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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 103 ]


Klaus-Dietrich Frank
Netzwerke für Integration im Erftkreis und in Köln


ZMO - „Zusammenarbeit mit Osteuropa e.V. - Zentralverband Deutscher und Osteuropäer" ist 1971 als Zentralverband Mittel- und Ostdeutscher gegründet worden. Ende der 60er, Anfang der 70er wandte sich Deutschland verstärkt seinen östlichen Nachbarn zu, um an die Stelle des „Kalten Krieges" den Versuch der Aussöhnung und des friedvollen Zusammenlebens auch nach Osten hin zu setzen. Dies ist die Grundhaltung von ZMO e.V. Um die innere Einheit Deutschlands müssen wir alle weiterhin bemüht sein, auch wir in unserem Verband.

Heute haben wir drei Aufgaben. ZMO e.V. betreut Aussiedler, Spätaussiedler, also die Deutschen, die aus den osteuropäischen Ländern zu uns kommen, und versucht, ihnen bei der Integration in ihrer „Neuen Heimat" behilflich zu sein. Wir wissen, daß die Deutschen, die aus GUS-Staaten kommen, Opfer des Krieges sind. Weil Deutschland den Krieg nach Rußland trug, wurden sie verbannt und verschleppt und müssen heute wieder wandern. Weil jede Aussiedlung mit dem Verlust sozialer Stellungen und Bindungen verbunden ist, müssen den noch in den Siedlungsgebieten verbliebenen Deutschen Perspektiven zum Bleiben eröffnet werden. Sie müssen die Wahl haben zwischen Bleiben und Gehen. Und dabei helfen wir und beziehen das Umfeld mit ein. ZMO e.V. leistet drittens einen Beitrag zur Pflege kultureller Werte in Ost- und Südosteuropa, um über diesen Weg sowohl die Integration in der „Neuen Heimat" zu erleichtern als auch die in ihrem jetzigen Umfeld Verbleibenden zu unterstützen.

ZMO e.V. ist bewußt nicht landsmannschaftlich organisiert, sondern offen für alle, die Integration in die neue Heimat wollen, die aber auch den verlorenen Krieg, also die Oder-Neiße-Grenze und die Tatsache anerkennen, daß wir Vertriebene und Aussiedler den Krieg etwas mehr verloren haben als andere Deutsche. - Das ist so!!

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Man kann nicht Schuld gegen Schuld aufrechnen und Pfennig gegen Pfennig. Walter Haak, von allen anerkannter Fachmann für Vertriebenen- und Aussiedlerbelange, pflegte immer mit der Feststellung zu beginnen: „Aus der Praxis für die Praxis", und so sehe ich auch den Aufbau dieser Netzwerke.

Die Eingliederung hatte bis 1990 andere Voraussetzungen als heute: Die Vertriebenen waren Deutsche, zwar trotzdem Fremde, aber durch Sprache und das gemeinsame Schicksal leichter zu integrieren, auch weil viel aufzubauen war. Die Aussiedler aus Polen und Rumänien hatten starke Bezugspunkte in der Bundesrepublik, besonders die katholische und die evangelische Kirche; und die Banater und die Siebenbürger sprachen Hochdeutsch. Wichtig ist dabei noch, daß sie aus ihrer Heimat kamen. Die Spätaussiedler aber sind seit 1941 heimatlos durch Verschleppung oder Verbannung. Bei den Spätaussiedlern fehlt außerdem der Bezug zur idealisierten „Heimat der Väter".

Die neuen Wohnbedingungen zwingen Spätaussiedler zur Trennung aus der Großfamilie, aber trotzdem igeln sie sich ein. Es muß nochmals betont werden: Die Situation ist seit 1993 ganz anders, man muß andere Wege bei der Integration gehen, betreuen und beschützen allein reicht nicht aus. Es behindert eher die Integration und das Erlernen der deutschen Sprache. Auch die äußeren Bedingungen sind seither wesentlich schlechter geworden.

Wir haben 4 Millionen Arbeitslose, d.h. Integration über den Arbeitsplatz ist schwieriger geworden. Die Sprachkurse sind auf 6 Monate reduziert worden, obwohl jeder hätte wissen müssen, daß die Jahrgänge 1933 bis 1960 Deutsch nicht in der Schule, sondern bestenfalls von den Eltern gelernt haben.

Der Schock für die Einheimischen in der Bundesrepublik, als plötzlich vor 1990 jährlich fast 1,5 Mill. Aussiedler, Übersiedler aus der DDR, Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber kamen, wirkt auch heute noch nach. In der Bundesrepublik tun sich die Menschen schwer anzuerkennen, daß die Spätaussiedler Opfer zweier Regime sind, - Opfer des Faschismus und Opfer des Stalinismus.

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Netzwerk beginnt somit mit der Aufklärung der Bürger in den Kommunen über das Schicksal der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion und dann Aufklärung der Spätaussiedler, daß Deutschland kein Schlaraffenland ist und daß hier jeder eigenverantwortlich entscheiden muß, - daß das Maß für die gewonnene Freiheit auch das Maß zum Willen zur Eigenverantwortlichkeit ist. Und daß man die deutsche Sprache beherrschen muß. - Und wir müssen ihnen zeigen, daß wir Aussiedler mögen!

Der Aufbau eines Netzwerkes dauert mindestens 2 Jahre, und am Anfang steht: Mit den Spätaussiedlern reden - nicht über Spätaussiedler reden. Für gemeinwesenorientierte Arbeit, die das Wohl aller Bürger betrifft, ist die Kommune, der Kiez, das Quartier, das Viertel, der ideale Ort, an dem der Integrationsprozess stattfindet. Über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg kann hier Zusammenleben und Teilhaben erreicht werden. Vernetzung bedeutet mehr als Kooperation, dazu ist es notwendig, daß Konkurrenzdenken ausgeschaltet wird und es somit einzig und allein für alle um die zu bewältigenden Aufgaben geht. In diese Arbeit gehören die einheimischen Verbände, Vereine und Initiativen hinein. Wir sollten im zweiten Schritt die Aussiedler, Kontingentflüchtlinge und Ausländer davon überzeugen, auch in Vereine einzutreten. Durch aufsuchende Arbeit muß versucht werden, inbesondere die Isolation Jugendlicher zu durchbrechen, im Prinzip gilt das auch für die ältere Generation. Die Netzwerkarbeit findet auf zwei Ebenen statt:

  • zum einen institutionalisiert , z.B. „Am Runden Tisch";

  • zum anderen auf der privaten Ebene, in Gruppen, Vereinen, Familien.

Die Praxis des Aufbaues von Netzwerken im Erftkreis und in Köln

Hürth ist eine Kommune im Erftkreis. Der Erftkreis, mit etwa 500.000 Einwohnern in 9 Städten und einer Gemeinde, hat seit 1996 einen Beirat für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen beim Landrat des Kreises mit der Zusammensetzung:

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  • je ein Mitglied der im Kreistag vertretenen Parteien;

  • je ein Mitglied der IHK zu Köln, der Kreishandwerkerschaft, des Arbeitsamtes Brühl, des DGB der Region;

  • vier Mitglieder aus dem Kreis der Vertriebenen (BDV, ZMO, Bauernverband);

  • vier Mitglieder aus dem Personenkreis der Spätaussiedler mit Wohnsitz im Erftkreis.

Der Vorsitzende wird für gewöhnlich aus der Reihe der Vertriebenen oder Spätaussiedler gewählt. Ab Neukonstituierung, ca. Mitte 2000, wird der Beirat dann heißen: „Beirat für Spätaussiedler- und Integrationsfragen beim Landrat des Erftkreises" und wird außerdem einen Vertreter der Ausländerbeiräte als Mitglied haben. Die Geschäftsführung liegt beim Vertriebenenamt des Landkreises. Dieser übergeordnete Beirat kann keine lntegrationsarbeit im Wohnbereich leisten, er hat aber die Bildung von Netzwerken gefördert, dadurch daß Spätaussiedler auf dieser Ebene als Entscheidungsträger eingebunden sind.

Wenn man die Stadtverwaltung zum Freund hat, geht es leichter, sonst fängt dort schon die Überzeugungsarbeit an. Außerdem braucht man einheimische Ehrenamtliche und Spätaussiedler, die bereit sind, für den Aufbau des Netzwerkes Zeit zu opfern. Dann kann man Einheimische und Spätaussiedler zu einer lnformationsveranstaltung einladen, die das Schicksal der Deutschen aus Rußland darstellt. Alle Aktivitäten sollten durch intensive Pressearbeit bekannt gemacht werden.

Der Weg ist lang, man braucht Kulturbegegnungen zwischen Spätaussiedlern und Einheimischen und Menschen aus den Herkunftsgebieten. Danach haben wir dann mit Hilfe der Stadtverwaltung zu einem „Runden Tisch" zur Gründung des Netzwerkes eingeladen. Zu diesem „Runden Tisch" gehören:

  • Bürgermeister, Vertriebenen-, Sozial-, Kulturamt;

  • Jugendzentrum der Stadt;

  • Jugendgemeinschaftswerk;

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  • Wohlfahrtsverbände: AWO, Caritas, Diakonie, DRK u.a.;

  • Vereine: Gesangs-, Traditions-, Sportvereine etc., besonders Heimatvereine;

  • Orts- und Dorfgemeinschaften;

  • Kirchen;

  • Feuerwehr (Jugendfeuerwehr);

  • Polizei;

  • Spätaussiedler, die als Lotsen mitwirken;

  • Vorsitzender des Sozialausschusses - auf dieser Ebene keine Fraktionsvertreter;

  • ein Vertreter des Ausländerbeirates;

  • Schulen, evtl. Schulpflegschaften;

  • die örtliche Presse;

  • Partnerschaftsvereine, wenn vorhanden.

Das Netz knüpft sich, wenn alle eingeladen und gekommen sind und die Probleme auf den Tisch gelegt wurden, von alleine weiter. Man kennt sich, weiß voneinander, ist bereit, miteinander zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund können dann auch Kontakte nach Rußland geknüpft werden.

Der Vorsitz kann auf Zeit einer Organisation übertragen werden und jedes Jahr wechseln oder durch einen lntegrationslotsen, der einem Verband angegliedert ist, wahrgenommen werden. Fester Punkt in der Stadtverwaltung/Verwaltung bleibt das Sozialamt/Vertriebenenamt.

Netzwerkarbeit in der Großstadt

In Köln ist ZMO e.V. vor ca. 3 Jahren in den „Arbeitskreis Aussiedler der Wohlfahrtsverbände", dem auch alle Jugendgemeinschaftswerke in Köln und Vertreter des Vetriebenenamtes angehören, eingeladen worden und

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hatte für 1999 die Federführung übernommen. In diesem Jahr ist der Arbeitskreis, themenbezogen auf Sprachschulung, um verschiedene Organisationen, Einrichtungen und Verbände erweitert worden.

Die Erkenntnis aus der Arbeit dieses Jahres hat dazu geführt, daß eigentliche Netzwerke jetzt in den Stadtbezirken gegründet werden sollen, so wie die Gruppe OWI - Ost-West-Integration - innerhalb des Volkshochschulverbandes im rechtsrheinischen Gebiet. Die allerdings mit 2 bezahlten hauptamtlichen Kräften arbeiten.

ZMO e.V. will die Betreuungs- und Beratungsstelle in Köln-Chorweiler mit einem Integrationslotsen und vorhandenen ehrenamtlichen Helfern zu einer Keimzelle eines Netzwerkes ausbauen. Übergeordnetes Dach für die Großstadt Köln bleibt das Amt der Sozialdezernentin. Am Beispiel der Stadt Hürth wurde gezeigt, wie ein Netzwerk zur Integration als Bürgerinitiative von einem Verband aufgebaut wurde. Dazu muß aber auch festgehalten werden: ganz ohne Geld und materielle Unterstützung läßt sich dieses Ziel aber nicht erreichen. Außerdem ist sehr viel Stehvermögen und Überzeugungskraft nötig.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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