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TEILDOKUMENT:

[Seite der Druckausg.: 89]


Rosi Wolf-Almanasreh
Die multikulturelle Gesellschaft als kommunale Gestaltungsaufgabe


Kann die Kommune durch Kommunalpolitik und Mithilfe von Verwaltung zur Gestaltung der multikulturellen Gesellschaft beitragen, oder ist dieser Prozeß ein Vorgang, der durch die Basis, die Bürgerinnen und Bürger in einer Kommune selbst geleistet werden muß?

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1. Multikulturelle Gesellschaft

Um auf diese Frage, die nicht selten gestellt wird, näher einzugehen, will ich zunächst das, was ich unter multikultureller Gesellschaft verstehe, kurz darstellen. Über die verschiedenen Begrifflichkeiten haben Sie sich ja heute schon ausgetauscht.

Nach meiner persönlichen Wahrnehmung ist die multikulturelle Gesellschaft historisch nichts Neues. Sie existiert in Teilen heute ebenso wie früher, heute vor allem in industrialisierten Ballungsräumen. "Das zentrale Element einer multikulturellen Gesellschaft ist nach meiner Auffassung nicht der kulturelle Pluralismus alleine, sondern die Gleichberechtigung und die Chancengleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft. Es geht also nicht mehr nur darum, nur die Rechte von Minderheiten zu definieren und eine Lobby für Ausländer/innen zu bilden, sondern die Rechte von allen zu bestimmen. Die Barrieren und Mechanismen, die zum Ausschluß oder zur Benachteiligung bestimmter Gruppen führen, müssen (...) identifiziert werden. Schließlich müssen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung dieser Barrieren getroffen werden. Multikulturelle Politik bedeutet also die Einführung von Gesetzen, Vorschriften, Diensten, Einrichtungen usw. zur Beseitigung der Benachteiligung von Minderheiten und zur Durchsetzung gleicher Rechte für alle, ohne Ansehen auf soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Kultur und Geschlecht." [Fn_1: Vgl. Wolf-Almanasreh, R. in: Deutschland - Einheit in kultureller Vielfalt, S. 66]

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Frankfurt als "multikulturelle Stadt" will für mich nicht heißen, daß ich eine Minderheitenpolitik befürworte, die kulturelle Eigenheiten als folklorische, romantisierte Beigabe zur Lebensart der Mehrheit duldet und sie auf Bauchtanz, Flamenco, Kebab und exotische Kleidung und fremdländische Speiserestaurants reduziert. Unsere Arbeit steht für ein sozialpolitisches Konzept, das die Gestaltung aller Lebensbereiche umfaßt, soweit menschliches Zusammenleben überhaupt gestaltet werden kann und soll. In erster Linie soll die Arbeit auf die Durchsetzung von Rechtsgleichheit, politische Mitbestimmungsrechte aller, auf soziale Gleichberechtigung und Partizipation gerichtet sein. Die Installierung einer auch die Institutionen einschließenden Antidiskriminierungsgesetzgebung und auf der Verwaltungsebene Antidiskriminierungsarbeit ist wichtiges Ziel der Arbeit.

Ich glaube nicht an die Möglichkeit der "Bewahrung" einer eigenen kulturellen Identität, aber an die "Entwicklung" einer solchen, wenn städtische und staatliche Stellen hierzu demokratische Prozesse und Freiräume zur Entfaltung dieser Prozesse bereitstellen. Ich glaube auch nicht an die Autonomie einzelner Kulturen, da die gegenseitige Beeinflussung in einer modernen Mediengesellschaft überhaupt nicht auszuschließen ist.

Sozialarbeiterische Bevormundung, pädagogische Gängelei, rechtliche und behördliche Einschränkung durch Sondervorschriften und Grenzziehungen dienen diesen Zielen nicht. Sie zwingen die Menschen vielmehr, künstlich Fremdkörper zu bleiben und produzieren damit Konflikte für alle, die Mehrheit und die Minderheiten.

Es kann und muß gefragt werden, ob kommunale Politik und Verwaltungsbehörden solche Dinge in Gang setzen, ja umsetzen kann.

Sicher ist: Wenn die politischen Institutionen nicht mit gutem Beispiel vorangehen, ist Vieles im gesellschaftlichen Bereich noch schwerer zu bewältigen. Der Abbau von institutionalisierter Diskriminierung, die beim Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit der Unterscheidung nach Jedermannsrechten (Menschenrechten) und Deutschenrechten anfängt bis hin zum Ausländerrecht und zum Staatsangehörigkeitsrecht ist Voraussetzung für die Veränderung von Einstellungen bei der Mehrheitsbevölkerung. Die Veränderung der Institutionen aus einem nationalen bis nationalistischen Selbstverständnis hin zu einer offenen

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internationalen Haltung, der Abbau von Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit der Politik und Verwaltung sind Grundvoraussetzung und beispielgebend für die Veränderung des Umgangs der Menschen untereinander, egal woher sie kommen. Sie machen die individuellen und anderen gesellschaftlichen Prozesse nicht überflüssig, aber ohne Veränderung in den Institutionen gibt es keine echte Veränderung in unserer Gesellschaft. Beides bedingt sich und beeinflußt sich.

Migration ist ein harter, langwieriger Prozeß für Migranten und Eingesessene. Es ist die Pflicht der Politik in der Aufnahmegesellschaft, diesen Prozeß mit Respekt zu begleiten und ihm im Rahmen der bestehenden Menschenrechte Freiraum für seine eigene Dynamik zu lassen.

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2. Weitere Entwicklung

Bei Überlegungen, wie künftig die vollziehende Gewalt (die Verwaltung) auf die gesellschaftlichen Prozesse reagieren soll, ist eine Einschätzung der künftigen Entwicklung nötig. Ich behaupte, daß unabhängig, ob uns das gefällt oder nicht, ob wir es wünschen oder nicht

  1. weiterhin Zuwanderung nach Europa - also auch nach Deutschland - stattfinden wird; es wird Zuwanderung sowohl von Arbeitsmigranten (vgl. neue Anwerbeverträge) als auch von Flüchtlingen geben. Die modernen Industrieländer Europas benötigen weiterhin Arbeitskräfte, die sie aus der eigenen Bevölkerung aufgrund der demographischen Entwicklung nicht gewinnen können; bis zum Jahre 2005 benötigt die deutsche Wirtschaft nach eigenen Angaben ca. 10,5 Mio. ausländische Arbeitskräfte; weder die Wirtschaft noch Mehrheitsbevölkerung und Politik stellen bisher diese wirtschaftliche Dynamik ernsthaft in Frage. Sie nehmen deshalb auch Zuwanderung in Kauf.

  2. Zuwanderer werden vermehrt aus Ländern des Ostens und der sog. Dritten Welt kommen.

  3. Zuwanderung wird sich vor allem auf die großen Städte und hochindustrialisierten Regionen beziehen.

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  4. Wanderungsbewegungen sind nicht nur Folge von Krieg, Bürgerkrieg, Umweltzerstörung und Hungersnöten, sondern auch Ergebnis der Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse auf dieser Welt.

  5. Es wird nicht möglich sein, aus offenen Gesellschaften wieder geschlossene Gesellschaften zu machen.

  6. Zuwanderung ist nur bedingt steuerbar. Es wird auch weiterhin sog. illegale - also nicht registrierte - Arbeitskräfte geben.

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3. Folgen der Wanderungen für die Verwaltung

Unabhängig von der Frage, was alles geschehen müßte im Bereich der großen Politik, um Flucht vor politischer und religiöser Verfolgung, vor Kriegen, Hungersnöten und Umweltkatastrophen zu verhindern, sind wir heute gefragt zu überlegen, welche Folgen diese Realität, diese Zuwanderung, die wir erleben, für die Kommune und ihre Verwaltung hat und wie sie damit umgehen soll.

Alle Verwaltungen, insbesondere aber die öffentliche Verwaltung in Ländern und Kommunen, ist m.E. sowohl durch die bereits erfolgte Einwanderung und die zukünftige Zuwanderung sowohl von Arbeitsmigranten als auch von Flüchtlingen besonders betroffen. Das Zusammenleben der Menschen spielt sich nämlich in den Kommunen ab, nicht etwa im Garten einer Bundesregierung. Stadtplanung, Wohnungsbau, soziale Betreuung, Schulen, Kindergärten, Ansiedlung von Betrieben und Schaffung von Arbeitsplätzen, Dienstleistung und Bürger/innen-Beratung sind Aufgaben der Verwaltung in den Kommunen. Der Bürger/die Bürgerin, gleichgültig ob in- oder ausländisch, erfährt die praktische Durchführung von Gesetzen in der Kommune (Sozialhilfe, Führerschein, Bauanträge, Aufenthaltserlaubnis).

Ihr gesellschaftliches Bewußtsein, ihre Bereitschaft, Sachkenntnis, Fähigkeit, moderne und zeitgemäße Ausstattung, die Bereitstellung entsprechender Haushalte, ihre Konfliktfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit tragen als entscheidende Faktoren zum friedlichen Zusammenleben aller Bürger in der Kommune bei.

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4. Inwieweit ist die kommunale Politik und die Verwaltung auf die weitere Zuwanderung und die Ansiedlung dieser Zuwanderer eingestellt?

4.1 Kommunalpolitik

  1. Die Ausländerpolitik wird weitestgehend nicht von der Kommune, sondern vom Bund und den Ländern bestimmt. Die Kommunen haben bei der Gestaltung der Gesetzgebung keine Mitwirkungsrechte, obwohl sie konkret am stärksten betroffen sind. Die Verwaltung muß auf der Ebene der Kommune eine nationale Politik um- und durchsetzen, die in vielen Bereichen weder den Bedürfnissen der Bürger/innen noch der Verwaltung entspricht und durch aufgestülpte Verfahren und umständliche Strukturen die Arbeit für die einzelnen Mitarbeiter erschwert.

  2. Die derzeitige sog. Ausländerpolitik - die als Ausländerbeschäftigungspolitik besser umschrieben ist - befaßt sich nicht mit einem tatsächlich existierenden Zustand, sondern beschreibt ein Wunschziel: nämlich die Aufrechterhaltung eines nationalen bis nationalistischen Staates alter Prägung. Keimzelle dieses gewollten Staatswesens ist die Verwandtschaft, die blutsmäßige Abstammung. Die zugrundeliegende Vorstellung nährt sich vom Mythos der Homogenität des deutschen Volkes und verleugnet die dynamische gegenseitige Einflußnahme verschiedener kultureller Systeme und die Tatsache, daß es immer Wanderung gegeben hat.

  3. Da die gelebte Realität in Deutschland und anderen Industrieländern eine andere ist, muß diese Politik mittelfristig scheitern. Sie fördert zudem sozialpsychologische Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit, Sozialneid und Entsolidarisierung breiter Bevölkerungskreise und gefährdet damit den sozialen Frieden und eine demokratische Entwicklung in den betroffenen Ländern.

  4. Die sog. Integrationspolitik aller Bundesregierungen und dementsprechend auch der Kommunen seit der Anwerbung von Arbeitskräften anderer Nationalität basiert auf einer gewollten institutionellen, also auch rechtlich festgeschriebenen Diskriminierung. Diese Aussage mag einige schockieren. Vgl. Sie aber einmal hierzu das Ausländerrecht, arbeitsrechtliche Bestimmungen u.a.

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  5. Unter Integration wird eine Ein- und Anpassung am Rande unseres gesellschaftlichen Systems mit minderen Rechten verstanden. Die als antimodernistisch und primitiv empfundene "Fremdkultur'' der Zuwanderer soll sich in die als modern und überlegen gesehene "Leitkultur" einfügen.

  6. Die Tabuisierung der Einwanderung durch die Politik, und die fehlende Bereitschaft über die Ängste und Unsicherheiten mit der Bevölkerung zu sprechen, erreicht das Gegenteil. Sie führte bereits dazu, daß breite Bevölkerungsschichten Politiker der etablierten Parteien für unfähig halten, die Probleme der Zeit zu lösen. Sie glauben dann irgendwelchen Rattenfängern, die mit einfachen Rezepten zwar vorübergehend Stimmen gewinnen, aber sicherlich keine Probleme lösen können oder sie gehen nicht mehr zur Wahl (vgl. einige Stadtteile in Frankfurt 1989).

  7. Die rechtlich vorgegebene Aufteilung der Zuwanderer in mehr als ein Dutzend Gruppen, die sich durch Ausschluß und Teilhabe voneinander unterscheiden nach dem Prinzip "Teile und Herrsche" schreibt eine Rechtsgemeinschaft der Ungleichen fest. Diese Rechtsgestaltung von Politik fügt unserem demokratischen und sozialen Rechtsstaat großen Schaden zu.

  8. Es geht bei der politischen Diskussion folglich nur um die Gestaltung der Zuwanderung. Also z.B. um die Frage welche Einwanderungs- oder Integrationsgesetze, welche Steuerungs- und Planungsmöglichkeiten (z.B. Quotierung) wir vornehmen und unter welchen Bedingungen dies erfolgen soll. [Fn_2: Vgl. Vortrag Wolf-Almanasreh, R. "Alternativer Juristentag" Hannover, November 1991]

4.2 Die Verwaltung

Allgemein gilt (und Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel): Verwaltungen sind ihrem Wesen nach antimodernistisch und nicht selten ineffektiv, da vor allem auf die korrekte Abwicklung von Verfahren und die Einhaltung von Bestimmungen geachtet, nicht aber auf die Lösung des Problems abgestellt wird. Zusammenarbeit, Teamarbeit, Erfahrungsaustausch, Kommunikation sind nicht selten unterentwickelt und teilweise unerwünscht. Viele Verwaltungen

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sind nicht mehr in der Lage, den Bedürfnissen und Erfordernissen moderner Stadtorganisation zu entsprechen, weil dringend nötige Strukturveränderungen nur schwer durchführbar sind.

Ihre Mitarbeiter/innen werden z.T. zwischen den einzelnen strukturell vorgegebenen Aufgaben und der selbst erfahrenen Realität zerrieben. Ihre Phantasie, ihre Fähigkeit Vorgänge selbständig zu erfassen, einzuordnen und zu bearbeiten, ihre Empathie mit dem Ratsuchenden wird im Laufe der Jahre getötet. Schlechte Bezahlung, keine ausreichende Fort- und Weiterbildung, Überbelastung, mangelhafter Führungsstil von Vorgesetzten, unnötige Hierarchisierung, lange Verfahrenswege, fehlende Supervision führen zu hoher Fluktuation, zu Unmut, häufiger Krankheit und Desinteresse an der Arbeit. Dies muß sich auf den Stil, Umgang mit dem Bürger/der Bürgerin und die Qualität der Dienstleistung auswirken. Es gibt Reibungsverluste, Verletzungen und Konflikte. Verwaltungshandeln trägt somit zur Verschärfung von Konflikten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen bei.

Bezogen auf die Kommunikation mit Menschen in besonders problematischen Lebenslagen (Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Alkoholiker usw.) oder Menschen anderer Herkunft, Sprache und Kultur ist bei Zugrundelegung obiger Beschreibung die Lage noch komplizierter. Zu der üblichen Belastung kommt die zusätzliche Anstrengung der sozialen, interkulturellen und sprachlichen Verständigung.

Ich behaupte, um die Zustandsbeschreibung abzuschließen, daß

  1. Politik und Verwaltung bisher weder auf Zuwanderung noch auf die Öffnung des EG-Binnenmarktes vorbereitet und eingestellt sind. Alle Institutionen in unserem Land und in den Kommunen sind national konzipiert und organisiert.

  2. Planung für Zuwanderung findet nicht statt. An deren Stelle stehen Tabus, mangelhafte Organisation und "Durchwurschteln" was Ängste, Sozialneid und damit Fremdenfeindlichkeit in einzelnen Bevölkerungsteilen fördert und den sozialen Frieden sowie die Demokratie gefährdet. Die Mitarbeiter/innen in den Verwaltungen sind ebenso Opfer dieser Politik, wie die Bürger/innen.

Welche Antworten können auf einige dieser Probleme gegeben werden?

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5. Was ist ein Querschnittsamt? - Pro und Contra!

Ich halte aufgrund des oben beschriebenen Zustandes der Ausländerpolitik und der mangelhaften Vorbereitung der Verwaltung auf die zukünftige weitere Einwanderung die Einrichtung eines gesonderten Ressorts, das sich mit den verschiedenen Fragen des Zusammenlebens befaßt, für außerordentlich wichtig. Dabei ist es nötig, daß zur Bildung von Bewußtsein und zur Durchsetzung neuer Arbeitsformen und Projekte dieses Ressort, ein Dezernat und ein Amt, die gleichen formalen und rechtlichen Möglichkeiten hat, wie jedes andere kommunale Ressort. Es braucht Zugang zum Magistrat, es braucht eine Interessenvertretung im Magistrat und im Parlament, es benötigt Kompetenz, einen Haushalt, Zugang zu anderen Stellen in der Verwaltung - und was wichtig ist - die Unterstützung der Stadtverordnetenversammlung sowie des Magistrats.

Da das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern alle Bereiche des kommunalen Lebens umfaßt, ist es wichtig, daß dieses Amt eine ämterübergreifende Funktion ausdrücklich erhält, also ein sog. Querschnittsamt ist. Es darf und soll in alle Bereiche hineindenken und im günstigsten Fall auch im Auftrag oder in Kooperation mit anderen Ämtern arbeiten.

Ziel des Frankfurter Amtes ist es deshalb nicht mehr "Lobby für Ausländer/innen" zu sein, sondern den Versuch zu machen, das Zusammenleben aller in Frankfurt lebenden Menschen, inklusive der Deutschen, möglichst gleichberechtigt gestalten zu helfen. Durch die Einrichtung eines solchen Amtes hat sich die Kommune eine neue, moderne Aufgabe gegeben. Sie greift selbst auch mittels ihrer Verwaltung gestaltend ein, indem sie bei der Umsetzung von Gesetzen nicht nur vollzieht, sondern interdisziplinär kommuniziert. Denkprozesse ausdrücklich aus anderen Bereichen zuläßt.

Ziel des Amtes ist es auch, neue Formen der Konfliktlösung und -bewältigung zu suchen und einzuführen. Das klingt zunächst sehr hochtrabend. Wer aber schon erfahren hat, wie das im konkreten Fall aussieht weiß, daß das funktioniert.

Das Amt soll friedensstiftend wirken durch Vermittlung und Kommunikation. Moderne, kulturell unterschiedlich zusammengesetzte offene Gesellschaften

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müssen lernen, mit Unterschieden zu leben, neue Konfliktlösungsmöglichkeiten schaffen. Das gilt für den Einzelnen wie für Institutionen.

Ein weiteres Ziel muß Aufklärung und Information sein. Auch hier soll ein solches Querschnittsamt unterschiedliche Zielgruppen im Auge haben: Einmal muß die Stadtbevölkerung über die Zuwanderung, über Eigenheiten einzelner ethnischer Gruppen usw. informiert werden. Zum anderen ist es wichtig, daß die Zuwanderer selbst Hilfestellung und Informationen erhalten, die ggf. über die Angebote der Ressorts hinausgehen. Zum dritten müssen die einzelnen Gruppen in Beziehung zueinander gebracht, ihre Selbsthilfekräfte gestärkt und gefördert werden. Und zum vierten müssen die Institutionen, die Ämter, Sozialstationen, die Polizei, die Krankenhäuser und Altenheime usw. durch Information, Fortbildung und kommunikative Maßnahmen auf die Entwicklung vorbereitet werden.

Sozialarbeiter benötigen heute Kenntnisse in interkultureller Kommunikation. Psycholog/innen, Berater/innen, Juristen/innen, die in Städten wie Frankfurt am Main arbeiten, begegnen ständig Menschen aus anderen Ländern. Sie spüren selbst, daß sie in manchen Situationen mit ihrer Weisheit am Ende sind. Die Forderung, die Fremden sollen sich anpassen, ist leicht gesagt, aber unrealistisch. Vielmehr müssen beide Seiten lernen den anderen zu verstehen und zu respektieren. Die herrschende Ordnung muß vermittelt werden. Das braucht Verständnis und Kommunikationsfähigkeit.

Ich bin z.B. davon überzeugt, daß unsere Aufforderung, mehr Migranten/Migrantinnen in den öffentlichen Dienst, in den Polizeidienst (nach Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts oder Veränderungen im Beamtenrecht), in den Schuldienst, in die Kindergärten usw. einzustellen, ganz wichtige Schritte für eine internationalere Dienstleistung ist.

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6. Was sind die Probleme bei einem solchen Querschnittsamt?

Der Begriff "Querschnittsamt" kommt nicht in den Lehrbüchern der Verwaltungskunde vor. In der Verfügung des Oberbürgermeisters betreffend die Arbeit des Amtes, ist die Querschnittsfunktion nur indirekt beschrieben. Das heißt, daß

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sowohl Lehre als auch die Praxis mit dieser Neuerung noch einige Schwierigkeiten haben. Diese Schwierigkeiten bekommen Mitarbeiter/innen anderer Ressorts ebenso zu spüren wie wir in diesem Amt. Es fehlt aus Ihrer Sicht mit Sicherheit an Kompetenzabsprachen, an den behördenüblichen "festen" Umschreibungen der Aufgabe. Es fehlt an Organisationsabsprache, ebenso ein Bedürfnis, ohne das öffentliche Verwaltung nicht auszukommen glaubt. Es entwickeln sich neue Formen von Konkurrenz und auch Animosität. Was, so fragen sich manche, geht die denn meine Arbeit an? Ich habe doch alles schon immer gemacht...!

Aber - ich komme inzwischen immer mehr zu einer ganz anderen Überzeugung:

  1. Gerade die Offenheit gibt uns eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Diese ist bei der oben skizzierten Aufgabenstellung nötig.

  2. Konkurrenz, sagt ein alter Spruch, belebt das Geschäft. Auch das trifft zu. Wir können ihnen viele Beispiele nennen, wo städtische Ämter scheinbar "ganz von alleine" Maßnahmen im Bereich Integration eingeleitet haben, die sie mit großer Sicherheit ohne den vermeintlichen Konkurrenzdruck durch unser Amt nicht unternommen hätten.

  3. Die einzelnen Verwaltungsstellen haben im Alltagsgeschehen keine Zeit und es entspricht nicht ihrem Auftrag, Denk- und Innovationsprozesse in Gang zu setzen. Dies kann das Amt tun und tut es auch.

  4. Ämterübergreifende Arbeitsgespräche, das Zusammenführen von Basisgruppen, Verwaltung, Wissenschaft und Politik ist keine "übliche" Form, politische Entscheidungen umzusetzen. Sie ist aber nötig, um die immer komplizierter gewordenen Sachverhalte zunächst einmal zu erfassen (AK Erzieherinnen, AK psychosoziale Beratung, AK mit der Polizei, AK Jugendarbeit, Datenschutz usw.).

  5. Konfliktregulierung, Vermittlung, Informationstransfer durch die Verwaltung und die repressionsfreie Kommunikation mit dem Bürger/der Bürgerin sind Formen der kommunalen Dienstleistung, die nur ein Amt, das einen solchen Auftrag ausdrücklich hat, leisten kann. Es schafft neues Vertrauen in Verwaltungshandeln, gleicht aus, wo Spannungen entstehen, hilft, Verletzungen zu überwinden und schafft manchmal auch unvermeidlicherweise selbst Verletzungen, die es erneut zu bearbeiten gilt.

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  6. Allein die Tatsache, daß die Migranten dieses Amt angenommen haben und den Mitarbeitern/innen vertrauen, ist ein riesiger Erfolg kommunaler Politik. Sie ist mit Hilfe der Verwaltung erreicht worden.

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7. Die Bedeutung von Kommunikation

Es wurde in den letzten Wochen oft gefragt, warum es in Frankfurt am Main keine Anschläge auf Asylwohnungen gab. Hierzu gibt es m.E. mehrere Erklärungen:

  1. Die Frankfurter sind es lange gewöhnt, miteinander zu leben. Fremde gehören zur Stadt.

  2. Die offizielle Politik hat keine zweideutigen Signale ausgegeben, sondern eindeutig (ohne das leidige "aber") zugunsten der Realität des Zusammenlebens Stellung genommen.

  3. Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten hat durch seine Öffentlichkeitsarbeit (durch Kommunikationsangebote), die nicht harmonisch sein müssen, kontinuierlich zur Auseinandersetzung über das Thema Einwanderung, Wohnraumnot usw. beigetragen und all diejenigen Aktivitäten gefördert, die an den verschiedensten Stellen eine streitige offene Auseinandersetzung führen. Es hat damit zur Verarbeitung der Ängste beigetragen. Wenn Angst abgeführt werden kann, muß sie i.d.R. nicht zur Aggression führen.

Unser Amt wird oft "Babbelamt" genannt. Ich will hierzu gerne sagen, daß genau dieses "Babbeln", die Kommunikationsherstellung, eine der wichtigsten Aufgaben einer Stadt sein muß. Unsere Gesellschaft leidet an Vereinzelung, an mangelhafter Kommunikationsfähigkeit, an Konfliktscheue und mangelnder Konfliktfähigkeit. Wir müssen aber tagtäglich Konflikte lösen, mit Unterschieden umgehen. Dies kann nur durch Kommunikation gelernt werden: Der Konflikt in der Sozialstation X zwischen einer Sozialarbeiterin und einem marokkanischen Antragsteller, der Konflikt zwischen einem Lehrer und türkischen Eltern in einer Schule, der Konflikt zwischen einem deutschen Müllarbeiter und einem italienischen Kollegen im Stadtreinigungsamt,

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zwischen Nachbarn, der Konflikt einer studentischen Gruppe mit der Stadt Frankfurt wegen der Asylunterkunft usw. usw.

Wir sind davon überzeugt, daß all diese Konflikte zukünftig nicht nur durch technische Instrumente (Paragraphen, Anordnungen, Verfügungen) gelöst werden können. Das beweisen viele Beispiele. Vielmehr sind wir davon überzeugt, daß es eine hervorragende und zeitgemäße Form der Konfliktbearbeitung ist, wenn sich eine Kommune innerhalb ihrer eigenen Verwaltung den Auftrag erteilt, ihr eigenes Handeln zu reflektieren. Daß die Umsetzung in der Verwaltung, das Bekanntmachen eines solchen Konzeptes, die Akzeptanz solcher Ideen, wie immer bei neuen Anliegen, Zeit und Mühe braucht, das widerspricht diesem Konzept nicht. Im Gegenteil: Ausländerpolitik, wie übrigens auch andere politische Fragen, läßt sich, da es um die Durchsetzung von gleichen Rechten und um Antidiskriminierung geht, nur mit Hilfe von zusätzlichen Ressorts durchsetzen. Je konsequenter ein Magistrat dies tut, je besser ein solches Ressort ausgestattet ist, um so mehr zahlt sich der Einsatz aus.

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8. Schlußfolgerungen und mögliche Maßnahmen

Wenn der kommunalen Politik und der Verwaltung eine bedeutende Gestaltungsaufgabe im Bezug auf das Zusammenleben verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen zukommt. Wenn die Kommune ihre zukünftige Aufgabe -die internationale Züge tragen wird - effektiv und Bürger/innennah bewältigen will, so sind nach meiner Auffassung mehrere Bedingungen zu erfüllen:

  1. Die Bewertung der Arbeit in der Verwaltung muß grundlegend höher angesetzt und die Vergütung entsprechend verbessert werden.

  2. Aus- und Fortbildung muß auf mehr Entscheidungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter ausgerichtet sein. Die inhaltliche Lösung einer Aufgabe muß vor dem "Verfahren" Ziel der Arbeit der einzelnen Mitarbeiter werden, die sich des Verfahrens und der Gesetze bedienen, nicht umgekehrt. Interkulturelle Aspekte müssen integraler wichtiger Bestandteil von Aus- und Fortbildung sein.

  3. Mitarbeiter/innen, die mit Bürgerkontakten befaßt sind, benötigen regelmäßige Aufarbeitungsmöglichkeiten (Supervision).

    [Seite der Druckausg.: 101]

  4. Enthierarchisierung und strukturelle Transparenz sind in eine Reform ebenso einzubeziehen wie Leistungsbezogenheit. Die Abschaffung des Beamtentums, vermutlich durch die EG-Integration ohnehin nötig, ist vielleicht ein Teil dieser Effektivitätssteigerung.

  5. Kommunen müssen am Rechtssetzungsverfahren, insbesondere für soziale Fragen, wie Einwanderung und Flüchtlingswesen, beteiligt werden. Gleiches gilt für Verfahrensfragen.

  6. Die Einstellung von Migrantinnen und Migranten in den öffentlichen Dienst muß in ausreichender Anzahl erfolgen.

Ich bin davon überzeugt, daß die Demokratie in unseren Städten und der Erhalt des sozialen Friedens wesentlich davon abhängen wird, inwieweit es gelingt, möglichst viele Menschen in die Entwicklung neuer Kommunikationsformen zu involvieren. Verwaltung kann dabei eine wichtige - wenn auch nicht die alleinige - Rolle spielen. Das Bewußtsein der Mitarbeiter/innen der Verwaltung wird dabei bedeutsamer sein, als die jeweils wechselnden Vorstellungen der politischen Mehrheiten im Magistrat.

Wie immer unsere zukünftige Gesellschaft heißen wird, ob "multikulturell", ob "melting pot" oder "patch work" ... sie wird sich darauf einstellen müssen, daß es Unterschiede gibt, wie es sie immer gab. Wir müssen uns nicht fürchten, daß das, was wir als unsere Kultur empfinden, von anderen "überfremdet" wird, wenn wir zu unseren Eigenheiten gleichermaßen stehen und andere Eigenheiten tolerieren.

[Seite der Druckausg.: 102 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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