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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 33]


Peter Grieger
Qualitätssicherung im stationären Bereich aus der Sicht des DRK-Generalsekretariats




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1. Qualitätsbeurteilung stationärer Pflege

Die Pflegeversicherung verpflichtet Pflegeeinrichtungen in den §§ 11, 28 und 69 dazu, eine gleichmäßige, dem allgemein anerkannten medizinisch-pflegerischen Erkenntnissen entsprechende Pflege sicherzustellen. Obwohl die Diskussion um die Qualität von stationären Pflegeleistungen nicht erst mit der Pflegeversicherung begonnen hat, gibt es faktisch keinen allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. Insbesondere stationäre Pflegeleistungen können durchaus unterschiedlich beurteilt werden, Pflegeprofis haben möglicherweise andere Qualitätsvorstellungen als Pflegebedürftige, deren Angehörige, die allgemeine Öffentlichkeit. Wenn Qualität die Güte eines Produktes im Hinblick auf seine Eignung für den Verwender ist, darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Inanspruchnahme des Produktes stationäre Pflegeleistung niemand wünscht. Nur wenn stationäre Pflege unvermeidlich ist, wird diese Dienstleistung nachgefragt und geht häufig auf seiten der Pflegebedürftigen wie von deren Angehörigen, Freunden und Bekannten mit eher negativen Beurteilungen/Einschätzungen einher.

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2. Verantwortliche Akteure für Qualität stationärer Pflegeeinrichtungen

In der öffentlich geführten Diskussion um Mißstände in Pflegeeinrichtungen und Diensten muß man gelegentlich den Eindruck haben, daß unangemeldete Kontrollen zu einer besseren Pflegequalität führen würden. Bei einer Gefahr im Verzug und konkreten Anlässen muß sicherlich immer die Möglichkeit einer unangemeldeten Kontrolle durch die Heimaufsichtsbehörden möglich sein. An dieser Stelle gilt es aber, die hohen Erwartungen, die mit unangemeldeten Überwachungen verknüpft werden, zu relativieren. Wenn es möglich wäre, nach einer Anmeldung einer Überprüfung in einer Frist

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von z. B. ein bis zwei Wochen aus einer schlecht arbeitenden Einrichtung eine qualitativ gut arbeitende zu machen, gäbe es vermutlich keine schlechten Einrichtungen. Qualifizierte Mitarbeiter der Heimaufsicht und des Medizinischen Dienstes werden sich nicht durch kurzfristig veränderte Abläufe und Arbeitsweisen in ihrer Beurteilung einer Einrichtung täuschen lassen.

Für die Qualität pflegerischer Leistungen tragen Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Einrichtungsbetreiber und nicht zuletzt Politik und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung. Stationäre Pflegeeinrichtungen begleiten, unterstützen, pflegen ihre Bewohner an 24 Stunden pro Tag für 365 Tage im Jahr. Im Monat sind dies 30 mal 24 Stunden, d. h. 720 Stunden monatlich. Nach einer vom AOK-Bundesverband veröffentlichten Übersicht über die durchschnittlichen Pflegesätze ohne Investitionen und Unterkunft und Verpflegung beträgt der höchste durchschnittliche Pflegesatz in Berlin in der Stufe drei 4.428,- DM pro Monat. Dies heißt, daß für Personen, die nach § 15 Abs. 2 Satz 3 rund um die Uhr, auch nachts der Hilfe bedürfen, rechnerisch 6,15 DM pro Stunde an Geld zur Verfügung steht. In Mecklenburg-Vorpommern mit dem niedrigsten durchschnittlichen Pflegesatz von 2.874,- DM pro Monat sind dies 3,99 DM pro Stunde.

In den Verhandlungen zur Qualitätsvereinbarung nach § 80 und zu den Empfehlungen zu den Rahmenverträgen nach § 75 SGB XI ist seitens der Wohlfahrtsverbände ein rationales Personalbedarfsbemessungssystem als Grundlage für die Bestimmung des Personalbedarfs gefordert worden. Da für Qualitätsmangel immer häufiger, aus meiner Perspektive nicht zu Recht, die Pflegeversicherung und damit auch die Pflegekassen verantwortlich gemacht werden, wird die Diskussion um die Personalausstattung der Einrichtungen und Dienste seitens der Pflegekassen als Kostenträger, die nicht die Leistungsspitze abdecken müssen, vermutlich künftig einfacher zu führen sein. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Qualität und

  • Anzahl und Qualifikation des Pflegepersonals, zwischen Qualität und

  • Transparenz von Geschäftsprozessen in den Pflegeeinrichtungen, zwischen Qualität und

  • Professionalität der Mitarbeiter und insbesondere der obersten Leitungsebene der Einrichtungen und auch zwischen der Qualität und

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  • sicheren, verläßlichen Rahmenbedingungen, die zu einer Souveränität der Leitungskräfte in der Führung von Einrichtungen führen. Letztlich ist ein anzustrebendes Qualitätsniveau immer eine gesellschaftspolitische Entscheidung: Wieviel ist einer Gesellschaft die Pflege und Begleitung ihrer pflegebedürftigen i. d. R. alten Menschen wert, wieviel Ressourcen werden zur Verfügung gestellt?

Momentan ist für stationäre Pflegeeinrichtungen leider nicht klar, in welche Richtung sich das Entgeltsystem, Personalanhaltszahlen, Qualitäts- und Überwachungsinstanzen etc. entwickeln werden. An dieser Stelle möchte ich eindeutig dafür plädieren, klar Rollen und Funktionen aller beteiligten Akteure zu definieren und auseinander zu halten. Die Heimaufsicht ist als ordnungspolitische Instanz für die Überwachung der stationären Pflegeeinrichtungen verantwortlich, auch mit der bereits bestehenden Möglichkeit zu unangemeldeten Kontrollen. Der Medizinische Dienst hat die Aufgabe die Pflegequalität zu überprüfen. Ich bin eher zurückhaltend, ob eine Vermischung von Überwachungs- und Beratungsansätzen, wie wohl beabsichtigt wird, zu mehr Qualität führen wird.

Ich stimme mit der Gesundheitsministerin Frau Fischer, die anläßlich des Bundespflegeausschusses am 15. Juni 1999 folgendes erklärte, vollkommen überein: „Dabei kann es nicht darum gehen, neue Kontrollinstanzen zu schaffen, die die Einrichtungen von außen unter die Lupe nehmen. Ebenso wichtig ist es, auf die Einrichtungen selbst zu setzen. Sie müssen die Freiheit und die Rahmenbedingungen haben, die Pflegebedürftigen im Sinne eines umfassenden internen Qualitätsmanagements optimal zu versorgen".

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3. Verantwortung der Trägerorganisationen

Mit der Pflegeversicherung sind die Spitzenverbände der Trägerorganisationen erstmals Vertragspartner einer unmittelbar verbindlichen Qualitätsvereinbarung. Seit mehr als 10 Jahren wird im Roten Kreuz die Diskussion um folgende Problembereiche geführt, die in mehr oder minder starker Ausprägung alle sozialen Dienstleistungsbetriebe betreffen:

  • betriebswirtschaftliche Grundlagen;

  • Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement;

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  • konzeptionelle Profilierung und Positionierung;

  • Weiterentwicklung verbandlicher Strukturen.

Das DRK hat deshalb gemeinsam mit den Landes- und Kreisverbänden für den stationären Pflegebereich eine Empfehlung zur Einführung von Qualitätsmanagementsystemen erarbeitet, die folgende Bereiche umfaßt:

  1. Ziele der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen;

  2. Kriterien für die Auswahl von Qualitätsmanagementsystemen;

  3. Anforderungen an die Einrichtung, die bei der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen beachtet werden müssen.

Weiterhin enthält diese Empfehlung ein Umsetzungskonzept, in dem Schulungsinhalte für Fortbildung, Aussagen zur Schulung von Qualitätsbeauftragten etc. enthalten sind.

Aus der Sicht des DRK-Generalsekretariats lassen Projekterfahrungen bei der schrittweisen Einführung von Qualitätsmanagementsystemen folgende Schlußfolgerungen zu:

  1. Jeder Dienstleistungsbetrieb, der sich mit dem Aufbau eines QM-Systems auseinandersetzt, muß sich bewußt sein, daß es in der Pflegeeinrichtung schon ein „gelobtes QM-System" gibt, wenn auch zumeist unsystematisch. Es ist geprägt durch bestehende Anweisungen, eingespielte Routine und das Verhalten der Führungskräfte. Diese Faktoren sind in dem notwendigen Veränderungsprozeß zu berücksichtigen.

  2. Die Geschäftsführung muß das neue QM-System als Führungssystem wirklich wollen, d.h. die Umsetzung selbst in die Wege leiten. Sie ist mit den Leitungskräften der Pflegeeinrichtung verantwortlich für die Qualitätssicherung.

  3. Es ist zu empfehlen, ein systematisches QM-System schrittweise mit einer externen Beratung aufzubauen und einzuführen. Pflegeeinrichtungen, die ihr Führungssystem auf die ISO-Normenreihe ausrichten wollen, stehen vor der Entscheidung, auf welches Modell der DIN ISO Normenreihe - 9001 oder 9002 - sie sich ausrichten wollen. Auf der Basis der ISO 9004 - 2 (Dienstleister) kann ein maßgeschneidertes System aufgebaut werden.

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  4. Die ISO-Normenreihe für Führungssysteme beschränkt sich bewußt auf die Beschreibung von Führungselementen und auf Anforderungen an Führungssysteme. Jeder stationäre und ambulante Pflegebetrieb kann sein individuelles Führungssystem „nach Maß" entwickeln und dennoch die Normanforderungen erfüllen. Der Nutzen, der bei der Einführung des QM-Systems sichtbar wird, besteht:

    • in der Transparenz über die Kompetenz und Verantwortung im Dienstleistungsbetrieb (jeder weiß, was er zu tun hat);

    • im Beherrschen der Prozesse;

    • im Erkennen von Risiken und vorbeugenden Maßnahmen;

    • in der Korrektur von Fehlern und Beseitigung von Fehlerursachen;

    • in der Dokumentation und Transparenz des Systems.

  5. Der QM-Systemaufbau verläuft in einzelnen Schritten nach einem festgelegten Projektplan. Unter der Führung der Projektleitung wird eine Arbeitsgruppe gegründet. Die Projektleitung ist verantwortlich für die Planung, Koordination und Kontrolle des Projektablaufes. Sie muß sicherstellen, daß die Beiträge der Arbeitsgruppen in geeigneter Form dokumentiert werden. Die Aufgaben der Mitarbeiter in den Arbeitsgruppen bestehen in der Verbesserung der Abläufe in ihren Bereichen, die notwendigen Dokumente zu erstellen und die Umsetzung der vorgegebenen Abläufe sicherzustellen.
    Die Geschäftsführung bestimmt in einem Workshop, welche Elemente der Geschäftspolitik durch die Qualitätspolitik verstärkt werden sollen. Sie benennt den Qualitätsbeauftragten der Einrichtung. Dieser trägt die Verantwortung für die Pflege und Aufrechterhaltung des implementierten QM-Systems.

  6. Die Umsetzung des Systems endet eigentlich nie. Ständiges Überprüfen der Wirksamkeit (Fehlerkorrekturen, Kundenbefragungen, Audits) und die permanente Anpassung an die veränderten Gegebenheiten lassen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß entstehen. Wenn dieser kontinuierliche Verbesserungsprozeß eingeleitet wurde, stellt sich die Frage, was kommt danach? Möglicherweise entschließt sich dann die Geschäftsführung, das bestehende System durch das Total Quality Management (TQM)-Konzept zu erweitern. Das Europäische Modell des

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    TQM ist das Modell des European Quality Award (EFQM) Es enthält Teile der ISO-9000 Systeme, wie Aspekte der Struktur, des systematischen Vorgehens und der Absicherung. Es hilft bei der Gestaltung eines umfassenden Führungssystems und bei der Bewertung des Unternehmens.

  7. Die Pflegeeinrichtungen, die ein QM-System aufbauen wollen, sollten im Bereich der Aus- und Weiterbildung ein klares und langfristiges Konzept verfolgen und die Mitarbeiter gezielt schulen. Für die Verständigung ist eine gemeinsame Sprache für alle Mitglieder der Organisation erforderlich. Das gemeinsame Sprachverständnis gewährleistet, daß über die Sache und nicht über Begriffe (z. B. Kunde, Lieferant, Dienstleistung) diskutiert werden kann. Die fachliche Schulung der Mitarbeiter wird in der Regel direkt am Arbeitsplatz zur Einführung der Soll-Abläufe durchgeführt. In den Einrichtungen sind entsprechende Voraussetzungen für die Schulung und Ergebnissicherung zu schaffen, dazu gehören das Beherrschen der Moderationsmethode, Arbeitsmaterialien und eine entsprechende Computerausstattung. Ausgewählte Mitarbeiter müssen über Qualitätsfachwissen verfügen und sind deshalb entsprechend zu schulen.

  8. Der zeitliche und personelle Gesamtaufwand von der Entscheidung bis zur Zertifizierung kann nur grob angegeben werden. Die Richtwerte für mittlere Unternehmen mit ca. 50 Mitarbeitern liegen zwischen 6 bis 24 Monate.

  9. Die Kosten für die Einführung von QM-Systemen können reduziert werden, wenn mehrere Einrichtungen zusammenarbeiten. Erfahrungsgemäß reduzieren sich Schulungs-, Beratungs- und möglicherweise auch Zertifizierungskosten für die einzelne Pflegeeinrichtung.

  10. Nicht das Zertifikat ist wichtig, sondern der Wandel, den der Betrieb beim Aufbau des Systems durchlebt. Nur ein gelebtes System wird den Nutzen erfüllen! Ergebnisse eines gut eingeführten QM-Systems sind zufriedene Kunden, besseres Image, motivierte Mitarbeiter, besserer Umgang mit Ressourcen und eine stabile Geschäftssituation. Natürlich kann ein glaubwürdiges Zertifikat von einem renommierten Zertifizierer trotzdem sehr wertvoll sein.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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