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6. Zur quantitativen Bestimmbarkeit der illegalen Migration und illegalen Ausländerbeschäftigung


Im politischen und öffentlichen Diskurs über Migration sind Zahlen stets von großer Bedeutung; so wird beispielsweise gefragt, wieviele Menschen jährlich in ein Land einwandern. Vor allem im Bereich der illegalen, also der staatlich nicht kontrollierbaren Wanderung ist diese Frage von höchster Relevanz, wie u.a. das Beispiel der USA zeigt. Ist die illegale Zuwanderung und illegale Ausländerbeschäftigung eine zu vernachlässigende Größe, so dürfte auch die politische Brisanz der Frage geringer sein.

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6.1 Methodische Probleme der Messung von illegaler Migration und Ausländerbeschäftigung

In der Öffentlichkeit und in den Medien wird häufig der Eindruck erweckt, daß die Größenordnungen von illegaler Migration und Beschäftigung bekannt wären. Angaben dieser Art sollte allerdings mit großer Skepsis begegnet werden; wissenschaftlich fundierte Schätzungen, unter Angabe der zugrundegelegten Schätzannahmen, existieren für die Bundesrepublik Deutschland nicht (vgl. auch Vogel 1996a: 5). Einige Beispiele aus der Presse mögen dies illustrieren:

  • Die Frankfurter Rundschau (13.11.1995) nennt unter Berufung auf Ausländerbehörden - ohne weitere Angaben - die Zahl von 500.000 illegal im Land lebenden Ausländern.
  • "Wohlfahrtsverbände vermuten, daß sich allein in Berlin etwa 100.000 Ausländer ohne Aufenthaltsstatus durchschlagen" (Der SPIEGEL, 49/1995: 61; so auch Süddeutsche Zeitung, 13.6.1996).
  • Nach Zahlen des Europarates leben vermutlich über eine Million illegal Aufhältliche [Die Caritas nennt ähnliche Größenordnungen. "Auf nahzu eine Million schätzt Jesus Cencillo ihre Zahl in Deutschland" (Rüffer 1997: 16).] in der Bundesrepublik Deutschland; allein in Berlin wird ihre Zahl auf 500.000 geschätzt (Süddeutsche Zeitung, 28./29.9.1996).

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Das Spektrum Zahlenangaben für das Bundesgebiet reicht von einer halben bis über eine Million. In keinem dieser Berichte wird das Zustandekommen der Schätzzahl erläutert.

Grundsätzlich liegt es bereits im Wesen des Phänomens Illegalität begründet, daß sich die betreffenden Personen der staatlichen Aufdeckung und damit auch einer statistischen Erfassung entziehen. [Illegal in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer sind melderechtlich nicht registriert, weshalb diese Population auch nicht Bestandteil der Wohnbevölkerung des Staates ist. Die fehlende staatliche Registrierung ist somit Folge und auch Merkmal der Illegalität - insbesondere unter den diesbezüglich in der Bundesrepublik Deutschland rigiden Rechtsnormen.]
Die ausländische Bevölkerung ohne Aufenthaltsgenehmigung (oder Duldung), aber auch die Arbeitgeber, die diese Menschen illegal beschäftigen, sind in höchstem Maße bestrebt, den illegalen Aufenthalt und die illegale Beschäftigung vor den Behörden zu verbergen. Menschen in der Illegalität organisieren ihr Leben so unauffällig wie möglich und sind so deshalb schwer lokalisierbar. Erst bei einem Kontakt zwischen den Organen des Staates und dem ausländischen Migranten ohne Aufenthaltsrecht wird die Illegalität bekannt. Im Falle ihrer Entdeckung werden sie in aller Regel ins Ausland ausgewiesen bzw. abgeschoben; deshalb versuchen sie diesen Kontakt in jedem Fall zu verhindern.

Im folgenden wird detaillierter erläutert, weshalb der zahlenmäßige Bestand der illegal aufhältlichen Personen bzw. der illegal arbeitenden Ausländer so schwer zu bestimmen ist; man stößt dabei auf grundsätzliche Probleme folgender Art:

  • Prinzipiell wird eine Schätzung durch die geschilderte Komplexität des Phänomens und Vielfalt der illegalen Lebensformen (siehe 3.) erschwert. Aufgrund des Zustandekommens der Illegalität, der Lebensführung etc. der einzelnen Gruppen existiert keine homogene Bevölkerungsgruppe, die quantitativ faßbar wäre.
  • Aus demographischer Sicht läßt sich feststellen, daß die für die Bestimmung des Bevölkerungsbestands einer wandernden Population äußerst relevanten Größen Zu- und Abwanderung unbekannt sind. Es kann nicht beantwortet werden, wieviele Menschen tatsächlich undokumentiert über die grüne Grenze oder über die Grenzübergänge einreisen. Ferner kann auch nicht die Zahl der Personen, die legal als Touristen, Arbeitnehmer, Studenten, Asylsuchende etc. einreisen und dabei die für ihren Aufenthalt vorgesehene Aufenthaltsdauer überschreiten, angegeben werden; entsprechendes gilt für diejenigen, die scheinbar legal - z.B. mit gefälschten Papieren - ins Land kommen. Auch können keine genauen Aussagen über illegal im Land lebende Migranten gemacht werden, die undokumentiert aus- bzw. weiterwandern. Um den Umfang dieser Bevölkerungsgruppe bestimmen zu können, müßten die Größen der Zu- und Abwanderung zudem über mehrere Jahre im Zeitverlauf bekannt sein.
  • Könnten die Flußgrößen der illegalen Migration (Zu- und Abgang) zuverlässig bestimmt werden, wäre für die Schätzung der Bestandsgröße (zu einem bestimmten Zeitpunkt) mindestens eine weitere Information notwendig: Wie lange verbleiben die Migranten im Lande? Es wäre also zu prüfen, ob der Aufenthalt auf Dauer angelegt oder nur für kurze Zeit geplant ist. Beispielsweise würden viele kurze, saisonal be-

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    dingte illegale Aufenthalte die Zuzugszahlen anschwellen lassen, aber auch die Zahlen der ausreisenden Personen ohne Aufenthaltsrecht. Die Größe des Bevölkerungsbestands hinge dann entscheidend davon ab, welcher Meßzeitpunkt - vor oder nach einer Rückwanderungswelle - ausgewählt werden würde. Entscheidend wäre es also hier zu wissen, ob und in welchem Maße es sich bei der illegalen Zuwanderung um Formen der sog. Pendelmigration, der saisonalen Migration etc. oder um einen auf Dauer angelegten Aufenthalt handelt.

  • Greift man, wie auch im folgenden, auf die Aufgriffszahlen der staatlichen Ordnungs- und Ermittlungsbehörden zurück, so gilt zu bedenken, daß hier nur der Teil der Personen erfaßt ist, der von den Behörden entdeckt wurde; unbekannt bleibt dagegen das sog. Dunkelfeld der Illegalität. Amtliche Statistiken - wie beispielsweise die Polizeiliche Kriminalstatistik, die Aufgriffsstatistiken des Bundesgrenzschutzes und der Bundesanstalt für Arbeit - beziehen sich also nur auf das entdeckte sog. Hellfeld. Das Ausmaß des Dunkelfeldes bzw. die Dunkelziffer ist - nach Erkenntnissen der Kriminologie (Eisenberg 1979: 93f.) - grundsätzlich von vier Faktoren abhängig: von der Art des Delikts, von den Tätergruppen, von der Anzeigebereitschaft der Bevölkerung sowie der Verfolgungs- und Kontrollintensität polizeilicher Maßnahmen. [Zwischen den tatsächlich begangenen und den erhellten, bekanntgewordenen Regelverstößen besteht kein fester Zusammenhang; die sog. Hell-Dunkelfeldrelation stellt keine feste Größe dar. Daher kann vom erfaßten Hellfeld (also der Zahl der aufgedeckten Fälle) nur sehr bedingt auf die Dunkelziffer und damit auf die Gesamtzahl der illegal aufhältlichen Personen geschlossen werden. Es kann aus einem Ansteigen der Zahlen der Aufgegriffenen nicht zwingend geschlossen werden, daß auch der Gesamtumfang des Phänomens zugenommen hat. So könnte beispielsweise das Anwachsen auf verbesserte Ermittlungsverfahren und -techniken (z.B. Einführung von Wärmebildkameras an der Grenze) zurückzuführen sein. Die Aussagekraft der polizeilichen Statistiken ist also dadurch eingeschränkt, daß eine Teilmenge der Delikte statistisch nicht erfaßt werden kann, da sie nicht aufgedeckt wurden. ]
    Das Kontrollverhalten der Ermittlungsbehörden ist im Falle der illegalen Migration wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Größe des Dunkelfelds. Da sich das Kontrollverhalten in den letzten Jahren veränderte, kann auch nicht von einer über die Zeit konstanten Dunkelziffer ausgegangen werden. Sicherlich dürfte daneben auch die ethnische Zugehörigkeit und die sozialstrukturelle Position des Migranten die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung beeinflussen; so dürfte ein Migrant in der Illegalität mit guten Kenntnissen der jeweiligen Landessprache, Sitten und Gebräuche sowie mit einem unterstützenden sozialen Netzwerk (Familie, ethnische Kolonie) leichter einem Aufgriff entgehen, als jemand, dem diese Kapitalien nicht zur Verfügung stehen. [Das bedeutet, daß das Risiko des Entdecktwerdens (die Aufgriffswahrscheinlichkeit) für die jeweiligen Personengruppen unterschiedlich ist. Ein Rückschluß von den Aufgriffszahlen auf die tatsächliche Population wird dadurch zusätzlich erschwert.]

Es kann also festgehalten werden, daß für eine qualifizierte Schätzung, die wissenschaftlichen Kriterien genügen soll, alle genannten Fragestellungen ausreichend beantwortet sein müssen. Die (Modell-)Annahmen als Grundlage einer Schätzung müssen offengelegt werden, ansonsten handelt es sich um rein spekulative Werte. Es bleibt daher zu vermuten, daß häufig solche - wie die oben aufgeführten - Zahlen zur illegalen Migration aus politischen und ideologischen Erwägungen in der Öffentlichkeit genannt werden (Foerster 1992: 8).

Im folgenden sollen, trotz der genannten Schwierigkeiten methodischer Art, dennoch einige aussagefähigen Daten zur illegalen Einreise und zur illegalen Ausländerbeschäftigung gemacht werden. Wenn die illegal aufhältlichen und arbeitenden Personen mit

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den staatlichen Kontrollinstanzen in Kontakt kommen, hinterlassen sie "Spuren" in den entsprechenden amtlichen Statistiken (Vogel 1994: 10, diess. 1996a: 5ff.). Im zeitlichen Längsschnitt betrachtet, verweisen diese Statistiken - unter jeweils gewissen Einschränkungen - auf Entwicklungstendenzen der illegalen Migration und Ausländerbeschäftigung.

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6.2 Aufgriffe von illegal eingereisten Ausländern an den bundesdeutschen Grenzen

Die Zahlen der Aufgriffe des Bundesgrenzschutzes, der Länderpolizeien, der Bayerischen Grenzpolizei, der Wasserschutzpolizei und des Zolls wegen illegalem Grenzübertritt an den Land- und Seegrenzen haben sich im Zeitraum von 1990 bis 1996 beinahe vervierfacht (+278 %). [Im Jahr 1993 erreichte die Aufgriffszahl ihren Höchststand von 54.298. Hier besteht ein enger Zusammenhang zwischen illegaler Einreise und Asylantragstellung (zum Juli 1993 wurde das Asylrecht geändert), auf den hier nicht näher eingegangen werden kann. ]
Im Jahr 1996 wurden dabei mehr als 27.000 Menschen bei dem Versuch gestellt, die Grenze illegal zu überqueren (siehe Abbildung 2). Brennpunkt ist dabei die 1.264 Kilometer lange Ostgrenze zu Polen und zur Tschechischen Republik; circa 80 von Hundert aller Aufgegriffenen wurden an diesen beiden Grenzabschnitten gefaßt (vgl. Lederer 1997). Die Zurückweisung von im grenznahen Raum aufgegriffenen illegal eingereisten Personen ins Nachbarland ist dabei unmittelbar möglich.

Abbildung 2:

Aufgriffe von illegal eingereisten Ausländern an den bundesdeutschen
Grenzen von 1990 bis 1996


Daten nach Angaben des Bundesgrenzschutzes

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Häufig wird von seiten der Medien oder der Politik direkt von der Zahl der an der Grenze aufgegriffenen Personen auf die Gesamtzahl der illegal im Land sich befindlichen Personen geschlossen. Legt man beispielsweise eine (durchschnittliche) Aufgriffszahl von 30.000 zugrunde und geht davon aus, daß jeder fünfte illegal Eingereiste [Der Bundesgrenzschutz ging von tatsächlich drei bis viermal so vielen illegalen Einreisen aus wie jährlich an der Grenze gefaßt werden (Publik Forum, 17.12.1993). Der Pressesprecher des Bundesgrenzschutzes sprach aber auch von fünfmal so vielen geglückten illegalen Einreisen pro Aufgriff (Röseler/Vogel 1993: 21, Süddeutsche Zeitung 1.7.1993). Mittlerweile lehnen es die Vertreter des BGS ab, solche Aufgriffswahrscheinlichkeiten zu nennen.] an der Grenze aufgegriffen wird, dann heißt das, daß jährlich circa 120.000 Menschen "erfolgreich" die Grenze passieren konnten. Nach fünf Jahren müßte so die Zahl der Bevölkerung ohne Aufenthaltsrecht 600.000 betragen.

Doch der Rückschluß auf die tatsächliche Zahl der illegal Eingereisten und den Bestand der illegal Aufhältlichen ist in methodischer Hinsicht - wie bereits dargestellt - als sehr problematisch zu erachten. Schätzungen, die sich nur auf die Aufgriffszahlen an den Grenzen beziehen, leiden unter folgenden Mängeln:

  • Es werden bei dieser Methode nur Personen erfaßt, die versuchen, die grüne bzw. blaue Grenze zu überwinden; eine "Hauptquelle" der Illegalität, die sog. overstayers finden hier keine Berücksichtigung (d.h. Personen, die auf legalem Weg ins Land kommen und nach Ablauf der Visafrist bzw. Aufenthaltsgenehmigung im Land bleiben).
  • Unberücksichtigt bleibt auch, daß zahlreiche der illegal eingereisten Migranten zurück- oder weiterwandern (Rück- oder Transitmigration); wie bereits erwähnt, zeichnet sich die Gruppe der Migranten ohne Aufenthaltsrecht durch eine hohe räumliche Mobilität aus.
  • Ferner geht aus den Aufgriffszahlen nicht hervor, wieviele der Aufgegriffenen bereits mehrfach versucht haben, die Grenze zu überwinden und daran gescheitert sind; Mehrfachversuche werden vom Bundesgrenzschutz nicht gesondert erfaßt (Fallstatistik). Benötigt beispielsweise eine Person zehn Versuche, die Grenze zu überwinden, so wird jeder Aufgriff statistisch registriert. Obwohl nur ein Migrant mehrmals versucht hat einzureisen, erscheint es in der Statistik so, als ob es sich um zehn aufgegriffene Personen handelt.
  • Wie bereits erwähnt, ist die Zahl der Aufgriffe - das sog. Hellfeld - in entscheidendem Maße von der polizeilichen Kontrolldichte abhängig. Die Effektivität der Grenzüberwachung dürfte sich im betrachteten Zeitraum durch erhöhten Personaleinsatz, durch eine verbesserte Fahndungsinfrastruktur (Wärmebildkameras, Nachtsichtbrillen, [Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurde ein Viertel der aufgegriffenen Einwanderer mit Hilfe von Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte aufgespürt (Bundesministerium des Inneren 1996: 10).] Hubschrauber, Streifenboote, Spürhunde, Fahndungscomputer) sowie durch die Art der Kontrollen (z.B. Schwerpunktkontrollen) verbessert haben; so wurde beispielsweise an der Ostgrenze die Zahl der Grenzschützer zwischen 1993 und 1995 um 2.000 auf 5.300 Mann erhöht (Der SPIEGEL, 49/1995: 61). Allerdings besteht kein direkter proportionaler Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Personalstärke und den Aufgriffszahlen. Externe Faktoren wirken darüber hinaus auf die Effekti-

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    vität der Grenzüberwachung (die technische Ausrüstung, Synergieeffekte durch mehr Personal etc.).

Aus den genannten Gründen sind direkte Rückschlüsse aus der Zahl der an den Grenzen aufgegriffenen Personen auf die tatsächliche Zahl der illegal Einreisenden nur sehr bedingt möglich. Der zuletzt angeführte Aspekt dürfte zu einer Veränderung der Hellfeld-/Dunkelfeldrelation beigetragen haben; d.h. die Dunkelziffer verringerte sich wahrscheinlich durch diese Maßnahmen. Allerdings haben in dieser Zeit die Schleuser auf die verbesserte Grenzüberwachung entsprechend reagiert und ihre Methoden verbessert. [Die Erhöhung des Personalbestands und Verbesserung der technischen Ausrüstung führt zu einer Erhöhung der Wirksamkeit und daher zum Ansteigen der Aufgriffswahrscheinlichkeit (bzw. zur Verringerung der Dunkelziffer). Zum einen kann dies auf viele potentielle illegal Einreisende und Schleuser abschreckend wirken (präventive Wirkung); sie unterlassen die illegale Einreise. Zum anderen werden Schleuserorganisationen dazu übergehen, die Methoden der illegalen Einreise zu perfektionieren und sich die neueste technische Ausstattung zur Umgehung von Kontrollen beschaffen (Wagner 1997); es kommt zu einem "technischen Hochrüsten" zwischen Polizei und Schleuserorganisationen an den Grenzen. Durch Erfolge der Schleuser dürften Migrationswillige wieder ermutigt werden, den Versuch der illegalen Einreise zu wagen. Dazu werden sie sich allerdings in die Hand von professionellen Schleusern begeben müssen und höhere Preise als zuvor zu bezahlen haben. Ein Rückgang der Aufgriffszahlen bei Steigerung der Effektivität kann zum einen interpretiert werden als tatsächlicher Rückgang des Zustroms an illegalen Grenzgängern. Oder aber die Schleuserbanden haben ihre Einschleusungsmethoden überproportional gegenüber den Grenzpolizeien verbessert.]
Auch dürfte die Zahl der Mehrfachversuche mit der zunehmenden Professionalisierung des Schleusertums gestiegen sein. [Laut schriftlicher Auskunft liegen dem Bundesgrenzschutz zu Mehrfachaufgriffen keine systematisierten Erkenntnisse vor.]

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6.3 Illegale Ausländerbeschäftigung im Spiegel der Statistiken und der Bundesanstalt für Arbeit

Wie Abbildung 3 zeigt, haben die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 1996 mehr als 86.000 Verfahren wegen des Verdachts der illegalen Ausländerbeschäftigung eingeleitet. Da es sich aber in einer Vielzahl von Fällen um rein formale Verstöße und Versäumnisse handelt (z.B. Fälle, in denen der Arbeitgeber die Verlängerung von Arbeitserlaubnissen seiner ausländischen Beschäftigten nicht rechtzeitig beantragt hat) wird bei einem Großteil das Verfahren eingestellt (Deutscher Bundestag 1992). In mehr als 55.000 Fällen wurden aber Geldbußen oder Verwarnungen verhängt bzw. Strafanzeigen gestellt; die Anzahl der Geldbußen, Verwarnungen und Anzeigen stieg dabei in den letzten fünf Jahren um circa 140%. Mehr als 9.000 dieser Fälle wurden im Jahr 1996 von der Bundesanstalt für Arbeit wegen illegaler Ausländerbeschäftigung an den Staatsanwalt übergeben (Strafanzeigen). So hat sich die Zahl der Strafanzeigen im Zusammenhang mit illegaler Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1992 und 1996 mehr als verdoppelt (+121%).

[Seite der Druckausg.: 41 ]

Abbildung 3:

Undisplayed Graphic

Ähnlich wie bei den Aufgriffen an den Grenzen ist der direkte Schluß von der Zahl der aufgegriffenen, illegal beschäftigten Ausländer auf die tatsächliche Zahl der illegal arbeitenden Ausländer problematisch. Neben den dargestellten Argumenten ist zu obiger Statistik einschränkend zu bemerken:

  • Obige Statistik gibt alle Rechtsverstöße wegen illegaler Ausländerbeschäftigung wieder, so daß neben den Verstößen von Arbeitnehmern auch die von Arbeitgebern beinhaltet sind. Liegt also ein offensichtlicher Fall von illegaler Ausländerbeschäftigung vor, so wird dieser doppelt - als Rechtsbruch des Arbeitgebers und des ausländischen Arbeitnehmers - registriert; es liegt hier eine Fall- und keine Personenstatistik vor. Aus der Statistik geht auch nicht hervor, ob die betreffende Person einen Aufenthaltsstatus oder eine Duldung besaß; illegal aufhältliche Personen werden also nicht explizit ausgewiesen.
  • Die Kontrollen der Bundesanstalt für Arbeit wurden in den letzten Jahren in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht erheblich verstärkt. [Es wurden u.a. besondere Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung (sog. BillBG - Stellen) eingerichtet sowie das Personal in diesem Bereich mehrmals aufgestockt. Für die verstärkten Prüfungen speziell im Baubereich wurde darüber hinaus ab 1996 begonnen, spezielle Organsationseinheiten in elf Ballungszentren (Sonderprüfgruppen AD Bau) aufzubauen; vorrangig sind von diesen Gruppen Arbeitgeber und -nehmer zu prüfen, die im Rahmen von Werkverträgen aufgrund bilateraler Regierungsvereinbarungen tätig sind. Ferner ermöglicht der am 1. Januar 1993 in Kraft getretene §19a AFG (ab dem 27.6.1993: §150a AFG) den Arbeitsämtern, ohne konkreten Anfangsverdacht Außenprüfungen vorzunehmen (erweiterte Prüfungsrechte); die Außenprüfungen werden in der Regel ohne vorherige Ankündigung durchgeführt. Ab Juli 1991 wurde es zudem Pflicht, daß der Arbeitnehmer seinen Sozialversicherungsausweises bei einer Erst - oder Neubeschäftigung dem Arbeitgeber vorlegt (§99 SGB IV); der Arbeitgeber hat dabei den Arbeitnehmer bei den Trägern der Sozialversicherung anzumelden. Im Bau-, Gaststätten-, Beherbergungs-, Schausteller- und im Gebäudereinigungsgewerbe muß seitdem der Sozialversicherungsausweis stets vom Arbeitnehmer mitgeführt werden (vgl. Langer-Stein 1988: 14, Deutscher Bundestag 1992: 37). Diese Maßnahmen wurden zu dem Zweck erlassen, die allgemeine Schwarzarbeit und so auch illegale Ausländerbeschäftigung einzudämmen.]
    Der Indikator

    [Seite der Druckausg.: 42 ]

    "Verwarnungen, Geldbußen und Strafanzeigen wegen illegaler Ausländerbeschäftigung" mißt - neben der illegalen Ausländerbeschäftigung - so auch indirekt die Intensität und Effektivität der Kontrollen der Bundesanstalt für Arbeit.

  • Die Ermittlungshandlungen der Arbeits- und Landesarbeitsämter werden in vielen Fällen in Kooperation mit Polizeikräften, Hauptzollämtern, Ausländerbehörden und anderen staatlichen Instanzen durchgeführt (Deutscher Bundestag 1996: 41, 55ff). Dabei übernehmen die polizeilichen Ermittler häufig die strafrechtlich relevanten Verdachtsfälle in eigener Zuständigkeit, ohne daß die Bundesanstalt für Arbeit diese Fälle statistisch registriert. Da es zu immer mehr behördenübergreifenden Aktionen kommt, verzichtet die Bundesanstalt für Arbeit vermehrt auf die statistische Erfassung strafrechtlicher Fälle, wenn andere Behörden den Verstoß registrieren. Das bedeutet, daß obige Werte die tatsächliche Anzahl der Strafanzeigen unterschätzen.

Auch hier dürfte die Erhöhung des Personalbestandes im Bereich der Arbeitsmarktkontrollinstanzen dazu geführt haben, daß sich die Dunkelziffer verringerte und das Hellfeld zunahm. Allerdings haben auch hier die entsprechenden Akteure mit neuen "Tricks" und Organisationsformen reagiert (Deutscher Bundestag 1996: 50ff). [Bei Betrachtung des Komplexes illegale Ausländerbeschäftigung ist auch der Bereich "illegale Arbeitnehmerüberlassung" zu berücksichtigen; allerdings läßt sich dieser statistisch nicht genauer quantifizieren (keine getrennte statistische Erfassung der Ausländer). Es kommt im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung mehr und mehr der Aspekt der illegalen grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung ins Blickfeld. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit standen in den letzten Jahren (ab 1993) 70 bis 80% aller eingeleiteten Ermittlungverfahren im Überlassungsbereich im Zusammenhang mit der Entsendung und arbeitserlaubnispflichtigen Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern auf der Grundlage von Werkverträgen.]

Zusammenfassend läßt sich hier feststellen, daß die illegale Migration in der Bundesrepublik Deutschland ein Phänomen mit zahlreichen Erscheinungsformen und Facetten ist, das sich aus den dargestellten Gründen bestenfalls indirekt quantifizieren läßt. Seriöse Schätzungen über die Gesamtzahl der in der Bundesrepublik Deutschland illegal aufhältlichen und illegal arbeitenden Menschen sind (derzeit) nicht möglich. Allerdings gibt es - trotz zahlreicher methodischer Einschränkungen - durchaus Anhaltspunkte aus dem Bereich der prozeßinduzierten Verwaltungsstatistiken, die eine Tendenzaussage zulassen: Die Zahlen deuten auf eine seit Beginn der 90er Jahre wachsende Zahl von Menschen hin, die sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und hier auch illegal arbeiten. Das Ansteigen der Aufgriffszahlen ist nicht alleinig auf verstärkte kontrollstaatliche Maßnahmen zurückführbar. Aussagen aus dem Bereich der Ausländersozialarbeit bestätigen zudem eindeutig diese Tendenz (Schäfers 1995; siehe 3.2).


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