FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

Arbeitsgruppe 1:
Integration und Konflikte im öffentlichen Dienst


[Seite der Druckausg.: 70 = Leerseite ]
[Seite der Druckausg.: 71 ]


Ulrich Billerbeck
Die Ethnisierung betrieblicher Konflikte


1. Ich möchte im folgenden über das Thema „Ethnisierung betrieblicher Konflikte" reden. Dabei sehe ich meine Rolle vor allem darin, auf Gegebenheiten öffentlicher Betriebe aufmerksam zu machen, die Politik zum Abbau ethnischer Diskriminierung in der Arbeitswelt in Rechnung zu stellen hat, will sie an der betrieblichen Realität nicht scheitern. Diese Hinweise werden exemplarisch entwickelt anhand von Beobachtungen in einem Großstadtbetrieb kommunaler Abfallwirtschaft,

  • in dem, erstens, ausländische Arbeiter die Mehrheit stellen, insbesondere innerhalb der Gruppe der einfachen Müllader, während die Leitungsaufgaben fast ausschließlich den Deutschen vorbehalten sind,

  • wo zweitens, typisch für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, eine gesellschaftlich diskriminierte Arbeit mit hohen körperlichen Belastungen und geringen Aufstiegschancen erledigt werden muß,

  • der drittens aber zugleich, was in der Regel übersehen wird, hohe soziale Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten verlangt; müssen die Müllarbeiter doch vor Ort mit unvorhersehbaren Rahmenbedingungen wie ständig wechselnden Wetter- und Verkehrsbedingungen und schwer kalkulierbaren Ansprüchen der Müllkunden alleine fertig werden; der Betriebsleitung bleibt im wesentlichen vorbehalten, die Höhe des täglichen Leistungspensums und die Abfuhrtermine vorzuschreiben und zu kontrollieren.

2. Mein Wissen über die soziale Lage deutscher und ausländischer Müllwerker resultiert aus einer langjährigen Forschungsarbeit über Probleme kommunaler Müllbetriebe am Frankfurter Institut für Sozialforschung: Bereits in den siebziger Jahren war ich im Rahmen einer von der VW-Stiftung finanzierten Studie über den öffentlichen Dienst beteiligt an einem Bericht über Arbeitssituationen in der Frankfurter Müllabfuhr. In den Jahren 1990 bis 1994 nahm ich dann teil an einem Weiterbildungsprojekt der Frankfurter Volkshochschule für Frankfurter Müllwerker, in dem nach der Rekonstruktion der Entwicklung der Frankfurter Müllabfuhr

[Seite der Druckausg.: 72 ]

auch Konzepte zum Abbau von Konflikten zwischen deutschen und ausländischen Müllwerkern entwickelt wurden. Schließlich gehörte ich der wissenschaftlichen Begleitung eines Modellprojekts der Hans-Böckler-Stiftung an, in dem nach den Chancen von Müllwerkern gefragt wurde, neben der normalen Sammeltätigkeit als „Hausmüllberater" der Frankfurter Bevölkerung tätig zu werden. Außerdem war ich lange Jahre ehrenamtlich und hauptamtlich in der ÖTV als Teamer innerhalb der Bildungsarbeit mit gewerkschaftlichen Problemen auch von Müllwerkern befaßt.

3. Im folgenden konzentriere ich mich auf Erfahrungen aus dem Weiterbildungsprojekt der Frankfurter Volkshochschule mit Müllwerkern aus der Abteilung Wertstoffabfuhr, in der sich z.T. schwere Konflikte zwischen deutschen und ausländischen Müllwerkern häuften. Ein erster Befund war die Schwierigkeit, mit den Seminarteilnehmern überhaupt zu einem allseits geteilten Urteil über die Ist-Situation zu kommen. Zwar äußerten alle eine tiefsitzende Unzufriedenheit, in deren Zentrum das Gefühl einer umfassenden Diskriminierung stand: „Wir machen den Dreck weg - und werden wie Dreck behandelt". Diese Mißachtung, so die Klage der Betroffenen, vergifte das alltägliche Betriebsklima und präge sämtliche Arbeitsbeziehungen innerhalb der Arbeitsteams, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sowie zwischen Müllwerkern und städtischem Publikum. Die Diskriminierungserfahrungen werden jedoch unterschiedlich gedeutet: Während die Deutschen die Gemeinsamkeit von Diskriminierung betonen, heben die Ausländer die spezifischen ausländerfeindlichen Ausprägungen und Zuspitzungen von Ungerechtigkeit und Diskriminierung hervor; die Deutschen bezeichneten die Ausländer durchweg als „Kanacken", und die „allgemeinen" Mißstände treffen die Ausländer besonders oft, hart und lang.

4. Ein zweiter Befund war: Die konträre Situations- und Konfliktdeutung wird von beiden Seiten in den öffentlichen Diskurs über Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland eingetragen: So nehmen die Ausländer ihre Situation als „rassistisch" diskriminiert wahr. Sie greifen dabei offensichtlich bewußt den allgemeinen Rassismus- und Faschismusvorwurf von Kritikern der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft auf, verwenden ihn als Waffe gegen die deutschen Kollegen und Vorgesetzten und versuchen ihre sozial schwächere Position dadurch zu stärken, daß sie sich unter den Schutz der deutschen Nachkriegstabus (gegen Faschismus

[Seite der Druckausg.: 73 ]

und Rassismus) begeben. Die deutschen Kollegen leugnen dagegen diese die Ausländer diskriminierende Dimension der Arbeitssituation und Konflikte und finden in der wütenden Zurückweisung des Rassismus-Vorwurfs obendrein eine Möglichkeit, ihre feindseligen und abwertenden Gefühle und Einstellungen gegenüber Ausländern zur Sprache zu bringen. So viel scheint klar zu sein: Zwischen dem betriebsinternen Streit um Rassismus und der allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der „Ausländerfrage" in Deutschland besteht ein enger Zusammenhang.

5. Auch innerhalb des pädagogischen Teams der VHS blieb es lange strittig, ob die ausländerfeindlichen Einstellungen und Handlungen der deutschen Müllwerker rassistisch verursacht, d.h., wie auch Goldhagen meint, historisch und sozialisatorisch tiefverwurzelten Gefühlen zuzuschreiben sind, oder ob die Ausländerfeindlichkeit nur „rassistisch" gedeutet wird, letztlich sich aber der Dynamik betrieblicher Entwicklungen verdankt. Für diese letzte These sprechen die für Ausländer äußerst problematischen Regelungen der Springer- und der Urlaubsfrage:

In einem Betrieb, der mit immer weniger Personal auskommen muß, läßt sich das tägliche Arbeitspensum nur erledigen, wenn ein Teil der Belegschaft ständig als Springer eingesetzt wird. In der Industrie sind nun Springer in der Regel besonders fähige, qualifizierte und besser bezahlte Kollegen. Nicht so in der Müllabfuhr: Dort ist der Springer der Lückenbüßer, der nicht den Schutz seiner Arbeitsgruppe genießt. In der Gruppe der Springer versammeln sich die Schwächsten der Belegschaft, die Neuen und Jungen, die sich noch nicht auskennen, die Schwierigen, schlecht Angepaßten, die häufig fehlen und krank sind. Unter den Nachteilen der Springertätigkeit leiden auch die deutschen, vornehmlich aber die ausländischen Müllader, weil die Vorgesetzten fast ausschließlich diese oft über lange Jahre als Springer einsetzen, während deutsche Lader, wenn überhaupt, meist nur kurzfristig als Springer arbeiten. Der Grund für diese ethnisch diskriminierende Praxis liegt vor allem darin, daß fast nur Deutsche die Vorgesetztenpositionen einnehmen, und daher nicht umgesetzt werden können. Außerdem nutzen die Vorgesetzten die Einteilung als Springer dazu, aufmuckende Ausländer zu bestrafen. Auf diese Weise wurde die arbeitsorganisatorische Diskriminierung des Springers in eine ethnische Diskriminierung des ausländischen Springers verwandelt.

[Seite der Druckausg.: 74 ]

Die ethnische Verzauberung gängiger betrieblicher Konflikte zeigte sich auch in der Urlaubsfrage: In der Frankfurter Müllabfuhr ist die Verteilung der Urlaubstage formal gerecht geregelt. In einem vorweg festgelegten Rhythmus können alle Müllwerker die begehrten Sommermonate als Urlaub nutzen. Nun ist es jedoch so, daß die Ausländer aufgrund vieler schulpflichtiger Kinder und des Interesses, den Kontakt zum Heimatland nicht zu verlieren, in besonderem Maße auf lange zusammenhängende Urlaubszeiten in den Sommermonaten angewiesen sind. Auf diese besondere Lage der Ausländer gehen die deutschen Kollegen jedoch nicht ein, so daß eine formal gerechte Regelung sich letztlich als ethnische Diskriminierung auswirkt.

6. Die Ethnisierung betrieblicher Konflikte findet ihren mächtigsten Grund in der Ohnmacht der Belegschaft gegenüber der Entwicklung der Arbeitsintensität. Bis heute ist der Arbeitsalltag der Müllwerker von einem „stillen Arbeitsbündnis" von Betrieb und Belegschaft geprägt: Die Amtsleitung überläßt es aufgrund mangelnder Einsicht in die konkreten Anforderungen vor Ort weitgehend den Müllwerkern, den konkreten Arbeitsablauf zu bestimmen und läßt sie innerhalb bestimmter Grenzen dann vorzeitig nach Hause gehen, wenn das tägliche Arbeitspensum erledigt ist. Umgekehrt sorgen die Müllwerker Tag für Tag dafür, daß die hohen Müllberge auch ohne ständige Kontrollen der Vorgesetzten von der Straße verschwinden. Dieses Arrangement gewährt allen Müllwerkern, also auch den ausländischen, mannigfache Vorteile: Soweit sie schneller als vorgeschrieben arbeiten, gewinnen sie Zeit für einen Zweitjob oder für familiäre Verpflichtungen, für die Verlängerung von Pausen oder für finanziell einträgliche Deals mit ihren Müllkunden.

Von daher war an sich zu erwarten, daß ethnische Spannungen in Müllbetrieben eher selten sind; denn nur in gemeinsamer Anstrengung des ganzen Teams kann das vorgeschriebene Arbeitssoll vorzeitig erledigt werden. Daß sich aber trotz der Notwendigkeit zu enger Kooperation und Kommunikation innerhalb der Arbeitsteams gerade auch in Müllbetrieben ethnische Konflikte häufen, ist die Folge des hohen Preises, den die Müllwerker für die Vorteile des Arbeitsbündnisses zahlen: So hat der Betrieb jederzeit die Möglichkeit, das tägliche Leistungssoll ohne Rücksprache mit der Belegschaft zu erhöhen; denn die Müllwerker sind nicht in der Lage, ihre ausgesprochene Leistungsorientierung kritisch zu überprüfen und dem

[Seite der Druckausg.: 75 ]

Beispiel von Industriearbeitern zu folgen, auf steigende Leistungsanforderungen mit gemeinsamen Absprachen über ein systematisches „Bremsen" zu antworten. Da sie ihre bisherigen Vorteile nicht aufgeben wollen, arbeiten sie bei höherer „Normalleistung" nur noch schneller, so daß ihr selbstbestimmtes Tun streckenweise zu einem ausgesprochenen Wettstreit mit den anderen Tourenmannschaften wird. Nur durch individuelles Krankfeiern können die Müllwerker dann den steigenden Arbeitsdruck zeitweise lindern.

Auf Dauer sind mit diesem Verhalten jedoch die bisherigen gemeinsam errungenen „informellen Besitzstände" gefährdet. Angesichts dieser bedrohlichen Perspektive gehen die deutschen Müllwerker dazu über, in Absprache mit den deutschen Vorgesetzten, d.h. an der Gruppe vorbei, sich bestimmte Vorteile, etwa in bezug auf die Gewährung freier Tage, zu sichern, sich einer gerechten Regelung der Urlaubspläne zu verweigern, den ausländischen Mitgliedern des Teams die schlechten Arbeiten zuzuschanzen und ihnen Faulheit und mangelnde Verantwortungsbereitschaft vorzuwerfen, d.h. die Nötigung zur leistungspolitischen Selbstregulierung wird unter Bedingungen harter gegenseitiger Repression zum Multiplikator für personell vermittelte Macht, Diskriminierung, Willkür und Tyrannei und dann zum Nährboden ethnischer Diskriminierung.

Für diese Entwicklung spielen auch die Vertretungsinstanzen der Müllwerker eine große Rolle. Der Personalrat, angesichts eines funktionsunfähigen Vertrauensleutekörpers die einzige Interessenvertretung von Belang, hat die besonderen Anliegen der ausländischen Kollegen immer nachrangig behandelt, weil seine aktiven Mitglieder sich fast ausschließlich aus den Reihen der deutschen Fahrer rekrutieren, die zu den Mülladern, insbesondere aber zu den ausländischen, spürbar Distanz halten. Die direkte Abwehr hoher Belastungen und ethnischer Diskriminierung steht außerdem quer zu dem hohen Stellenwert finanzieller Kompensationen des Arbeitsleids, d.h. von Prämienregelungen, auch innerhalb der Personalvertretung.

7. Nun wende ich mich der Frage zu, inwieweit Ausländer Täter und Opfer ihrer Verhältnisse sind. Gefragt nach ihrer Arbeitssituation stimmen die ausländischen Müllwerker eine laute Klage an über die besondere Diskriminierung von seiten ihrer deutschen Kollegen und Vorgesetzten, d.h. sie präsentieren sich, nahezu in Form einer Selbststigmatisierung, als

[Seite der Druckausg.: 76 ]

ohnmächtige Opfer ethnisch diskriminierender Praktiken der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Auf diese Weise verschleiern sie aber, bewußt oder unbewußt, ihre aktive Rolle im betrieblichen Geschehen. Der Eigenanteil der Ausländer an ihrem betrieblichen Schicksal wird sichtbar, wenn der Blick gelenkt wird auf bestimmte, die Gesamtheit der Ausländer differenzierende Rollenmuster, etwa auf die je eigentümlichen Verhaltensweisen verschiedener Generationen. Auch in der Frankfurter Müllabfuhr hebt sich das Bild der jungen ausländischen Müllwerker stark ab von dem ihrer Väter aus der ersten Generation ausländischer Arbeitskräfte. Letztere nehmen die vielfältigen Diskriminierungen, fixiert auf den Gedanken an eine baldige Heimkehr und geprägt von einem konservativen, autoritär strukturierten Heimatmilieu, letztlich passiv hin; sie suchen ihr Heil meist in der Anlehnung an starke, statushöhere „Vertreter", notfalls auch aus den Reihen deutscher „Unterstützer", und fördern damit deren Bemühen, die Beziehungen der verschiedenen Nationalitätengruppen zum deutschen Lager zu monopolisieren. Die Scheu vor eigenständigem Handeln wird auch am Vorgehen der wenigen, meist älteren ausländischen Personalräte sichtbar, die sich im Kreis ihrer Personalratskollegen und auf Personalversammlungen mit Kritik an der Betriebsleitung und an der ausländerfeindlichen Haltung der deutschen Belegschaft spürbar zurückhalten.

Ganz anders das Verhalten der jungen Ausländer aus der zweiten Generation mit höherem Bildungsstand und ohne Aussicht auf Rückkehr in die Heimat. Sie nehmen mehr und mehr ihr Schicksal selbst in die Hand, protestieren gegen schreiende Ungerechtigkeiten und fordern gleiche Chancen bei der Besetzung qualifizierter Fahrer- und Vorgesetztenpositionen, wobei sie sich sowohl auf ihre eigenen Arbeitsfähigkeiten als auch auf allgemeine Menschenrechte wie Chancengleichheit und Recht auf gleiche Teilhabe am politischen Geschehen berufen.

8. Unterschiedliche Reaktionen auf ethnische Diskriminierung zeigen sich auch im Vergleich der verschiedenen Nationalitätengruppen: Während die türkischen Müllwerker in der Regel die wenigen Vertreterpositionen monopolisieren, zeigen die marokkanischen Müllwerker eine ausgesprochene Distanz und Kontaktscheu gegenüber der feindlichen Umwelt und bezichtigen Landsleute, die sich zum gewerkschaftlichen Vertrauensmann oder zum Personalrat wählen lassen, als „Verräter" an ihrer eigenen Nation; innerhalb der eigenen Gruppe geben dann bestimmte angesehene Vertrauens-

[Seite der Druckausg.: 77 ]

personen um so mehr den Ton an. Die Unterschiede im Verhalten verschiedener Nationalitätengruppen haben in der Frankfurter Müllabfuhr zu einer ausgeprägten, wenn auch selten öffentlich kommentierten Statushierarchie geführt mit den Türken an der Spitze und den Marokkanern am Ende. Unter diesen Umständen ist eine gemeinsame Politik der gesamten Ausländerbelegschaft praktisch unmöglich.

9. Zur Lähmung der Ausländerbelegschaft in innerbetrieblichen Konflikten trägt schließlich der Umstand bei, daß Ausländer wie Deutsche sich in Arbeitsbeziehungen als Männer zu präsentieren suchen, um ihr öffentliches Ansehen zu erhöhen. Im Ertragen widriger Wetterbedingungen, mit der Mobilisierung hoher Körperkräfte, mit der Bereitschaft, Arbeitskonflikte direkt unter Männern, d.h. ohne die Einschaltung externer Schlichter, zu regeln, und im Stolz auf die Rolle eines „Alleinernährers" der Familie, der sogar einen Zweitjob verkraftet, beweisen auch ausländische Müllmänner sich selbst und ihrer Umwelt, daß sie letztlich auf die gesellschaftlich dominante Seite des Geschlechterverhältnisses gehören. Dieses Männlichkeitsgebahren auch ausländischer Müllmänner trägt dann dazu bei, daß die Arbeitsteams selbst ständig erhöhte Leistungspensen noch zu erfüllen suchen. Im Konfliktfall ist der „Kampf um Anerkennung" eben wichtiger als die Sorge um körperliche Unversehrtheit.

Offensichtlich stimmen die Männerbilder deutscher wie ausländischer Müllwerker, was die Ausbildung harter Leistungstugenden anbetrifft, im Kern überein. Auf einen untergründigen Konsens über die hohe Relevanz der Geschlechterrolle verweist auch das Bemühen von deutschen wie von ausländischen Müllmännern, die verbleibenden unterschiedlichen Ausprägungen der Männerrolle in einer Art von Kulturkampf zu rechtfertigen bzw. zu kritisieren: So werfen die Deutschen den Ausländern die Einhaltung des Ramadan und das Werben um deutsche Frauen vor und machen sie mit der durchgängigen Anrede als „Ali" zu namenlosen Vertretern einer unterdrückten Kolonialgesellschaft, während die Ausländer mit entsprechender Münze zurückzahlen und an ihren deutschen Kollegen das freizügige sexuelle Verhalten und das Fehlen einer religiös fundierten Moral kritisieren. Die berufliche Zukunft auch der ausländischen Müllwerker wird also u.a. davon abhängen, inwieweit sie ihr eigenes starres Leistungsverhalten kritisch überprüfen und zu flexiblen weichen Formen von Männlichkeit finden.

[Seite der Druckausg.: 78 ]

Diese unterschiedlichen Ausprägungen des Ausländerverhaltens je nach Generation, Nationalität, Männerbild, aber auch nach Bildungsstand und nach städtischem oder dörflichem Herkunftsmilieu legen offen, daß Ausländer nie nur Opfer sind, sondern immer auch Täter, was für die Entwicklung realitätsgerechter Konzepte zur Integration ausländischer Arbeitnehmer von höchster Bedeutung sein dürfte.

10. Zum Schluß noch einige Hinweise auf eigene Erfahrungen mit praktischen Experimenten zum Abbau ethnischer Diskriminierung. Da sind obenan die Bemühungen der Frankfurter Volkshochschule um konfliktfreie Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Müllwerkern. Da in den Seminaren nach und nach die betrieblichen Probleme der Springer- und Urlaubsregelung ins Zentrum rückten, wurde Raum geschaffen für den Blick auf die objektiven institutionalisierten Formen von Diskriminierung der ausländischen Kollegen. Den Müllwerkern wurde nachvollziehbar, daß ganz bestimmte betriebliche Institutionen und Regelungen gleichsam systematisch dazu dienen, traditionelle betriebliche Konflikte in ethnische zu verzaubern. Auf diese Weise konnten die persönlichen Konflikte zwischen Deutschen und Ausländern relativiert werden; das Interesse an persönlichen Schuldzuweisungen und Vorwurfszurückweisungen sank. Dieser Erfolg verdankt sich auch einem pädagogischen „Schonraum", in dem es durch offenes, repressionsfreies Diskutieren sowohl für Deutsche als auch für Ausländer möglich wurde, sich wechselseitig über die besondere soziale Lage zu verständigen. Unter diesen Umständen gelang es dann auch, einvernehmlich gerechte Springer- und Urlaubsregelungen zu entwickeln, was sich im Arbeitsalltag sofort in einer geringeren Fehlquote und abnehmenden Konflikten zwischen deutschen und ausländischen Kollegen niederschlug.

Ungeachtet dieser pädagogisch initiierten Fortschritte in den Beziehungen von Deutschen und Ausländern blieb der reale Ertrag der gemeinsamen Anstrengungen jedoch gering: So war es nicht möglich, die Konzepte für eine gerechte Springer- und Urlaubsregelung gegenüber einer Betriebsleitung durchzusetzen, die befürchtete, daß größere Anteile der Belegschaft an der Regulierung wichtiger betrieblicher Probleme die Organisationsgewalt der Vorgesetzten zu sehr beschneiden. Letztlich dominierten damit Machtfragen gegenüber Ideen für eine emanzipative Organisationsreform.

[Seite der Druckausg.: 79 ]

Dieser Umstand ließ auch die Vorschläge zur Einführung teilautonomer Gruppen in der Frankfurter Müllabfuhr scheitern. Diese Idee spielte sowohl in den Diskussionen der VHS-Seminare als auch in dem oben genannten Böckler-Projekt über den Einsatz von Müllwerkern als „Hausmüllberater" eine zentrale Rolle. Mit ihr sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Müllwerker schon bisher den Arbeitsablauf weitgehend selbständig organisieren. Durch die „Offizialisierung" dieses bisher informell praktizierten Organisationskonzepts sollte nun sowohl die Arbeitsproduktivität des Belegschaftshandelns erhöht als auch die Müllwerker gegen autoritäre Eingriffe der Vorgesetzten geschützt werden, was auf Dauer auch ethnisch diskriminierenden Praktiken den Boden entziehen konnte.

Aufschlußreich für die Möglichkeiten zur Aufwertung der Müllarbeit, die auch ethnischen Konflikten das Wasser abgräbt, waren schließlich die Erfahrungen mit dem Böckler-Projekt über die Chancen, einfache Müllwerker zu „Hausmüllberatern" zu machen. Nach gutem Start scheiterte auch dieses Projekt an dem rigiden Sparkurs der Amtsleitung. Allerdings spielte dabei auch eine Rolle, daß sich die Gewerkschaften selbst bei der Aufhebung starrer Grenzen zwischen geistiger und körperlicher Arbeit sehr schwer tun.

11. Aufgrund dieser Erfahrungen sind die Aussichten für einen friedfertigen Umgang von deutschen und ausländischen Arbeitern in öffentlichen Betrieben eher düster. Infolge der allgemeinen Situation öffentlicher Haushalte wird die Personalpolitik auch im öffentlichen Dienst eher noch restriktiver. Es kommt hinzu, daß die zunehmende Massenarbeitslosigkeit die Konkurrenz gerade auf dem Arbeitsmarkt für „Jedermann-Qualifikationen" schärfer werden läßt. Die Erfahrungen mit den Frankfurter Müllwerkern erlaubt nur eine günstige Prognose: Wachsende ethnische Konflikte sind immer auch ein Zeichen, daß die diskriminierte ausländische Seite den Kampf um einen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum aufgenommen hat. Damit hängt das Schicksal ausländischer Arbeitnehmer zumindest auch davon ab, inwieweit sie selbst zu einem erfolgreichen Handeln zur Verteidigung ihrer legitimen Ansprüche sowohl finanzieller als auch moralischer Art finden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

Previous Page TOC Next Page