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[Seite der Druckausg.: 107]


Karl Otto Lindlahr
Qualitätssicherung im ambulanten Bereich aus der Sicht des Deutschen Landkreistages


Seit die öffentlichen Kassen knapper werden, wird offensichtlich in der öffentlichen Diskussion die Qualitätssicherung in den Vordergrund gestellt, wobei allerdings vom Ergebnis jeder andere Vorstellungen hat. Während der eine mehr und bessere Leistungen erwartet, denkt der andere an Einsparungen. In allen Bereichen sozialer Leistungen scheint die Qualitätsdebatte aber auch die Formel zu sein, um einerseits verbesserte Leistungen fordern zu können, ohne andererseits sich gleichzeitig der Frage nach der Finanzierung dieser Leistung direkt stellen zu müssen. Erwartungen, die damit bei den Betroffenen geweckt werden, werden aber kaum erfüllt werden können. Enttäuschungen sind daher bei dieser Debatte einprogrammiert.

Wenn man sich über die Erwartungen an die Qualität der Pflege und deren Sicherung unterhält, sollte daher zuerst die Frage gestellt werden, wie das gestern bereits von Herrn Grieger zum Schluß seines Statements angesprochen wurde, was denn der Gesellschaft die Pflege unserer alten Menschen Wert ist. Oder anders gesagt, was ist die Gemeinschaft bereit, für Pflege ihrer Mitbürger aus öffentlichen Mitteln, sei es über die Solidargemeinschaft der Versicherten oder die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand, auszugeben. Danach sollte sich die Frage anschließen, wer über der Qualität der Pflegeleistung, die nur mit den zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert werden kann, entscheiden soll. Und erst zum Schluß wird zu fragen sein, wie die Qualität dieser Leistung zu sichern ist.

Folgt man dieser Reihenfolge, ist schnell festzustellen, daß mehr Geld für eine Verbesserung der Qualität in der Pflege außer den erwirtschafteten Einnahmezuwächsen, die wiederum durch die demographisch bedingte steigende Zahl Pflegebedürftiger und tarifliche Steigerungen der Personalausgaben mehr als aufgezehrt werden, nicht erwartet werden kann. Frau Schaich-Walch hat gestern bereits aus der Sicht der Politik hierzu die engen Grenzen aufgezeigt. Die Pflegekassen können schon heute mit ihrem konstanten Beitragssatz die Ausgaben nicht mehr decken, und die Rücklagen

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werden schon bald aufgezehrt sein. Mehr Geld für die Pflege durch Erhöhung der Beiträge ist in der Pflegeversicherung politisch nicht durchsetzbar, da die nur mühsam zu erreichende Stabilität der Sozialversicherungsbeiträge mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktpolitik zu Recht Vorrang hat.

Die Kommunen als Träger der Sozialhilfe, die das zu finanzieren haben, was die Pflegekassen wegen der Deckelung ihrer Leistungen ohnehin nicht zahlen, werden auch keine weiteren Leistungsverbesserungen hinnehmen können, ohne Mittel aus anderen wichtigen Bereichen kommunaler Aufgabenzuständigkeit abziehen zu müssen; ganz abgesehen davon, daß der Bund den Kommunen immer weitere Lasten aufbürdet, wobei ich aktuell auf das Sparpaket und die Abwälzung der Wohngeldfinanzierung für Sozialhilfeempfänger verweisen kann. Bei den Ländern ist dies nicht anders, wie die in NRW beabsichtigte Streichung der Zuschüsse für pflegebegleitende Maßnahmen zeigt. Auch der immer wieder erhobene Zeigefinger mit dem Hinweis auf die Einsparungen der Kommunen bei der Hilfe zur Pflege auf Grund des Pflegeversicherungsgesetzes ist wenig hilfreich, da die Kommunen bei ihrer Zuständigkeit für den hier in Rede stehenden ambulanten Pflegebereich als örtliche Sozialhilfeträger am wenigsten einsparen konnten und die Ausgaben wegen der Deckelung der Finanzierung der Leistungen durch die Pflegekassen bei ihnen wieder erheblich ansteigen und bald das alte Niveau erreicht und überschritten haben werden.

Bei der Diskussion um Qualität und Qualitätssicherung kann es daher nur darum gehen, das Maß des Notwendigen und das der Wirtschaftlichkeit der Leistung besser zu bestimmen und das Leistungsgeschehen transparenter zu machen, um die verfügbaren Mittel der öffentlichen Kassen effizienter einsetzen zu können. Das gilt gleichermaßen für die Pflegeversicherung als auch die gesetzliche Krankenversicherung und die Sozialhilfe.

Die zweite Grundfrage, wer entscheidet über die Qualität der Leistung, ist daher aus unserer Sicht besonders wichtig. Der Bund setzt bisher nur Rahmenvorgaben und überläßt es richtigerweise der Selbstverwaltung der Leistungsträger, nämlich Pflegekassen und Sozialhilfeträger auf der einen Seite und den Leistungserbringern, also den Einrichtungsträgern auf der anderen Seite, sowohl die Leistungen und die Qualitätskonditionen als auch die sich daraus ergebenden Entgelte und Preise auszuhandeln. Die Vertragsparteien sind hierbei an eine Reihe von Kriterien gebunden, u.a. daß nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Leistungen erbracht werden und, was für

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die Qualität der Leistung wichtig ist, daß mit der Leistung ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird. Lassen Sie mich da jedoch gleich anmerken, daß ganzheitliche Pflege nicht bedeuten kann, daß die Leistungen und deren Finanzierung auch ganz von der öffentlichen Hand erbracht werden müssen. Nach der Philosophie der Pflegeversicherung, und das muß für die Sozialhilfe ebenso gelten, sind auch das familiäre Umfeld, Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Tätigkeit gefordert. Auch dies gehört zur Qualität der Pflege, denn der Staat und die Kommunen können nicht alles leisten.

Leistungsträger und Leistungserbringer haben gemeinsam die Pflicht, die Qualität der Leistungen in der Pflege zu bestimmen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, die sowohl für die Pflegeversicherung als auch für die Sozialhilfe gilt, ist ordnungspolitisch richtig. Wenn nicht das Mißtrauen der Politik, der kritischen Öffentlichkeit und der Wissenschaft wäre, daß die, die da Verhandlungsmacht haben, diese zu Lasten der Pflegebedürftigen ausüben könnten und daß daher unbedingt eine staatliche Kontrolle neben dem Heimbereich auch für den ambulanten Pflegebereich her müsse, um das Geschehen zu überprüfen, aber auch um die richtigen Leistungs- und Qualitätsstandards festzulegen.

Dies ist eine Entwicklung, die im gesamten Gesundheits- und Pflegebereich festzustellen ist. Bund und Länder ziehen sich durchweg aus der Finanzierungsverantwortung zurück, wollen aber auf die Qualität der Leistungen zu Lasten derer einwirken, die sie zu finanzieren haben.

Zu dieser Entwicklung sagen wir aus kommunaler Sicht entschieden nein. Wenn Bund und Länder und die Politik die Qualität und die Qualitätssicherung von Leistungen, die die Sozialleistungsträger zu finanzieren haben, mitbestimmen wollen, dann müssen sie sich auch an deren Finanzierung mit beteiligen. Was wir benötigen, ist eine konsequente Umsetzung des Konnexitätsprinzips. Der, der die Leistung und deren Qualität bestimmen will, muß auch an der Finanzierung zumindest beteiligt sein. Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen wie in der Regierungserklärung der Koalitionsfraktion zum Konnexitätsprinzip allein sind wenig hilfreich.

Was wir brauchen, ist nicht mehr Staat und staatliche Lenkung und Aufsicht, sondern mehr Deregulierung - was im übrigen auch für das Heimgesetz gilt.

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Ich möchte daher hervorheben: Sowohl die Pflegekassen als auch die Sozialhilfeträger sind sich durchaus ihrer Verantwortung für den von ihnen zu betreuenden Personenkreis bewußt und handeln entsprechend. Sowohl Pflegekassen als auch Sozialhilfeträger haben demokratisch legitimierte Beschlußgremien, die deren Geschäftsführung überwachen. Beide unterliegen darüber hinaus der Rechtsaufsicht staatlicher Aufsichtsbehörden. Eine weitere staatliche Aufsicht würde nur zu mehr Bürokratismus führen, darauf kann durchaus verzichtet werden.

Die mit den Einrichtungsträgern vereinbarte Leistung muß ihrem Zweck entsprechend ausreichend und in ihrer Qualität so ausgestaltet sein, daß die Grundsätze der Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen und seine Menschenwürde unter Beachtung des Notwendigen und der Wirtschaftlichkeit sichergestellt sind. Wird dies nicht beachtet, dürften weder die Einrichtung noch die Leistungsträger einer Vereinbarung zustimmen. Darüber hinaus gibt es Schiedsverfahren und ist eine Anrufung der Sozialgerichte möglich. Die bedarfsorientierte Bestimmung der erforderlichen Qualität der Leistung ist im System der sozialen Leistungen sicherzustellen.

Und nun komme ich zur dritten Frage, der Qualitätssicherung. Die Überprüfung und Sicherung der vereinbarten Qualität der Leistung muß durch jeden Vereinbarungspartner erfolgen. Dabei muß die Einrichtung intern die Sicherstellung der Qualität der Leistung gegenüber dem Einzelnen überwachen. Aber auch die Leistungsträger müssen in der Lage sein, die Qualität der erbrachten oder zu erbringenden Leistung zu überprüfen oder überprüfen zu lassen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzu sollten auch nach unserer Auffassung überprüft und verbessert werden, aber im System des Leistungsrechts. Die Instrumente des Leistungsrechts müssen so ausgestaltet werden, daß sie zur Qualitätssicherung ausreichen, zumal im ambulanten Bereich neben dem Pflegebedürftigen selbst auch noch die Angehörigen die Pflegeleistung überwachen.

Der Staat selbst kann nur da, wo es zur Gefahrenabwehr notwendig ist, ein eigenes Prüf- und Eingriffsrecht für sich in Anspruch nehmen. Diese ordnungspolitische Aufgabe des Staates ist aber im ambulanten Bereich, wo der Pflegebedürftige im eigenen Umfeld und in den eigenen vier Wänden die Pflegeleistungen unter der Aufsicht und dem Schutz seiner Angehörigen erhält, anders zu werten als im stationären Bereich. Eine staatliche Aufsicht im ambulanten Pflegebereich würde nur dann Sinn machen, wenn durch

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sie zum Zwecke der Gefahrenabwehr auch eine Überprüfung vor Ort, also in der Wohnung des Pflegebedürftigen, durchgeführt und die Durchführung auch gegen seinen Willen und gegen den der Angehörigen erzwungen und durchgesetzt werden könnte. Dies würde eine Aufhebung der grundgesetzlich garantierten Unverletzlichkeit der Wohnung voraussetzen. Daher erhebt sich die Frage, ob die Politik so weit gehen will und kann. Jedenfalls ist im stationären Bereich die Privatsphäre des Heimbewohners, in die gegen seinen Willen nicht eingedrungen werden kann, auch weiterhin geschützt.

Überprüfungen der Leistungen der Pflegedienste durch den Medizinischen Dienst der Kassen, die Gesundheitsämter und die sozialen Dienste der Kommunen sollten für die notwendigen Feststellungen zur Qualitätssicherung ausreichen. Auch eine Überprüfung der ambulanten Pflegedienste durch eine staatliche Aufsichtsbehörde dürfte keine besseren Erkenntnisse bringen als die Wirtschaftlichkeits- und Qualitätssicherungsprüfungen durch die Leistungsträger.

Den Versuch, durch die Einführung eines Ambulante-Dienste-Gesetzes auf dem Wege staatlicher Aufsicht Einfluß auf die Inhalte, Qualitäten und Standards in der ambulanten Pflege nehmen zu wollen, lehnen wir entschieden ab.

Der Notwendigkeit, das bestehende System zu überprüfen, verschließen wir uns nicht. Dazu ist notwendig:

  • Die Rahmenbedingungen im SGB XI sollten verbessert und als Grundlage für die Entgeltvereinbarungen Leistungs- und Qualitätssicherungsvereinbarungen vorgesehen werden.

  • Die Bundesvereinbarungen über die Qualitätssicherung nach § 80

    SGB IX müssen überarbeitet werden.

  • In den Rahmenverträgen auf Landesebene oder durch Vorgaben der Pflegekommissionen sollten Personalstandards bzw. Korridore oder Bandbreiten für die Personalausstattung vereinbart werden müssen, die für die Verhandlungen mit dem einzelnen Pflegedienst verbindlich sind. Staatliche Personalvorgaben sind dagegen abzulehnen, da sich die Personalausstattung der einzelnen Einrichtung wegen der differenzierten Struktur der von ihr zu betreuenden Pflegebedürftigen sich nicht in ein starres Korsett zwängen läßt.

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  • Der Medizinische Dienst der Kassen muß zwingend einen Pflegeplan aufstellen, aus dem sich konkret die von den Pflegekassen zu erbringende Pflegesachleistung entnehmen läßt. Wünsche des Pflegebedürftigen können nur im Rahmen des pflegerisch Notwendigen berücksichtigt werden. Darüber hinausgehende Wünsche der Pflegebedürftigen und der Angehörigen sind weder Leistungen der Pflegeversicherung noch der Sozialhilfe.

  • Die notwendige Pflegeleistung muß von der Pflegekasse im Pflegebescheid festgelegt werden. Diese Festlegung muß auch dann erfolgen, wenn die notwendige Pflegeleistung über die der Höhe nach begrenzte finanzielle Leistung der Pflegekasse hinausgeht. Bescheide der Pflegekassen, in denen nur die Eingruppierung des Pflegebedürftigen in eine Pflegestufe und die daraus folgende finanzielle Begrenzung der Höhe, bis zu der Pflegesachleistungen von der Pflegekasse übernommen werden, reichen als Grundlage für eine Qualitätskontrolle nicht aus. Ohne genaue Festlegung der gewährten Pflegesachleistung kann der beauftragte ambulante Pflegedienst immer darauf verweisen, der Pflegebedürftige habe im Rahmen seines Wunsch- und Wahlrechts eben andere Leistungen gefordert.

      Anzumerken wäre, daß eine solche zwingende Festlegung der notwendigen Pflegesachleistung im Bescheid der Pflegekasse auch im Interesse der Sozialhilfeträger liegt, die bei aufzustockenden Finanzierungsleistungen sonst immer eine eigene Prüfung und Festlegung der notwendigen Pflegesachleistung vornehmen müssen, um nach Abzug der Kassenleistung die Restfinanzierung vornehmen zu können.

  • Es sollten gesetzliche Regelungen für den Pflegevertrag vorgesehen werden, die auch überprüft werden können.

  • Eine Vielzahl der Mängelrügen der Pflege alter Menschen wird bei der Behandlungspflege, die jedoch von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird, festgestellt. Sie liegen damit nicht im Verantwortungsbereich der Pflegeversicherung und der Sozialhilfe. Sie müssen aber in die Qualitätssicherung des Gesamtsystems der Pflege mit eingebunden werden.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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