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TEILDOKUMENT:


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Günther Schultze
Zusammenfassung


In den neunziger Jahren erlebt die Bundesrepublik Deutschland verstärkt Zuwanderungen aus mittel- und osteuropäischen Ländern, und auch die Freizügigkeit für Arbeitnehmer und die Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union bewirken verstärkte Wanderungen von Arbeitnehmern.

Eine der größten neuen Zuwanderergruppen stellen die polnischen Werkvertragsarbeitnehmer dar. Ursula Mehrländer zeigt anhand von Ergebnissen der Repräsentativuntersuchung '95, daß 60% von ihnen 1994 bzw. 1995 zum ersten Mal in Deutschland tätig geworden sind. Diese überwiegend männlichen polnischen Arbeitnehmer geben als Motiv für ihre Wanderungsentscheidung insbesondere finanzielle Gründe an; 46% von ihnen betonen bei dieser Frage jedoch, daß sie von ihrem polnischen Arbeitgeber entsandt worden sind. Hinsichtlich ihres aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Status herrscht bei ihnen große Unsicherheit. Die überwiegend gut ausgebildeten polnischen Arbeitskräfte sind zu ca. zwei Dritteln im Baugewerbe tätig. Ihre Arbeitsbelastung ist relativ hoch: So ist z.B. fast jeder Zweite 50 Stunden und mehr in der Woche beschäftigt. Ein Hinweis auf ihre prekäre Arbeitssituation ist auch, daß fast jeder Dritte es als wahrscheinlich bewertet, daß sie einen Arbeitsunfall erleiden. Trotz überraschend guter Deutschkenntnisse bleiben die polnischen Arbeitnehmer größtenteils unter sich. Kontakte zu Deutschen sind relativ selten. Viele sehen ihre Arbeit in Deutschland als Chance, später in Polen bessere berufliche Chancen zu haben.

Dies ist auch für Helmut Heyden ein wesentlicher Grund, weshalb die Bundesregierung mit den Ländern Mittel- und Osteuropas Verträge über die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern und Gastarbeitnehmern abgeschlossen hat. Die Vermittlung von unternehmerischem und beruflichem Know-how, die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Abbau des Wanderungsdrucks sind die politischen Ziele, die mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern aus Mittel- und Osteuropa in der Bundesrepublik Deutschland erreicht werden sollen. Die Festlegung von Kontingenten, die Vereinbarung, daß deutsche Tariflöhne gezahlt werden müssen, und die verstärkten Kontrollen zur Verhinderung von Mißbräuchen

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bewirken, daß der deutsche Arbeitsmarkt nicht über Gebühr belastet wird und Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Ein Zusammenhang zwischen der Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern und der Zunahme illegaler Zuwanderungen und Beschäftigungsverhältnisse sei nicht nachweisbar.

Kritischer bewerten Klaus Sieveking, Uwe Reim und Stefan Sandbrink die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern. Aufgrund der rechtlichen Konstruktion des Werkvertrages und der Extraterritorialität der Beschäftigungsverhältnisse scheint ihnen eine Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit der Werkvertragsarbeitnehmerbeschäftigung äußerst schwierig. Vor allem die Tarifparteien des Baugewerbes haben sich in der Vergangenheit gegen diese Verträge ausgesprochen, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen und einem Absinken der Lohn- und Sozialstandards geführt haben. Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Verhinderung von Mißbrauch konnten nicht verhindern, daß neue illegale Praktiken entwickelt wurden, die zu einer untertariflichen Bezahlung und unzumutbaren Arbeitsbedingungen führen. Offen ist zudem die Frage, wie sich die Vereinbarungen der Werkvertragsabkommen mit den 1996 verabschiedeten Entsenderichtlinien der Europäischen Union, die Mindestlöhne für Arbeitnehmer aus der EU festlegen, vereinbaren lassen.

Auf die vielfältigen illegalen Praktiken, die ein Teil der Arbeitgeber bei Beschäftigung von polnischen Wanderarbeitnehmern anwenden, weist Norbert Cyrus hin. Vielfach wird der gültige Tariflohn nicht ausgezahlt, Überstunden werden nicht vergütet. Arbeitsschutzvorkehrungen werden nicht eingehalten. Urlaubsansprüche werden ignoriert, und die medizinische Versorgung ist unzureichend. Da die polnischen Arbeitnehmer in einer sehr schwachen rechtlichen Position sind, trauen sie sich oftmals nicht, ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Deshalb sei es wichtig, daß Beratungsstellen, wie z.B. der Polnische Sozialrat e.V., Berlin, finanziell unterstützt werde. Die Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit von Wanderarbeitnehmern sei ein geeignetes Mittel, um zumindest die schlimmsten Auswüchse bei der Beschäftigung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer zu verhindern.

Ein weites Feld illegaler Ausländerbeschäftigung öffnet sich durch die erweiterten Möglichkeiten der Freizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union. Peter Rack schildert z.B. den Fall, daß

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britische Scheinselbständige über niederländische „Koppelbaaze" auf deutsche Baustellen vermittelt werden. Hierbei handelt es sich um Formen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Die Gewinnspannen für die niederländischen „Briefkastenfirmen" seien enorm groß. Da mit Großbritannien und den Niederlanden keine Rechtshilfeabkommen bestehen, können deutsche Bußgeldbescheide nicht vollstreckt werden. Deutsche Unternehmen, die bei diesen illegalen Praktiken entdeckt werden, müssen mit erheblichen Geldstrafen rechnen. Das Aufspüren von illegalen Beschäftigungsverhältnissen gestaltet sich relativ schwierig, da z.B. die Firmen die Lohnunterlagen nicht vor Ort bereithalten und auch die Beschäftigten selbst aus Angst vor Repressalien der Arbeitgeber keine Angaben machen. Die Erfolgsquote und die general- und spezialpräventive Wirkung könne durch weitere Mitarbeiter bei den Aufsichtsbehörden erhöht werden.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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