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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 37 ]


Friedhelm Ahrens
„AnsprechpartnerInnen" - ein Konzept für die Betreuung von Kleinstbetrieben in einer Region?


Kleinstbetriebe - was bedeutet dieses Stichwort im Organisationsbereich der Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK)?

Betriebsstruktur

Zunächst bedeutet es eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Branchen. Zum Beispiel gehören das Tischler-, Raumausstatter-, Karosseriebauer-, Modellbauer- und Parkettlegerhandwerk ebenso dazu, wie die verschiedenen MusikinstrumentenmacherInnen, VergolderInnen, RolladenbauerInnen und BootsbauerInnen. Die Frauen und Männer, die im Handwerk arbeiten, haben eine Gemeinsamkeit, sie arbeiten meistens in kleinen und Kleinstbetrieben.

Schaubild 1: Betriebs- und Beschäftigungsstruktur des Tischlerhandwerks



Quelle: GHK (Hrsg.): Zukunft des Handwerks = Zukunft der GHK? Düsseldorf 1993, S. 6

[Seite der Druckausg.: 38 ]

So haben z.B. über 60% aller Betriebe des Tischlerhandwerks ein bis vier Beschäftigte, in nur 4% der Betriebe arbeiten 20 und mehr Beschäftigte.

Es ist offensichtlich, daß diese Betriebsstrukturen eine andere gewerkschaftliche Strategie erfordern als die, die sich in der Industrie bewährt hat. In der o.g. Betriebsgröße gilt in vielen Betrieben das Kündigungsschutzgesetz nicht, außerdem ist eine Interessenvertretung nach dem Betriebsverfassungsgesetz überhaupt nicht oder wenn, dann nur mit einem einköpfigen Betriebsrat möglich. Des weiteren ist der Arbeitgeber ständig und direkt präsent, Konflikte müssen unmittelbar mit ihm ausgetragen werden, und die Gewerkschaft ist weit.

Lösungswege werden gesucht

Um die betriebs- und wohnortnahe Betreuung von Beschäftigten in Kleinstbetrieben in Zukunft besser gewährleisten zu können, ohne den hauptamtlichen Apparat erweitern zu müssen, hat die Gewerkschaft Holz und Kunststoff im Zeitraum Mai 1992 bis Januar 1993 drei Ideenkonferenzen zur gewerkschaftlichen Handwerksarbeit der GHK, die vom Büro für Sozialforschung Kassel moderiert wurden, durchgerührt. Auf diesen drei Konferenzen wurde u.a. das Modell eines regionalen Netzwerkes von AnsprechpartnerInnen für ArbeitnehmerInnen aus dem Handwerk entwickelt.

Das Projektgebiet

Das Projekt startet im Bereich der räumlich benachbarten Geschäftsstellen Hannover/Braunschweig und Wernigerode.

Ziele des Projektes

  • Betriebsnahe Anlaufstellen mit qualifizierten ehrenamtlichen Mitgliedern schaffen,
  • Betreuungs-/Beratungsnetz der GHK verdichten,

[Seite der Druckausg.: 39 ]

Schaubild 2: Die GHK muß betriebsnah ansprechbar sein!



Welche Aufgaben hätten die Ansprechpartner?

  • organisatorische Auskünfte für Mitglieder
  • einfache arbeitsrechtliche Auskünfte (Rechte im Betrieb) Vermittlung zur DGB-Rechtsstelle
  • Tarifauskünfte
  • Vermittlung von Fachleuten/Zusammenarbeit mit BG und GA Gesundheits- und Umweltschutz

Die Ansprechpartner müßten über technische und organisatorische Hilfsmittel verfügen

Sie sollten eine finanzielle Aufwandsentschädigung erhalten

Eine Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften zur Bildung betriebsnaher Beratungsnetze ist denkbar, wenn keine unmittelbare Konkurrenz um Mitglieder besteht.

Quelle: GHK (Hrsg.): Zukunft des Handwerks = Zukunft der GHK? Ein Arbeitsheft zur Aktivierung der gewerkschaftlichen Handwerksarbeit, Düsseldorf 1993, S. 52-53

[Seite der Druckausg.: 40 ]

  • die gewerkschaftliche Arbeit im Handwerk verbessern,
  • das Mitgliederpotential im Handwerk ausschöpfen,
  • der GHK zu einem besseren Image verhelfen,
  • Erreichbarkeit der GHK nach Feierabend bis 20.00 Uhr verbessern.


Stationen des Projektes

  1. Drei Fachkonferenzen zur Entwicklung der gewerkschaftlichen Handwerksarbeit der GHK (1992/1993),
  2. konzeptionelle Erarbeitung des Projektes durch die Abteilung Handwerk (Juli 1993),
  3. Vorstellung des Projektes auf dem 14. Ordentlichen Gewerkschaftstag im Oktober 1993,
  4. Projektbeginn Frühjahr 1994,
  5. Beginn der ersten Ausbildungsphase mit zwölf KollegInnen im Bereich der Geschäftsstellen Hannover/Braunschweig und Sachsen-Anhalt,
  6. seit Ende 1994 Beginn des Einsatzes von sechs AnsprechpartnerInnen,
  7. zweite Ausbildungsphase mit sechs KollegInnen in Sachsen-Anhalt (bis Februar 1996),
  8. Beginn der Übertragung des Projektes auf andere interessierte Geschäftsstellen im Bundesgebiet.


Aufgaben der AnsprechpartnerInnen

  1. Bekanntmachen der GHK,
  2. Werben von Mitgliedern,
  3. Initiative für Veranstaltungen vor Ort ergreifen,
  4. Erteilen von organisatorischen Auskünften (Verweis an kompetente Stellen),

    [Seite der Druckausg.: 41 ]

  5. Geben von einfachen arbeitsrechtlichen Auskünften (Rechte im Betrieb, Vermittlung zur DGB-Rechtsstelle),
  6. Information über grundlegende Regelung in Tarifverträgen,
  7. Information zur Berufsausbildung (z.B. bei Anfragen von Auszubildenden).


Kriterien bei der Auswahl der AnsprechpartnerInnen

  1. Lebenserfahrung und Persönlichkeit,
  2. Bereitschaft zur ehrenamtlichen Arbeit,
  3. Möglichkeit zur zusätzlichen Arbeitsbelastung nach Feierabend,
  4. Zuverlässigkeit,
  5. Verteilung auf die Fläche der Geschäftsstelle.


Personelle/technische Voraussetzungen für das Projekt

Damit die AnsprechpartnerInnen eine qualitativ hochwertige Arbeit leisten können, wurden folgende Wochenendseminare entwickelt und durchgeführt:

  1. Ein Grundseminar
    Das Seminar vermittelt die Entstehung und Konzeption des Projektes sowie die Handlungsmöglichkeiten der ehrenamtlichen Ansprechpartnerinnen.
  2. Arbeitsrecht
    • Einführung in die Thematik des Arbeitsrechtes,
    • ausgewählte Schwerpunktthemen, z.B. Einhaltung von Fristen.
  3. Tarifrecht
    • Geschichte der Tarifverträge,
    • Einführung in das Tarifvertragsgesetz,
    • Aufbau und Struktur von Tarifverträgen,
    • Tarifverhandlung,
    • Streik.

    [Seite der Druckausg.: 42 ]

  4. Handwerksordnung (HWO)
    • die Aufgaben der Gremien laut HwO,
    • Einflußmöglichkeiten der Interessenvertretung,
    • gewerkschaftspolitische Handlungsperspektiven in den Gremien.
  5. Aus- und Weiterbildung
    • der Ausbildungsvertrag,
    • Rechte und Pflichten der Auszubildenden,
    • Beteiligung der Gewerkschaften bei der Erstellung von Ausbildungsordnung,
    • Möglichkeiten der Weiterbildung.
  6. Berufsgenossenschaft (BG), Gewerbeaufsicht (GA), Arbeits- und Gesundheitsschutz
    Das duale Arbeitsschutzsystem, Aufgaben der Interessenvertretung in BG und GA, Handlungsrisiken und Möglichkeiten der Beschäftigten bei Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.


Technische Voraussetzungen

Die GHK-Geschäftsstelle stellt den AnsprechpartnerInnen folgendes zur Verfügung:

  1. einen zweiten Telefonanschluß (im Projektgebiet Hannover/Braunschweig ISDN),
  2. Kombigerät: Telefon, Fax und Anrufbeantworter,
  3. aktuelle Tarifsammlung,
  4. Arbeitsmappe mit Checklisten für eine schnelle und sichere Bearbeitung der Telefonanrufe,

Die Anschaffungskosten und Betriebskosten der Geräte werden von der GHK-Geschäftsstelle gestellt.

Bekanntmachen der Telefonnummern

  1. Eintrag ins örtliche Telefonbuch: Gewerkschaft Holz und Kunststoff, Nummer,

    [Seite der Druckausg.: 43 ]

  2. Pressemitteilungen in den Regionalzeitungen,
  3. Hinweis auf Flugblättern zur Tarifaktion (Berufsschulaktion und Betriebsaktion),
  4. Beilage zur Holzarbeiter-Zeitung der „Spitzbohrer" im Bereich der Geschäftsstelle Hannover/Braunschweig,
  5. Brief an jedes einzelne Mitglied in der Geschäftsstelle,
  6. der Anrufbeantworter der Geschäftsstelle verweist auf die Rufnummern der AnsprechpartnerInnen.


Anteil der Anfragen

Auf Grundlage einer schriftlichen Recherche des Büros für Sozialforschung über die bisherige Tätigkeit, die Erfahrung und die Eindrücke der GHK-AnsprechpartnerInnen ergibt sich folgendes Bild:

Im Durchschnitt erhalten die AnsprechpartnerInnen 10 bis 12 Anfragen im Monat (zwischen drei und 30). Diese Angaben sind Schätzwerte, da nicht alle Anfragen notiert werden. Es ergibt sich, daß die Bearbeitung dieser Anfragen wöchentlich durchschnittlich pro AnsprechpartnerIn fünf Stunden erfordert. Nach einer vorsichtigen Hochrechnung kann man davon ausgehen, daß bisher für die Bearbeitung aller Fälle mehr als 700 Stunden aufgewandt wurden. Das bedeutet einen Arbeitsaufwand von mindestens fünf Monaten am Stück bei einem normalen Arbeitstag.

Die Anfragen kommen vorwiegend aus Kleinbetrieben mit bis zu 50 ArbeitnehmerInnen. Hier zeigt sich, daß das Netzwerk der AnsprechpartnerInnen die o.g. Betreuungslücke tatsächlich schließt.

Art der Anfragen

Die häufigsten Anfragen kommen aus dem Bereich der Kündigungsschutzfragen und Abmahnungen. Weniger häufig, aber noch relevant, sind die Anfragen zu:

  • Lohn- und Gehaltstarifzahlungen,

[Seite der Druckausg.: 44 ]

  • Betriebsschließung/Konkurs/Sozialplan,
  • Kurzarbeit,
  • Überstunden/Mehrarbeit,
  • Arbeitszeitfragen/Pausenregelungen/Urlaub,
  • Probleme mit Vorgesetzten,
  • Fragen der beruflichen Ausbildung,
  • Tariffragen allgemein.

Es wird deutlich, daß es sich bei den meisten Anfragen, die auf die AnsprechpartnerInnen zukommen, eher um traditionelle, „klassische" betriebliche Problemfelder handelt, die zumeist von individualrechtlicher Tragweite sind und gegebenenfalls auch auf arbeitsrechtliche Beratung und Vertretung hinauslaufen.

Es gibt Hinweise darauf, daß die Entwicklung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses gegenüber dem/der ehrenamtlichen AnsprechpartnerIn in ähnlicher Weise gegeben ist, wie man es oft gegenüber betrieblichen Vertrauensleuten und Betriebsratsmitgliedern feststellt.

Auf welche Weise werden die Anfragen bearbeitet?

Die weitaus häufigste Form der Erledigung geschieht im Frage-Antwort-Dialog beim ersten Anruf. Das Problem ist sozusagen unmittelbar zu klären und beantwortet. Relativ häufig kommt es auch vor, daß die AnsprechpartnerInnen sich erst kundig machen müssen, d.h. beispielsweise, daß durch Nachlesen im Betriebsverfassungsgesetz oder anderen Texten/ Materialien die Beantwortung erst nach Rückruf erfolgt.

Weniger häufig sind Fälle, in denen die Anfrage/das Problem an die Geschäftsstelle weitergeleitet und von dort erledigt wird.

Erfolgsquote

Das Büro für Sozialforschung kam in seiner Recherche zu folgendem Ergebnis:

[Seite der Druckausg.: 45 ]

Zitat: Wir fragten die AnsprechpartnerInnen, wie sie selbst die Erfolgsquote beurteilen, ob bei der Beratung erfolgreiche Hilfe vermittelt und erteilt wurde. Wenn man hier noch einen Bescheidenheitseffekt bei der Antwort in Rechnung stellt, so kann man dennoch feststellen, daß der Erfolg der AnsprechpartnerInnen hoch erscheint. Zwei sagten: sehr hoch, vier: eher hoch.

Konsequenterweise glauben vier AnsprechpartnerInnen, daß die Ratsuchenden mit der Einrichtung des AnsprechpartnerInnenmodells sehr zufrieden sind, zwei meinen: diese seien zufrieden.

Positive Erfahrungen verbreiten sich von selbst weiter: Fünf unserer ehrenamtlichen FunktionärInnen meinen festgestellt zu haben, daß es bei den AnruferInnen einen „Mund-zu-Mund-Propaganda"-Effekt gibt. Auch von den hauptamtlichen Geschäftsführern wird das AnsprechpartnerInnenmodell positiv bewertet. Ein Geschäftsführer sah im Zusammenhang mit dem Modell, daß es möglich wurde, in sieben Handwerksbetrieben außerhalb der Wahlperiode erstmalig einen Betriebsrat zu wählen. Diese Betriebe haben zwischen 12 und 70 Beschäftigte.

Die Arbeitsbelastung des Geschäftsführers durch die AnsprechpartnerInnen ist in etwa gleich geblieben. Für die Verwaltungsangestellten haben die Belastungen allerdings zugenommen (allein durch erhöhten Kommunikations- und Materialaustauschbedarf). Der Vorteil sei jedoch, daß die Geschäftsstelle über deutlich mehr Anfragen verfüge als vor der Einrichtung des Modells.

Weiteres Vorgehen

Auf Grundlage der positiven Erfahrungen aus den Projektgebieten ist eine Übertragung auf weitere Geschäftsstellen geplant. Für den Zeitraum 1996-1997 sind vier Geschäftsstellen vorgesehen. Darüber hinaus versucht die Gewerkschaft Holz und Kunststoff in Zusammenarbeit mit anderen DGB-Gewerkschaften, ein gewerkschaftsübergreifendes Konzept zu entwickeln.

[Seite der Druckausg.: 46 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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