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TEILDOKUMENT:

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Intelligente Förderung der Berufsausbildung in den neuen Bundesländern: Ziele, Akteure, Konzepte, Instrumente, Finanzierung - Gesprächsrunde
- Statement-


Walter Brosi
Überlegungen für eine neue Förderstrategie in den neuen Ländern


Ausgangslage 1994

Um das Problemfeld zu umreißen, einige wenige Anmerkungen zur Ausbildungsplatzsituation 1994:

In den neuen Bundesländern erfolgte 1994 ein beachtlicher Anstieg der neuen Ausbildungsverträge und zwar um 18.700 auf 117.600 neue Verträge (das sind knapp 19% mehr als noch 1993).

Die positive Entwicklung in den neuen Ländern ging aber insbesondere auf die starke Zunahme der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze zurück. Ihre Zahl hat sich nahezu verdoppelt, während die betrieblichen Ausbildungsplätze lediglich um 7% zugelegt haben. 1994 konnten in den neuen Ländern 91.600 betriebliche und rund 26.000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze nach dem AFG und nach den Gemeinschaftsinitiativen neu besetzt werden. Damit ist der Anteil außerbetrieblicher Ausbildungsplätze auf 22% gewachsen.

Um das statistische Bild abzurunden: etwa 17.000 Jugendliche haben im Westen einen Ausbildungsplatz gefunden. Damit sind rund 135.000 Jugendliche aus den neuen Ländern 1994 in eine Berufsausbildung eingemündet.

Bewertung

  1. 1. Aus Sicht des Bundes ist erfreulich, daß nahezu alle Jugendlichen untergebracht wurden. Bemerkenswert ist aber, daß dies im Osten

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    vergleichsweise besser gelungen ist als im Westen. Im Westen hatte die Berufsberatung Ende September 1994 noch etwa 17,500 nicht Vermittelte gemeldet, im Osten waren es rund 1.500.

  1. Die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt sind nicht mehr nur auf den Osten begrenzt, sondern haben auch den Westen erreicht. Einige Regionen der alten Länder, vor allem in Nordrhein-Westfalen, haben bereits mehr Bewerber als Ausbildungsplätze in der Statistik. Es ist deshalb kaum verwunderlich, wenn nun auch aus Westregionen Forderungen nach staatlicher Hilfe wie in den neuen Ländern laut werden.

  2. Politisch ist es zunehmend schwerer zu vertreten, in den neuen Ländern eine quasi Ausfallgarantie für fehlende betriebliche Angebote zu rechtfertigen, während im Westen zu Recht auf die Verantwortung der Wirtschaft verwiesen werden muß. Diese Diskrepanz kann und darf nicht von Dauer sein.

  3. Staatliche Hilfe wird in den neuen Ländern (Länderprogramme, AFG-Förderung und Gemeinschaftsinitiativen zusammengenommen) für mehr als jeden zweiten neuen Ausbildungsplatz gewährt. 1994 ist ein Anteil staatlicher Förderung und Subventionierung von mehr als 60% erreicht worden. Dies ist sowohl förderungs- als auch ordnungspolitisch eine Fehlentwicklung, der entgegengesteuert werden muß.
    Dem Ziel einer von der Wirtschaft selbst verantworteten Ausbildung ist man 1994 nicht näher gekommen. Es ist eher das Gegenteil eingetreten, allerdings bei einem steigenden Ausbildungsplatzangebot der Wirtschaft (das jedoch der Nachfrage nicht nachkommt).

Wo liegen die Ursachen dieser Entwicklung in den neuen Ländern?

  1. Hier spielen Demographie und der wirtschaftliche Umbruch sicher eine wesentliche Rolle.
    Zu fragen ist aber auch, ob Ursachen für diese Ausbildungsplatzentwicklung nicht auch in dem eingesetzten Förderinstrumentarium zu finden sind. Der Charakter der Gemeinschaftsinitiativen als quasi

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    Ausfallgarantie für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze sowie die Betriebsförderung im Rahmen der Länderprogramme mit ihren Mitnahmeeffekten bieten offenbar nur wenig Anreize für eine wachsende Eigenverantwortung der Wirtschaft in der Berufsausbildung.

  1. Wir kennen die Briefe von Unternehmen oder Bildungseinrichtungen, in denen freie Ausbildungsplätze in durchaus nennenswertem Ausmaß angeboten werden, sofern finanzielle Unterstützung durch Dritte, vor allem durch die öffentliche Hand, in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt würde.
    Wir wollen nicht, daß die Berufsausbildung in den neuen Ländern bis zu 100% staatlich finanziert oder subventioniert wird. Wir würden eine völlig andere Berufsausbildung erhalten, in der die Verantwortung der Wirtschaft für die Berufsausbildung an den Staat übergehen würde, mit allen Problemen bedarfs- und berufsstruktureller Verwerfungen, von den Lenkungsproblemen ganz zu schweigen. Das will niemand.

Mit welchen Anforderungen ist 1995 zu rechnen?

  1. 1995 ist in den neuen Ländern mit einer weiter wachsenden Nachfrage nach Ausbildungsplätzen zu rechnen. Wir werden 1995 in den neuen Ländern voraussichtlich zwischen 145.000 und 150.000 Nachfrager haben. Die Zahl der gemeldeten Bewerber dürfte deutlich darüber liegen.
    Nach unseren Schätzungen werden wir 1995 gut 10.000 Ausbildungsplätze mehr als 1994 brauchen. Will man die außerbetriebliche Ausbildung in den neuen Ländern nachhaltig zurückführen, wie sowohl von der Wirtschaft, den Ländern und nicht zuletzt von Bundesseite einvernehmlich gefordert wird, erhöht sich die Zahl der notwendigen betrieblichen Ausbildungsstellen je nach Rückführung um bis zu 30.000 zusätzliche betriebliche Plätze. Das ist eine beachtliche Zahl,

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Was kann getan werden?

  1. Was wir jetzt brauchen ist ein tragfähiges Konzept, das mehr betriebliche Ausbildung ermöglicht und sehr rasch die Berufsausbildung auch in den neuen Ländern in die Verantwortung der Wirtschaft überführt.
    Die am 15. März im Spitzengespräch beim Bundeskanzler eingegangene Selbstverpflichtung der Wirtschaft, in den beiden kommenden Jahren rund 10% mehr betriebliche Ausbildungsplätze anzubieten, und dabei einen überdurchschnittlichen Zuwachs in den neuen Ländern zu erreichen, zielt in die richtige Richtung.

Wo kann der Bund ansetzen, um die „Aktion Plus" der Wirtschaft zu unterstützen?

  1. Wir haben zum Jahreswechsel das Bundesinstitut für Berufsbildung gebeten, für uns der Frage nachzugehen, ob es und wo es noch unausgeschöpfte betriebliche Ausbildungskapazitäten gibt und mit welchen Instrumenten dieses Potential genutzt werden könnte. Hierfür wurden rund 1.500 Betriebe schriftlich und 40 Betriebe und Ausbildungseinrichtungen ausführlich mündlich befragt.

  2. Die Ergebnisse deuten auf erhebliche Ausbildungskapazitäten hin. Rund ein Fünftel der ausbildungsfähigen, aber derzeit nicht ausbildenden Betriebe könnten bei entsprechender Unterstützung Jugendliche ausbilden. Nach dieser BIBB-Studie liegen die mobilisierbaren Kapazitäten mit zwei Drittel überwiegend im Handwerk, zu 20% in Handel und Dienstleistungen und rund 10% in den Freien Berufen, aber nur 2% in Industriebetrieben, Insgesamt wären nach einer Schätzung des BIBB etwa 15.000 Betriebe gegebenenfalls zu gewinnen.
    Vor allem Informationen, zugehende Beratung und insbesondere konkrete Hilfen sind Voraussetzungen dafür, daß dieses Potential erschlossen werden kann. Ganz oben auf der Wunschliste der Betriebe ohne Ausbildungserfahrung stehen die Beratung während der Ausbildung und Hilfen bei der Vorbereitung und beim Abschluß des Aus-

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    bildungsvertrages mit jeweils 72%. Verbundausbildung spielt bei 16% der Betriebe eine Rolle. Auf die offene Frage, welche sonstigen Hilfen erforderlich wären, haben 12% der Betriebe eine „finanzielle Unterstützung" genannt.

  1. Aber auch bereits ausbildende Betriebe haben nach dieser Studie noch erhebliche Kapazitäten. Auch hier wäre etwa jeder fünfte Betrieb, das sind rund 20.000 Betriebe, bei entsprechender Förderung und Unterstützung in der Lage, weitere Lehrlinge aufzunehmen. Auch hier überwiegt das Handwerk, 17% entfallen auf Handel und Dienstleistungen, immerhin 12% auf Industrie und 3% auf die Freien Berufe.
    Für jeden zweiten Betrieb mit Ausbildungserfahrung steht eine finanzielle Unterstützung der Berufsausbildung ganz oben an, rund ein Drittel sehen in einer Verbundausbildung die Voraussetzung für mehr Ausbildung. Beratungshilfe während der Ausbildung und Beratung in Prüfungsfragen halten 20 bis 24% für erforderlich.

  2. Nach diesem Ergebnis ist das Problem fehlender betrieblicher Ausbildungsangebote auf dem Ausbildungsstellenmarkt der neuen Länder weniger eine Kapazitäts- als vielmehr eine Frage der Motivierung und Beratung, aber auch eine Einstellungs- und Verhaltensfrage.
    Wenn jeder zweite Ausbildungsbetrieb und etwa jeder 10. ausbildungsfähige Betrieb ohne Ausbildungserfahrung finanzielle Unterstützung fordert, dann zeigt diese Diskrepanz auch, daß man sich offenbar an die derzeitige finanzielle Förderung anpaßt und die Gefahr einer wachsenden Subventionsmentalität nicht von der Hand zu weisen ist.
    Allerdings verstehe ich die Zurückhaltung von Betrieben durchaus, wenn sie - wie offenbar geschehen - in einem Beratungsgespräch gesagt bekommen, daß die Berufsausbildung Zehntausende von DM pro Jahr kostet, oder - und jetzt überspitze ich - der Eindruck vermittelt wird, daß Ausbildung grundsätzlich verboten sei, bis auf die Ausnahmen, die die Kammern regeln. Das muß abschrecken.

    Ausbildung ist leistbar und kostet auch nicht nur, sondern rechnet sich und ist für die wirtschaftliche Entwicklung eines Betriebes von

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    nachhaltiger Bedeutung. Beides muß überkommen und muß durch eine geeignete Beratung aufgegriffen werden.

  1. Zur Mobilisierung betrieblicher Ausbildungsplätze sind am 15. März 1995 in dem Spitzengespräch beim Bundeskanzler neben der „Aktion Plus" der Wirtschaft zusätzliche konkrete Maßnahmen verabredet worden, die in diese Richtung zielen:

    • verstärkte Ansprache von Betrieben, die noch nicht ausbilden oder noch zu wenig ausbilden,

    • Einsatz von Ausbildungsplatzentwicklern zur praktischen Unterstützung von Betrieben und zur Beseitigung von Ausbildungshemmnissen sowie die

    • Förderung von Ausbildung im Verbund.

  2. Vor diesem Hintergrund hat am 22. März 1995 ein Bund-Länder-Gespräch stattgefunden, in dem zwischen Bund und Ländern eine Arbeitsteilung erörtert wurde, nach der zur Mobilisierung zusätzlicher betrieblicher Ausbildung
    • alle neuen Länder ihre Förderprogramme zur Mobilisierung betrieblicher Ausbildungsplätze fortführen und dabei auch die Bildung von Ausbildungsverbünden unterstützen werden und
    • der Bund sich für den flankierenden Einsatz des „Ausbildungsplatzentwicklers" einsetzt.

Ausbildungsplatzentwickler

  • 15. Die Überlegungen auf Bundesseite sind bereits weitgehend abgeschlossen. Mit dem Ausbildungsplatzentwickler zielen wir weniger auf eine intensive Lehrstellenwerbung, die bereits durch spezielle Lehrstellenwerber und die Ausbildungsberater sowie die Berufsberatung der Arbeitsämter in beachtlichem Umfang vorgenommen wird, als vielmehr auf eine intensivere Beratung und konkrete Hilfestellung für die Betriebe. Wir wollen Lehrstellenwerber und Ausbildungsberater durch Ausbildungsentwickler ganz gezielt unterstützen. Nach der BIBB-Studie absolvieren die Lehrstellenwerber und Ausbildungsberater bis zu 10 Betriebsbesuche am Tag. Zu einer gründlichen Bera-

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    tung bleibt damit nur wenig Raum. Zwischen Ausbildungswerber und Ausbildungsplatzentwickler wird deshalb eine Arbeitsteilung vorgeschlagen, nach der die Lehrstellenwerber den Kontakt zu ausbildungsinteressierten Betrieben für den Ausbildungsplatzentwickler herstellen sollten.

  1. Ausbildungsplatzentwickler sollten diesen Betrieben vor allem praktische Hilfestellung leisten u.a.:

    • bei der Entwicklung des betrieblichen Ausbildungsplans,

    • bei der Organisation von betrieblicher Ausbildung,

    • bei der Initiierung und Betreuung von Ausbildungsverbünden,

    • bei der Beschaffung von Ausbildungsmitteln,

    • bei der Qualifizierung der Ausbilder,

    • bei der Kooperation mit überbetrieblichen Ausbildungsstätten,

    • bei Lernschwierigkeiten der Auszubildenden,

    • bei Prüfungsvorbereitungen,

    • bei der Abstimmung mit der Berufsschule (z.B. Blockunterricht außerhalb der Saison), etc.

  2. Die Gespräche mit der Wirtschaft haben gezeigt, daß für den Einsatz von Ausbildungsplatzentwicklern ein hohes Interesse besteht. Unsere Vorstellung ist es, daß der Einsatz von Ausbildungsplatzentwicklern möglichst noch im Juni, spätestens im Juli 1995 erfolgen kann. Damit könnten die letzten Monate des laufenden Vermittlungsjahres genutzt werden, das betriebliche Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen. Die Maßnahme sollte sich bis Ende September 1998 erstrecken. Danach ist davon auszugehen, daß die Beratungs- und Unterstützungsaufgaben durch die Kammerberater allein bewältigt werden können.

  1. Wir halten den Einsatz von jeweils vier Ausbildungsplatzentwicklern in den 38 Arbeitsamtsbezirken der neuen Länder für zweckmäßig. Damit könnten pro Arbeitsamtsbezirk sowohl die beiden großen Kammerbereiche (IHK und HWK), die Freien Berufe als auch die übrigen Ausbildungsbereiche (Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Seeschiffahrt) abgedeckt werden. Hierüber besteht Einvernehmen mit den Beteiligten aus der Wirtschaft.

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  1. Von seiten der Länder wird aber auch eine bundesseitige Unterstützung der Verbundförderung gewünscht. Eine solche Unterstützung ist in dem Konzept des Ausbildungsplatzentwicklers bereits berücksichtigt. Die Ausbildungsplatzentwickler sollen auch für die Initiierung und Betreuung von Ausbildungsverbünden eingesetzt werden. Außerdem ist geplant, einen Ausbildungsplatzentwickler pro Arbeitsamtsbezirk vorrangig für Verbundlösungen abzustellen.

Wir stehen in den kommenden Monaten vor allem vor Informations- und Überzeugungsaufgaben. Dabei werden auch die Aktivitäten der Arbeitsämter helfen. Die Förderaktivitäten der Länder in Richtung einer verstärkten Verbundförderung sowie der Einsatz der Ausbildungsplatzentwickler werden sich mit den geplanten Aktivitäten der Wirtschaftsverbände hervorragend ergänzen.

Vor dem Hintergrund der angelaufenen und geplanten Aktivitäten der Wirtschaft, der Bundesanstalt für Arbeit, des Bundes und der neuen Länder wäre eine Diskussion über ein neues außerbetriebliches Sonderprogramm aus Bonn, insbesondere mit Blick auf die Motivation der Betriebe, jetzt ganz sicher kontraproduktiv.

Vorrangig wird es darum gehen müssen, daß die „Aktion Plus" der Wirtschaft ein Erfolg wird und als Signal verstanden wird, daß die Wirtschaft ihre Verantwortung für die Berufsausbildung voll wahrnehmen will.

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Michael Kleber

  1. Konsens ist, daß das Facharbeiterpotential, die Facharbeitertradition und das duale System der Berufsausbildung für Deutschland einen entschiedenen Standortfaktor darstellen.

  2. Die aktuelle Situation in der Berufsausbildung sieht vor allem in den neuen Bundesländern alles andere als positiv aus.
    Kennzeichen sind vor allem: Rückgang großbetrieblicher Ausbildung, nicht annähernd ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot für alle Bewerberinnen, verändertes Nachfrageverhalten der Jugendlichen, zunehmende (negative) Kostendiskussion bezüglich beruflicher Aus- und Weiterbildung, Umstrukturierung der Berufsschulen, unübersichtliche Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für Absolventen der dualen Berufsausbildung.

  3. Weitere Einflüsse auf das duale System sind erkennbar: konjunkturelle Abhängigkeiten, demographische Entwicklung, soziale Veränderungen (Streben nach höheren Bildungsabschlüssen).

  4. Es gibt einige Ansätze, den gegenwärtigen Problemen beizukommen:
    veränderte Ausbildungsorganisation durch kooperative, sprich überbetriebliche Ausbildung, teilweise Umlagefinanzierung für überbetriebliche Ausbildungswerkstätten, staatliche Förderung betrieblicher Ausbildung, Verbesserung der Neuordnungsverfahren.

  5. Entschiedene und vor allem langfristige Verbesserungen in der beruflichen Bildung lassen sich jedoch nur durch gesetzliche Finanzierungsregelungen erzielen. Damit soll tarifvertraglichen Regelungen in diesem Bereich keine Absage erteilt werden, hier sind jedoch klare Grenzen gegeben (Tausende von bestehenden Tarifverträgen, tariffreie Bereiche).

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  1. Eine überbetriebliche Fondsfinanzierung, wie sie seit langem von den Gewerkschaften vorgeschlagen wird, kann folgende Ziele erreichen: quantitativ ausreichendes Ausbildungsplatzangebot mit einer Mindestqualität, Ausgleich regionaler Ungleichheiten bei den Bildungsangeboten, weitestgehende Unabhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen, gerechte Verteilung der Ausbildungskosten.

  2. Eine solche Umlagefinanzierung kann auf Kammerebene organisiert werden, besser ist jedoch das Modell einer Selbstverwaltung.

  3. Mit einer überbetrieblichen Fondsfinanzierung wird der Faktor der einzelbetrieblichen Finanzierung in den Hintergrund gedrückt und damit Wettbewerbsverzerrungen durch das Vorhandensein von ausbildenden und nichtausbildenden Unternehmen vermieden.

  4. Die gewerkschaftliche Forderung nach einer umfassenden, solidarischen Qualifizierungspolitik in Deutschland sollte umgehend aufgegriffen und ausgestaltet werden. Wesensmerkmale sind dabei: Erhalt und Ausbau qualifizierter Aus- und Weiterbildung, Einbeziehung sozialer und ökologischer Erkenntnisse und die Berücksichtigung benachteiligter Menschen.

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- Statement-

Wolfgang Rühle

Das Statistische Bundesamt hat in den vergangenen Wochen die Berechnungen zur Wirtschaftsleistung in den neuen Bundesländern 1994 vorgelegt und einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes um 9,2% ausgewiesen, für Mecklenburg-Vorpommern beträgt der Zuwachs 8,2%.

Nach allen bisher bekannten Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute bzw. des Sachverständigenrates wird sich der Aufschwung 1995 fortsetzen.

Der Aufwärtstrend im Osten wird sich fortsetzen, vor allem getragen durch das Baugewerbe, wovon sämtliche baunahen Gewerbe profitieren werden, aber auch zunehmend das übrige verarbeitende Gewerbe insgesamt. Die Spannweite der Prognosen für die BIP-Zunahme für Ostdeutschland reicht von 8,5% bis 10%.

Vor diesem Hintergrund wird der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften für die Wirtschaft wachsen. Es gibt bereits heute in einzelnen Branchen einen Fachkräftemangel. Experten weisen jetzt schon daraufhin, daß sich dieser Mangel in drei bis vier Jahren in für die Wirtschaft bedrohlicher Weise auswirken kann, wenn heute die Ausbildung des Nachwuchses vernachlässigt wird. Geprüfte Facharbeiter haben keine Lieferfristen von sechs bis acht Wochen. In diesem Jahr - so die Voraussagen aus dem Kultusministerium - werden rund 32.000 Schüler die Schulen verlassen. Davon werden 22.000 bis 26.000 eine betriebliche Ausbildung nachfragen. Um diese Zahlen richtig bewerten zu können, muß man wissen, daß im vergangenen Jahr 18.717 Jugendliche in eine Berufsausbildung eingemündet sind, davon jedoch „nur" 12.415 (=66%) in eine betriebliche Ausbildung. 6.302 Jugendliche oder rund 34% wurden in außerbetrieblichen Einrichtungen aufgefangen.

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Durch die vom Bund und den neuen Ländern finanzierte Gemeinschaftsinitiative Ost 1994 ist es gelungen, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten.

Es ist sozial- und gesellschaftspolitisch richtig und wichtig gewesen, diesen Weg zu gehen.

Ordnungspolitisch stellt aber der hohe Anteil der außerbetrieblichen Ausbildung eine Gefährdung des dualen Systems dar.

Deshalb müssen die staatlich vollfinanzierten außerbetrieblichen Ausbildungsplätze zugunsten der betrieblichen Ausbildung deutlich zurückgefahren werden. Eine weitere Steigerung der außerbetrieblichen Ausbildung stellt die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nachhaltig in Frage.

Diese Landesregierung wird daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, um gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Kammern und der Arbeitsverwaltung die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu lösen. Die Probleme stellen sich im wesentlichen wie folgt dar:

Neben der demographischen Entwicklung bis zum Jahr 2000

  • ein quantitativer Fehlbestand an betrieblichen Lehrstellen.

  • ca. 60% aller Lehrstellen werden staatlich subventioniert,

  • zu wenige Betriebe bilden aus,

  • auch in den ausbildenden Betrieben ist die Ausbildungsbereitschaft labil,

  • nur 60% bis 70% dieser Betriebe wären bereit, ohne finanzielle Zuschüsse weiter auszubilden.

Wie stellt sich die aktuelle Situation dar? Ende März suchten noch 14.900 Jugendliche im Land einen Ausbildungsplatz. Das sind 1.300 mehr als im Vorjahr. Die Zahl der freien Stellen lag Ende März bei 5.000. Rein rechnerisch fehlen im Land noch rund 10.000 betriebliche Ausbildungsplätze.

Wir wissen, daß es noch sehr viele Unternehmen in diesem Land gibt, die bisher keinen Ausbildungsplatz bereitgestellt haben. Hier ist ein Potential an neuen Lehrstellen, das es gerade in diesem Land zu erschließen gilt.

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Hier setzt das vom Minister für Wirtschaft und Angelegenheiten der Europäischen Union aufgelegte neue Programm zur Schaffung von bis zu 10.000 neuen und zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätzen an. Wir wissen, daß im Handwerk mit bis zu 40% eine hohe Ausbildungsbereitschaft besteht.

Eine andere Situation ergibt sich dagegen bei den Betrieben, die zu den Industrie- und Handelskammern gehören. Hier liegt die Ausbildungsquote bei „nur" 8% bis 10%.

Vor diesem Hintergrund der hohen Zahlen an Lehrstellenbewerbern muß hier eine durchgreifende Veränderung der Ausbildungsbereitschaft stattfinden. Denn eine weitere Zurückhaltung der Unternehmen bei der Ausbildung gefährdet nicht nur die Nachwuchsversorgung, sondern auch das gesamte Ausbildungssystem. Die duale Ausbildung muß durch das solidarische Engagement aller ausbildungsfähigen Betriebe erhalten und gestärkt werden.

Der Wirtschaftsminister hat durch die sehr frühzeitige und innerhalb der Landesregierung unstrittigen klaren und unbürokratischen Förderbedingungen finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen, damit die benötigten zusätzlichen Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Die neuen Schwerpunkte des Programms darf ich Ihnen kurz erläutern:

  • Ausbildungsverhältnisse mit
    weiblichen Auszubildenden werden grundsätzlich mit 6.000 DM gefördert;
    männlichen Auszubildenden werden grundsätzlich mit 3.000 DM gefördert.

  • Unternehmen, die erstmalig ausbilden, erhalten zusätzlich für die Einrichtung jedes neugeschaffenen Ausbildungsplatzes einen nicht rückzahlbaren pauschalen Zuschuß in Höhe von 2.000 DM. In den Metall- und Elektroberufen erhöht sich der Zuschuß auf 5.000 DM. Dadurch erhöht sich der Gesamtzuschuß im Einzelfall auf bis zu 11.000DM.

  • Ausbildungsverhältnisse, die über den eigenen Bedarf hinaus begründet werden, sind grundsätzlich förderfähig. Dies gilt nicht für Ausbildungsverhältnisse, die von Angehörigen der Freien Berufe (vgl. § 18 Abs. 1 Ziffer 1 EStG) abgeschlossen werden.

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    Die Quote wird mit 8% gemessen an der Zahl der im Unternehmen beschäftigten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer.

  • Für alle Bauhauptberufe wird die Quote auf 10% und für alle Baunebenberufe auf 8% festgelegt. Nach Abschluß des Ausbildungsjahres am 30. September 1995 wird die Quote für die Bauwirtschaft überprüft und gegebenenfalls für die Baunebenberufe auf 10% und die Bauhauptberufe auf 12% festgelegt.

  • Ausbildungsverhältnisse, die von Angehörigen der Freien Berufe (vgl. § 18 Abs. 1 Ziffer 1 EStG) abgeschlossen werden, mit Ausnahme von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern, werden weiterhin gefördert, wenn sie erstmalig ausbilden. In diesen Fällen wird der Grundzuschuß für Jungen und Mädchen halbiert, ebenso wird der Zuschuß der Einrichtung des Ausbildungsplatzes halbiert.

  • Ausbildungsverhältnisse, die von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern abgeschlossen werden, sind nicht förderfähig.

  • Die Übernahme von sogenannten Konkurslehrlingen wird mit dem Grundzuschuß (3.000 bzw. 6.000 DM) gefördert.

  • Ausbildungsverhältnisse in nicht frauentypischen Berufen werden mit 8.000 DM gefördert.

  • Ausbildungsverhältnisse in Berufen mit geringer Ausbildungsbereitschaft werden mit 8.000 DM gefördert.

  • Unternehmen, die erstmalig ausbilden und die Ausbildungsinhalte nur im Rahmen der Verbundausbildung sicherstellen können, erhalten für ein Ausbildungsverhältnis mit einer weiblichen Auszubildenden 6.000 DM, mit einem männlichen Auszubildenden 3.000 DM. Hinzu kommt für die Einrichtung jedes neu geschaffenen Ausbildungsplatzes der pauschale Zuschuß von 2.000 bzw. in den Metall- und Elektroberufen von 5.000 DM. Ausbildungsinhalte, die nicht über dem Verbund angehörende ausbildende Unternehmen gewährleistet werden können und nur im Rahmen der überbetrieblichen Lehrunterweisung sichergestellt werden können, werden nach Maßgabe des Förderprogramms zur überbetrieblichen Lehrunterweisung finanziert.

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  • Die für die Betreuung des Verbundes eingerichtete Koordinierungsstelle erhält einen einmaligen Sachkostenzuschuß. Dieser beträgt bei bis zu fünf zu betreuenden Auszubildenden 4.000 DM. Bei mehr als fünf zu betreuenden Auszubildenden beträgt der Zuschuß 8.000 DM.

  • Für die personelle Betreuung des Verbundes sind die Möglichkeiten entsprechend der ABM-Anordnung zu nutzen.

  • Die Richtlinie zur Förderung von betrieblichen Ausbildungsplätzen gilt für die Jahre 1995 und 1996.

  • Antragsberechtigt sind alle Betriebe, die Ausbildungsverträge in dem jeweiligen Jahr bis zum 30. September abschließen (Ausnahme Konkurslehrlinge).

Und wenn der Betrieb einen Lehrling eingestellt hat, fallen weitere Kosten für die Ausbildung an. Im Handwerksbereich werden die Betriebe durch Vollversammlungsbeschlüsse verpflichtet, ihre Lehrlinge in die überbetriebliche Ausbildung zu entsenden. Dies ist auch gut so, denn viele kleine und mittlere Unternehmen verfügen nicht über die wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte, qualifizierte Ausbildung.

Das Land beteiligt sich an diesen Kosten gemeinsam mit dem Bund, 1/3 muß der Betrieb selber tragen.

Im Jahr 1994 hat der Wirtschaftsminister für diese Lehrgänge allein 5,2 Mio. DM bereitgestellt, 1995 werden - vorbehaltlich der Zustimmung durch den Landtag - rund 8 Mio. DM für die überbetriebliche Ausbildung zur Verfügung stehen.

Abschließend will ich noch darauf hinweisen, daß für die Errichtung und Ausstattung der Bildungszentren der Kammern des Landes mit ca. 108 Mio. DM erhebliche Landes- und Bundesmittel bewilligt worden sind. Weitere Zuschüsse, das wissen auch die anwesenden Kammervertreter, sind für die weiteren Bauabschnitte bereits zugesagt.

Ausbildungsplatzförderung muß also in diesem Kontext gesehen werden.

Der Minister für Wirtschaft und Angelegenheiten der Europäischen Union hat mit diesem Gesamtprogramm Rahmenbedingungen geschaffen, die jetzt von der Wirtschaft genutzt werden müssen.

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Unser Lehrstellenproblem wäre weitestgehend gelöst, wenn alle Betriebe, die - entweder allein oder im Verbund - ausbilden können, auch ausbilden würden.

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Alois Streich

  1. Die Berufsberatung der BA hält in ihren vier Aufgabenfeldern

    • Berufsorientierung

    • Berufliche Beratung

    • Ausbildungsvermittlung

    • Förderung der beruflichen Bildung

    • ein umfangreiches Dienstleistungsangebot bereit und bietet damit ein integratives Konzept an.

  2. Berufsberatung dient weder staatlicher Bevormundung noch bedarfsorientierter Berufslenkung. Vielmehr sollen alle Jugendlichen unterstützt werden, ihr grundgesetzlich garantiertes Recht der Freiheit der Berufswahl wahrzunehmen. Berufliche Beratung schränkt berufliche Entscheidungsfreiheit nicht ein, sondern ist darauf gerichtet, die persönlichen Entscheidungsvoraussetzungen zu schaffen bzw. zu verbessern.

  3. Die Erweiterung der beruflichen Perspektiven von Mädchen und Jungen ist seit vielen Jahren geschäftspolitische Leitlinie der Berufsberatung.
    Zielgruppenspezifische Aktivitäten für Mädchen und junge Frauen bilden im Rahmen des Dienstleistungsangebots der Berufsberatung vor allem in den neuen Bundesländern einen besonderen Schwerpunkt.

  4. Die Berufsberatung wäre überfordert mit der Korrektur gesellschaftlicher Normen und dadurch bedingten Rollenverhaltens, wie es nicht ihre Aufgabe sein kann, Berufslenkung zu betreiben. Sie ist aber aufgefordert, jedem und jeder den beruflich optimalen Weg aufzuzeigen und

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    drohender Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Sie hat auch die Aufgabe, Berufswählern und -wählerinnen die Übernahmewahrscheinlichkeit an der zweiten Schwelle, Weiterbildungs- bzw. Aufstiegsmöglichkeiten, den zukünftig zu erwartenden Status im Beruf und die Einkommensentwicklung sowie die zu erwartenden Beschäftigungsrisiken transparent zu machen.

  1. Dazu obliegt ihr die kontinuierliche gezielte Beobachtung des Geschehens auf dem Ausbildungsmarkt, die Analyse der Ergebnisse und die Initiierung geeigneter fachlicher Maßnahmen zur Problemlösung. Die Schwierigkeiten bestimmter Personengruppen, zu denen insbesondere auch Mädchen und junge Frauen gehören, können nur durch integrative Konzepte, durch aufeinander abgestimmte Maßnahmen in beruflicher Orientierung, Beratung, Ausbildungsvermittlung und Förderung sinnvoll angegangen werden.

  2. Die Schwierigkeiten auf dem Ausbildungsmarkt in den neuen Bundesländern setzen sich auch 1995 in verstärktem Maße fort. Wiederum steigt die Ausbildungsnachfrage im Vergleich zum Vorjahr an. Für die berufliche Unterbringung des Bewerberjahrganges ist daher vorrangig:

    • Umfassende Erschließung sowie nachfrageorientierte Ausweitung des Angebotes an betrieblichen Ausbildungsstellen, auch mit Hilfe von Ausbildungsverbünden.

    • Optimale Ausschöpfung des Angebotes an betrieblichen Ausbildungsstellen.

    • Systematische Erfassung der schulischen Ausbildungsmöglichkeiten sowie Einflußnahme auf deren bedarfsgerechte Ausweitung.

    • Einsatz der Förderungsinstrumente in angemessenem Umfang.

  3. Der Katalog der Fördermöglichkeiten ist nicht klein (z.B.):

    • BA-finanziert:

      • Förderungslehrgänge

      • Grundausbildungslehrgänge

      • Berufsausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen

      • ausbildungsbegleitende Hilfen (abH)

      • Ausbildung für behinderte Jugendliche (BBW)

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    • Freistaat Sachsen:

      • Mobilitätshilfeprogramm

      • Förderprogramm zur Gewinnung zusätzlicher Ausbildungsplätze in Kleinbetrieben

      • Förderprogramm zur Einrichtung von Ausbildungsverbünden (in Vorbereitung)

      • Arbeitstraining in Werkstätten für Behinderte (WfB) (anteilig auch durch die BA)

  1. Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten wird es auch in diesem Jahr in bestimmten Regionen nicht gelingen, einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Auf die Förderung von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen - regionalspezifisch oder zielgruppenorientiert - wird man daher auch 1995 nicht verzichten können.

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- Statement-

Martin Melzer

Die Situation der beruflichen Erstausbildung in Thüringen

Die Thüringer Wirtschaft unternimmt erhebliche Anstrengungen, um möglichst viele betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen.

Dank dieses Engagements der Wirtschaft und dank intensiven Bemühens der Arbeitsämter sowie aller für die Ausbildung Verantwortlichen konnten seit 1992 im Freistaat Thüringen nahezu alle Bewerber vermittelt werden.

Der durch die wirtschaftliche Umstrukturierung bedingte drastische Personalabbau einerseits und die wachsende Zahl von Schulabgängern andererseits machen jedoch eine Förderung der beruflichen Erstausbildung mit öffentlichen Mitteln noch für einige Zeit unabdingbar, um das Ziel jährlich zu erreichen, jedem willigen Bewerber einen Ausbildungsplatz anzubieten.

Die vom Land und vom Bund unternommenen Aktivitäten zur finanziellen Förderung der Ausbildungsstellen finden auch Anerkennung in der Thüringer Wirtschaft.

Keinesfalls können die noch nicht ausreichenden betrieblichen Einstellungszahlen als Beleg dafür gelten, daß die Unternehmer generell keine Notwendigkeit zur Ausbildung sehen oder gar den Fachkräftenachwuchs total vernachlässigen. Regional und auch branchenbezogen zeichnen sich in diesem Zusammenhang allerdings große Unterschiede ab.

Es wird deutlich, daß die Wirtschaftsbranchen mit Wachstums in den Beschäftigtenzahlen

  • Baugewerbe

  • Handel

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  • Kreditinstitute/Versicherung und

  • Dienstleistungen

zwar von 1991/92 zu 1992/93 mehr Ausbildungsplätze bereitstellten, jedoch zu 1993/94 eine rückläufige Tendenz erkennbar wird. Selbst die „Boombranche" Bauwesen hat Rückgänge zu verzeichnen. 65 Konkursbetriebe 1994 im Thüringer Baugewerbe könnten in diesem Zusammenhang auch Auswirkungen haben.

Noch gravierender ist der Rückgang an Ausbildungsstellen im verarbeitenden Gewerbe. 1991 gab es in Thüringen beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie noch über 300.000 Beschäftigte. Gegenwärtig sind es noch 24.000. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese Branche zu DDR-Zeiten überproportional ausbildete, ist doch dieser Rückgang ein Alarmsignal. Trotz aller Probleme in der Thüringer Metall- und Elektroindustrie werden seit 1992 mehr Ausbildungsplätze seitens der Industrie angeboten, als sich Schülerinnen und Schüler für diese Berufe interessieren.

Besonders trifft dies zu für die Berufe

  • Industriemechaniker,

  • Konstruktionsmechaniker,

  • Schlosser (in Metallberufen),

  • Zerspannungsfacharbeiter,

  • Werkzeugmechaniker und

  • Energieelektroniker.

Heute schon fehlen in verschiedenen Metallberufen Fachkräfte. Allerdings wirkt sich auch in dieser Branche das schlechte Image, das durch den gewaltigen Arbeitsplatzabbau entstand, sehr negativ aus. Gemeinsam mit Schulen und den Berufsberatungen in den Arbeitsverwaltungen müssen Schritt für Schritt Vorurteile gegenüber diesen Berufen abgebaut werden. Diese Berufe werden auch im Jahr 2010 noch benötigt.

An diesem Beispiel wird besonders deutlich, daß der Bedarf der Wirtschaft mit den Berufswünschen der Schulanfänger nur zum Teil übereinstimmt.

Das Verhältnis der ausbildenden Unternehmen ist bei Handwerksberufen (30-40%) günstiger als bei IHK-Berufen (5-8%).

[Seite der Druckausg.: 127 ]

Reserven in der Gewinnung von Ausbildungsstellen werden vor allem bei den Unternehmen gesehen, die bisher noch nicht ausbilden.

Allerdings sind viele dieser Unternehmen noch mit existentiellen Sorgen belastet. Deshalb geben wir der Förderung und Finanzierung von Verbundmodellen den Vorrang.

Als Form bietet sich dabei

  1. der zwischenbetriebliche Verbund mit „Leitbetrieben" oder

  2. der Verbund mit überbetrieblichen Einrichtungen an.

Vorschläge der Arbeitgeberverbände für eine finanzielle Förderung betrieblicher Ausbildung in den neuen Bundesländern

Die Förderprogramme des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Ost zur Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze waren bisher auf außerbetriebliche Träger ausgerichtet. Die Ausgangsüberlegung, daß ein solches Instrument nur kurzfristig eingesetzt werden kann, um Ausbildungslücken zu schließen, ist durch die Entwicklung nicht bestätigt worden. Durch die Förderpolitik ist der Anteil außerbetrieblicher Plätze an allen Ausbildungsverträgen inzwischen so angestiegen, daß negative Auswirkungen auf das duale System nicht auszuschließen sind. Eine Neuausrichtung der Förderpolitik zugunsten betrieblicher Ausbildung ist daher notwendig. Folgende Vorschläge sollen hierzu beitragen:

  1. Förderung des Ausbaus und der Stärkung des dualen Systems in den neuen Bundesländern,

  2. Entwicklung einer betriebsnahen Ausbildungsinfrastruktur in den neuen Ländern und Förderung zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsengagements,

  3. Nutzung brachliegender betrieblicher und betriebsnaher Kapazitäten,

  4. Gewinnung zusätzlicher Ausbildungsplätze in Betrieben, die bislang noch nicht ausgebildet haben, durch geeignete organisatorische und fachliche Hilfen,

[Seite der Druckausg.: 128 ]

  1. engere Abstimmung zwischen Bundes- und Länderprogrammen,

  2. stärkere Berücksichtigung regionaler Unterschiede und Erfordernisse sowie der Ausbildungskosten in den einzelnen Ausbildungsberufen.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November7 2000

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