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TEILDOKUMENT:
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Ursula Ueberschär und Gerhard Wolter unter Mitarbeit von Horst Heibig, Karl Just und Alfred Kurtz, Leipzig
Zum Thema Ausländerfeindlichkeit und Möglichkeiten ihrer Überwindung - Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus der Analyse verschiedener Tageszeitungen der neuen Bundesländer
I. Vorbemerkung
Unsere Presseanalyse von fünf größeren Tageszeitungen (Neues Deutschland, Neue Zeit, Junge Welt, Berliner Zeitung und Leipziger Volkszeitung) begannen wir im Jahre 1990 als Teilauftrag zu einer Studie des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in Köln, die unter dem Titel "Ausländerfeindlichkeit in der ehemaligen DDR" für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angefertigt wurde. Wir setzten diese Analyse auch nach Abschluß des Auftrages in diesem Jahr aus zwei Gründen fort:
Erstens verfolgten wir das Ziel, Material zur Ausländer- und Migrationsproblematik zu sammeln und zu sichten. Dabei kam es uns nicht so sehr auf eine journalistische Bewertung an, sondern es ging uns bei der Analyse um die Erkenntnis von Problemen und Prozeßtrends in der Ausländerpolitik, die wir nun einer soziologisch fundierten Fallstudie zur Situation von Migrantengruppen im Landkreis Leipzig zugrunde legen.
Zweitens geht es uns darum, Anregungen darüber zu gewinnen, wie die breite Öffentlichkeit zielstrebiger, problemgerechter und wirksamer als bisher über Fragen unterrichtet werden kann, die mit einer langsamen, aber doch spürbaren Steigerung der Zahl von Asylbewerbern, Aussiedlern, Flüchtlingen und Ausländern "auf Zeit" (Vertragsarbeitnehmer, Studenten, Straßenhändler, Touristen, Transitreisende, Besucher usw.) verbunden sind. Auch hier wiederum sollen gewonnene Erkenntnisse in aufbereiteter Form für die Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis Leipzig zur Verfügung gestellt werden.
Unsere Presseanalyse umfaßt demzufolge die Monate März bis November 1990 und Januar bis Ende April 1991, also die Zeit der Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands und die Wiedervereinigung als auch die Monate danach.
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II. Analyseschwerpunkte und Ergebnisse
Geht man davon aus, daß die Probleme Ausländerfeindlichkeit sowie Möglichkeiten ihrer Überwindung komplex sind und nur erfaßt werden können, wenn eine Vielzahl tangierender Fragen mit berücksichtigt werden, so läßt sich bei der von uns untersuchten Tagespresse der fünf neuen Bundesländer (FNL) feststellen, daß sie sich, zwischen einzelnen Monaten schwankend, insgesamt jedoch von März 1990 bis April 1991 in aufsteigender Tendenz mit dem Thema Ausländer beschäftigt hat. Die dazu gefundenen Veröffentlichungen wurden unter folgenden Schwerpunkten ausgewertet:
- Grundtendenz in der Behandlung von Ausländerfragen,
- Struktur und Häufigkeit von Veröffentlichungen,
- Themen der Berichterstattung, wie:
- Lebenssituation von Ausländern
- Flüchtlingsfragen
- Ausländerfeindlichkeit inklusive Rechtsradikalismus
- Ausländische Arbeitnehmer
- Ausländerinitiativen inklusive ausländerintegrative Maßnahmen.
Nach diesem Kriterienraster sind Struktur, Häufigkeit und Inhalte der Artikel zu Ausländerfragen in einer quantitativen und qualitativen Analyse erfaßt worden. Daraus geht hervor, daß in den Monaten März bis November 1990 in den von uns analysierten Tageszeitungen über 600 Veröffentlichungen zu Ausländerproblemen erschienen. Davon entfielen mehr als die Hälfte auf Kurzmeldungen und kommentierte Meldungen, ein gutes Drittel auf mehr analytische Artikel und Leitartikel und nur ein sehr geringer Prozentsatz (7,6 %) auf Interviews und Leserzuschriften. Eine Differenzierung nach Inhalten ergab, daß sich die meisten Artikel (22,1 %) mit dem Thema Ausländerfeindlichkeil befaßten. Fast ebenso viel (über 18 %) schilderten die Lebenssituation von Ausländern und 16,9 % waren den Problemen Asylbewerber und Flüchtlinge gewidmet. Weit weniger Artikel sagten etwas zur Arbeitnehmersituation (nur 12,9 %) und nur 9 % berichteten über Ausländerinitiativen bzw. über Maßnahmen, deren Ziel die Ausländerintegration ist. Generell ließen die von uns gesammelten und statistisch ausgewerteten Daten erkennen, daß Ausländerfragen zumindest in quantitativer Hinsicht im Verlaufe des Jahres 1990 einen beachtlichen Raum in der Presse der FNL eingenommen haben und insbesondere das Verhältnis zwischen
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Deutschen und Ausländern, Formen der Ausländerfeindlichkeit sowie ausländerausgrenzende als auch ausländerintegrative Aktionen reflektiert werden. Auch war deutlich erkennbar, daß die öffentliche Diskussion zum Thema Ausländer nicht zuletzt aufgrund der Initiativen des "Runden Tisches" und der Tätigkeit der Ausländerbeauftragten beim Ministerrat der DDR, Frau Almuth Berger, seit Anfang März 1990 in Gang gekommen ist. Die Presse spiegelt hier die Auseinandersetzung um die Neuorientierung in der Ausländerpolitik wider und läßt deutlich werden, daß sich erst im Zusammenhang mit klareren politischen Vorstellungen und Verhältnissen konzeptionelles Denken in Ausländerfragen und auch unterschiedliche politische Positionierung dazu herausschälten. Es darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht kurzschlüssig auf qualitative Tiefe in der Auseinandersetzung mit dem Thema Ausländer geschlossen werden. Je nach Presseorgan waren 50-70 % der Veröffentlichungen Kurzmeldungen bzw. kurz kommentierte Meldungen, deren inhaltliche Aussagen oft nicht über wenige Fakten hinausgingen und die kaum Zusammenhänge und Hintergründe vermitteln konnten. Gerade bei Kurzmeldungen wird viel Raum gelassen für klischeehaftes und spekulatives Denken beim Leser, das oftmals noch durch eine sensationell aufmachte Überschrift angeregt wird. Gerade die Fülle derartiger Kurzmeldungen in bezug auf Ausländer und ihre Probleme eignet sich, die Herausbildung stereotyper Denkschemata, wie "alle Vietnamesen sind Händler unverzollter Waren", "alle Personen, die zum Glücksspiel auf offener Straße auffordern, sind Ausländer aus östlichen Ländern", "Sinti und Roma sind schmutzig, sie stehlen und betteln", "Ausländer machen Mädchen an" usw., zu fördern. Das trägt dazu bei, daß sich Vorurteile gegenüber Ausländern im allgemeinen und einzelnen ethnischen Gruppen im besonderen scheinbar bestätigen und damit verfestigen. Schon die erste Untersuchung vom Vorjahr zeigte auch, daß demgegenüber Leitartikel, längere Kommentare oder gar analytische Artikel, die Hintergründe vermitteln, Entwicklungstrends verdeutlichen und Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen von Ausländern und Deutschen untersuchen, in weit geringerem Umfang veröffentlicht wurden. Interessant war für uns bei der Analyse ebenfalls, daß Leserzuschriften und Interviews mit Experten bzw. mit Ausländern zu den Ursachen von Ausländerfeindlichkeit und den Möglichkeiten ihrer Überwindung sowie zu den Lebensumständen und der Befindlichkeit ausländischer Mitbürger nur reichlich 7 % aller Veröffentlichungen ausmachten. Da wir nicht davon ausgehen, daß es an der Bereitschaft zu Interviews bzw. an Leserzuschriften gemangelt hätte, vermuten wir, daß diese Seite journalistischer Tätigkeit, bei der subjektive Sichten sowie
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persönliche Erfahrungen und Überlegungen in die Auseinandersetzung um die Ausländerproblematik einbezogen werden, zu wenig beachtet worden sind. Verfolgen wir die Struktur, die Häufigkeit und die Inhalte zu Ausländerfragen über die ersten vier Monate des Jahres 1991, so bestätigen sich im wesentlichen die herausgefundenen Tendenzen. Ausländerprobleme gewinnen an Gewicht. Aber - diese Frage ist für uns offen und bedarf weiterer Untersuchungen und Vergleiche - sind sie tatsächlich hinreichend gewichtet im Vergleich zu den ökonomischen, sozialen und kulturellen Problemen in der Presse der neuen Bundesländer? Weiterhin fragen wir: Wird das Verhalten gegenüber Ausländern bereits hinreichend als immanentes Element moderner politischer Kultur begriffen? Die Presseorgane der Neubundesländer haben in der Darstellung und Gestaltung der Ausländer- und Migrationsproblematik ohne Zweifel einen Lernprozeß durchgemacht. Das schließt aber noch nicht in jedem Falle die notwendige Tiefe der Recherche sowie einen sensiblen Umgang mit Informationen ein. Nach wie vor überwiegen Kurzmeldungen und kurz kommentierte Meldungen mit ihren einprägsamen, aber oft irritierenden Überschriften, die zu den schon dargestellten schematischen Denkmustern über Ausländer beitragen und besonders tendenziös wirken, wenn es um die Schilderung krimineller und gesetzwidriger Vorgänge geht, in die Ausländer verwickelt sind. Zu den u.a. damit beförderten Denkschablonen könnte aus den Meldungen der letzten Monate hinzugefügt werden: "Ausländer handeln mit Rauschgift", "Ausländer aus osteuropäischen Ländern sind Taschendiebe ..., überfallen Taxifahrer" usw.
Auch Experten- und Ausländerinterviews sowie Leserbriefe werden weiterhin recht wenig veröffentlicht, obwohl gerade dadurch die Auseinandersetzungen um die Ursachen der in den letzten Wochen immer stärker zu Tage tretenden Ausländerfeindlichkeit wesentlich belebt und psychologische, individuelle sowie gruppenspezifische Komponenten des Spannungsfeldes zwischen Deutschen und Ausländern erhellt werden könnten.
Vergleichen wir die aufgegriffenen Themen der Artikel inhaltlich, so lassen sich - im Vergleich zum Jahr 1990 - eine Reihe von Unterschieden feststellen.
- Wurden bereits seit Herbst 1990 in der Presse der neuen Bundesländer klarere politische Konzeptionen zu Ausländern erkennbar, so haben diese jetzt festere Konturen angenommen. Sie bestimmen immer deutlicher Meinungsäußerungen und Haltungen der Vertreter von Behörden, Insti-
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tutionen, Parteien und Organisationen zum Thema und - auch das spiegelt die Presse wider - sie werden jetzt eindeutiger vom Rahmen, den Grundgesetz und Ausländergesetzgebung der BRD setzen, bestimmt. Es wird sichtbarer, daß Grundgesetz und Ausländergesetzgebung der BRD jetzt in den FNL konstitutiv für das Wirken der neu geschaffenen Ausländerbehörden, -institutionen und -Organisationen wie auch der praktischen Ausländerarbeit sind. Kritisch sei jedoch vermerkt, daß für die Leser aus den FNL, die das Entstehen der jetzt geltenden gesetzlichen Grundlagen für die Ausländerpolitik und -arbeit in den alten Bundesländern über viele Jahre nicht verfolgen konnten, oftmals diese gesetzlichen Bestimmungen als auch sich daraus ergebende praktische Konsequenzen für den Umgang mit Ausländern nicht klar sind. Hier fehlen u.E. in der Presse Erläuterungen, die sowohl das Entstehen der gesetzlichen Grundlagen als auch ihre Handhabung nachvollziehbar machen. Deutlich wird dieses Manko gegenwärtig besonders bei aufenthalts-, asyl- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Ausländer. Das gleiche trifft auch auf die laufende Asylrechtsdiskussion im Rahmen der EG zu. In der untersuchten Presse der FNL wird sie oberhalb einer klärenden Volksdiskussion gehalten.
- Bei der Darstellung der Lebenssituation von Ausländern in den FNL ergibt sich ein wesentlich differenzierteres, aber auch in seinen Schwerpunkten verändertes Bild. Standen im vergangenen Jahr in der Schilderung der Lage der Ausländer zunächst einmal die restriktive Ausländerpolitik der SED und deren Auswirkungen auf die Lebenssituation der Betroffenen im Vordergrund, so ist dies jetzt zurückgetreten. In den ersten vier Monaten 1991 ist kaum etwas über Unterbringungs- und Arbeitsverhältnisse von Ausländern zu finden und fast nichts mehr über die Situation der ehemaligen Vertragsarbeitskräfte (besonders Vietnamesen), die sich auch nach dem Übergang in die Arbeitslosigkeit mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in den FNL aufhalten. Wenn auch die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer durch den Zusammenbruch der Wirtschaft in Ostdeutschland stark rückläufig ist, so reagieren gegenwärtig die Zeitungen in den FNL so, als würden überhaupt keine ausländischen Arbeitnehmer auf diesem Gebiet existieren. Es wird auch nicht darüber berichtet, daß Ausländer und ihre Familien, die schon über Jahrzehnte in der ehemaligen DDR gelebt und gearbeitet haben, sich auch - wie ehemalige DDR-Bürger - mit der Vergangenheitsbewältigung herumschlagen und auf die neuen Strukturen in der BRD einstellen müssen. In den Vordergrund rücken demgegenüber bei der Darstellung
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von Lebensverhältnissen ausländischer Bürger Schilderungen über das Leben sowjetischer Militärangehöriger in den Garnisonen, wobei der Tenor nicht mehr ihre "Besatzermentalität", sondern ihr "Leidensweg" ist. Auch die Darstellung negativer Handlungsweisen von Ausländern, Gesetzesverletzungen bis hin zur Kriminalität, nehmen einen breiten Raum ein.
Im Vergleich zur Süddeutschen Zeitung [ Fn-1: Die Süddeutsche Zeitung wurde zu Vergleichszwecken zum Thema Ausländer in den Monaten Januar bis April 1991 analysiert.] ist die Schilderung der allgemeinen Lebenssituation von Ausländern in der Presse der FNL noch unausgeglichen und einseitig. Das läßt darauf schließen, daß in den Neubundesländern das Zusammenleben von in- und ausländischen Bürgern noch längst keine Normalität geworden ist. Diese Feststellung ist auch für den von uns analysierten Schwerpunkt Darstellung von Flüchtlingsfragen zutreffend.
- Dieser Komplex, der bereits im vergangenen Jahr stärker Beachtung fand, ist gegen Ende 1990 und in den ersten vier Monaten des Jahres 1991 zwangsläufig durch das Umsetzen der Bestimmungen des Einigungsvertrages, 20 % der Asylbewerber und Aussiedler in die FNL zu lenken, zu einem zentralen Thema der Ausländerproblematik geworden. Für die FNL sind es neue Inhalte, wenn in der Öffentlichkeit über Asylbewerber und Flüchtlinge, die gesetzlichen Bestimmungen ihrer Existenz, Unterbringungsschwierigkeiten und ihre materielle sowie finanzielle Ausstattung berichtet wird. Ebenfalls neu sind für den Leser die Probleme der sowjetischen Juden in ihrer Heimat sowie das ausländerrechtliche Dilemma ihrer Aufnahme in die BRD.
Daß offen über die verschiedensten Reaktionen von Behörden, Gemeinden und Inländern zur Aufnahme größerer Gruppen von Asylbewerbern und Flüchtlingen berichtet wird, werten wir als Ausdruck des neuen demokratischen Medien- und Öffentlichkeitsverständnisses in den FNL. Wir können jedoch gerade bei dieser brisanten Thematik eine Reihe von Defiziten in der Berichterstattung nicht übersehen. Gerade beim Thema Asylbewerber und Flüchtlinge wird bisher wenig über die Motive zur Flucht aus der Heimat und die großen Nöte, die Menschen bewegen, wenn sie sich zu diesem Schritt entschließen, berichtet (mit Ausnahme der Hintergründe über das Flüchtlingsdrama der Kurden). Ausländeri-
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nitiativen und Ausländerbetreuer, kirchliche, caritative und Verbände der freien Wohlfahrtspflege kommen bisher diesbezüglich kaum zu Wort. Auch die Schilderung von individuellen Flüchtlingsschicksalen, die die menschlichen Probleme der zu uns flüchtenden Ausländer dem Leser verständlich machen können und eine hohe emotive Wirkung haben, ist nur ansatzweise zu finden. Wir ziehen daraus den Schluß, daß bei der Schilderung der Flüchtlingsproblematik auf der einen Seite Häufigkeit der Darstellung sowie Problemsichten und die Klarheit über rechtliche Bestimmungen zunehmen, andererseits sich aber gerade im Umgang mit Flüchtlingsfragen in der Presse der FNL die allgemeine Unsicherheit gegenüber der Migrationswelle, die auf die EG-Staaten vom Süden und Osten zukommt und die Völkerwanderungscharakter trägt, ausdrückt. Diese Unsicherheit, die quer durch Parteien und weltanschauliche Gruppierungen geht, ist deutlich als eine Ursache von Fremdenabwehr und Ausländerfeindlichkeit auszumachen.
- Die Berichterstattung in den Tageszeitungen der neuen Länder läßt erkennen, daß sich Ausländerfeindlichkeit und Fremdenabwehr in den letzten Monaten verstärkt haben. Im Unterschied zum Jahr 1990 stehen jetzt aber kaum noch die ausländischen Vertragsarbeitnehmer im Mittelpunkt ausländerfeindlicher Angriffe, denn Vietnamesen, Mozambikaner, Kubaner u.a., die in den Großbetrieben der ehemaligen DDR gearbeitet haben, sind - wie schon bemerkt - größtenteils in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Die Ausländerfeindlichkeit richtet sich im Frühjahr 1991, im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Misere in den Neubundesländern und ungenügend gefestigten neuen politischen und geistig-kulturellen Strukturen, besonders gegen Asylbewerber und Touristen aus den ehemaligen Ostblockländern (hier besonders Polen, Rumänen sowie ambulante Händler (besonders Vietnamesen)). Immer deutlicher ist, daß ausländerfeindliche Angriffe mit brutaler Gewalt vorgetragen werden und - wie in Dresden - bis zum Mord reichen. Aus den Meldungen der untersuchten Tageszeitungen läßt sich entnehmen, daß organisierte Formen von Angriffen auf Ausländer zunehmen und von der Bevölkerung offenbar geduldet werden. Wie aus den wenigen Leserbriefen zu entnehmen ist, sind von der Abwehrhaltung besonders gegenüber Asylbewerbern nicht nur Jugendliche, sondern auch Rentner sowie andere, sozial schwache Schichten infiziert. Ausländerfeindlichkeit steht, wie aus den Meldungen hervorgeht, oft in Verbindung zu rechtsradikalen Denkmustern und Organisationsformen und hat verschiedenste, offen zu Tage tretende, aber auch verdeckte Erscheinungsbilder. Auffällig war für
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uns in diesem Zusammenhang, daß in der untersuchten Presse Kurzmeldungen bzw. kurz kommentierte Meldungen überwiegen und längere, differenziertere Darstellungen, die Ursachen des Phänomens Ausländerfeindlichkeit für die FNL analysieren, fehlen. Aber gerade dadurch, daß Ausländerfeindlichkeit benannt, aber wenig beschrieben und analysiert wird, werden zu wenig Ansatzpunkte für ihre Überwindung geschaffen.
Es fehlen darüber hinaus in der Presse geführte, offene Diskussionen zu diesem Thema, denn Fremdenangst und Ausländerfeindlichkeit müssen in hohem Maße auch geistig bewältigt werden. Zur geistigen Bewältigung gehört, daß der Irrationalität, die in ausländerfeindlichem Verhalten zum Ausdruck kommt, geistig rationale Argumente in der Presse entgegengesetzt werden, um so die große Gruppe derjenigen anzusprechen, die scheinbar indifferent zwischen "Ausländerfeinden" und "Ausländerfreunden" steht. Beispiele aktiver Pressearbeit bieten uns hier solche Persönlichkeiten wie Frau Funke, Frau Berger, Frau John und manche andere. Insgesamt aber ist die aktive geistige Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Presse der FNL noch nicht durchgängig. Eine andere Seite dieser Auseinandersetzung ist die praktische ausländerintegrative Arbeit auf den verschiedensten Ebenen und ihre Profilierung, um ausländerfeindliches und -abwehrendes Verhalten stärker zu paralysieren.
- Obwohl es, wie wir alle wissen, in der Praxis in den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr und in den ersten Monaten 1991 sehr viele und ständige Bemühungen gegeben hat, die ausländischen Mitbürger besser zu integrieren, sich Ausländerinitiativen und -Organisationen für Ausländer - und vor allem unter Teilnahme von Ausländern - entwickelten und auch interessante multikulturelle Konzepte und Projekte entstanden, spiegelt sich dies in den von uns untersuchten Tageszeitungen zu wenig wider. Über die gerade in den letzten Wochen und Monaten sehr intensiven Bemühungen der Ausländerbeauftragten und -betreuer, der Kirchen, der freien Wohlfahrtsverbände usw. um die Ausländer wird in der Presse der Neubundesländer, im Vergleich zu Zeitungen der alten Bundesländer, viel zu wenig und vor allem auch nicht anschaulich genug berichtet. Auch auf dem Gebiet der Zusammenarbeit von Deutschen und Ausländern schon vorhandene positive Erfahrungen und vorbildliches Wirken werden in der Berichterstattung zu wenig aufgegriffen. Man hat eher den Eindruck, daß positive Beispiele, Ansätze des multikulturellen
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Zusammenlebens durch Informationen verdrängt werden über eine restriktive Ausländerpolitik, über Ausländerfeindlichkeit, über Schwierigkeiten im Umgang mit Ausländern sowie negative Verhaltensweisen von ausländischen Bürgern.
III. Schlußfolgerungen
Wenn wir aus unserer Presseanalyse und den dargestellten Defiziten Schlußfolgerungen für Medienarbeit in den FNL ableiten, so ergeben sich für uns -Eindrücke aus Hör- und Fernsehfunk sowie aus anderen Bereichen der Massenkommunikation eingeschlossen - folgende:
- Die Parteien sollten sich in der Presse der FNL intensiver und vor allem eindeutiger - oder mit anderem Wort: unzweideutiger - zu ihren Positionen in der Ausländer- und Migrantenpolitik äußern. Dies bezieht sich vor allem:
- auf die Erlaubnis bzw. Verweigerung der Einreise,
- auf die Integration von Ausländern zu Einbürgerungszwecken, oder als multikulturell orientierte Politik des Zusammenlebens der verschiedenen nationalen und ethnischen Gruppen.
Die Parteien und ihre Repräsentanten müßten in ihrer Position zu Ausländern unzweideutig sagen, wofür und wogegen sie sind.
- Den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Initiativgruppen, Organisationen usw. sollten mehr Möglichkeiten gegeben werden, ihre Positionen zu Ausländern sowie ihre Programme und praktischen Tätigkeiten in der Ausländerarbeit in der Öffentlichkeit vorzustellen.
- Es wäre gut, wenn anschaulicher und öfter gezeigt würde, wie private Hilfe gegenüber Ausländern durch Einzelpersonen, aber auch Bürgerinitiativen geleistet werden kann. (Die zum Vergleich herangezogene Süddeutsche Zeitung könnte in der Darstellung der individuellen Haltung und Hilfe einzelner Menschen und Gruppen gegenüber Ausländern als Vorbild dienen.)
- Hintergrundinformationen zur Geschichte von Ausländern in Deutschland, aber auch von Deutschen im Ausland würden - so glauben wir -
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das gegenseitige Verständnis von In- und Ausländern in den neuen Bundesländern befördern und klären helfen, daß auch jeder Deutsche außerhalb seines Landes Ausländer ist.
- Die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit muß in der Öffentlichkeit durch freie Meinungsäußerung der unterschiedlichen Standpunkte und Positionen geführt werden.
Bezogen auf das Wirken von "Multiplikatoren" in der Ausländerarbeit, wären unsere Vorschläge:
- Sie sollten für ihre Arbeit die Öffentlichkeit suchen und die Medien bewußt nutzen, um ihre Positionen zu Ausländerfragen vorzutragen und Erscheinungen von Ausländerfeindlichkeit offen zu diskutieren.
- Es ist von großer Bedeutung, daß sie in Auseinandersetzungen um Fremdenangst, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus keine Pauschalurteile gegenüber Personen und Gruppen, die ausländerfeindlich sind, gegenüber Erscheinungsformen, Ursachen und auch Erscheinungsarten zulassen. Urteile wie "alle ausländerfeindlich eingestellten Menschen sind gegenüber Ausländern aggressiv und gewalttätig" oder "die Polizei ist nicht bereit, Ausländer zu schützen" u.a.m. müssen vermieden werden. Differenzierte und diffizile Bewertungen sind notwendig.
- Die Mittel und Methoden zur Überwindung von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenabwehr sind außerordentlich vielgestaltig und müssen auch differenziert genutzt werden. Weder in der Presse noch im täglichen Umgang miteinander dürfen Menschen bzw. Gruppen mit ausländerfeindlichen Positionen schlechthin isoliert und ausgegrenzt werden. Es ist vielmehr nötig, eine Palette von Methoden zu entwickeln, um den verschiedensten Erscheinungsformen von Ausländerfeindlichkeit begegnen zu können. Multiplikatoren in der Ausländerarbeit müssen hier ein feines Gespür entwickeln und bevor sie sich in der Öffentlichkeit äußern, genau prüfen: Wo ist ein klärendes Gespräch nötig? Wo eine informative Diskussion und vernünftige Argumentation? Wo müssen Behörden und staatliche Machtmittel gebraucht werden? Welche Möglichkeiten gibt es, Ursachen für Spannungen zwischen Deutschen und Ausländern abzubauen und wie kann ich die Öffentlichkeit resp. Presse dafür nutzen?
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- So vielgestaltig die Wege, Mittel und Methoden für den Abbau von Ausländerfeindlichkeit sein müssen, so verschieden sind die Partner, mit denen man zusammenarbeiten sollte. Letztlich müßten alle ausländerintegrierenden Aktivitäten, unabhängig von Weltsichten und politischen Positionen, gleichgültig, ob sie von Behörden, Ausländerorganisationen und Initiativen, von freien oder kirchlichen Wohlfahrtsverbänden kommen, genutzt werden. Gebraucht wird - und auch hier existiert noch ein erhebliches Defizit - eine konzertierte Aktion gegen Fremdenabwehr und Ausländerfeindlichkeit. Die hier versammelten Experten in der Ausländerarbeit sollten diese konzertierte Aktion anregen und die Medien müssen helfen, sie zustande zu bringen.
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fes-library | Mai 2001
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