FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 119]


Bernd Tews
Qualitätssicherung im ambulanten Bereich aus der Sicht des Bundesverbandes privater Alten- und Pflegeheime und ambulanter Dienste


Bedauerlicherweise ist der Ruf der ambulanten Pflegedienste durch einzelne von der Presse skandalisierte Meldungen angeschlagen. Patienten, Angehörige und Politiker sind ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit verunsichert. Zu Unrecht, wie mehrere Untersuchungen, z.B. der DAK aus Hamburg oder der in Kürze erscheinende Bericht des MDK aus Baden-Württemberg, erwiesen haben. Erst vor einigen Tagen (am 4. August 1999) hat die Deutsche Angestellten Krankenkasse eine von ihr in Auftrag gegebene repräsentative Untersuchung, die auf einer vom Hamburger Sozialforschungsinstitut gdp durchgeführten telefonischen Befragung von Pflegebedürftigen in Hamburg, Hessen und Sachsen-Anhalt beruht, zur Qualität in der häuslichen Pflege veröffentlicht. Das Ergebnis der Untersuchung hätte nicht eindeutiger ausfallen können. 92 % der Pflegebedürftigen sind mit ihrem ambulanten Pflegedienst zufrieden. Welche andere Branche in Deutschland kann derartig zufriedene Kunden vorweisen? Gelobt worden ist von den Pflegebedürftigen laut Prof. Klie, der die inhaltliche Auswertung vorgenommen hat, vor allem das qualifizierte Personal der Pflegedienste.

Fazit der Untersuchung ist, daß bei denen, die sich mit der Pflege auskennen, nämlich den betroffenen Patienten, nicht im Ansatz Zweifel an der guten und qualitätsvollen Arbeit der Dienste bestehen.

Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack darüber, daß ein ganzer Bereich in Verruf gerät, weil einzelne Dienste mindere Pflegequalität oder falsche Leistungsabrechnungen abliefern.

Qualität war für private Einrichtungen schon immer eines der zentralen Themen; ohne überzeugende qualitativ hochwertige Leistungen hätten sich private Pflegedienste in der wohlfahrtsverbandlich dominierten Pflegelandschaft nicht durchsetzen können. Durch Qualität und Leistung haben private Pflegeeinrichtungen gewirkt, und das hat sich unter Angehörigen und pflege- oder hilfsbedürftigen Mitbürgern herumgesprochen. Nicht erst seit

[Seite der Druckausg.: 120]

der Pflegeversicherung und den Überprüfungen durch den MDK hat der Bundesverband privater Alten- und Pflegeheime und ambulanter Dienste e.V. (bpa), ebenso wie viele Wohlfahrtsverbände, den Pflegediensten praktische Hilfestellungen zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung gegeben. Das Qualitätsentwicklungsverfahren des bpa ist dabei eingebettet in eine umfangreiche Fortbildungsoffensive. Allen Pflegeeinrichtungen sind die Inhalte und Ziele sowie das Verfahren zur Qualitätsentwicklung insbesondere durch Qualitätshandbücher für den stationären und ambulanten Pflegebereich sowie für den Hauswirtschaftsbereich transparent gemacht worden. Die Handbücher geben gleichzeitig Hilfestellung, wie die Qualitätsentwicklung in der jeweiligen Pflegeeinrichtung umgesetzt werden kann.

Stellt die Einrichtung dann fest, daß es Verbesserungspotenziale gibt, kann sie aus den verschiedenen Bereichen die eigens hierzu entwickelten Fortbildungsangebote nutzen, Kompakt-Fortbildungen genauso wie vertiefende Seminare und In-House Seminare sowie die Entwicklung von Qualitätszirkeln. Die Pflegeeinrichtung kann aber auch unverzüglich in das Qualitätsprüfungsverfahren durch den „Pflege-TÜV" zum Nachweis der von ihr erbrachten Qualität eintreten.

In einem umfangreichen Prozeß hat der bpa zusammen mit dem TÜV Süddeutschland ein Verfahren zur Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualitätsprüfung erarbeitet: den „Pflege-TÜV". Ausgangspunkt ist nicht die DIN EN ISO 9000 Norm, sondern ein auf praktikable und spürbare Verbesserungen für den Kunden abzielendes Qualitätsmanagementsystem, das über Qualitätsanleitung, Selbstauskunft, außenstehende Prüfungen im Betrieb und Befragung der Patienten bis zur unabhängigen Bescheinigung durch den TÜV Süddeutschland führt. Zudem bietet der „Pflege-TÜV" Betriebsinhabern die Chance, interne Schwachstellen aufzuspüren und zu beseitigen. Neben den selbstverständlichen gesetzlichen Anforderungen wurden die Kundenwünsche sowie die pflegepraktischen Erfahrungen in das Verfahren implementiert. Motor dieser Initiative ist die Verbesserung der Leistung und die Steigerung der Kundenzufriedenheit auf der Basis innerhalb der Einrichtungen entwickelter Qualitätsmerkmale.

[Seite der Druckausg.: 121]

Der Pflege-TÜV hat zum Ziel

  • ein praxisbezogenes Qualitätssicherungs- und Prüfsystem für Pflegeeinrichtungen zu schaffen,

  • die Patienten- bzw. Kundenzufriedenheit sowie die Ergebnisqualität aus einem ganzheitlichen Pflegeverständnis in das Zentrum der Qualitätsentwicklung zu stellen,

  • den Qualitätsanforderungen u.a. nach SGB XI und SGB V gerecht zu werden,

  • die Qualitätskriterien und deren Bewertung transparent zu machen und die MitarbeiterInnen zur Erarbeitung und Operationalisierung dieser zu motivieren, und

  • sowohl den Patienten als auch den Angehörigen und Ärzten soll der „Pflege-TÜV" als Orientierungshilfe zur Beurteilung der Arbeit des Pflegedienstes dienen.

Ist der Pflegedienst in den Prozeß der stetigen Verbesserung seiner Leistungen eingetreten, erhält er – befristet auf zwei Jahre – als Anerkennung und Motivation für die gute Arbeit ein Zertifikat.

Das Verfahren ist praxisrelevant, einfach und effektiv. Es setzt bei der jeweiligen konkreten Situation der Pflegeeinrichtung über ein Selbstauskunftssystem an. Zunächst erhalten die Pflegeeinrichtungen die Prüfkriterien. Diese setzen sich zusammen aus den gesetzlichen Anforderungen, z.B. der Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung sowie den Arbeitsschutzbestimmungen usw. Darüber hinaus werden festgelegte Qualitätsmerkmale als Anforderungen definiert, z.B. die Verwendung von Kostenvoranschlägen und Patientenverträgen unter Beachtung der Kriterien der Verbraucherschutzzentralen. Nach Kenntnis dieser Prüfkriterien stellt der Pflegedienst den Antrag auf Teilnahme am Qualitätsprüfungsverfahren (Phase 1), anschließend ist mit Hilfe einer Checkliste ein Qualitätsbericht (Phase 2) als Nachweis zur Qualität und dessen Wirksamkeit zu erstellen.

Im Rahmen dieser zweiten Phase werden in der Regel die Mitarbeiter in den Einrichtungen in den Prozeß mit einbezogen, die Qualitätsziele werden abgeglichen und deren Umsetzung überprüft. Nicht die Angst vor der Ungewißheit einer Qualitätsprüfung, sondern die Qualitätsverbesserung mit

[Seite der Druckausg.: 122]

dem gemeinsamen Erreichen des Zieles, der Pflege-TÜV-Bescheinigung, steht im Vordergrund. Der wesentliche Teil der Qualitätsentwicklung und
-sicherung findet in dieser Phase in den Einrichtungen statt. Erfahrungsgemäß dauert es je nach Einrichtung ca. drei bis sechs Monate, bis der Qualitätsbericht erstellt ist und an den TÜV zurückgereicht wird. Dieser Qualitätsbericht wird von ausgewiesenen Pflegefachleuten auf Herz und Nieren geprüft. Wird anhand der Unterlagen festgestellt, daß ein Verbesserungsbedarf bzw. ein Defizit besteht, erhält die Pflegeeinrichtung konkrete Hinweise darauf, wie die Qualitätsziele (z.B. Verweis auf Fortbildungsangebote) zu erreichen sind (Phase 3).

Nach Klärung aller Sachverhalte erfolgt die Überprüfung der Pflegeeinrichtung durch die TÜV-Pflegefachkräfte vor Ort. Je nach Größe der Einrichtung ist mit einer Begehungsdauer zwischen ein und zweieinhalb Tagen zu rechnen (Phase 4). Wichtig hierbei ist, daß der betreute Patient und die Qualität, die bei diesem ankommt, im Mittelpunkt der Begehung stehen. Konkret werden z.B. Patienten zur Leistung und Qualität des Dienstes befragt.

Sind alle Fragen zufriedenstellend beantwortet und ist die Prüfung erfolgreich beendet, wird die Bescheinigung des TÜV ausgestellt. Sollten jedoch Fragen offen bleiben oder Anforderungen nicht erledigt werden, können diese nachgereicht werden, um dann im Rahmen einer erneuten Prüfung abschließend begutachtet zu werden. Darüber hinaus beinhaltet jeder Abschlußbericht, der zusammen mit der Bescheinigung an die Einrichtung ausgehändigt wird, ggf. Verbesserungsvorschläge. Zur Optimierung der Qualität werden Projekte zur kontinuierlichen Verbesserung, zum Beispiel durch Beschwerdenmanagementsysteme, vorgeschlagen. Das ganze Verfahren ist ein Prozeß, so daß die Pflegeeinrichtung sich permanent den Erfordernissen anpassen und sich weiterentwickeln kann.

Aufgrund der angebotenen Weiterqualifizierungsbausteine wird dem Gedanken der permanenten Verbesserung der Leistung für die Patienten Rechnung getragen. Dadurch daß die Überprüfung alle zwei Jahre erfolgt, muß eine ständige Auseinandersetzung mit der Qualitätssicherung im Unternehmen erfolgen. Das Qualitätsniveau insgesamt wird stetig verbessert, die Leistungen für die Patienten regelmäßig überprüft und ein höherer Grad der Zufriedenheit aller Beteiligten erreicht. Die TÜV-Bescheinigung hilft der Pflegeeinrichtung, die von ihr erbrachte Qualität auch nach außen transparent darzustellen, und sie bietet sowohl den Pflegebedürftigen als

[Seite der Druckausg.: 123]

auch den Angehörigen die Möglichkeit, sich zu orientieren, indem sie signalisiert: „Diesem Dienst kannst du vertrauen, hier werden nicht nur die gesetzlichen Qualitätsanforderungen, sondern darüber hinausgehende Qualitäten geboten."

Soweit zu einer konkreten Möglichkeit, sich bei der Qualitätsentwicklung Unterstützung zu verschaffen.

Page Top

Die Rahmenbedingungen

Um eine hochwertige Pflegequalität zu erzielen, müssen allerdings die Rahmenbedingungen stimmen, einige Anmerkungen zu der Qualifikation der Pflegekräfte und den Kunden.

Steigende Anforderungen an die Qualität erfordern fachlich qualifizierte und motivierte Pflegekräfte. Aufgrund des gestiegenen quantitativen Pflegekräftebedarfs und des rückgängigen Interesses von potentiellen Auszubildenden wird am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt mit der Absenkung der Anforderungen an die Pflegekräfte reagiert. Arbeitsmarktpolitisch reagieren die Arbeitsämter mit der gezielten Zuweisung von Arbeitslosen in Umschulungsmaßnahmen der Altenpflege mit dem vorrangigen Ziel der Entlastung der Arbeitslosenversicherung. Arbeitspolitisch sinnvolle Entscheidungen stehen jedoch häufig nicht in Einklang mit den gestiegenen persönlichen und fachlichen Anforderungen an zukünftige Pflegekräfte. Darüber hinaus ist die Qualifikationssituation der Pflegekräfte in der ambulanten Pflege durch folgende Aspekte gekennzeichnet:

  • (A) Sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege sind die Ausbildungsinhalte nur unzureichend auf die ambulante Pflege zugeschnitten.

  • (B) Die Weiterbildungsangebote zur Leitung eines Pflegedienstes sind uneinheitlich und häufig nicht ausreichend.

  • (C) Die durchschnittliche Verweildauer, z.B. von AltenpflegerInnen im Berufsfeld, beträgt nach dem Bundesinstitut für Berufsbildung ca. sechs Jahre.

  • (D) Hinzu kommt, daß insbesondere die Altenpflegeausbildung in den verschiedenen Bundesländern erst seit wenigen Jahren – und teils

[Seite der Druckausg.: 124]

    nicht ausreichend – systematisch Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung lehrt.

Im Ergebnis bedeutet das für den Pflegedienst einen hohen Qualifizierungsbedarf oder Nachqualifizierungsbedarf der Pflegekräfte, umfangreiche Begleitung durch die Pflegedienstleitung, z.B. in Form von Pflegevisiten, Fortbildungen, Dienstbesprechungen usw.

Die für die jeweiligen Einrichtungen so entstehenden sogenannten Ausfallzeiten für Fortbildungen, Dienstbesprechungen und Dokumentationstätigkeiten sowie die gesamte Koordination werden jedoch im Rahmen von Vergütungsverhandlungen zumeist nur unzureichend beachtet.

Page Top

Wer definiert Qualität?

Wer definiert, was Qualität in der Pflege ist? Der Patient, die Pflegefachkraft oder der MDK?

Selbstverständlich muß es einen Rahmen geben, innerhalb dessen sich angemessene Pflege bewegt. Diese Angemessenheit kann sich jedoch nicht ausschließlich an der Kompensation von grundpflegerischen Defiziten (vgl. SGB XI) orientieren. Im Pflegeprozeß muß die Bewertung der Pflegequalität an den Patienten und dessen Befindlichkeit gekoppelt sein. Deshalb muß die einzelne Pflegekraft vor Ort beim Patienten weniger an einem „Satt-und-sauber"-Programm nach Leistungskomplexen orientiert sein, als am ganzheitlichen Wohlbefinden des Patienten.

Diese Tatsache muß zukünftig, wie beim Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) auch vorgesehen, vermehrt durch die Einbeziehung der Patienten, insbesondere bei der Leistungsbewertung, bei Prüfungen nach § 80 SGB XI, berücksichtigt werden.

Pflegekräfte dürfen nicht mit dem Problem allein gelassen werden, daß Widersprüche zwischen den Bedürfnissen der Patienten und somatisch ausgerichteten Pflegeprogrammen einer ganzheitlichen Pflege entgegenstehen.

Im Endeffekt hängt die Qualität der Pflege davon ab, daß die Pflegekräfte motiviert und qualifiziert sind und der Pflegedienst dieses durch eine gezielte Personalentwicklung vorantreibt.

[Seite der Druckausg.: 125]

Qualitätssicherungssysteme dienen hierbei als Aufdeckungsmöglichkeit von Schwachstellen und deren dauerhafter Beseitigung. Innerhalb dieser Systeme muss der Wunsch und ggf. auch die Beschwerde des zu pflegenden Kunden einen handlungsleitenden Zielerreichungsgrad bestimmen.

Page Top

Fazit

Die ambulante Pflege ist aus der Sicht der Pflegebedürftigen gut, und auch die medizinischen Dienste der Krankenkassen verzeichnen gemäß der erwähnten Untersuchungen befriedigende Ergebnisse. Diese Qualität gilt es kontinuierlich zu „pflegen" und weiterzuentwickeln. Hierzu bedarf es mehr Motivation der Pflegekräfte und nicht mehr Sanktionen oder Gesetze. Parallel dazu ist allerdings die Qualifizierung und Ausbildung, wie gegenwärtig vom Gesetzgeber vorgesehen, neu bundeseinheitlich zu regeln (Altenpflegegesetz) bzw. die inhaltliche Ausgestaltung weiterzuentwickeln.

[Seite der Druckausg.: 126 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

Previous Page TOC Next Page