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Volker Roßocha
Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Strategien, Bündnisse und Initiativen auf der betrieblichen Ebene


Wer Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen will, darf nicht erst anfangen, wenn Häuser brennen, Fremde angegriffen werden oder wenn mal wieder rechtsextreme Parteien in die Parlamente gewählt worden sind. Als Gewerkschaften haben wir es in unserer Arbeit fast zumeist mit Menschen zu tun, die nicht über ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild verfügen. Rechtsextreme Einstellungen liegen nach unserer Definition dann vor, wenn eine Bereitschaft besteht, die eigenen politischen Überzeugungen auch mit Gewalt durchzusetzen. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen daher die Begriffe Fremdenfeindlichkeit und/oder Diskriminierung verwenden, wohl wissend, daß diese Worte unscharf sind und nicht alle Phänomene beschreiben.

Fremdenfeindliches Verhalten finden wir täglich: Im Zug, wenn ein Schaffner sich abfällig über Menschen äußert, die die deutsche Sprache nicht beherrschen oder wenn bei einer Einstellung im Betrieb Jugendliche ihre Herkunft verleugnen müssen. Fremdenfeindliche Vorurteile sind Teil unserer Alltagskultur.

Fremdenfeindlichkeit ist weder ein Jugendproblem noch eine Eigenschaft der ostdeutschen Bevölkerung. Wer ausschließlich die Ostdeutschen für die Zunahme rechtsextremer Gewalttaten verantwortlich macht, verdrängt bewußt Gewalttaten wie in Mölln und Solingen. Er verdrängt die Schmierereien in U-Bahnen und auf Häuserwänden in Dortmund und vielen anderen Städten der alten Bundesrepublik.

Mögen auch die Erscheinungsformen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland aufweisen, so sind die Einstellungen der Menschen doch ähnlich. Fremdenfeindliche Einstellungen finden wir in allen Gruppen der Gesellschaft, gleich ob sie studiert haben oder nicht, gleich ob sie Arbeiter sind oder Angestellte, ob jung oder alt und auch bei den Wählerinnen und Wählern aller Parteien.

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Daher müssen wir, unabhängig von der sicherlich notwendigen Auseinandersetzung um die Ursachenbündel, auf die ich hier nicht eingehen möchte, mit unseren Strategien gegen Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft ansetzen. Wir müssen unsere Aktivitäten dort entfalten, wo wir Kompetenzen haben. Der gewerkschaftliche Ansatzpunkt liegt in erster Linie im Betrieb und am Arbeitsplatz.

Auch wenn offenes rassistisches und rechtsextremes Verhalten innerhalb der Betriebe selten sind und fremdenfeindliche Diskriminierungen selten an die Öffentlichkeit kommen, so ist der Betrieb doch kein politikfreier Raum. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben ihre politischen Auffassungen nicht am Werkstor ab, was einige Unternehmensleitungen gern hätten. Fremdenfeindliche Einstellungen und diskriminierendes Verhalten gehört in vielen Betrieben und Verwaltungen zur Alltagskultur, über die kaum jemand redet.

Anhand einiger Fälle möchte ich deutlich machen, wo die Ausgangspunkte unserer gewerkschaftlichen Aktivitäten liegen. Wir haben es mit unterschiedlichen Erscheinungsformen von fremdenfeindlichem oder diskriminierendem Verhalten zu tun, die in drei Kategorien eingeteilt werden können.

Erstens, ein Beispiel individueller Fremdenfeindlichkeit: Im Juli 1999 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) über die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung eines 16-jährigen Auszubildenden zu entscheiden. Obwohl der Jugendliche bereits durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallen war, hat die Unternehmensleitung erst reagiert, als er ein Schild mit der Aufschrift „Arbeit macht frei – Türkei schönes Land" an die Werkbank eines türkischen Auszubildenden geschraubt hatte. Das BAG hat die Kündigung bestätigt, gleichzeitig aber deutlich gemacht, daß die Unternehmensleitung früher hätte reagieren müssen. Dieser Fall macht deutlich, daß die Sensibilität der Ausbilder, Betriebsleitungen, aber auch der betrieblichen Interessenvertretung verstärkt werden muß.

Zweitens: Einer türkischen Mutter wurde das Landeserziehungsgeld in Baden-Württemberg verwehrt. Das zuständige Verwaltungsgericht in Karlsruhe hat zu Gunsten der Klägerin entschieden. Die Vergabekriterien seien, so heißt es in der Begründung, nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar. Diese Form von Diskriminierung aufgrund der

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Staatsbürgerschaft gehört in die Kategorie von staatlicher und gesetzlicher Diskriminierung.

Es ist zu hoffen, daß die Koalitionsparteien ihre Ankündigung im Koalitionsvertrag, ein Nichtdiskriminierungs- und Gleichbehandlungsgesetz einzubringen, auch in die Tat umsetzen. Und, daß damit zumindest diskriminierende Bestimmungen in Gesetzen und Verordnungen verschwinden. Auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat angekündigt, noch im Laufe des Jahres 1999 zwei Richtlinienvorschläge zur Bekämpfung von Diskriminierung vorzulegen.

Strukturelle Diskriminierungen in den Betrieben gehören in die dritte Kategorie. Eine Firma aus Hessen verlangte bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausländischer Herkunft einen Deutschtest. Da einige der Beschäftigten den Test nicht bestanden hatten, wurden ihnen gekündigt. Das Landesarbeitsgericht hob die Kündigungen auf, da der Betrieb vorher keine entsprechenden Förderkurse angeboten hatte.

Um strukturelle Diskriminierungen von vornherein auszuschließen, handelte die Firma TWB-Presswerk in Hagen gemeinsam mit dem Betriebsrat. Anläßlich weitreichender technologischer Veränderungen wurde eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die einmalig für einen mittelständischen Betrieb in Deutschland ist. Ziel war es, die Stammbelegschaft zu erhalten und zu qualifizieren sowie insbesondere die Aufstiegsmöglichkeiten für die ausländischen Beschäftigten zu verbessern. Gleichzeitig wurden Sanktionsmaßnahmen gegen Diskriminierung und Rassismus in die Vereinbarung aufgenommen. Dahinter stand die Erkenntnis beider Parteien, daß das Betriebsklima entscheidend zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt und die Vertretung der gewerkschaftlichen Interessen im Betrieb positiv beeinflußt.

Das Instrument der Betriebsvereinbarungen hat sich auch in anderen Betrieben bewährt. Es existieren z.B. bei der Thyssen-Stahl AG, der Ruhrkohle AG, der Niederlassung Briefpost Frankfurt der Deutschen Post AG und nicht zuletzt bei VW in Wolfsburg ähnliche Vereinbarungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Alle Vereinbarungen haben aber eines gemeinsam: Sie beinhalten sowohl Maßnahmen zur Gleichbehandlung und Sanktionsmaßnahmen bei diskriminierendem oder rassistischem Verhalten.

Ein kleiner Einschub: In der Antirassismusszene, aber auch in der Wissenschaft wird häufig eine Auseinandersetzung über Prävention oder Sanktion

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geführt. Sicherlich ist es notwendig, bei den politischen Aktivitäten an den Ursachen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anzusetzen. Notwendig ist dies auch im gesellschaftlichen Teilbereich der Arbeitswelt und im Betrieb. Dort muß es darum gehen, die Konkurrenzen zwischen den Beschäftigten abzubauen und durch veränderte Arbeitsmethoden die Zusammenarbeit zu fördern. Allerdings lassen sich durch innerbetriebliche Gleichbehandlungs- und Bildungsmaßnahmen, wie sie auch in den betrieblichen Vereinbarungen stehen, nur langfristig Veränderungen in den Einstellungen der Beschäftigten erzielen. Wir als Gewerkschaften sind der Auffassung, daß die Betriebsvereinbarungen beides, die Förderung der Gleichbehandlung und Möglichkeiten, fremdenfeindliches Verhalten zu ahnden, beinhalten müssen.

Basis der bereits existierenden, aber immer noch wenigen Vereinbarungen ist die Gemeinsame Erklärung der Europäischen Sozialpartner aus dem Jahre 1995. Darin werden sowohl Förder- und Gleichbehandlungsmaßnahmen beschrieben, die alle betrieblichen Bereiche umfassen und gleichzeitig disziplinarische Maßnahmen im Falle individueller Diskriminierungen vorgeschlagen.

Für uns als Gewerkschaften besteht kein Zweifel an der Notwendigkeit einer gemeinsamen betrieblichen Strategie zur Beseitigung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, getragen von der Unternehmensleitung und den Betriebs- bzw. Personalräten. Trotz unterschiedlicher Interessenlage sollte der Bundesverband der Arbeitgeberverbände, der bereits 1995/96 gemeinsam mit uns eine Kampagne gegen Rassismus durchgeführt hat, seinen Widerstand gegen eine Fortführung aufgeben. Die Beispiele von gemeinsamen Vereinbarungen zeigen, daß eine Umsetzung sowohl in mittelständischen und großen Unternehmen, aber auch im öffentlichen Dienst möglich ist.

Nur kurz will ich hier die Handlungsfelder der Strategie ansprechen. Es sind:

  • das betriebliche Personal- und Sozialwesen, mit der Verhinderung von Diskriminierungen bei Einstellungen und Aufstieg sowie die Notwendigkeit, kulturelle und religiöse Unterschiede bei der Ausgestaltung von Einrichtungen zu berücksichtigen;
  • die betriebliche Aus- und Fortbildung,

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  • das betriebliche Informationswesen,
  • die Veränderung der Arbeitsorganisation und
  • nicht zuletzt das Aktivwerden im betrieblichen Umfeld.

Aus den Erfahrungen mit dem von der DGB-Jugend und dem Informa-tions-, Dokumentations- und Aktionszentrum e.V. (IDA) gemeinsam gestalteten Projekt „Einbeziehung interkultureller Inhalte in die berufliche Ausbildung" wissen wir, wie notwendig die Überprüfung der Ausbildungsinhalte im Hinblick auf diskriminierende und von westlich-christlicher Kultur geprägten Arbeitsaufgaben ist. Diese finden sich in den Schulbüchern für die Berufsschulen genauso wie in den innerbetrieblichen Ausbildungsplänen. Aus unserer Sicht müssen nicht nur die Aufgaben überprüft, sondern auch neue Aufgaben entwickelt werden, die die Vor- und Nachteilsbedingungen der Jugendlichen ausgleichen und gleichzeitig zur Toleranzbildung beitragen. Dabei geht es nicht um die Einführung eines zusätzlichen Faches in der Berufsschule oder die Ausweitung des theoretischen Unterricht im Betrieb. Es geht darum, die gesamte Fachausbildung interkulturell zu gestalten.

Leider steht diese Diskussion noch am Anfang. Sowohl die Arbeitgeberverbände, aber auch einige Berufsbildungspolitiker haben noch nicht erkannt, daß interkulturelle berufliche Bildung auch positive Effekte für die Einstellung der Jugendlichen zur Demokratie hat und zur besseren Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen oder Abteilungen beiträgt. Die Bundes-, aber auch die Landesregierungen wären gut beraten, entsprechende Projekte stärker zu unterstützen und die politischen Voraussetzungen zu schaffen.

An dieser Stelle möchte ich nochmal deutlich sagen: Es geht bei der betrieblichen Auseinandersetzung nicht nur um fremdenfeindliches oder diskriminierendes Verhalten von deutschen Beschäftigten gegenüber Beschäftigten ausländischer Herkunft. Auch Migranten, die in die betrieblichen Arbeitsprozesse und Strukturen integriert sind, haben Vorbehalte und Vorurteile, besonders gegenüber Asylbewerbern und Neuzuwanderern. Es gibt so etwas wie eine informelle Diskriminierungsleiter, an deren Spitze die etablierten deutschen Beschäftigten stehen und ganz unten die Flüchtlinge oder auch die Werkvertragsarbeitnehmer.

Die wichtigste Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung einer gemeinsamen betrieblichen Strategie ist und bleibt der konsequente und vertrau-

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ensvolle Umgang mit Beschwerden von Diskriminierungsopfern. Nichts ist schlimmer - das hat schon das bei der Stadtreinigung Frankfurt Anfang der 90er Jahre durchgeführte Projekt gezeigt – als Beschwerden gegen Diskriminierung nicht ernst zu nehmen. Vorgesetzte und Betriebsräte müssen jedem Fall sorgfältig und mit dem nötigen Respekt gegenüber dem Diskriminierungsopfer nachgehen. Dabei ist bei der Erstüberprüfung die Vertraulichkeit der Beschwerde von großer Bedeutung. Neben der Einrichtung von Beschwerdestellen müssen Unternehmensleitung und Betriebs- bzw. Personalrat öffentlich deutlich machen, daß sie Diskriminierungen und fremdenfeindliches Verhalten im Betrieb nicht dulden. Die VW AG hat dies in einer Broschüre an alle Beschäftigten deutlich gemacht. Dort heißt es: „Den Betroffenen soll Mut gemacht werden, sich gegen derartige Angriffe zur Wehr zu setzen und Lösungen für die sie belastenden Situationen zu finden." Über Plakate wurde die Telefonnummer einer unabhängigen Beschwerde-Hot-Line veröffentlicht.

Unternehmen und Betriebe beeinflussen in vielfältiger Weise die örtliche und regionale Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Sie können gemeinsam mit den Betriebs- und Personalräten aber auch dazu beitragen, das Zusammenleben in der Kommune zu gestalten. Sei es durch die Verbesserung der Wohnsituation in betriebseigenen Wohneinheiten und die Einrichtung von Kindergärten, sei es durch sozialpädagogische Bildungsmaßnahmen, z.B. in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen oder in eigenen Einrichtungen. Betriebe und Unternehmen sollten aber auch ein Interesse haben, daß Beschäftigte sicher an ihren Arbeitsplatz kommen. In einigen Kommunen haben sich Gewaltpräventionsräte gebildet, an denen sich auch einige Unternehmen beteiligen. Sie sollten auch ihren Einfluss geltend machen, damit Beschäftigte nicht von Behörden oder Dienstleistern diskriminiert werden.

Die Gewerkschaften müssen die Entwicklung von betrieblichen Gleichbehandlungs- und Nichtdiskriminierungsstrategien unterstützen. Sie tun dies in vielfältiger Weise. Auch wenn wir in den Betrieben und Verwaltungen mit Betriebs- oder Personalrat gute Ausgangsbedingungen für eine Gleichbehandlungspolitik haben, so bedarf es dennoch weiterer Maßnahmen zur Sensibilisierung der Betriebs- und Personalräte, der Jugend- und Auszubildendenvertretungen und der gewerkschaftlichen Vertrauensleute. Im Bereich der Kleinstbetriebe und in Teilen des Handwerks fehlen diese Ausgangsbedingungen. Dort sind wir darauf angewiesen, z.B. die Jugendlichen

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über die außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen anzusprechen. Oder öffentliche Kampagnen zu starten, wie der DGB-Landesbezirk Nord im letzten Jahr im Rahmen des Landtagswahlkampfes. Die Kollegen haben sich mit einem Feuerwehrauto in die Innenstädte in Mecklenburg-Vorpommern gestellt, bzw. sind zu den Berufsschulen gefahren, um mit der Bevölkerung und den Jugendlichen zu diskutieren. Sie haben auch, wie in einigen anderen neuen Bundesländern, die Initiative zur Gründung örtlicher Bündnisse für Demokratie und Toleranz ergriffen. Wahlforscher haben ihnen bestätigt, daß die Kampagne mit dazu beigetragen hat, den Einzug der Rechtsextremen in den Landtag zu verhindern.

Aber solange Parteien in der Gesellschaft vorhandene Vorurteile für ihren Wahlkampf nutzen und damit auch fremdenfeindliche Verhaltensweisen legitimieren, solange Bürgermeister und Honoratioren von Städten und Gemeinden es zulassen, daß rechtsextreme Gruppen Jugendeinrichtungen übernehmen, und solange Bürger bei Pöbeleien in Bussen und Bahnen wegschauen, solange bleibt auch eine nachhaltige Wirksamkeit betrieblicher Strategien auf die Gesellschaft eingeschränkt.

Notwendig ist eine gesamtgesellschaftliche Mainstreaming-Strategie gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung, die den gleichberechtigten Zugang zu Arbeit, Ausbildung und zum gesellschaftlichen und ökonomischen Wohlstand ermöglicht, die die rechtliche und gesellschaftliche Gleichbehandlung fördert und die ein Klima schafft, in dem kulturelle Unterschiede nicht mehr als Gefahr für die Gesellschaft angesehen, sondern als Bereicherung begriffen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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