FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 23 (Fortsetzung)]


4. Lebenslagen und Lebenswelten von Zuwanderern in der Illegalität - Qualitative Feldstudien im Überblick


Im folgenden sollen Forschungsergebnisse von qualitativ angelegten Untersuchungen über die Lebensbedingungen in der Illegalität hinsichtlich der Wanderungsmotive, der Wohnsituation, der sozialen Netzwerke, der psychologischen Konsequenzen und des Arbeitslebens zusammenfassend dargestellt werden.

4.1 Allgemeines zu den Studien

Die rezipierten Untersuchungen wurden in den Großstädten Berlin, Wien und Rotterdam durchgeführt. Da es sich um qualitativ angelegte Feldstudien mit geringen Fallzahlen und damit um keine repräsentativen Studien handelt, sind auch die Ergebnisse nur beschränkt verallgemeinerbar. Dennoch können sie typische Handlungs- und Verhaltensmuster veranschaulichen und zur weiteren Hypothesenbildung dienen. Angesichts des sensiblen und schwierigen Untersuchungsfeldes (siehe auch 6.) ist es beinahe unerläßlich, qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung einzusetzen; repräsentative Befragungen wären schon aus Gründen des äußerst schwierigen Feldzuganges und der Stichprobenziehung nicht realisierbar.

Im deutschen und niederländischen Sprachraum wurden zum Thema illegale Migration in den letzten Jahren folgende Untersuchungen durchgeführt:

[Seite der Druckausg.: 24 ]

  • Cyrus (1995a, 1995b) befragte illegale polnische Wanderarbeiter in Berlin zwischen 1992 und 1994; zusätzlich wurden auch in Polen ehemalige, zurückgekehrte Migranten interviewt.
  • Als explizit explorative, hypothesengenerierende Studie ist die Arbeit von Vogel (1996b) angelegt; es wurden 15 qualitative Interviews mit Brasilianern geführt, die sich meist schon mehrere Jahre in Berlin aufhielten.
  • Die Untersuchung "Der Arbeitsstrich" von Hofer (1993a, 1993b) erstreckte sich über drei Jahre und beschäftigte sich mit polnischen Schwarzarbeitern in Wien; Hofer rekurrierte dabei unter anderem auf die Methode der verdeckten teilnehmenden Beobachtung (getarnt als rumänischer Schwarzarbeiter mit fingiertem Arbeitseinsatz in Firmen); ergänzend interviewte er Migranten. Zudem wurden in Polen zurückgekehrte polnische Migranten befragt.
  • Eine größer angelegte Untersuchung wurde in Rotterdam (Engbersen/Burgers 1994, Burgers/Engbersen 1996) [Ein abschließender Bericht zu dieser Untersuchung in englischer oder deutscher Sprache liegt noch nicht vor.] durchgeführt.
    Der größte Hafen der Welt gilt als besonderer Kumulationspunkt für Illegalität; in den rund 130 Interviews wurden insbesondere Migranten aus der Türkei, Marokko, von den Cap Verden, aus Surinam, aus Osteuropa und aus Afrika untersucht.


Page Top

4.2 Wanderungsmotive

Hinsichtlich der Gründe, weshalb die Menschen in das jeweilige Land kamen, stimmen alle zitierten Untersuchungen überein: die Einreise der Befragten erfolgte vor allem aus ökonomischen Gründen, weshalb sie auch in hohem Maße nach einer Erwerbsarbeit strebten.

Die illegal in Berlin lebenden Brasilianer stammten alle aus armen Verhältnissen (Vogel 1996b). Es wurden drei Gründe (Argumentationsmuster) genannt, die die Migrations-entscheidung (mit-) ausgelöst hatten: Reisen, Lernen, Arbeiten (Vogel 1996b). Auch für die von Cyrus untersuchten polnischen Arbeitsmigranten galt, daß die Wanderungsentscheidung aus wirtschaftlichen Gründen gefällt wurde. Aber es handelte sich hier nicht um die sozial Deklassierten der postsozialistischen polnischen Gesellschaft. Da das Leben in Berlin, insbesondere zu Beginn teuer war und ein gewisses "Startkapital vorgestreckt" werden mußte, wurden in der Regel Personen angetroffen, die in Polen nicht zu den ökonomisch Schwächsten zählten (Cyrus 1995a: 35f.).

Auch die Wiener Untersuchung unterstreicht die ökonomische Motivation der Zuwanderer und betont, daß die Zuwanderung aufgrund des gegenüber Polen zehn bis zwanzigfach höheren Lohns in Österreich ausgelöst wurde. Die Auslandsaufenthalte waren daher meist zeitlich befristet geplant worden, bis es den Betroffenen wirtschaftlich besser gehen würde; zeitweilig kehrten die Zuwanderer nach Polen zurück, um dann wieder nach Wien zurückzukehren. Dies betraf tendenziell eher die älteren Migranten, die den Wunsch hatten, nur schnell Geld in Wien zu verdienen, das sie dann in der Heimat investieren wollten. Einige der jüngeren Polen hatten feste Zuwanderungsabsichten, wollten

[Seite der Druckausg.: 25 ]

dauerhaft in Österreich bleiben oder in ein anderes westliches Land weiterwandern (Hofer 1993a, 1993b). [Vgl. dazu auch die von Hofer (1993a: 152ff.) erarbeitete Typologie von polnischen Migranten. ]

Page Top

4.3 Eintritt und Zugang zur Illegalität

Wie bereits in Kapitel 3 erwähnt, bestehen zahlreiche Wege in die Illegalität. In den betrachteten Untersuchungen sind folgende Zugangswege beschrieben:

  • die visumsfreie Einreise für einen Aufenthalt zu touristischen Zwecken (Cyrus 1995b, Vogel 1996b, Hofer 1993a und 1993b, [Zahlreiche der von Hofer (1993a, 1993b) untersuchten Migranten hatten zu Anfang einen legalen Aufenthaltsstatus. Sie reisten als Touristen ein, hatten so ein Aufenthaltsrecht für drei Monate und begaben sich nach Ablauf der Visumsgültigkeit zur Verlängerung des Aufenthaltsrechts für kurze Zeit ins nahe Ungarn. In den Paß wurde bei der Rückkehr nach Österreich ein neues Einreisedatum eingestempelt, was ihnen das Recht gab, sich für weitere drei Monate in Österreich aufzuhalten. Allerdings besaßen sie keine für Österreich gültige Arbeitserlaubnis. Als zwischenzeitlich die Visumspflicht in Österreich für Polen eingeführt wurde, gingen einige dazu über ihre Reisepapiere - gegen Geld - manipulieren zu lassen (Hofer 1993a: 154ff.).] Engbersen/Burgers 1994),
  • der Zuzug mit einem Visum zum Zwecke des Studiums (Vogel 1996b),
  • das Auftreten von illegalen Aufenthalts- und Beschäftigungsformen im Kontext von Werkvertrags- und Saisonarbeitnehmertum; z.T. auch ehemalige Saison- und Werkvertragsarbeitnehmer, die keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten, aber trotzdem bei ihren ehemaligen Arbeitgebern beschäftigt sind (sukzessiver Zugang in Illegalität) (Cyrus 1995b).


Page Top

4.4 Wohnsituation

Aufgrund der Angst, daß die Illegalität entdeckt wird, ist es typisch für das Wohnverhalten der Bevölkerungsgruppe (Cyrus 1995a, Hofer 1993a und 1993b, Vogel 1996b):

  • die Wohnung häufig zu wechseln,
  • in Untermietverhältnissen in Privatwohnungen zu wohnen,
  • in Wohnungen von Freunden und Bekannten zu leben sowie
  • zeitweilig im eigenen Auto zu nächtigen.

Die Wohnverhältnisse der Migranten in Berlin können mit dem frühindustriellen Schlafgängertum durchaus verglichen werden. Cyrus (1995a: 31f) nennt eine Wohnung, in der bis zu 16 Personen lebten und von jedem Bewohner eine wöchentliche Miete von 70,- DM verlangt wurde.

Hofer (1993b: 124f) beschreibt in der Studie für Wien die Wohn- und Unterkunftsverhältnisse folgendermaßen: für überbelegte Zimmer (7 Mieter in 25 qm) mit mangelhafter sanitärer Ausstattung wurden Mietpreise von bis zu 2.000 Schilling pro Person (circa 300,-DM) verlangt. So fressen die hohen Mieten einen großen Teil des Verdienstes wie-

[Seite der Druckausg.: 26 ]

der auf - was viele Migranten vor ihrer Einreise nicht miteinkalkulieren. Häufig verschärfte sich dadurch die Einkommenssituation, wenn der Migrant über einen längeren Zeitraum ohne Arbeit blieb. Da die betreffenden Personen - aufgrund ihrer Illegalität - auf dem Wohnungsmarkt schutzlos sind und nur geringe Chancen haben, eine Wohnung zu bekommen, können Wuchermieten von ihnen verlangt werden. Dem Vermieter gegenüber geraten sie häufig in eine fatale Abhängigkeit, indem dieser in erpresserischer Weise drohen kann, sein Wissen um die Illegalität des Mieters preiszugeben, was die Ausweisung der betreffenden Person zur Folge hätte (vgl. Hofer 1993a: 157ff.).

Page Top

4.5 Soziale Netzwerke der Migranten

Alle betrachteten Untersuchungen zeigen, daß soziale Netze in der Illegalität für den Arbeitsmarktzugang und die Wohnungsvermittlung einen sehr hohen Stellenwert besitzen.

Die Untersuchung von Cyrus (1995a) zeigt, daß an einem Ort anwesende legale polnische Saison- und Werkvertragsarbeitnehmer die Voraussetzungen dafür schaffen, daß andere, illegale Zuwanderer leben und arbeiten können; erstere stellen so soziale Netze für illegale Zuwanderung bereit. Zudem können Zuwanderer, die zuvor als Werkvertragsarbeitnehmer an demselben Ort arbeiteten, auf ihre sozialen Bindungen und Kontakte, u.a. zu Wohnungs- und Arbeitgebern, zurückgreifen. Sozialen Netzen - kommerzieller, aber auch freundschaftlicher Art - kommt die Funktion zu, die geschilderten Mängellagen der Migranten zu kompensieren. Darüber hinaus bestanden soziale Netze vielfältigster Art zwischen Zuwanderungswilligen in Polen und entsprechenden Kontaktpersonen in Berlin. Diese "Migrationsbrücken" hatten die Funktion, die Risiken, die mit einer Zuwanderung verbunden sind, zu verringern (Cyrus 1995a: 37).

Auch gibt es Hinweise, daß sich diese Erwerbsmuster intergenerativ - innerhalb der Familie - fortsetzen. "Der sechzehnjährige Jonathan war während der diesjährigen Schulferien zum ersten Mal in Berlin gewesen - um sich Geld zu verdienen. Ein Nachbar hatte ihn gefragt, ob er ihm nicht bei der Wohnungsrenovierung zur Hand gehen wollte" (Cyrus 1995a: 33).

Auch für den "Sonderfall" der brasilianischen Migranten gilt, daß soziale und familiale Netzwerke (Bekannte, Verwandte, Arbeitgeber) zum Überleben unbedingt notwendig waren; bei Arbeitslosigkeit war man entweder auf seine Ersparnisse oder die Hilfe von Freunden und Bekannten angewiesen. Insbesondere aufgrund des Vorhandenseins solcher Netzwerke entschieden sich die Befragten für die Stadt Berlin als Wanderungsziel (Vogel 1993b).

In der Untersuchung von Hofer kommt ebenso zum Ausdruck, daß viele Bekanntschaften im Bereich der Arbeitsmarktvermittlung und des Wohnungsmarktes von (gewinnbringendem) Vorteil sein können. Darüber hinaus treten lang ansässige Polen, aber auch Türken, häufig als Vermittler und Anbieter der Güter Wohnung und Arbeit auf. "Es stellte sich heraus, daß vor allem Polen, die Anfang der 80er Jahre aus Polen zuwanderten, hier als Flüchtlinge anerkannt worden waren und die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekamen, gute Geschäfte mit den bedrängten Nachzüglern machten" (Hofer 1993b: 121).

[Seite der Druckausg.: 27 ]

Engbersen/Burgers (1994: 10ff.) unterscheiden illegale Migranten hinsichtlich ihrer Chancen, sich in die Empfängergesellschaft zu integrieren (Einbindung in die ethnische Gemeinschaft, Zugang zum Arbeitsmarkt). Daraus leiten sie fünf Karrieren für illegale Migranten ab:

  • Gut Integrierte: sie haben einen sicheren Job als illegale Beschäftigte, sind gut in die Einwanderergemeinschaft integriert und leben schon lange in Rotterdam. Sie verfügen über Zugang zum formalen Arbeitsmarkt und können wohlfahrtsstaatliche Leistungen beziehen. Aufgrund dieser stabilen Lebensbedingungen haben sie sogar die Chance auf Legalisierung ihres Aufenthaltes. [Bis Anfang der 90er Jahre herrschte die Praxis der Duldung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht, sofern sie sich selbst versorgen konnten. Seit 1991 zielen die politischen Bestrebungen darauf, diese Migrantengruppe vom Zugang zu staatlichen Leistungen auszuschließen (Burgers/Engbersen 1996: 621).]
  • Personen, die sich seit weniger als drei Jahren im Land illegal aufhalten: aufgrund geänderter Politik haben sie keinen Zugang zum formalen Arbeitsmarkt und zu sozialstaatlichen Leistungen mehr. Sie arbeiten zu unregelmäßigen Bedingungen auf dem illegalen Arbeitsmarkt. Wegen dieser unsicheren Situation sind sie auf ständige Hilfe von Freunden und der Familie angewiesen.
  • Marginalisierte: ihre Situation ist vergleichbar mit den illegal aufhältlichen Personen, die weniger als drei Jahre im Land sind. Sie kommen typischerweise aus afrikanischen Ländern, die keine Migrationstradition mit Rotterdam haben. Daher verfügen sie über kein stützendes soziales Netzwerk und sind nur schwach in die Einwanderergemeinde eingebunden, weswegen sie in Notfällen auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen sind.
  • Personen, die sich ihren Lebensunterhalt im kriminellen Milieu sichern; sie arbeiten häufig als Drogenkuriere.
  • Die exit option, also die Rückkehr der Migranten in ihre Heimat, weil sich ihre Vorstellungen, die mit der Auswanderung verbunden waren, nicht erfüllt haben. Die Rückkehr ist in der Regel teuer und eine psychische Belastung für die Betroffenen, da sie in der Heimat eventuell als Versager betrachtet werden. [Die Autoren sprechen hier von der Falle der illegalen Migration ("illegal migration trap") (Engbersen/Burgers 1994: 12). Die Erwartungen der Migranten erfüllen sich nicht , da die legalen, sozialen und ökonomischen Hürden im Zielland sich als zu hoch herausstellen.]


Page Top

4.6 Psychologische Bewältigungsstrategien

Unter Migranten in der Illegalität herrscht ein Klima aus Angst, Unsicherheit und Mißtrauen; insbesondere die Furcht vor staatlichen Ermittlungsbehörden und vor schweren Arbeitsunfällen führen zu einem enormen psychischen Streß.

Cyrus (1995b: 44) berichtet in diesem Zusammenhang von einem Arbeiter, der sich mit flüssigem Teer verbrühte und vor Angst, registriert zu werden, fliehen wollte, als der

[Seite der Druckausg.: 28 ]

Arzt eintraf. Im Falle der Entdeckung werden die polnischen Arbeitsmigranten ausgewiesen und mit einem dreijährigem Einreiseverbot belegt.

"Eine mögliche Strategie zur Verringerung der psychischen Belastung besteht darin, sich nur für eine bestimmte Zeit in der BRD irregulär aufzuhalten und zwischen Polen und der BRD zu pendeln" (Cyrus 1995b: 43).

Auch Hofer (1993a, 1993b) schildert, daß die Wiener Polizei den sog. Arbeitsstrich (Straße, in der Arbeit täglich vermittelt wird; siehe nächsten Abschnitt) häufig kontrollierte; den Migranten blieb nur die Möglichkeit der direkten Flucht zu Fuß. Hofer (1993b: 115) spricht in diesem Kontext von einem "Zwang zur Unauffälligkeit". Hinzu kommt, daß die Zuwanderer aufgrund der geschilderten Wohnverhältnisse kaum ein Privatleben führen können. Zu den zahlreichen Enttäuschungen und Frustrationen der Erwerbsarbeit tritt häufig das Heimweh zur meist in Polen lebenden Familie. Durch die zeitweilige Einführung der Visumspflicht für Polen in Österreich konnten Familienangehörige nicht mehr besucht werden, ohne Österreich gänzlich zu verlassen. Die psychologische Belastung der Migranten äußert sich häufig in (1993b: 121ff.):

  • Alkoholismus,
  • Aggressionen gegenüber den Zimmernachbarn und in
  • Kleinkriminalität (illegaler Handel, Beklauen des Bettnachbarn).

Insbesondere in Zeiten, in denen die untersuchten Personen keine Arbeit erhielten, stellte Hofer diese Verhaltensmuster in verstärktem Maße fest.

Page Top

4.7 Arbeitsmarkt

Die von Cyrus (1995a, 1995b) in Berlin untersuchten polnischen Migranten waren vor allem in folgenden Bereichen erwerbstätig:

  • in privaten Haushalten (Putzarbeiten, pflegerische Tätigkeiten, Renovierungen),
  • im Baugewerbe,
  • in Gaststätten,
  • im Bereich der Prostitution,
  • im Schaustellergewerbe sowie
  • im grenzüberschreitenden Handel.

Von besonderem Interesse ist dabei, daß einige der Befragten, bevor sie illegal wurden, als sog. Werkvertragsarbeitnehmer tätig waren. Häufig wurden sie nach dem Ende ihrer genehmigten Tätigkeit - teils mit kurzen Unterbrechungen - illegal weiterbeschäftigt. Wie die Befragten berichteten, kam es vielfach schon zu Zeiten der regulären Werkvertragsbeschäftigung zu Unregelmäßigkeiten im Beschäftigungsverhältnis. Durch die vorhergehenden Werkverträge hatten die Migranten einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Auch die illegale Arbeitsvermittlung durch Polen, aber auch durch Deutsche, spielte eine große Rolle (Cyrus 1995a).

Die Befragten in Berlin hatten in der Regel Stundenlöhne von circa 10,- DM (Cyrus 1995a: 32f.). Allerdings war häufig unsicher, ob der (vereinbarte) Lohn ausbezahlt werden würde. Auch zeigte sich hier, daß das fehlende Aufenthaltsrecht der Migranten als

[Seite der Druckausg.: 29 ]

"Druckmittel" gegen sie gebraucht werden konnte; obwohl ein (zivilrechtlicher) Rechtsanspruch auf den Lohn bestehen würde, verzichten viele polnische Arbeiter im Falle des Vertragsbruches durch den Unternehmer auf die (volle) Lohnzahlung, da sonst ihre Illegalität offenbart werden würde (Cyrus 1995b: 44).

Die Ergebnisse Hofers (1993a, 1993b) bestätigen diese strukurell bedingte Erpreßbarkeit von illegal Arbeitenden auf dem Arbeitsmarkt. Es zeigt sich, daß die Arbeitnehmer (rechtlich) weitestgehend schutzlos gegen Betrug und Unterbezahlung durch unseriöse Arbeitgeber waren. "Die vorher vereinbarten Stundensätze wurden beispielsweise einfach nicht eingehalten, und es wird weniger ausbezahlt. Wegen ihres abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, das nur wenige Alternativen bietet, können sie sich Unkorrektheiten seitens der Arbeitgeber kaum zur Wehr setzen" (Hofer 1993a: 74). Dies erklärt auch, weshalb Arbeiter - wie mehrmals beobachtet -, trotz einer Erkrankung zur Arbeit gingen. Unter Schwarzmarktbedingungen ist jeder wegen Krankheit ausgefallene Tag mit der Gefahr verbunden, seinen Arbeitsplatz zu verlieren; darüber hinaus bedeutet ein jeder Krankentag einen unmittelbaren Einkommensverlust (Hofer 1993a: 148).

Die zu verrichtenden Arbeiten wurden allgemein weit untertariflich bezahlt; Hofer nennt übliche Stundenlöhne von 10 bis 20 Schilling (circa 1,50 bis 3,- DM) für Frauen [Hofer (1993a: 74) führt eine Frau an, die für 10 Schilling Stundenlohn in einem türkischen Café arbeitete.] und 60 bis 70 Schilling (circa 8,50 bis 10,- DM) für Männer, zudem werden keine Sozialabgaben entrichtet (1993b: 123). Wegen der niedrigen Entlohnung sind viele polnische Arbeitnehmer bestrebt, einen möglichst großen Arbeitsumfang zu leisten; durch ein Mehr an Arbeitszeit sollte die niedrige Bezahlung kompensiert werden. Der Autor berichtet so von Fällen, in denen Doppelschichten gearbeitet wurden. "Weil sie die Möglichkeiten des Gelderwerbes möglichst gut ausschöpfen wollen, spielen Fragen der Arbeitszeitbeschränkung keine Rolle" (Hofer 1993a: 108).

Als ebenso typisch kann der häufige Arbeitsplatzwechsel aufgrund der von vorneherein zeitlich befristeten Beschäftigung gesehen werden; meist gab es nur 1- bis 2-Tagesjobs. In Wien hatte sich ein illegaler Arbeitsmarkt in einer Straße - der sog. Arbeitsstrich - etabliert, auf dem sich illegal Arbeitssuchende täglich zur Arbeit anboten. Darüber hinaus traten illegale Arbeitsvermittler in Erscheinung, die Provisionen von bis 3.000 Schilling (über 400,- DM) oder 20 Prozent des Arbeitslohns für eine Vermittlung einbehielten. Eine wichtige Rolle bei der Arbeitsvermittlung spielten auch kommerzielle Leiharbeitsfirmen, die die Zuwanderer illegalerweise gegen überhöhte Gebühren an Dritte, meist größere Firmen weitervermittelten (Hofer 1993a: 113ff.).

Unter den polnischen Arbeitssuchenden fanden sich teils gut ausgebildete Facharbeitskräfte, die eher längerfristigere und besser dotierte Arbeit fanden. Darüber hinaus betont Hofer (1993a) mehrmals die Relevanz von Deutschkenntnissen als Voraussetzung für eine lukrative Beschäftigung.

Die polnischen Zuwanderer arbeiteten z.B. in folgenden Bereichen:

  • Reinigung,
  • Gastronomie,
  • Handwerk (in Schlossereien, Schreinereien, Buchbindereien),

[Seite der Druckausg.: 30 ]

  • Baugewerbe (als Maler, Elektriker, Installateure),
  • Wohnungsinstandsetzung (Malerarbeiten) und
  • Feldarbeit.

"Schwarzarbeiter bieten den Firmen viele Vorteile. Sie können weitaus flexibler als jedes andere Personal eingesetzt werden. Arbeitnehmerschutzbestimmungen können gegenüber Schwarzarbeitern außer acht gelassen werden. Weil sowohl Arbeitgeber als auch Zuwanderer voneinander profitieren und somit quasi eine Hand die andere wäscht, breiten gewöhnlich beide Seiten den Mantel des Schweigens über ihre Arbeitsbeziehung" (Hofer 1993a: 108f.).

Zudem versuchen manche Arbeitgeber, mögliche Strafen dadurch zu umgehen, daß sie die Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte durch Subunternehmen erledigen lassen.

In der Untersuchung von Vogel (1996b) waren die 15 untersuchten Brasilianer - bis auf zwei Ausnahmen [Einer der Befragten arbeitete als Tanzlehrer, eine andere als Animierdame (Vogel 1996b: 11).] - in Privathaushalten beschäftigt; die fehlenden Deutschkenntnisse werden hierfür als Ursache genannt. Aufgrund der geringen Fallzahl und der Beschränkung auf eine Nationalität ist diese als Vorstudie gedachte Untersuchung als wenig repräsentativ für die illegale Ausländerbeschäftigung (in Berlin) anzusehen.

Die Ergebnisse aus Rotterdam zeigen, daß dort die Migranten in Bereichen beschäftigt waren wie in der Bekleidungsindustrie (sweat-shops), im Reinigungsservice, in Restaurants, im Hafen, in Nightclubs und Bordellen. Auch zeigte sich in Rotterdam bei einigen Personen eine Nähe zum kriminellen Milieu. Burgers und Engbersen (1996: 628) berichten auch häufig von Arbeitslosigkeit, da in der eher altindustriell geprägten Stadt Rotterdam (Strukturwandel) ein beschränktes Arbeitsangebot herrscht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

Previous Page TOC Next Page