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[Seite der Druckausgabe: 29 /Fortsetzung]

5. Gegenwehr

Der Kampf der Frauen um Lohngleichheit ist sehr alt. Legt man eine breite Definition von Arbeit und ihre geschlechtshierarchische Verteilung bei der Betrachtung zugrunde, wie es in der Frauenforschung getan wird, so ist das Ausmaß der Lohndiskriminierung

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erheblich und die Ansätze, sie zu beseitigen, sind sehr vielfältig. Im folgenden sollen die drei wichtigsten Bereiche der Gegenwehr kurz skizziert werden.

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5.1 Definition der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung

Seit 1954 ist es mit dem geltenden Recht nicht vereinbar, wenn Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit allein wegen ihres Geschlechtes weniger Entgelt bekommen. Dieser Tatbestand wird als "unmittelbare Diskriminierung" bezeichnet. Der Begriff "mittelbare Diskriminierung", der vom Europäischen Gerichtshof in den 80er Jahren eingeführt wurde, erweitert den Tatbestand der Diskriminierung erheblich: danach gelten auch Regelungen und ihre praktischen Auswirkungen als diskriminierend, wenn sie zwar verbal nicht auf das Geschlecht bezogen sind, tatsächlich aber für ein Geschlecht eine unverhältnismäßig nachteilige Wirkung haben, ohne daß zwingende Gründe das rechtfertigen (Pfarr/Bertelsmann 1989). Nach dieser Definition ist auch der Ausschluß von Frauen aus Systemen betrieblicher Alterssicherung, z.B. aufgrund von Teilzeitarbeit oder kürzerer Betriebszugehörigkeit, als Diskriminierung anerkannt. Auch die Leichtlohngruppen, die statt des Merkmals Geschlecht die leichte Arbeit niedriger bewerten, gelten als diskriminierend. Der Begriff "mittelbare Diskriminierung" ist von seiner Definition her geeignet, auch auf die strukturell bedingten Diskriminierungen angewandt zu werden, die in Sozialisationsprozessen und in Zugangsbarrieren zu Berufsfeldern und Positionen liegen. Die Minderung des durchschnittlichen Frauenlohns, die auf solche strukturellen Ursachen, die mit den gesellschaftlichen Rollenbestimmungen zusammenhängen, zurückzuführen ist, wäre danach auch ein Ergebnis "mittelbarer Diskriminierung". Die Lohneinbuße, die Frauen hinnehmen müssen, wenn sie wegen der Haus- und Sorgearbeit nur Teilzeit arbeiten, wird bislang noch nicht als diskriminierend definiert. Diese Teilzeitarbeit basiert ja nicht auf der freien Wahl von Frauen, sondern auf ihren geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen. Ob diese strukturelle Lohndiskriminierung über Tarifierungen oder gesellschaftliche Transferleistungen aufgehoben werden soll, kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Zunächst geht es erst einmal um die richtige Definition von Diskriminierung: Legt man einen Gleichheitsbegriff der Geschlechter zugrunde, der die funktionale Verschiedenheit nicht etwa impliziert, sondern kritisiert, müssen alle geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen diskriminierend genannt werden, denn sie sind entweder direkt diskriminierend, indirekt diskriminierend oder strukturell diskriminierend.

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5.2 Lohnstrukturpolitik als Frauenlohnpolitik

In der Lohnfrage mußten Frauen immer schon ihre Interessen am gleichen Lohn gegen die der Männer durchsetzen. Ein historischer Rückblick zeigt, daß die Gewerkschaften schon in der Nachkriegszeit "Wichtigeres" zu tun hatten, als die Lohngleichheit einzufordern (Drohsel 1986). Selbst von obersten Gerichtshöfen festgelegte Verbote direkter Diskriminierung, z.B. Lohnabschläge oder Minderleistungklauseln, brauchten Jahrzehnte, bis sie überall und in ihren folgenden Varianten, z.B. den Leichtlohngruppen, abgeschafft waren. Bundesdeutsche Tarifverträge weisen erst seit 1972 keine direkten frauendiskriminierenden Formulierungen mehr auf. Die von den deutschen Gewerkschaften mehr oder weniger zielstrebig verfolgte Frauenlohnpolitik, die den Frauenlohn immer als Sonderproblem behandelte und über die Korrektur einzelner Bewertungsmaßstäbe und Eingruppierungskriterien die geschlechtsspezifische Lohndifferenzen vermindern wollte, blieb bis heute relativ erfolglos (vgl. Weiler 1992). Sie führte, wenn sie erfolgreich war, oft zu einer Differenz auf neuem Niveau, weil die Verbesserung der untersten Lohngruppen mit einer Verbesserung der obersten Lohngruppen verknüpft war. Demgegenüber zeigte die von den Gewerkschaften der skandinavischen Ländern über Jahrzehnte verfolgte Lohnstrukturpolitik gerade auch beim Abbau geschlechtsspezifischer Einkommensdifferenzen zugunsten der Frauen dauerhafte Erfolge. Die hier verfolgte solidarische Lohnpolitik hat drei wesentliche Komponenten:

  • die Erhöhung der Entgelttarife nur durch Festbeträge, um ein weiteres Auseinanderdriften der niedrigen und hohen Einkommensgruppen zu verhindern,

  • besondere Zulagen für Niedriglöhne, um eine Nivellierung der Lohngruppen zu bewirken,

  • Lohndriftanpassungsklauseln, um branchenbedingte Differenzen auszugleichen.

In Schweden z.B. stiegen aufgrund dieser Lohnpolitik fünf Jahre lang die Einkommen der Frauen doppelt so stark wie die der Männer. 1989 wies Schweden die im Vergleich zu anderen Staaten niedrigste geschlechtsspezifische Lohndifferenz auf: Frauen verdienten 90% des Männerlohnes.

Auch die deutschen Gewerkschaften diskutieren in den letzten Jahren Ansätze einer neuen Tarifpolitik, die als Lohnstrukturpolitik dem Interesse der Frauen entgegen kommt: So umfaßt z. B. die Tarifreform 2000 der IG Metall drei verschiedene Bereiche:

die Entlohnung, die Qualifikation und die Arbeitsorganisation. Neben dem Wegfall der untersten Lohngruppen soll auch die weitere Zerstückelung von Arbeitsgängen ge-

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bremst werden und die Eingruppierung nach vorhandener Qualifikation erfolgen (Lang/Vogelheim 1992). In der ÖTV wie in anderen Gewerkschaften gibt es Tendenzen, die Anzahl der Eingruppierungsstufen zu verringern, neue Bewertungskriterien zu entwickeln und frauenspezifische Tätigkeiten und Qualifikationen höher zu bewerten. Würden solche Strukturveränderungen durchgesetzt, hätte dies auch eine Verringerung der geschlechtsspezifischen Lohndifferenzen zur Folge. Eine ebensolche Wirkung hätte die Durchsetzung der Absicht der Gewerkschaften, die Ausbildungsvergütungen auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben.

Alle, den Kernbereich der geschlechtsspezifischen Lohndifferenz betreffenden Strukturveränderungen lassen sich nur bei einem Lohnzuwachsverzicht in den oberen Lohn- und Gehaltsgruppen durchsetzen. Sie führen faktisch zu einem Einfrieren der Entgelte der mehrheitlich dort eingruppierten Männer. Durchsetzungschancen hat eine solche den Frauen nutzende Lohnstrukturpolitik erst dann, wenn die geschlechtsspezifischen Entgeltdifferenzen in ihrem vollen Diskriminierungscharakter von allen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, als skandalös und unakzeptabel angesehen werden.

Ein anderer tarifpolitisch beeinflußbarer Diskriminierungsfaktor ist die Entlohnung in den typischen Frauenberufen. Die Probleme, die unter dem Schlagwort "Pflegenotstand" deutlich wurden, betreffen u.a. auch die hier übliche niedrige Entlohnung. Die Ausübung von Sozial-, Pflege- und Erziehungsberufen darf weder als "Dienst", noch als "Kunst" betrachtet und deswegen niedrig entlohnt werden. In all diesen Berufen geht es um die Anerkennung von psychosozialer Kompetenz als Qualifikation, die geschlechtsneutral und allgemein menschlich, beruflich verwertbar und monetär entsprechend hoch einzustufen ist (Bischoff, 1992). In diesen fast ausschließlich von Frauen besetzten Berufen würde die Durchsetzung der Erhöhung des Entgelts nicht einen relativen Lohnverzicht von Männern voraussetzen, sondern zu einer Bereitstellung von mehr Mitteln, bzw. zu einer Umverteilung von Mitteln für soziale Dienstleistungen führen. Die Tatsache, daß ähnliche Dienstleistungen sowohl in den traditionellen Frauenberufen professionell und gleichzeitig unentgeltlich im Rahmen der Familie oder ehrenamtlich erbracht werden, bedroht allerdings die Professionalität und schwächt die Bemühungen um die Erhöhung der Entgelthöhe dieser Frauenberufe. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß jede Verteuerung der professionalisierten Dienstleistungen zu einer weiteren Verdrängung dieser Dienstleistungen in den privaten Bereich führt - ein Prozeß, gegen den sich die Frauen gleichzeitig aktiv zur Wehr setzen müssen. Hier zeigt sich wieder, wie eng der Zusammenhang zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und privat

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organisierter, unbezahlter Arbeit ist und wie stark gerade Frauen von diesem Zusammenhang betroffen sind.

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5.3 Gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen zwischen den Geschlechtern

Die geschlechtsrollenbedingten Entgeltunterschiede können nicht allein über tarifliche Regelungen der Erwerbsarbeit abgebaut werden, sondern müssen von gesellschafspoli-tischen Veränderungen im Geschlechterverhältnis begleitet werden. Je mehr gesellschaftliche Aufgaben in den privaten Bereich und in die unbezahlte Arbeit abgedrängt werden, desto weniger werden Frauen in der Lage sein, die im Erwerbsarbeitsbereich am männlichen Lebensmuster orientierten Anforderungen an Verfügbarkeit zu erfüllen. Da Frauen sich auch traditionell für die Erziehung und Betreuung von Kindern und die Pflege alter und kranker Menschen zuständig fühlen und auch immer wieder zuständig gemacht werden , müssen sie diese Arbeiten als generelle Alternative oder als zusätzliche Anforderung zur Berufsarbeit erleben. Die Gleichheit der Geschlechter wäre aber erst erfüllt, wenn Männer und Frauen sich sowohl, soweit es privat und unbezahlt notwendig ist, um die Erziehungs- und Pflegearbeiten kümmern und gleichzeitig im Erwerbsarbeitssystem an denselben Positionen integriert bleiben.

Die Notwendigkeit einer konzentrierten Gegenwehr gegen geschlechtsspezifische Lohnungleichheiten ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, daß Frauen in diesem Punkt ihrer Diskriminierung bisher noch wenig Erfolge verbuchen konnten. Sie ergibt sich auch aufgrund der aktuellen Situation in der Bundesrepublik: Berechnungen ergeben, daß bei konstanter Erwerbsquote der Frauen bei vollzogener Angleichung der Löhne und Tarife im Osten, die ja für die nächsten Jahre angestrebt wird, das dortige Haushaltseinkommen um etwa 3/4 höher liegen würde als im Westen. Trotz der diskriminierenden Potentiale in den vom Westen übernommenen Tarifsystemen würde das Einkommensniveau der Haushalte in den neuen Bundesländern ein in der Bundesrepublik noch nicht dagewesenes Niveau erreichen (Kurz-Scherf 1992). Die Ursache liegt darin, daß in der ehemaligen DDR die Frauen etwa 40% des Haushaltseinkommens verdienten, während dieser Anteil in der alten Bundesrepublik nur 18% beträgt. Ein solches Ungleichgewicht zugunsten der neuen Bundesländer wird sich nicht einstellen. Bereits heute zeigen die überproportionalen Arbeitslosenquoten der Frauen, wie die Erwerbsarbeit von Frauen weiter labilisiert wird, sowie der Umfang unbezahlter oder ohne Tarifbindung, damit weitaus schlechter entlohnter Arbeit für Frauen erheblich vergrößert werden. Gerade deswegen ist für die Frauen in den neuen Bundesländern eine solidari-

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sche Lohnpolitik und eine auf den Abbau privater, unbezahlter Arbeit gerichtete Familien- und Sozialpolitik notwendig. Ihre Durchsetzung könnte allen Frauen eine Lebensperspektive vermitteln, die eine unabhängige, eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit, unabhängig von ihrem Familienstand, beinhaltet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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