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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 7] 1. Was ist Gender Mainstreaming? Die Strategie des Gender Mainstreaming ist in der Bundesrepublik Deutschland durch die Politik der Europäischen Union bekannt geworden. Ihre Wurzeln liegen jedoch in der weltweiten Frauenbewegung und ihren Erfahrungen mit der Durchsetzung von Forderungen an die Regierungen. In den ersten drei Weltfrauenkonferenzen wurden jeweils Empfehlungen für die Verbesserung der Lage der Frauen formuliert und in Dokumenten verabschiedet. Die nationalen Regierungen verpflichteten sich freiwillig, diesen Empfehlungen zu folgen. In den folgenden Konferenzen auf internationaler Ebene wurde jedoch immer deutlicher, daß diese Selbstverpflichtung der Regierungen keine Erfolge zeigt und sich die Lage der Frauen kaum verbesserte. Diese Erfahrungen führten insbesondere in den NGO´s zu Diskussionen darüber, wie eine weltweite Frauenpolitik aus der Position der Bittstellerin an die Regierungen herauskommen kann und wie die berechtigten Forderungen wirksamer umgesetzt werden können. 1995 auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Bejing erhielt die neue Strategie ihren Namen: das Gender Mainstreaming. Im Kontext der Weltfrauenpolitik bedeutet es, daß die Regierungen in allen Politikbereichen und in jedem Falle nachprüfen, welche Auswirkungen ihre Politik für die Situation der Frauen hat und in welcher Weise geplante Maßnahmen die spezifischen Lebenssituationen von Frauen in dem Sinne der in den Dokumenten verabschiedeten Zielsetzungen verbessern (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 1996). Auf europäischer Ebene hatten die Frauen bereits 1993 mit der Reform der EU-Strukturfonds eine Zielvorgabe "Chancengleichheit für Frauen und Männer" durchsetzen können. Damit war erstmals in Europa in einem "allgemeinen" Förderkonzept das Ziel der Chancengleichheit verankert. Im Vierten Aktionsprogramm zur Chancengleichheit 1995 wurde dann das Prinzip des Gender Mainstreaming beschrieben. Das, was im EU-Strukturfond gelungen war, wurde auf die gesamte europäische Politik übertragen: Die Geschlechterverhältnisse sollten in jeder politischen Maßnahme von der Planung bis zur Erfolgskontrolle berücksichtigt werden. Eine weitere Bekräftigung erfuhr das Gender Mainstreaming Prinzip im Amsterdamer Vertrag 1996. In diesem Vertrag verpflichten sich alle Staaten der Europäischen Union, das Gender Mainstreaming Prinzip bei ihrer Politik anzuwenden. Konkretisierungen und Ausdifferenzierungen wurden auf EU-Ebene in aktuellen Entschließungen des Rates zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999 vorgenommen. In Zukunft soll in einem Fünften Aktionsprogramm Gender Mainstreaming weiterentwickelt werden. Auch in der Bundesrepublik ist der Gedanke nicht neu, Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Die Umsetzung dieser Idee in die Organisation politischer Entscheidungsprozesse ließ jedoch zu wünschen übrig: In der Regel gab es eine zuständige Stelle (Frauenministerium, Gleichstellungsstelle), die Frauenpolitik formulierte und Forderungen und Konzepte entwickelte. Diese Stelle trug dann diese Konzepte an die "anderen" Politikfelder heran und erhob den Anspruch, daß dort die gewünschten Konzepte umgesetzt werden. Ein entscheidender Faktor für das Gelingen dieser Art von Frauenpolitik war die Stärke der jeweiligen Frauen in ihren Positionen. Bei dieser Organisation der Entscheidungsprozesse verblieben die Frauen oft in der Rolle der Bittstellerinnen oder derer, die moralische Appelle abgaben. Oft wurden klare Forderungen der Frauen durch mühselige Abstimmungsprozesse und Zuständigkeitsrangeleien verwässert. Vom Ansatz her entspricht das Prinzip des Gender Mainstreaming der Idee der Querschnittspolitik: Die Chancengleichheit der Geschlechter läßt sich nur herstellen, wenn dieses Ziel in allen Politikbereichen angestrebt wird. Das Gender Mainstreaming Prinzip konkretisiert dieses Ziel jedoch durch einen klaren Bezug auf die Entscheidungsprozesse in Organisationen. [Seite der Druckausg.: 8]
In dieser Definition wird noch einmal deutlich, daß Gender Mainstreaming ein Prinzip ist, die Entscheidungsprozesse einer Organisation zu verändern. Das ist einerseits eine Begrenzung auf das Anwendungsfeld Organisation. Gender Mainstreaming ist nicht etwa eine neue Strategie der Frauenbewegung, mit der sie sich selbst eine neue Form geben würde. Das Prinzip ist auf Organisationen zugeschnitten, die Politik machen und bisher die Geschlechterverhältnisse kaum oder gar nicht berücksichtigt haben. In diesen Organisationen kann es zu einer wirksamen Vertiefung der Geschlechterpolitik genutzt werden. In der Umsetzung wird das Gender Mainstreaming Prinzip zu einem frauen- und geschlechterpolitischen Instrument, mit dem formulierte Ziele für die Gestaltung der Geschlechterverhältnisse erreicht werden sollen. Zum besseren Verständnis der Anwendung des Prinzips kann die Suche nach einem vergleichbaren Prinzip dienen. Fragt man, welches Prinzip bereits heute alle Entscheidungsprozesse von Organisationen prägt und sich wie ein roter Faden durch die Organisationen zieht, so stößt man auf das Kriterium der Ökonomie, also die Frage nach den Kosten. Am Beispiel des Kostendenkens in der Verwaltung kann deutlich gemacht werden, wie das Gender Mainstreaming Prinzip funktioniert: Genauso, wie in einer Verwaltung die Frage nach den Kosten in allen Entscheidungsprozessen eine erhebliche Rolle spielt, wird bei Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips die Frage nach den Geschlechterverhältnissen Bedeutung gewinnen. Geschlechterfragen werden zum integralen Bestandteil des Denkens, Entscheidens und Handelns aller Beteiligten. Um in einem Bild zu sprechen: Wenn man Entscheidungsprozesse in politisch handelnden Organisationen mit dem Flechten eines Zopfes vergleicht, so werden bisher die Zöpfe mit den Strängen Sachgerechtigkeit, Machbarkeit und Kosten geflochten. Wenn überhaupt, wird zum Schluß die Frage gestellt, in welcher Weise Frauen betroffen sein könnten. Der fertige Zopf wird also noch am Ende mit einer kleinen Schleife versehen. Gender Mainstreaming bedeutet, bleibt man in diesem Bild, daß die Frage der Geschlechterverhältnisse einer der wesentlichen Stränge des Zopfes selber ist, der durchgeflochten wird und die Entscheidungen von Anfang an prägt. Nimmt man das Gender Mainstreaming Prinzip ernst, so bedeutet es in der Tat eine Innovation von Entscheidungsprozessen in Organisationen und wird damit zu einer radikalen (an die Wurzel gehenden) Veränderung. Die Benennung dieses radikalen Prinzips wird oft kritisiert, der Name sei unverständlich und nicht zu vermitteln. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Benutzung englischer Worte in vielen Bereichen, insbesondere auch der Medien- und Informationstechnologie, selbstverständlich wird. Das Festhalten an dem englischen Begriff Gender Mainstreaming hat den großen Vorteil, daß damit eine international entwickelte Strategie benannt wird und somit eine bessere Verständigung auf internationaler Ebene möglich ist. [Seite der Druckausg.: 9]
Eine Geschlechterpolitik, die den Gender-Begriff und nicht den Begriff Frauen zugrundelegt, akzentuiert damit:
Diese Grundannahmen geben nur die Richtung der Geschlechterpolitik an, konkrete politische Zielsetzungen bieten sie noch nicht. Ebenso ist es bei Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips: Es setzt die Erkenntnis voraus, daß die Geschlechterverhältnisse eine Rolle spielen und Männer und Frauen in verschiedener Weise betroffen sind oder betroffen werden. Gender Mainstreaming ersetzt nicht die politische Auseinandersetzung darüber, wie denn die Geschlechterverhältnisse politisch zu gestalten sind, es verhilft allerdings formulierten Zielsetzungen zur besseren Umsetzung. Betrachtet man die EU-Dokumente, in denen Gender Mainstreaming behandelt wird, so findet man sogar die Bezeichnung des "Mainstreaming der Chancengleichheit". Damit wird deutlich, daß die Vokabel Gender an sich noch keine politische Aussage beinhaltet, sondern daß Worte wie Geschlechterdemokratie, Chancengleichheit oder Gleichstellung von Männern und Frauen hinzukommen müssen, um die Richtung der Veränderung der Geschlechterverhältnisse anzugeben. Mit dem Begriff Gender ist lediglich darauf hingedeutet, daß die herrschenden Geschlechterrollen gesellschaftliche Konstrukte und damit veränderbar sind, in welche Richtung jedoch, das sagt der Begriff Gender nicht. In der theoretischen Diskussion um die Kategorie Geschlecht, in der Fragen nach der Identität, der gesellschaftlichen Bedingtheit und der gesellschaftlichen Funktion von Geschlecht diskutiert werden, gibt es verschiedene Strömungen (vgl. Stiegler 1998). Die verschiedenen geschlechtertheoretischen Ansätze können helfen, das jeweilige Grundverständnis der Geschlechterpolitik zu klären. Sie schaffen Begründungszusammenhänge und legitimieren unterschiedliche geschlechterpolitische Zielsetzungen und Strategien: Differenztheorien begründen eine autonome, von Männern und Männlichem abgegrenzte Politik und unterstützen die Zielsetzung, den Frauen die Entwicklung des originären Weiblichen zu ermöglichen. Sie zeichnen das Bild von zwei verschiedenen Kulturen und Daseinsformen der Geschlechter und wollen den Frauen die Mittel verschaffen, ihre eigenen Lebensräume zu gestalten. Die dekonstruktivistischen Geschlechtertheorien legitimieren jede Art von Politik, die geschlechtliche Identitäten nicht ausgrenzt oder diskriminiert, sondern eine Vielzahl von Männlichkeit und Weiblichkeit zuläßt. Geschlecht wird als soziales Konstrukt angesehen. Diese Theorien entziehen jeder Form der [Seite der Druckausg.: 10] Geschlechterherrschaft die Legitimation und ermutigen dazu, sich von allen Zuschreibungen aufgrund des Geschlechts zu befreien. Jede Überschreitung der gesellschaftlich definierten Geschlechtergrenzen kann damit zu einer politischen Aktion werden, die auf die prinzipielle Offenheit der Geschlechterrolle hinweist. Gesellschaftskritische Geschlechtertheorien bieten Analyseraster und Erkenntnisse über die je vorhandenen Formen der Geschlechterhierarchie und Frauendiskriminierung. Sie verstehen die Kategorie Geschlecht als äußerst wirksames Instrument, um Differenzen zwischen Individuen zu produzieren. Diese theoretischen Ansätze nehmen die realen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ernst, analysieren ihre Ausprägungen, ohne sie jedoch festschreiben zu wollen, im Gegenteil: die genaue Analyse von Herrschaftsstrukturen und Mechanismen wird dazu genutzt, angemessene Veränderungsstrategien zu entwickeln. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000 |