemeinschaft sein?

Illigner
Einerseits klagt man ein, Herr Feldmeyer hat das heute ja mehrfach getan, daß Soldat ein Beruf sui generis ist, weil man sein Leben in die Bresche wirft. Andererseits warnt man wie Herr Gertz vor dem Söldnersyndrom und möchte den "Bürger in Uniform", der diesen Beruf sui generis so richtig ja gar nicht kann. Was gilt denn nun? Irgendwie müssen diese beiden Ansätze ja mal versöhnt werden.

Finckh
Die Frage nach Berufsarmee, da würde ich wenigstens bitten, daß wir doch sprachlich sehr unterscheiden. Es wird ja oft in einen Topf geworfen eine Freiwilligenarmee und eine Berufsarmee. Berufsarmee bedeutet sehr viel höhere Kosten, lebenslange Verantwortung des Staates für die Leute, auch wenn sie untauglich werden; Freiwilligenarmee bedeutet, daß Leute gesucht werden, die sich für eine bestimmte Zeit verpflichten, und das ist schon etwas anderes.

Dann zur Frage der Verantwortung in der Gesellschaft. Wir sind doch auch für Polizei, für Feuerwehr, für andere Leute, die wir bezahlen und deren Dienst wir erwarten, auch wenn es ein gefährlicher Dienst ist, auch wenn es gesundheitsgefährdender Dienst ist, für die fühlen wir uns doch auch mitverantwortlich. Es ist doch nicht so, daß wir uns deshalb davon abkoppeln. Da muß ich gestehen, verstehe ich immer nicht, daß die Bundeswehr Ängste hat, sie könnte von der Gesellschaft im Stich gelassen werden. Die Frage ist, was wir wollen. Ich meine, daß das Normale einer Industriegesellschaft wirklich die Spezialisierung ist. Und wenn man junge Leute ohne Ausbildung zu sozusagen Naturaldiensten holt, ist das Verschleuderung von menschlichen Ressourcen unserer Gesellschaft. Ich halte das wirklich nicht für sinnvoll. Wir beklagen uns immer, daß die Leute, wenn sie mit dem Studium oder der Ausbildung fertig sind, in den Beruf kommen, zu alt sind, und gleichzeitig sagen wir aber, alle müssen ein Jahr oder 10 Monate Wehrpflicht machen. Da ist irgendwo ein Widerspruch. Wenn wir wirklich die Qualifikation der jungen Leute, ihre Erfindungsgabe, ihr junges Denken noch nutzen wollen, dann ist dieses kontraproduktiv. Darüber macht niemand sich große Gedanken, und von daher meine ich, ist ganz vieles, was immer wieder für die Wehrpflicht gesagt wird, irgendwie Tradition oder Ideologie.

Schulte
Gott sei Dank haben wir eine Situation auf unserem Kontinent erreicht, daß wir darüber nachdenken können, ob Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee. Aber es wird keine Armee geben, Herr Finckh, in der Sie Soldaten haben, die von ihrem Dienst an bis zum Pensionsalter bleiben, es wird immer die Mischung aus Zeit- und Berufssoldaten geben.

Jetzt haben wir die Wehrpflicht, und solange wir die Wehrpflicht haben - und die großen Parteien bekennen sich zur Wehrpflicht -, müssen wir sie attraktiver machen. In der Bundeswehr gibt es hervorragende Verbände, wo die jungen Leute auch in 8, 10 oder 12 Monaten gut ausgebildet werden. Es hängt nämlich vom Kommandeur ab und den Leuten, die mit ihm zusammen sich Mühe geben, auch den jungen Leuten das Motiv zu geben, daß das auch eine sinnvolle Aufgabe ist. Wenn Sie die politische Bildung z.B. nicht als eine lästige Aufgabe ansehen, und es gibt auch Verbände, die sehr schnell Rechtsradikale, die sich freiwillig dort gemeldet haben, aufspüren und sagen, "Junge, Dich können wir nicht gebrauchen, sieh' mal zu, daß Du woanders hingehst", wenn man ihn nicht gewinnen kann, politisch anders zu denken.

Also die Gesellschaft muß sich sagen, wenn sie die Wehrpflicht behalten will, muß sie vernünftig ausgestattet sein, und sie muß attraktiv sein. Und das heißt auch, daß man ihnen eine angemessene Bezahlung dafür gibt. Sie müssen mit dem Geld etwas machen können, und ich glaube, unsere Zeit- und Berufssoldaten sind eigentlich so pfiffig, sich auch Gedanken zu machen, was man in 10 Monaten Sinnvolles machen kann. Das ist der eine Punkt. Der zweite, wir brauchen in der Gesellschaft Polizei. Und wenn sie nicht anständig bezahlt wird und wenn das nicht attraktiv ist, kommen die Leute nicht. Also haben wir die Attraktivität erhöht: Die Leute fangen jetzt alle im gehobenen Dienst an, werden gut ausgebildet und werden anschließend auch anständig bezahlt. Und wenn wir das gleiche bei Soldaten machen und das auch ernst meinen, kommen die auch. Ich bin immer diejenige gewesen, die dafür ficht, daß wir den Wehrsold anheben. Der ist nicht mehr angemessen, und der muß auch weiter angehoben werden. Das gilt aber auch für die Zivildienstleistenden.

Gertz
Ich will damit anfangen, das Beispiel mit der Feuerwehr aufzugreifen. Die Feuerwehr ist in der Tat ein schönes Beispiel. Also ohne Spezialist zu sein für Feuerwehren, gehe ich mal davon aus, daß es in diesem Lande mehr freiwillige Feuerwehren gibt als Berufsfeuerwehren. Und diese freiwilligen Feuerwehren, die werden wirklich von den Bürgern getragen und werden von den Bürgern gelebt. Warum funktioniert es da und warum funktioniert es bei der Bundeswehr nicht, meine Damen und Herren? Ganz einfach, weil dort geworben wird, gearbeitet wird mit Anreizen, mit Ausbildung, mit Dienstgraden, mit schönen Abzeichen, und weil jeder den Wert seiner Arbeit unmittelbar ablesen kann, wenn nebenan bei Frau Schulte die Scheune brennt, und dann wird erfolgreich gelöscht. Also ausgerechnet die Feuerwehr ist kein Beispiel dafür, jetzt alles auf einige wenige Profis zu delegieren.

Gehen wir mal zu der Fragestellung, wie geht es weiter mit der Wehrpflicht? Und da will ich auf Frau Schwall-Düren antworten und den Hintergrund ausleuchten, warum wir eigentlich zu W 10 gekommen sind. W 10 ist ein Geldsparmodell. Lassen Sie sich bitte von niemand erzählen, daß W 10 sozusagen die zwangsläufige Folge aus der sicherheitspolitischen Entwicklung der letzten fünf Jahre ist. W 10 ist ein reines Geldsparmodell, und wenn man sparen will an der allgemeinen Wehrpflicht, dann tut man genau das, was wir hier jedenfalls nicht tun wollen, man legt also schon die Spitzhacke an die Wehrpflicht, damit sie weiter wegbröckelt. Das ist im Moment das Problem. Wenn wir umkehren wollen an diesem Punkt, dann müssen wir uns einig sein darüber, daß dieser Dienst wertvoll ist für die Gemeinschaft und ihn auch als wertvoll bewerten. Und da will ich gern zugeben, daß auch wir Soldaten nicht immer klug umgegangen sind mit unseren Wehrpflichtigen. Wir haben viel zuviele Wehrpflichtige als negative Multiplikatoren in die Gesellschaft wieder entlassen. Wir haben sie viel zu wenig in der Praxis spüren lassen von den hehren Grundsätzen, die wir ja alle haben und die wir auch alle bejahen. Aber daß sie ihre Grundrechte ausüben dürfen auch im Soldatenverhältnis, davon ist dann im Einzelfall nicht mehr so furchtbar viel die Rede gewesen.

Aber ich glaube, der erste Schritt wäre, daß wir in der Tat dazu kommen, daß die Rahmenbedingungen für den Wehrdienst entscheidend verbessert werden. Und dafür will ich Ihnen noch ein anderes Beispiel geben. Wir wollen bei W 10 einen straffen und fordernden Grundwehrdienst machen. Welchen Weg gehen wir, um den straffen und fordernden Grundwehrdienst zu machen? Das ist also der leicht verbrämte Versuch, in 10 Monaten das zu leisten, was man vorher in 12 Monaten gemacht hat. Das ist ein bißchen häßlich, was ich jetzt sage, aber übertreiben macht ja anschaulich. Und diesen Weg, den geht man, indem man zunächst mal die Dienstbelastung und die Dienstzeitbelastung der Betroffenen erhöht. Und der Generalinspekteur, den ich außerordentlich schätze, der gibt dann Interviews und sagt, die Rahmendienstzeit 46 Stunden muß eingeführt werden. Anschließend steht in der Presse "Naumann fordert 46-Stunden-Woche". Ich bin dann zu ihm gegangen und habe ihm gesagt: "Herr General, wenn Sie noch dreimal das Interview geben und das noch dreimal bei dpa über den Ticker geht, dann können Sie den Abschreckungswert Ihrer Äußerung an der Entwicklung der KDV-Quote ablesen." Das heißt, wir sind gerade dabei, die Rahmenbedingungen für den Wehrdienst zu verschlechtern, statt sie zu verbessern. Wenn wir wirklich einen straffen und fordernden Grundwehrdienst machen wollen, wenn wir uns konzentrieren wollen auf eine militärische Ausbildung, die den Wehrpflichtigen die wesentlichen Dinge vermittelt, die er können muß, um später bei den Hauptverteidigungskräften dienen zu können, dann müßten wir uns von Ballast befreien. Z. B. müßten wir nach 40 Jahren Bundeswehr sehr viel weiter sein bei der Frage, wie wir stumpfsinnigen Wachdienst ersetzen durch andere Formen von Bewachung, nämlich durch elektronische Vorkehrungen. Aber das Geld haben wir uns nicht geleistet, das dafür notwendig ist. Schließlich: Ich betrachte unser demokratisches Staatswesen als eine Lebensgemeinschaft und keine Zahlungsgemeinschaft. Und weil es eine Lebensgemeinschaft ist und keine Zahlungsgemeinschaft, deswegen sollte auch nicht die Möglichkeit bestehen, sich so leicht vor der Pflicht gegenüber der Gemeinschaft drücken zu können.

Ocken
Wir haben eine Reihe von Zielkonflikten, und die sind auch in dieser Diskussion immer wieder deutlich geworden. Einmal heißt es, die Militärs müssen sagen, wie lange Ausbildungszeit brauchen sie. Dann sagen wir, wir müssen das Geld für die Wehrpflichtigen erhöhen, es muß attraktiver werden. Ich meine, wir müssen an anderer Stelle, beim inneren Wert, anfangen. Die Frage, daß die finanziellen Verhältnisse Wehrdienst - Kriegsdienstverweigerer nicht stimmen, die kommt ja erst in zweiter Argumentationsreihe. Zu W 10: Wir sind bereit, runterzugehen. Aber schmerzenden Herzens. W 10 wird ein schwächerer Ausbildungsstand als W 12. Daß wir natürlich hier als die Verantwortlichen für die Ausbildung den Versuch unternehmen, das rauszuholen, was möglich ist, ist auch klar, und dabei gehen wir an die Grenze des Möglichen. Das muß jetzt ausdiskutiert werden. Die Rahmendienstzeit von 46 Stunden hatten wir ja schon immer, nur wir reden ja auch über Fragen der Freistellung. Die Soldaten gehören zu den drei Berufsgruppen in dieser Bundesrepublik Deutschland, die keine gesetzliche Dienstzeitregelung haben. Wir haben da eine Dienstzeitausgleichsregelung. Wenn wir noch lange davon reden, werden wir eines Tages auch eine gesetzliche Dienstzeitregelung haben, wovor ich sehr warne, denn das wird teuer, meine Damen und Herren. Oder die Ausbildung wird noch schlechter.

Die Aufgabe der Bundeswehr ist an allererster Stelle die Landes- und Bündnisverteidigung, Punkt. Dann kommt 'ne ganze Ecke gar nichts, und dann kommt nochmal Landes- und Bündnisverteidigung, und dann kommen natürlich auch andere Aufgaben. Zunächst mal bei den Vereinten Nationen, und subsidiär helfen wir noch, retten und machen alle möglichen Sachen. Das ist ja auch richtig. Nur: Geld gibt uns Frau Schulte nicht für Feuerlöschen, sondern für Landes- und Bündnisverteidigung, dafür kriegen wir Geld. Und dafür haben wir unsere Leute auszubilden. Und jetzt kommt die Frage der Krisenreaktionskräfte, die sind auch für Landes- und Bündnisverteidigung da, wenn es nötig ist, den Schild dafür zu schaffen, daß wir mit den nicht gut ausgebildeten W 10-Kräften, den Hauptverteidigungkräften, genügend Zeit und Raum haben, um diese in einem Krisenreaktionsprogramm auszubilden und dann so auszurüsten und zu organisieren, daß sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Also ich bitte wirklich alle sehr, diese spektakulären Beispiele Kambodscha und Somalia und Split, das klingt gut, ist auch in der Zeitung natürlich hervorragend darzustellen, ist auch wichtig, nicht als den Grund dafür zu nehmen, daß wir Soldaten haben. Also ich empfehle den fraktionsübergreifenden Initiativantrag W 12. Es würde allen helfen.

Halbritter
Ich möchte etwas sagen zur Attraktivität bzw. zur mangelnden Attraktivität. An den Beispielen wird deutlich, daß es sich bei den Bekenntnissen zur Beibehaltung der Wehrpflicht doch um Lippenbekenntnisse und häufig um leeres Gerede handelt. Wenn im Rahmen des föderalen Konsolidierungsprogramms bei den sozial Schwächsten, nämlich den Wehrpflichtigen, das Entlassungsgeld um 500,-- DM und das Weihnachtsgeld gekürzt werden, als einziger Gruppe in der Bundeswehr, dann trägt das nicht dazu bei, den Wehrdienst attraktiv zu machen. Wir haben zur Zeit, das wurde eben angesprochen, das Wehrrechtsänderungsgesetz in der Beratung. In diesem Wehrrechtsänderungsgesetz ist ja nicht nur die Verkürzung der Wehrdienstdauer auf 10 Monate enthalten, sondern in diesem Gesetz ist auch enthalten, daß das Weihnachtsgeld wieder gekürzt wird, daß das Entlassungsgeld wieder gekürzt wird, daß die wöchentliche Dienstzeit sehr wohl erhöht wird auf 46 Stunden, daß es keinen Dienstzeitausgleich mehr gibt, sondern daß es erst ab dem 7. Monat einen finanziellen Ausgleich gibt, und als letztes kommt noch hinzu, daß die bargeldlose Zahlung des Wehrsoldes abgeschafft wird. Der Wehrsold hat aber Taschengeldcharakter. Es müssen also jetzt Konten eingerichtet werden von den Soldaten, damit der Wehrsold überwiesen werden kann. Das ist beziffert im Haushalt mit 30 Mill. DM Einsparungen. Also, das paßt alles nicht zusammen, das ist konzeptionslos, und deshalb glaube ich, daß es nicht gerechtfertigt ist, wenn die Bundesregierung, die diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, sich zum Lordsiegelbewahrer der Wehrpflicht aufspielt.

Puschke
Ich möchte noch ein bißchen mehr in dem Dilemma herumbohren, das gerade aufgezeigt worden ist. Am sympathischsten ist ja die Auffassung von Pfarrer Finckh, der sagt, wer eben besondere Dienste haben will, der hat sie gefälligst zu bezahlen, dafür gibt's garantiert Leute. Nur das ist ja das typische Argument eines Städters, das muß ich mal so sagen, denn auf dem flachen Lande klappt das meistens nicht, da muß auch 'ne Freiwillige Feuerwehr ran und die wird halt eben anders bezahlt, nämlich gar nicht. Oder das Technische Hilfswerk, das z.B. in Rheinland-Pfalz bei uns die Hochwasserkatastrophen meistert. Also ohne freiwilligen sozialen Dienst geht es irgendwie doch nicht in dieser Republik. Und jetzt haben wir eine interessante Entwicklung. Man sagt, man muß den Wehrdienst aufrechterhalten, um eben die Landesverteidigung und die Bündnisverteidigung zu gewährleisten. Nur ist das Problem jetzt, daß die Streitkräfte personalmäßig immer mehr runtergehen. Und das ist ja eine betriebswirtschaftliche Erkenntnis, daß bei gleichen Geldressourcen der größte Kostenfaktor, das Personal, dann eben reduziert werden muß. Und das kann's ja heute auch. Also werden wir vor dem Dilemma stehen, daß wir eines Tages die Wehrpflicht noch mehr verkürzen müssen, um diese Dienstgerechtigkeit herzustellen. Und das, haben wir eben gehört, geht ja nicht, weil 10 Monate jetzt das absolute Limit sind. Nun ist aber andererseits das Argument, daß wir die Wehrpflicht haben müssen, um den Zivildienst aufrechtzuerhalten, ja kein richtiges Argument. Denn man kann ja keine staatsbürgerliche Pflicht als Regelpflicht aufrechterhalten, um eine Ausnahmepflicht gewährleisten zu können.

Jetzt kommt ein drittes Dilemma hinzu, und das ist der Einsatz der Wehrpflichtigen. Wir haben gesagt, Landes- und Bündnisverteidigung. Landesverteidigung war immer klar. Bündnisverteidigung wird etwas vager, weil da Krisenreaktionskräfte zukommen. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu UNO-Einsätzen etwas ganz Geschicktes gemacht. Es hat gesagt, das ist eine Sache des Gesetzgebers, entscheide du bitte, und zwar auch über Kampfeinsätze der UNO. Also hat das Bundesverfassungsgericht uns allen ja keinen Weg gewiesen, sondern hat den Ball wieder zurückgegeben. Und jetzt ist wirklich die Frage, was dem Wehrpflichtigen unter dem Begriff der Landesverteidigung alles "zuzumuten" ist. Dazu hätte ich gerne etwas gehört.

Schumm
Der ständige Verweis, daß die Wehrpflicht nach der Französischen Revolution mit Zwang eingeführt wurde und daß das der Beleg sei, daß das undemokratisch sei, das ärgert mich doch ein ganzes Stück. Sie wurde nicht eingeführt, um den napoleonischen Expansionskrieg einzuführen, sondern sie wurde eingeführt, um diese Revolution zu verteidigen. Das zweite ist, wenn man über Pazifismus redet und Pazifismus als Argument anführt, dann denke ich, sollte man sich auch an den philosophischen Pazifismus erinnern und das, was er wollte. Und wenn man dann sagt, die Konsequenz davon sind u.a. die Vereinten Nationen, dann kann man nicht so tun, als würden die Vereinten Nationen in ihrer Charta nichts vorsehen, was eben auch Gewalteinsatz vorsieht. Und über diese Einsätze, da gebe ich den Vorrednern recht, muß man sich neue Gedanken machen, weil das spezialisierte Aufgaben sind, für die man unter Umständen spezialisierte Kräfte braucht. Nur für die Ausnahme des Artikels 51 der UNO-Charta, nämlich die Selbstverteidigung, braucht man diese Spezialisten nicht, und ich will sicherlich keine schiefen Vergleiche ziehen, aber das, was nötig ist an Ausbildung, da kann man auch sehen, was die Schweiz macht, sie kommt mit sehr viel kürzeren Ausbildungszeiten zu Rande.

Gerster
Vielen Dank. Wir wollen jetzt zur Schlußrunde auf dem Podium kommen.

Feldmeyer
Ich würde gerne einen Punkt nochmals aufgreifen, das ist die Sache mit den einfachen Fragen. Das ist der entscheidende Punkt. Nur wenn man auf die einfachen Fragen eindeutige Antworten hat, lohnt es sich, in die Details zu gehen. Die Frage, die den Kern ausmacht, ist die nach dem Bild von Staat und Gesellschaft. Soll dies eine Dienstleistungsordnung sein, eine Dienstleistungsdemokratie, in der der einzelne im Grunde gar nicht mehr Bürger im Sinne von citoyen ist, sondern ein Versicherungsnehmer, der gegen cash Leistung erwartet von einer Gesellschaft, die zufällig Staat ist, sie könnte aber auch eine Versicherungsgesellschaft sein, oder ist das ein Gemeinwesen, das auch in der Mentalität, in der Vorstellungswelt, in der Lebenswirklichkeit, im Gefühl, Gneisenau hätte gesagt im "Gemüt" des einzelnen relevant ist. Gibt es überhaupt die Dimension des Gefühls, der Vorstellung, des Gestaltenwollens, gibt es Ideale, die gemeinschaftsfähig sind und die Gemeinschaftsrealität sind? Man kann sich das eine wünschen, man kann sich das andere wünschen, das ist jedes einzelnen freie Entscheidung. Wenn ich die Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre, die ich bewußt mitvollzogen habe, Revue passieren lasse, dann komme ich zu der Erkenntnis, daß die Entwicklung ganz eindeutig in Richtung auf Dienstleistungsgesellschaft geht. Und wenn das so ist, dann hat die Wehrpflicht keine Zukunft. Und wenn die Gesellschaft sich so entwickelt, dann bin ich fein raus, Frau Schulte, dann brauche ich mir keine Gedanken darüber zu machen, wie sie verteidigt werden kann, weil ich die Gesellschaft nicht verteidigen wollte.

Finckh
Ich würde Herrn Feldmeyer zustimmen, daß die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft geht. Auch in einer solchen Gesellschaft werden wir das Engagement vieler haben. Ich war Pfarrer, Gemeindepfarrer, bis ich vor vier Jahren in den Ruhestand gegangen bin. Ich hätte mir meine Gemeinde nicht vorstellen können ohne vielfaches Engagement von ganz vielen Leuten. Und die Gemeinde hat mich auch freigestellt, obwohl ich ja normaler Pfarrer war, für Ehrenämter in diesem ganzen Bereich Kriegsdienstverweigerung, Bürgerrechte, weil sie das auch selbstverständlich akzeptiert hat, daß man nicht nur das tut, für das man bezahlt wird. Aber es ist etwas anderes, ob ich das freiwillig oder mit Zwang tue. Und da ist für mich das eigentliche Problem. Dieser Zivildienst als Zwang hat ja auch im sozialen Bereich viele Fehden verursacht, weil er Lücken stopft und damit Entwicklungen verhindert, die eigentlich nötig wären. Er hat wichtige Versuche ermöglicht, etwa die Betreuung von Menschen in ambulanter Weise oder die Betreuung von Schwerstbehinderten, aber auf Dauer sind das Aufgaben, die müssen ganz normal geregelt werden. Der Zivildienst macht auch viele Probleme im sozialen Bereich, und das kann anders geregelt werden.

Es gibt ja auch in den Wohlfahrtsverbänden durchaus Diskussionen, wie in dem sozialen Bereich die Konversion zu bewältigen ist. Da ist für mich dann auch immer noch ein Gesichtspunkt, daß ich eben immer wieder mit denen zu tun habe, die entweder im Zivildienst überfordert sind oder bei der Bundeswehr sagen, das kann ich so nicht weitermachen und dann nachträglich verweigern, und mit denen, die sagen, dieser Staat hat überhaupt kein Recht, mich zu einem Zwangsdienst zu verpflichten und dafür bereit sind, Gefängnisstrafen auf sich zu nehmen. Ich meine, wir können darauf vertrauen, daß in unserer Gesellschaft viel Engagement möglich ist, wir müssen bloß Bedingungen schaffen, daß freiwilliges Engagement geleistet wird, weil es entsprechend auch belohnt wird. Der Zwangsdienst ist nicht wirklich billiger, weil der ständige Wechsel viele Ausfallzeiten, viele zusätzliche Ausbildungszeiten, ein ganzes System der Einberufung usw. fordert. Wenn ich Profis habe, bin ich überzeugt, ist es im sozialen Bereich nur ein Umstellungsproblem, kein Problem, daß es auf Dauer zu teuer ist. Aber ein Umstellungsproblem ist es, und ich gehe davon aus, daß das Umschalten von Wehrpflicht auf längerdienende Freiwillige auch bei der Bundeswehr ein Umstellungsproblem ist, ganz sicher, aber ich würde das eigentlich für die angemessene Lösung halten.

Gertz
Herr Puschke wollte wissen, was dem Wehrpflichtigen unter dem Gesichtspunkt der Landesverteidigung zuzumuten ist. Das ist eine sehr schöne Frage. Da stolpere ich schon über das Wort "dem Wehrpflichtigen", weil wir ja derzeit im Bundestag ein Gesetz auf dem Tisch liegen haben, das einen neuen Wehrpflichtigen, einen Wehrpflichtigen eigener Art sozusagen, erfindet, den "Wehrpflichtigen de luxe" oder den "Freiwilligen minderer Ordnung", je nachdem, welche Betrachtungsweise man anwendet. Ich bin mehr für den "Freiwilligen minderer Ordnung", sozusagen den "W 10 plus", W 11 - W 23. Wenn wir fragen, was wem zuzumuten ist, müssen wir ja schon an der Stelle stolpern und uns überlegen, was ist dem W 10 zuzumuten und was ist dem W 11 - W 23 zuzumuten. Was ihm zuzumuten ist, das zu definieren ist Aufgabe der Politik, denn die Politik stellt den Auftrag für die Armee. Die Soldaten führen lediglich aus, wozu sie beauftragt sind. Und an dieser Definition des Auftrages, an der wir ja schon seit einigen Jahren ziemlich streitig herumdoktern in der Politik, da sind wir noch nicht so entscheidend weitergekommen.

Ich halte den "W 10 plus" für eine Mißgeburt unter allen denkbaren Gesichtspunkten, einschließlich der Tatsache, daß er klar benachteiligt wird gegenüber dem, der bisher als Soldat auf Zeit für Monate gedient hat und der mehr bekommen hat. Und Attraktivität ist, da gebe ich Ihnen Recht, keineswegs nur eine Frage des Geldes, aber natürlich drückt sich auch im Geld aus, für wie wertvoll man einen Dienst ansieht. Wenn man einen Dienst für so wenig wert ansieht, daß man dem, der freiwillig länger macht, weniger gibt im Verhältnis zu den Zuständen der Vergangenheit, dann ist das ein Rückschritt, dann ist das ein Verlust von Attraktivität.

Ich weiß nicht, was man ihm zumuten darf. Zumuten darf man ihm mit Sicherheit nur das, wozu er ausgebildet ist. Und dem W 10 können wir definitiv nicht zumuten, da stimme ich Frau Schulte ausgesprochen zu, in Einsätze zu gehen, in denen verlangt wird, beispielsweise "peacekeeping" oder noch mehr zu tun. Darüber besteht, glaube ich, auch Einigkeit, daran denkt niemand. Ob es besonders geistreich ist anzunehmen, jemand, der sich auf 12 Monate freiwillig als Wehrpflichtiger verpflichtet, ich sage das bewußt so gehässig, der sei dann qualifiziert ausgebildet und könne an einem Blauhelmeinsatz teilnehmen oder an einem Krisenreaktionseinsatz auch in größerem Rahmen, also da bin ich doch sehr im Zweifel. Dem ist meiner Ansicht nach ein solcher Einsatz auch nicht zuzumuten, da würde ich mich festlegen wollen, und ich würde es als Vorgesetzter auch nicht gerne verantworten wollen, mit W 12-Soldaten in einen solchen Einsatz zu gehen.

Worüber wir uns Gedanken machen müssen ist in der Tat, welchen Auftrag die Armee hat und ob es eine Armee gibt, die im Wege der Spezialisierung bestimmte, besonders unangenehme Aufgaben zu erledigen hat, und eine Armee, die im Wege der Spezialisierung vorgehalten wird für den relativ akademischen Fall, daß eines Tages der böse Feind über uns kommt. Ich glaube, es ist ein Irrweg, diese Differenzierung zu machen. Ich sehe die Schwierigkeiten der Politik, zu vermitteln, daß ein einheitliches Dienstrecht der Soldaten notwendigerweise erhalten werden muß. Ich sehe die Schwierigkeiten, die es macht gegenüber Bürgern, die auf der Fußmatte des Wahlkreisbüros stehen, ihnen zu sagen, wenn jemand Soldat wird und seinem Land dient, dann macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob er die Landesverteidigung wahrnimmt oder ob er an einer Blauhelmaktion teilnimmt. Es gibt Nationen, ich denke zum Beispiel an einige skandinavische Nationen, die gezielt Wehrpflichtige ausbilden für Blauhelmeinsätze mit einem besonderen Aufwand. Aber da gibt es nicht diese gedankliche Trennung von vornherein, Blauhelm kommt nicht in Betracht für Wehrpflichtige, sondern das ist ein System, das sich gänzlich von unserem unterscheidet, das mit unserem auch nicht kompatibel ist. Aber es ist nicht begriffsnotwendig so, daß jeder, der aufgrund der Wehrpflicht Dienst leistet, von vornherein sozusagen auszuschließen sei von allem, was nicht Landes- und Bündnisverteidigung ist. Deswegen wollte ich auf diese Frage nach der Zumutbarkeit noch mal ein bißchen intensiver eingehen.

Ich bin sehr dezidierter Meinung, daß Attraktivität keineswegs nur mit Geld hergestellt werden kann. Wir müssen in der Tat mehr tun, um den Wert dieses Dienstes Wehrpflicht in unserer Gesellschaft wieder deutlicher zu machen. Und da reichen Sonntagsreden nicht aus. Die sind immer brav gehalten worden, da habe ich nichts zu kritisieren. Und wer behauptet, daß die Politik nicht immer wieder dafür eingetreten ist, der lügt. Nur, die Entscheidungen, die dann getroffen worden sind im Parlament, die haben leider nicht immer zusammengestimmt mit den Aussagen, die vorher - auch aus Überzeugung - gemacht worden sind. Und ich meine, wir müssen uns auch fragen, ob diese Art Sparkasse, zu der wir die Bundeswehr degradiert haben seit 1989, der richtige Weg ist. Und 47,9 Milliarden für drei Haushaltsjahre und dann 48,4, meine Damen und Herren, das ist nicht etwa ein Anstieg, sondern das ist in Kaufkraft, in Geldwert gemessen, weiterhin die schiefe Ebene nach unten. Und wenn das so weitergeht, dann werden wir weiter Geldsparmodelle erleben, und dieser "W 10 plus" ist ja auch ein Geldsparmodell. An dem kann man es sehr deutlich ablesen. Ob die alle funktionieren, die Rechnungen, die da aufgemacht werden, ist ein ganz anderes Thema.

Zum Schluß. Herr Gerster hatte gefragt, was wäre zu tun. Das ist, wie ich zugeben muß, schwer zu beantworten. Ich lebe nicht in der Illusion, daß im Parlament eine Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes durchsetzbar wäre. Die SPD steht für neun Monate, die FDP auch, und die CDU hat an 10 Monaten festgehalten. Da zu erwarten, daß irgend jemand aufsteht und sagt, damit Wehrdienst wieder mehr Sinn macht, damit er auch sinnvoller gestaltet werden kann, brauchen wir zwei Monate länger, daran glaube ich nicht. Aber was zu tun wäre und was sich die Bundesregierung vornehmen sollte, die dann nach einer Wahl im Amt ist: Sie sollte sich vornehmen, daß sie nicht ausgerechnet an den sozial Schwächsten in unserem Staate spart. Und da beziehe ich die Ersatzdienstleistenden durchaus mit ein, denen man ja auch die Wehrsolderhöhung verweigert hat, obwohl der Wehrsold 1992 zuletzt erhöht worden ist. Wenn der Herr Zukunftsminister der Meinung ist, Bafög-Sätze müssen angepaßt werden an die Kaufkraftentwicklung, dann frage ich Sie, meine Damen und Herren, wem gegenüber hat der Staat eine größere Verantwortung, gegenüber denjenigen, die ihre Ausbildung durchlaufen oder gegenüber denjenigen, deren Ausbildung er unterbricht, damit sie in Zwangsdienst aufgrund Gesetzes gestellt sind.

Ich glaube, die Wege, die wir hier gehen, die sind zum Teil außerordentlich unanständig, das sind Mogelpackungen, die uns da geboten werden. Man erzählt uns, man will mit einem Mobilitätszuschlag Belastungen ausgleichen. Und man verheimlicht uns, daß man diesen Mobilitätszuschlag finanziert, indem man auf die Wehrsolderhöhung verzichtet. Das finde ich unanständig, das werde ich auch weiterhin in aller Deutlichkeit sagen. Und wenn wir so mit dem Prinzip Wehrpflicht in seiner Praxis umgehen, meine Damen und Herren, wenn das sich nicht ändert, dann können wir noch viele interessante Diskussionen dieser Art mit einer Erhöhung unseres Niveaus der Ratlosigkeit erleben, ohne etwas zu ändern.

Schulte
Das Klagen auf hohem Niveau, das betreiben die Leute in meinem Wahlkreis, das betreibt mein Land, und das betreiben auch diese Streitkräfte. Und da bin ich relativ gelassen und kann nur sagen, das ist ja auch gut, wenn man das tragen kann, aber mit der Realität hat es nur begrenzt zu tun. Denn die eigentlichen Probleme der Zukunft, die liegen in ganz anderen Konfliktbereichen, und um die werden wir uns ganz anders in dieser Gesellschaft auseinanderzusetzen haben als wir das, glaube ich, heute auch in diesem Rahmen konnten. Das ist nämlich die Zuwanderung von Menschen und das ist die Frage der Bevölkerungsentwicklung, daß wir den Menschen, die in Afrika von 800 Millionen auf 1,7 Milliarden bis zum Jahr 2020 wachsen, helfen, daß sie überhaupt halbwegs über die Runden kommen. Und das gleiche können Sie mit Asien weitermachen.

Was ist im Hinblick auf die Bundeswehr zu tun? Wir fordern seit 1983 eine Wehrstrukturkommission des Parlaments, um über die Länge des Wehrdienstes, über die Größe der Teilstreitkräfte, über den Umfang der Bundeswehr und über den Ausrüstungsstand im Bündnis zu reden. Das hat die Union nicht gewollt, weil sie nämlich immer sagen konnte, die Sozis sind nicht verläßlich, die widersprechen dem, was wir wünschen, und auf diese Weise können wir draußen den Eindruck erwecken, wir machen das schon mit der Bundeswehr. Nun hat sie die Bundeswehr ziemlich an die Wand gefahren, das stimmt, nämlich die Demotivation, die zum Teil veraltete Ausrüstung und das Vergeuden von Geld. Und nun weinen Sie doch bitte nicht, Herr Gertz. Sie wissen doch selbst genau, daß in diesem Jahr die Bundeswehr nicht mal das Geld ausgeben kann, das ihr zur Verfügung steht, daß sie eilig versuchen muß, Mittel auszugeben, damit der Plafond nicht noch mehr nach unten tritt. Ich habe nie etwas davon gehalten, daß man über Plafonds redet. Ich habe immer etwas davon gehalten, daß Politik sich so versteht, wenn ich eine moderne Ausrüstung durchführen muß, dann muß ich auch mal einen Verteidigungshaushalt anheben.

Wir haben in dieser Gesellschaft auch darüber nachzudenken, lieber Pfarrer Finckh, wieweit denn die Bereitschaft zum sozialen Dienst gegeben ist. Entschuldigen Sie bitte, ich höre nur überall, daß die Leute sehr froh sind, daß sie die Zivildienstleistenden haben, und daß die Motivation dieser jungen Menschen, die für ein Jahr lang Schwerstbehinderte betreuen, um vieles größer ist als desjenigen, der manchmal Jahrzehnte dieses als seinen Beruf durchführen muß. Und es ist auch übrigens gar keine schlechte Erfahrung für einen jungen Menschen, für ein Jahr dies zu tun. Ich habe nämlich die große Sorge, daß eine Gesellschaft, die eine reine Dienstleistungsgesellschaft und reine Interessengesellschaft ist, auch gar kein Interesse hat, Aufgaben wahrzunehmen, wo ich Sonnabend und Sonntag Menschen betreuen muß, wo ich abends und nachts Menschen betreuen muß.

Gerster
Meine Damen und Herren, seit ich die Bundeswehr als Soldat kenne und als Politiker begleitet habe, zeitweise auch im Verteidigungsausschuß des Bundestages, also seit 25 Jahren etwa, ist die Beziehung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft hochkompliziert. Das hat sich nie geändert in Deutschland und wird vielleicht auch noch länger so bleiben. Seit dieser Zeit wird in der Bundeswehr umstrukturiert, einige Umstrukturierungen habe ich selbst mitgemacht. Seit dieser Zeit haben wir eine stetige Zunahme der Kriegsdienstverweigerung, eine Kurve, die zwar ein paar Zacken hat, zum Beispiel Golf-Krieg, aber die trotzdem, wenn man sie ein bißchen glättet, kontinuierlich immer weiter nach oben ging, und erstaunlicherweise haben das bisher Bundeswehr und Gesellschaft relativ gut verkraftet. Also es gibt offenbar relativ robuste Strukturen einerseits, auch Beharrungsvermögen, auch natürlich die Tatsache, daß eben die Bundeswehr als Ganzes noch nie gewissermaßen gefordert wurde, und wir alle hoffen, daß das nie der Fall sein wird, sondern immer nur in Sondersituationen sich punktuell und teilweise zu bewähren hatte.

Wenn ich versuchen sollte, ein Resümee zu ziehen, dann denke ich, daß vieles von dem, was wir gemeinsam als unbefriedigend empfunden haben, gesellschaftliche Probleme sind und nur zweitrangig Probleme der Sicherheit und der Bundeswehr. Aber die politische Kultur in Deutschland ist so, daß eben auch die Sicherheitspolitik noch nie wahlentscheidend war. Hoffentlich wird sie das auch nie. Denn wenn sie es würde, dann hätten wir eine ganz schlimme Situation, fürchte ich, vermute ich. Aber wir leisten uns auf diesem Feld Inkonsequenzen, die den Politikern an anderer Stelle so leicht nicht erlaubt werden. Aber irgendwann wird der Punkt kommen, und er ist möglicherweise schon in Sicht, wo ein Systemwechsel, wo in irgendeiner Weise ein tiefgreifender Reformschnitt notwendig ist, weil die mangelnde Akzeptanz eine Lösung erzwingt. Wir sind da möglicherweise nicht weitergekommen. Jeder hat gewisse Grundtendenzen, die er bestätigt oder auch nicht bestätigt gefunden hat, aber ich denke, uns geht das Thema nicht aus und auch die Interessierten an diesem Thema nicht.


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