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Peter König
Zusammenfassung


Nachdem mehrere Jahre die Qualität in der Pflege und deren Sicherung kein herausragendes Thema in der öffentlichen Diskussion zur Pflegeversicherung war, hat sich diese Situation geändert. In jüngster Zeit haben Klagen über Mißstände in der stationären wie ambulanten Pflege die Öffentlichkeit alarmiert. Aber spiegeln bekannt gewordene Fälle wie z.B. unzureichende Versorgung mit Essen und Trinken, Gewalt gegen Pflegebedürftige oder Abrechnungsmanipulationen den Alltag in der Pflege wider? Wenn dies so wäre, dann würde ein gravierendes Branchen- und Politikproblem bestehen. Anders wäre es, wenn es sich um Einzelfälle handeln würde. In leichten Fällen könnte der Mißstand ohne großen Aufwand behoben, in schweren Fällen müßte die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden. Ein generelles Branchen- und Politikproblem gäbe es in dieser Situation aber nicht. Der Gesprächskreis Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte mit seiner Veranstaltung diese Themen und Fragen aufgegriffen und Experten in der stationären und ambulanten Pflege sowie Politik darum gebeten, hierauf Antworten zu geben.

Ein erstes Fazit: Von allen Experten - Referenten wie Teilnehmern der Veranstaltung - wurde zurückgewiesen, daß die Klagen über besonders eklatante Mißstände die Alltagssituation in der Pflege kennzeichnen. Dennoch gibt es nach der Auffassung dieser Experten Qualitätsmängel, die unbedingt beseitigt werden müssen und auch beseitigt werden können, wenn alle an der Pflege Beteiligten daran mitwirken.

Aber selbst wenn dies gelingt, so lautet ein weiteres und ernüch-terndes Fazit, dann können nicht alle Beanstandungen beseitigt und alle Forderungen nach einer verbesserten Qualität in der Pflege eingelöst werden. Der Wunschzettel nach Verbesserungen ist groß, so Gudrun Schaich-Walch, MdB, in ihrem Einführungsvortrag. Nach ihrer Meinung kann die Pflegeversicherung nur eine Grundversor-

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gung leisten, nicht weniger, aber auch nicht mehr: „Die Pflegeversicherung wird auch in Zukunft nicht alle wünschenswerten Leistungen übernehmen. Denn die Rücklagen stehen - leider - für Leistungsverbesserungen größeren Umfangs zur Zeit nicht zur Verfügung." Zusätzliche finanzielle Mittel würden unweigerlich zu Beitragserhöhungen führen und damit auch zu einer Erhöhung der Lohnstückkosten. Ein Weg, den niemand gehen will, weil dies der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuwiderlaufen würde. Qualitätsverbesserung können demzufolge nur auf der Basis gegebener finanzieller Mittel angestrebt werden. Dies ist eine Rahmenbedingung für alle weiteren Diskussionen und Maßnahmen, die auf eine Qualitätsverbesserung in der Pflege abzielen.

In den weiteren Vorträgen und Diskussionen wurden eine Vielzahl von Kriterien genannt, wie die Qualität in der Pflege unter den gegebenen Rahmenbedingungen verbessert werden könnte. Aber: In der Benennung einer Vielzahl von Kriterien drückt sich auch eine gewisse Beliebigkeit aus. Und das hat auch seinen Grund: Offensichtlich fehlt zur Zeit noch eine übereinstimmende Auffassung darüber, was verbindliche Qualitätsstandards in der Pflege sein sollen. Karl Jung, Staatssekretär a.D., einer der Väter der Pflegeversicherung, begründete dies wie folgt: Anders als in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist in der Pflegeversicherung noch kein Rekurs auf historisch gewachsene, im gesellschaftlichen Konsens gefundene und in gesetzgeberische Form gegossene Qualitätsstandards möglich. Dies, obwohl sich die Diskussion zur Einführung einer Pflegeversicherung über zehn Jahre hin gezogen hat. Deshalb muß es jetzt in einem ersten Schritt darum gehen, Qualitätsprobleme auf verschiedenen Ebenen zu identifizieren, denen dann Qualitätskriterien zugeordnet werden können.

Aus den Vorschlägen der in dieser Broschüre abgedruckten Vorträge lassen sich folgende Ebenen anführen und Kriterien exemplarisch zuordnen:

Die erste Ebene läßt sich mit dem Begriff Sofortmaßnahmen kennzeichnen. Hiermit sind in erster Linie Maßnahmen gemeint, die besonders unwürdigen Einzelfälle unverzüglich beseitigen müssen. Die

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Abwehr von besonderen Gefahren (z.B. Gewalt gegen Pflegebedürftige) steht hier eindeutig im Vordergrund.

Alle weiteren Ebenen kennzeichnen Qualitätsprobleme jenseits dieser Sofortmaßnahmen: Struktur-, Prozeß- und Ergebnisqualität sowie Gesetzgebung. Auf allen Ebenen sollen Vorgaben gemacht werden, die vor Ort überprüft werden können. Sie dienen nicht allein oder in erster Linie der Gefahrenabwehr, sondern zielen vorrangig auf eine Verbesserung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen ab:

Zur Strukturebene gehören Mindestanforderungen an die sachlichen und technischen Ausstattungen der Pflegeeinrichtung. Diese Mindestanforderungen sind als optimale Voraussetzungen für die pflegerische Versorgung anzusehen. Hierzu zählen z.B. genaue Vorgaben zu der Bettenanzahl in den Zimmern, Beschaffenheit der Wirtschafts- und Sanitärräume ( u.a. Sauberkeit, Trennung verschiedener Arbeitsbereiche), Wohnqualität, Ausstattung mit Pflegehilfsmitteln und Pflegepersonalschlüssel ( u.a. Anteil an Pflegefachkräften; Relation von Pflegepersonal und Pflegebedürftigen) in Verbindung mit sachgerechten Vergütungsvereinbarungen.

Bei der Prozeßqualität geht es um die Gewährleistung des Pflegeablaufes. Hierzu gehören u.a. die Erstellung einer Pflegekonzeption, individuelle Pflegeplanung und Pflegedokumentation. Außerdem umfaßt diese Dimension das professionelle Selbstverständnis des Pflegepersonals und Weiterbildung dieses Personenkreises sowie die adäquate Behandlung der Pflegebedürftigen (z.B. Körperreinigung, Ernährung und Hilfestellungen bei der Nahrungsaufnahme, sachgerechte medizinische Versorgung).

Der Erfolg pflegerischer Leistungen muß bewertet werden. Die Ergebnisqualität läßt sich aber nicht allein anhand der Bewertungen der Spitzenverbände, der prüfenden Institutionen oder der Pflegeeinrichtungen ermitteln. Befragungen der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen sind als zusätzliches Instrument heranzuziehen. Umstritten war in diesem Zusammenhang der Vorschlag, Pflegeeinrichtungen Qualitätszertifikate zu erteilen. Denn solange die o.g. Struktur- und Prozeßmerkmale noch nicht hinreichend definiert sind

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und auch noch kein Konsens über sie vorliegt, besteht die Gefahr des Mißbrauchs von Zertifikaten.

Auch auf der Ebene der Gesetzgebung sind Veränderungen erforderlich. Im Rahmen des Sozialgesetzbuches (XI) sollten eine Reihe von zusätzlichen Regelungen getroffen werden. Z.Zt. wird das Heimgesetz novelliert, wodurch schärfere Sanktionsmöglichkeiten zum Schutze der Heimbewohner erreicht werden sollen. Zuständig hierfür ist das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. An einem Qualitätssicherungsgesetz wird augenblicklich im Bundesministerium für Gesundheit gearbeitet. Fertige Konzepte liegen in beiden Ministerien noch nicht vor.

Nach Auffassung der Tagungsteilnehmer im Gesprächskreis Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung sollte in diesen Gesetzen mindestens folgendes berücksichtigt werden: Heimgesetz und Qualitätssicherungsgesetz müssen aufeinander abgestimmt werden. Patienten- und Verbraucherschutz sind zu gewährleisten. Dringend zu lösen ist die Frage der Heimpersonalverordnung, durch die eine optimale Personalausstattung erreicht werden kann.

In den Gesetzesvorhaben sollten auch folgende Qualitätsmerkmale enthalten sein: Pflegeeinrichtungen sollten verpflichtet werden, ein internes Qualitätskonzept vorzulegen. Es reicht aber nicht aus, nur die Pflegeeinrichtungen zu einem Qualitätsmanagement zu verpflichten. Ergänzend dazu müssen auch die Kostenträger verpflichtet werden, Kontrollmaßnahmen durchsetzen und auswerten. Außerdem sollten sie zu übergreifenden Vergleichen angehalten werden. Dies setzt eine Koordinierung der zuständigen Stellen voraus (Pflegekassen, Medizinischer Dienst, Sozialhilfeträger, Heimaufsicht).

Die in dieser Broschüre veröffentlichten Vorträge liefern dem Leser weit über diese Zusammenfassung hinaus wertvolle Hinweise darauf, welche Merkmale Qualität in der Pflege haben sollte und wie sie gesichert werden könnten. Aufbauend auf diesem Fundus an Erfahrungen und Anregungen lassen sich richtungsweisende Konzeptionen entwickeln, die dem Ziel der Pflegeversicherung entsprechen, die Lebensqualität der Pflegebedürftigen zu verbessern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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