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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 65 ]


Friedrich Buttler
Beschäftigungswirkungen einer Umfinanzierung der Arbeitsmarktpolitik


l. Das Problem

1.1 Warum Umfinanzierung der Arbeitsmarktpolitik?

Vorschläge zur Umfinanzierung zielen darauf ab, nicht nur die Beitragspflichtigen zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch die Gesamtheit der Steuerpflichtigen zur Finanzierung heranzuziehen. Damit einhergehend soll der relative Preis des Faktors Arbeit durch Verringerung der Lohnnebenkosten gesenkt und damit ein Beitrag zu mehr Beschäftigung geleistet werden.

Bei der Verwirklichung der Deutschen Einheit hat die Arbeitsmarktpolitik in erheblichem Umfang zur sozialen Sicherung und zum Strukturwandel beigetragen. Diesbezügliche Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz können nur eingeschränkt mit dem Äquivalenzprinzip begründet werden. Vielmehr handelt es sich um eine Aufgabe, die von der Gesamtgesellschaft als Solidargemeinschaft zu tragen ist.

1.2 Was hat das mit Ökosteuern zu tun?

Grundsätzlich eignen sich alle Steuern, die nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden. Sie haben aber unterschiedliche Belastungsund Beschäftigungswirkungen.

Steuern haben auf der Einnahmeseite in der Regel negative Beschäftigungswirkungen. Diesen ist die positive Beschäftigungswirkung der Verringerung der Lohnnebenkosten gegenüberzustellen. Zu prüfen ist, ob das Nettoergebnis bei Ökosteuern positiv und darüber vorteilhafter als bei anderen Steuern sein würde.

Ökosteuern können daneben eine vorteilhafte Allokationswirkung entfalten, in dem sie den Verbrauch nicht regenerierbarer Rohstoffe mit knappheitsgerechten Preisen belegen und Immissionswirkungen vermindern.

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Im folgenden werden die Beschäftigungswirkungen einer Mineralölsteuererhöhung mit denen anderer Steuererhöhungen verglichen und den Wirkungen einer Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gegenübergestellt. Das Beispiel der Mineralölsteuer wurde gewählt, weil dafür im gesamtwirtschaftlichen Modell eine Simulationsbasis gegeben ist. Nur die Variation von Steuern, die in der Vergangenheit schon eingeführt und verändert wurden, läßt sich im Modell simulieren; für andere Simulationen fehlt die empirische Grundlage. Die Wahl des Beispiels ist daher nicht als Plädoyer für die Wahl einer bestimmten Ökosteuer zu interpretieren. Das ist auch bei der Würdigung der Simulationsergebnisse zu beachten.

Der hier vorgestellte Simulationsansatz gibt das Problem immerhin in seiner Grundstruktur richtig wider: Mit Ökosteuern soll keine zusätzliche Belastung der Gesamtsolidargemeinschaft der Steuer- und Beitragspflichtigen herbeigeführt werden. Im hier gewählten Beispiel sollen die Steuern aufkommensneutral erhoben und unter Vermeidung eines excess bürden eingesetzt werden, um ein gegebenes Ausgabenvolumen zu finanzieren. In diesem Beitrag ist also nicht von einer isolierten zusätzlichen Ökosteuer die Rede, vielmehr geht es um Überlegungen zur Neugestaltung des Steuer- und Abgabensystems zur Erreichung beschäftigungs- und umweltpolitischer Ziele.

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2. Das Modell

2.1 Die Abschätzung der Wirkung alternativer Finanzierungsmodelle wurde mit dem makro-ökonometrischen Modell SYSIFO (lAB/Westphal-Modell) durchgeführt. [Fn.1: Vgl. A. Barth: Längerfristige lAB-Arbeitsmarktprojektion und Politiksimulation mit dem makroökonomischen Modell SYSIFO, lAB-Werkstattbericht Nr. 9/94.]

Die Simulation wurde nur im Modellteil für Westdeutschland durchgeführt; im Teil für Ostdeutschland ist derzeit eine Simulation nicht möglich. Die ausschließliche Simulation im Westmodell ist deshalb vertretbar, da es bei der anstehenden Fragestellung um die Umfinanzierung des West-Ost-Nettotransfers geht. Die Zahlenangaben beziehen sich also jeweils auf Westdeutschland.

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Den Simulationen lag ein - allerdings noch vorläufiges - Szenario der Wirtschaftsentwicklung bis zum Jahr 2000 zugrunde [Fn.2: Vgl. A. Barth, W. Klauder: Anhaltende Arbeitslosigkeit - Konjunkturschwäche oder Strukturkrise?, in: Arbeit und Sozialpolitik, Juni 1994.]
Dieses Szenario ging von einer Fortsetzung von beobachtbaren Entwicklungen aus. Um die Felder aufzuzeigen, in denen in Zukunft Handlungsbedarf notwendig wird, beinhaltet das Szenario nur politische Maßnahmen, soweit sie bereits beschlossen oder rechtlich/verfassungsgerichtlich zwingend sind. Insofern hat die Baseline den Charakter eines Warnszenarios. Ihre Ergebnisse könnten also auch durch Strategieveränderungen positiv und negativ beeinflußt werden.

Die Warnfunktion zeigt sich auch bei der Entwicklung des Arbeitsmarktes: Die modellendogen ermittelte Arbeitsplatzlücke wird im Jahr 2000 immer noch 3,7 Mio. in Westdeutschland und 1,8 Mio. in Ostdeutschland betragen. Folgt man bei der Aufteilung der Arbeitsplatzlücke auf Arbeitslosigkeit und Stille Reserve einer aus der Vergangenheit abgeleiteten „Faustregel", so ergibt sich im Jahr 2000 eine Arbeitslosigkeit von 2,5 Mio. (West) und 1,2 Mio. (Ost), sowie eine Stille Reserve von 1,2 Mio. (West) und 0,6 Mio. (Ost). Jedoch gibt es Anzeichen dafür, daß sich eventuell ein höherer Anteil in der Stillen Reserve niederschlagen wird, als in den o.g. Zahlen ausgewiesen.

2.2 In Simulationen wurden folgende im Basisszenario gesetzten Instrumentvariablen verändert:

  • Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung,

  • Mehrwertsteuersatz,

  • Mineralölsteuer,

  • Eingangssteuersatz der Einkommensteuer,

  • Spitzensteuersatz der Einkommensteuer,

  • Solidaritätszuschlag.

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3. Ergebnisse der Simulation: Wirkung auf die Arbeitsnachfrage

3.1 In der Simulation wurde einer Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung eine Erhöhung der anderen Instrumentvariablen mit dem Ziel gegenübergestellt, den Einnahmeausfall durch Senkung des Beitragssatzes durch Steuermehreinnahmen auszugleichen.

Eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung wirkt - im Vergleich zu den jeweiligen Jahreswerten der Baseline - auf die Erwerbstätigkeit (nahezu) linear:


Senkungen um...

1%

2%

5%

Wirkungen auf die Beschäftigung in 1000 Personen

1995

2000

+29,73

+77,01

+59,54

+154,32

+149,46

+387,85

3.2 Eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung erhöht das Finanzierungsdefizit der BA um 10,27 Mrd. (1995); wegen gegenlaufender anderer Effekte wird das Finanzierungsdefizit des Staates (Abgrenzung VGR, d.h. incl. BA) um 9,39 Mrd. höher (Interdependente Analyse). Der Rechnung liegen die Daten und Abgrenzungen der Bundesbank zugrunde.

Es wurde angenommen, daß diese 9,39 Mrd. DM durch zusätzliche Steuereinnahmen gedeckt werden müssen (Zielgröße).

Bei der Simulation mit alternativen Finanzierungsinstrumenten wurde versucht, die Steuersätze so zu erhöhen, daß der Staat im Jahr 1995 9,39 Mrd. DM zusätzlich einnimmt.

Da unterschiedliche Finanzierungsinstrumente längerfristig ganz unterschiedlich wirken, hat dies zur Folge, daß - obwohl die Maßnahmen für das Jahr 1995 aufkommensneutral wirken - in den Folgejahren unterschiedliche Finanzierungsüberschüsse/-defizite des Staates entstehen (dynamische Analyse). Um die zeitliche Wirkung der steuerlichen Maßnahmen besser aufzuzeigen, wurde darauf verzichtet, in den Folgejahren die Aufkommensneutralität durch weitere Eingriffe erneut herzustellen. Vor

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allem die Erhöhung der Einkommensteuer führt wegen der „kalten Progression" in Zukunft zu einem erhöhten Steueraufkommen,

Die Steuersätze wurden wie folgt erhöht (in Klammer das Steueraufkommen 1995inMrd. DM):

Mehrwertsteuer

+ 1 l

Prozentpunkt

(8,84)

Eink. St. Eingangssatz

+1,5

Prozentpunkte

(7,87)

Eink. St. Spitzensteuersatz

+3,5

Prozentpunkte

(8,48)

Solidaritätszuschlag

+4

Prozentpunkte

(8,86)

Mineralölsteuer

+20

Pfennige auf Benzin



+0

Pfennige auf Heizöl

(9,20)

3.3 Da bei der Simulation mit den o.g. Variationen nicht exakt der „Zielwert" 1995 + 9,39 Mrd. DM eingehalten werden kann, wurden zumindest die Arbeitsmarkteffekte umgerechnet auf eine fiktive Erhöhung der Einnahmen um 10 Mrd. DM. Diese „fiktiven" aber vergleichbaren Zahlen wurden für die Ergebnisdarstellung in Schaubild l und 2 (siehe S. 72f.) verwendet.

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4. Diskussion der Ergebnisse

Die Erhöhung der indirekten Steuern ist nach diesen Ergebnissen der Veränderung der direkten Steuern vorzuziehen. Die Mehrwertsteuer wirkt zwar kurzfristig beschäftigungspolitisch ungünstiger als die Mineralölsteuer, aber mittelfristig ändert sich die Situation. Auch die Erhöhung des Eingangstarifs der Einkommensteuer ist nach den Simulationsergebnissen positiv zu beurteilen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß mit der Erhöhung des Eingangstarifs eine Strategie konterkariert wurde, die darauf abzielt, durch die Verringerung der Spanne zwischen Brutto- und Nettoeinkommen für Geringerverdienende eine verstärkte Bruttolohnspreizung in ihrer Wirkung auf die Netto-Akzeptanzlöhne abzumildern. Darüber hinaus wäre ihre Verteilungswirkung zu problematisieren. Interessant ist freilich auch, daß die Erhöhung des Einkommensteuerspitzensatzes beschäftigungspolitisch

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besonders unvorteilhaft erscheint und sich darin von der Wirkung des Solidaritätszuschlages kaum unterscheidet.

Die Ergebnisse unterliegen jedoch auch der kritischen Prüfung. Ihre Aussagefähigkeit hängt erstens davon ab, ob das zugrundeliegende Basismodell die für die Simulation wichtigen Transmissionsmechanismen zutreffend abbilden kann. Deshalb bedürfen die Transmissionsmechanismen genauer Diskussion. Dabei ist der positive Beschäftigungseffekt einer Umfinanzierung durch die Wirkung auf Konsum und Lohnstückkosten zu begründen. Für die Vorzugswürdigkeit indirekter Steuern gegenüber direkten zur Gegenfinanzierung spricht, daß ihre Erhöhung mit vergleichsweise geringeren Wachstumsverlusten einhergeht.

Zweitens ist zu prüfen, ob unerwünschte Verteilungswirkungen der Steuerfinanzierung bei Bevorzugung indirekter Steuern auftreten. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß die Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 6,5% wegen der Beitragsbemessungsgrenze diskret regressiv gewirkt hat. Dem steht bei Rücknahme der Beitragssätze und Finanzierung durch eine erhöhte Mehrwertsteuer die regressive Wirkung dieser Steuer über den Transmissionsmechanismus einkommensabhängig zunehmender marginaler Sparquote gegenüber. Richter und Rose halten die Regressionswirkung indirekter Steuererhöhungen freilich nur für die „halbe Wahrheit", weil bei Wiederverausgabung der Ersparnisse -wenn auch später - die Nachzahlung erfolgen muß. [Fn.3: Vgl. H. Richter, M. Rose: Modellrechnungen für die „Wirtschaftswoche", Nr. 17 vom 22.4.1994.]
Wenn darüber hinaus von der positiven Beschäftigungswirkung einer Umfinanzierung im Wege der Erhöhung indirekter Steuern zusätzliche Beschäftigung entsteht, können dabei insbesondere Personen mit geringeren Einkommen reintegriert werden, was wiederum der behaupteten regressiven Verteilungswirkung einer Erhöhung der Mehrwertsteuer entgegenstehen würde.

Eine Erhöhung der Mehrwert- bzw. der Mineralölsteuer wäre auch unter dem Gesichtspunkt der europäischen Steuerharmonisierung bzw. unter umweltpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Eine moderate Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes würde dem europäischen Harmonisierungsziel nicht im Wege stehen. Die Erhöhung der Mineralölsteuer würde

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erwünschte Anpassungsprozesse zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs induzieren.

Vorschläge zur Umfinanzierung der Arbeitsmarktpolitik sind gelegentlich auch mit Überlegungen zur Organisation der BA verbunden worden. Ein zwingender sachlicher Zusammenhang besteht aber nicht. Im Gegenteil ist das Prinzip richtig, die Leistungen der Arbeitsmarktpolitik - Vermittlung, Beratung, Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik und Lohnersatz -aus einer Hand zu gewähren und den Gesamtzusammenhang in der Mitverantwortung der sozialen Selbstverwaltung zu koordinieren.

[Seite der Druckausg.: 72 ]

Schaubild 1:
Alternative Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik


[Seite der Druckausg.: 73 ]

Schaubild 2:
Alternative Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik


[Seite der Druckausg.: 74 = Leerseite ]


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