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[Seite der Druckausgabe: 14 / Fortsetzung]

3. Analyse der Mechanismen zur Herstellung und Aufrechterhaltung geschlechtshierarchischen Lohngefälles

Die bisher aufgezeigten erheblichen Differenzen im Einkommen bei Männern und Frauen basieren in den wenigsten Fällen auf der direkten Diskriminierung von Frauen. Das Prinzip "gleiche Arbeit - gleicher Lohn" wird in der Regel angewendet, wenn auch Prozesse insbesondere von Arbeiterinnen belegen, daß selbst die direkte Diskriminierung nur aufgrund des Geschlechts noch ausgeübt wird. Diskriminierungsformen, die als "indirekte Diskriminierung" bezeichnet werden, sind weitaus verbreiteter und wirksamer. Dabei werden nicht einzelne Frauen gegenüber einzelnen Männern direkt benachteiligt, sondern Frauen stehen aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund der gesellschaftlichen Geschlechtsrolle und der ihr entsprechenden realen Lebensbedingungen strukturelle Barrieren entgegen. Diese Mechanismen bewirken, daß Frauen ein den Männern gleiches Entgelt für ihre Erwerbsarbeit vorenthalten wird. Was die geschlechtsspezifische Segmentation der Sektoren und Wirtschaftsbereiche bewirkt, daß Frauen nämlich erst gar nicht bestimmte, gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten, wird in den gemischt geschlechtlichen Bereichen über betriebliche Arbeitsgestaltung und Personalpolitik erreicht.

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3.1 Ausbildungsbereich

Bereits die schulischen Strukturen mit der Didaktik ihrer Fächer, ihren Fächerwahlsystemen und den Mikrostrukturen der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden bereiten vor, was beim Übergang in den Beruf, sei es ein Ausbildungsberuf oder ein akademischer Beruf, geschieht: Der Zugang zu vielen Erwerbsarbeitsbereichen gerät jungen Frauen erst gar nicht ins Blickfeld oder ist auch tatsächlich noch immer versperrt. Die geschlechtsspezifische Segregation des Erwerbsarbeitsmarktes wird dabei

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durch Berufs- und Lebensorientierung im schulischen Bereich genauso aufrechterhalten wie durch Tests, Auswahlgespräche und betriebliche Entscheidungen an der ersten Schwelle zum Beruf. Weder können die jungen Frauen ohne direkte Unterstützung geschlechtsuntypische Berufsorientierungen entwickeln, noch sehen Arbeitgeber die Notwendigkeit, Geschlechterbarrieren abzubauen und attraktive Ausbildungsplätze für junge Frauen genauso wie für junge Männer zur Verfügung zu stellen. Die Ausgrenzung der jungen Frauen aus dem gut bezahlten Kernbereich der gewerblich-technischen Berufe ist trotz jahrelanger bildungspolitischer Bemühungen nach wie vor nicht beseitigt. Statt dessen wird eine überproportional hohe Ausbildungsquote in den niedrigdotierten, typisch weiblichen Berufen hingenommen. Damit ist vorprogrammiert, daß die Friseusen, Verkäuferinnen und Frauen in Assistenzberufen nach der Ausbildung in ausbildungsfremde Bereiche abwandern müssen. Für Frauen bedeutet aber die Erwerbsarbeit in ausbildungsfremden Bereichen die Ausübung sogenannter "ungelernter" Tätigkeiten, die gemessen an den Tarifen in den traditionellen Frauenberufen oft noch besser bezahlt werden, die aber in Relation zu denen der Männer, die in ausbildungsfernen Bereichen beschäftigt werden, wiederum geringer vergütet werden. Einer der Gründe liegt in betrieblichen Bewertungsprozessen, nach denen Schlüsselqualifikationen aus der Ausbildung in typischen Frauenberufen weniger anerkannt werden als die Schlüsselqualifikationen aus der Ausbildung in typisch männlichen Berufen. Der betriebliche Einsatz der "falsch" vorgebildeten Frauen erfolgt dementsprechend an Plätzen, die im Bewertungssystem an unterster Stelle stehen, während der Einsatz der Männer an Arbeitsplätzen erfolgt, die um einige Stufen höher bewertet sind.

In den gemischt geschlechtlichen Berufen werden Frauen bereits während der Ausbildung anders als Männer behandelt: Untersuchung der Ausbildungssituation haben gezeigt, daß ein "heimlicher Lehrplan" für Frauen existiert, der sie auf ihren minderwertigeren und mindervergüteten Einsatz später vorbereitet: Junge Frauen bekommen die langweiligeren Arbeitsaufgaben, sie werden mit geschlechtsspezifischen Erwartungen wie Bescheidenheit und Geduld konfrontiert und eher entmutigt und in ihrem Engagement blockiert (Damm-Rüger 1991).

Die Einmündungschancen sind in den gemischt geschlechtlichen Berufen für junge Frauen geringer als für junge Männer: Während nur 2% der jungen Männer, die nach der Ausbildung den Wunsch äußerten, von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, kein entsprechendes Angebot bekamen, waren es 11% der kaufmännisch ausgebildeten Frauen (Westhoff 1990). Für Frauen im gewerblich-technischen Bereich liegt die Quote bei 14% (zum Vergleich: Männer 10%). Für gewerblich-technisch ausgebildete Frauen bedeutet ein Wechsel der Berufsarbeit nach der Ausbildung durch

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schnittlich DM 300,- Gehaltseinbuße, während derselbe Wechsel für junge Männer nur durchschnittlich DM 100,- Gehaltseinbuße mit sich bringt.

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3.2 Tarifpolitik

Die Ausgestaltung der Lohn- und Gehaltstarife sowie ihre betriebliche Anwendung sind wesentliche Mechanismen zur Regulierung der geschlechtshierarchischen Einkommensdifferenz. Einerseits sind in den je gültigen Regelwerken und praktizierten Verfahren betrieblicher Lohnpolitik die Grundlagen für die bestehenden Differenzen gelegt, andererseits liegen in der Tarifpolitik prinzipiell äußerst wirksame Steuerungsmöglichkeiten zur Egalisierung von Entgeltdifferenzen. Nach Roloff (1991) lag eine der primären Ursachen für die auch in der DDR vorhandenen Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht in der Teilzeitarbeit der Frauen oder in ihrem Qualifikationsniveau, sondern in dem Tarifsystem, das bereits vor 1945 galt und auch zu DDR-Zeiten nicht grundlegend geändert wurde.

3.2.1 Tarifvertragsstrukturen

Strukturmerkmale von Tarifsystemen, die die geschlechtshierarchische Lohndifferenz aufrechterhalten und fördern, sind:

  • hohe Lohnspannen:
    Lohnspannen definieren den Abstand der tariflichen Löhne von den untersten zu den höchsten Gruppen. Je höher die Lohnspannen generell ausfallen, desto höher ist auch die geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz, weil Frauen im Durchschnitt häufiger in den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen bezahlt werden. Niedrige Lohnspannen verringern generell die geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz .

  • stark hierarchisierte Strukturen:
    Alle Tarifwerke weisen hierarchische Strukturen auf, nach denen die Bewertung von Tätigkeiten und Qualifikationen erfolgt. In vielen Tarifsystemen fehlen aber auch die Möglichkeiten des Durchstiegs von den unteren in die höheren Gruppen. Damit sind systematische Sperren für einen beruflichen Aufstieg oder eine Höhergruppierung eingebaut. So weist z.B. der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) gerade in den Stufen, in denen die meisten Frauen eingruppiert sind.

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    Sackgassen auf, und der sonst übliche Bewährungsaufstieg ist gerade hier nicht vorgesehen.

  • Alters- und Berufsjahresstaffel:
    Das Prinzip, nach dem die Vergütung mit der Dauer der individuellen Erwerbsarbeitszeit steigt, benachteiligt die Frauen. Wenn sie die ihnen zugeschriebene unbezahlte Haus- und Familienarbeit übernehmen und deswegen mit ihrer Erwerbsarbeit aussetzen müssen, erhalten sie, ohne daß sich an ihrem Arbeitsplatz etwas verändert hat, weniger Entgelt als wenn sie keine Unterbrechungen der Erwerbsarbeitszeit vorzuweisen haben. Statistisch verstärken auch die Altersstaffeln die geschlechtsspezifische Lohndifferenz, da die Erwerbsquote der nach der Alterstaffel am geringsten vergüteten jüngeren Frauen die höchste ist.

  • Branchenbezogenheit:
    Die gleiche Tätigkeit wird je nach Branche und Region nach unterschiedlichen Tarifen vergütet. Dieses Branchenprinzip der Tarife erschwert es, historisch gewachsenen und wirtschaftlich bedingte Niedriglöhne anzuheben. Die Branche mit ihren jeweiligen Rahmenbedingungen bildet das Bezugssystem, das definiert, was bei Tarifverhandlungen zur Verteilung ansteht. Da Frauen überproportional in den Niedriglohnbranchen beschäftigt sind, die sich normalerweise auch durch eine schlechtere wirtschaftliche Lage auszeichnen, bleibt für Frauenarbeit weniger Verteilungsspielraum übrig als für Männerarbeit.


3.2.2 Tarifvertragsinhalte

Tarifverträge enthalten Bestimmungen über die Art der Arbeitsbewertung. "Frauen erhalten 78% des Männerlohns"; dieses sehr direkte Prinzip wurde zwar in dieser Form 1955 vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt, in seiner Auswirkung hat es sich aber, durch kompliziertere Regelungen ersetzt, bis heute gehalten, wie die geschlechtshierarchische Entgeltdifferenz zeigt. Ob summarische, analytische oder aus beiden gemischte Verfahren der Arbeitsbewertung zugrunde gelegt werden, "die Methoden der Arbeitsbewertung zielen weniger auf die Ermittlung" objektiver " oder "gerechter" Lonstrukturen, als vielmehr auf eine Legitimation bestehender, auch geschlechtsspezifischer, Lohnansprüche." (Weiler 1992, S.70). Bei der Tarifierung kann dies durch vielfältige Strategien gelingen (Jochmann-Döll 1990). Typisch für diese Strategien ist, daß sie androzentrisch verfahren, d.h. daß ihr Bezugspunkt nur die für Männer typische Arbeit ist:

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  • Tarifvertrag werden die Anforderungsarten bestimmt, die überhaupt zur Bewertung anstehen. Dabei werden die für Frauenarbeit typischen vielfach gar nicht erwähnt, z.B. Aufmerksamkeit oder Geschicklichkeit. In vielen Tarifwerken wird der Muskelkrafteinsatz, für Männerarbeit typisch, zum einzigen Kriterium, während z.B. die statische Beanspruchung aus Haltearbeit oder der vielfache Gebrauch kleiner Muskelgruppen, für Frauenarbeit typisch, aus dem Bewertungsraster herausfällt.

  • Die bei Anwendung der analytischen Arbeitsbewertungsverfahren notwendige Bewertung der einzelnen Anforderungsarten erfolgt so, daß die männertypischen Anforderungsarten höhere Punktzahlen erreichen als die frauentypischen.

  • Die Grenzkriterien zwischen den Lohngruppen sind auf die Anforderungsarten der Männerarbeit bezogen. So gilt z.B. das Ausmaß der körperlichen Belastung als wesentliches Grenzkriterium, das eine Vergütungsgruppe von der anderen unterscheidet. Wenn an typischen Frauenarbeitsplätzen diese Anforderungsart aber gar nicht vorhanden ist, fehlt auch die Möglichkeit, eine höhere Eingruppierung zu erreichen.

  • Die Definition von Belastungen, denen ein besonderes Entgelt entspricht, wird so getroffen, daß die an Frauenarbeitsplätzen typischen Belastungen, z.B. Monotonie, gar nicht als Belastungsfaktoren erscheinen.

  • Bei der summarischen Arbeitsbewertung werden als Qualifikationen nur die anerkannt, denen fachspezifische Qualifizierungsgänge entsprechen, Schlüsselqualifikationen aus typisch weiblichen Ausbildungsberufen werden nicht bewertet. Während es in den höheren Gruppen von Angestelltentarifverträgen durchaus üblich ist, nach der einsetzbaren Qualifikation und nicht nach der am konkreten Arbeitsplatz abgeforderten einzugruppieren, fehlt diese Bestimmung in den für Frauen typischen unteren Stufen des Tarifwerkes. Hier werden nur die Qualifikationen berücksichtigt, die nach der Arbeitsplatzbeschreibung erforderlich sind.

  • Tätigkeitsmerkmale, die für Frauenarbeitsplätze typisch sind, werden geringer bewertet als die für Männerarbeitsplätze typischen: so gilt die direkte Verantwortung für Menschen, etwa der Erzieherinnen, relativ weniger als technisches Wissen etwa der Ingenieure. Die Aufgabenvielfalt etwa im Sekretariat wird weniger hoch gewertet als eine spezielle Sachbearbeitung.

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  • Ganze Berufsbereiche, in denen typischerweise Frauen arbeiten, haben geringere Tariflöhne als solche, in denen typischerweise Männer arbeiten (Pflege- und Erziehungsberufe gegenüber den technischen Berufen). Hier dient die Ideologie vom Wesen der Geschlechter noch der Legitimation der Minderbezahlung: nicht berufliche Qualifizierung, sondern weibliche Sozialisation wird in traditionellen Frauenberufen zum Humankapital, das in diese Berufe eingebracht wird. Sorgen, Pflegen und Erziehen gelten als Entfaltung natürlicher Anlagen und erfordern offenbar keine entsprechende Vergütung. In den typischen Frauenberufen verdient eine Frau nicht aufgrund ihres Geschlechtes weniger als ein Mann, aber eine Frau kommt in ein Entgeltsystem hinein, das in seiner Ausgestaltung auf den Zuverdienst hin orientiert ist und auf der historischen Erfahrung basiert, daß sich Frauen im Rahmen dieses Entgeltsystems auch entlohnen lassen.

Die für Frauenarbeitsplätze typischen Tätigkeiten, Anforderungsarten, Belastungen und Qualifikationen werden also tariflich im Vergleich mit den für Männer typischen geringer bewertet. Die Geschlechterhierarchie im Entgelt wird durch solche Bewertungsprozesse stabilisiert.

3.2.3 Tarifentwicklung

Eine Analyse der geschlechtsspezifischen Ausprägung der Entwicklung der Tarife in der Zeit nach 1945 zeigt einen höchst brisanten Mechanismus in der "Lohnstrukturdynamik" (Weiler 1992). Immer dann, wenn die untersten Lohngruppen, vornehmlich mit Frauen besetzt, angehoben wurden, haben die oberen Lohngruppen, vornehmlich mit Männern besetzt, nachgezogen, so daß die geschlechtsspezifische Differenz auf neuem Niveau erhalten blieb. Über den "Anbau" in den höheren Tarifgruppen gelang es z.B. im Bundesangestelltentarifvertrag, die "Flut" der Frauen mit abgeschlossener Ausbildung, die als Folge der Bildungsreform der 70er Jahre in den öffentlichen Dienst drängte, vom männlichen Verdienstniveau fernzuhalten. Merkmale, wie besondere Verantwortung, Selbständigkeit, Dispositions- und Weisungsbefugnisse ermöglichten die geschlechtsspezifische Segregierung von Arbeitsplätzen.

Es liegt in der Logik prozentualer Lohnerhöhungen, daß dadurch höher Verdienende begünstigt und die weniger Verdienenden eben nur "anteilsmäßig" berücksichtigt werden. Da es überwiegend Frauen sind, die in den je unteren Tarifgruppen bezahlt werden, werden sie durch die prozentualen Erhöhungen besonders negativ betroffen. Zum einen ist ihr Verdienstanstieg geringer, zum anderen vertiefen prozentuale Erhöhungen die

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Kluft zwischen den unteren und den oberen Gehaltsgruppen, und damit auch die geschlechtshierarchische Einkommensdifferenz, immer weiter.

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3.3 Betriebliche Lohnpolitik

Die effektiven Verdienstdifferenzen zwischen Frauen und Männern sind noch erheblich größer als nach den tariflichen Vereinbarungen zu erwarten wäre (Weiler 1992). Demnach muß es neben der tariflich verankerten, relativen Abwertung der Frauenerwerbsarbeit noch weitere Mechanismen geben, um den Lohn für Frauenarbeit zu drücken. Insbesondere im industriellen Bereich spielt die betriebliche Lohnpolitik dabei eine entscheidende Rolle. "Auf betrieblicher Ebene wird verspielt, was Gewerkschaften dem Arbeitgeber abgerungen haben." (Pini 1977, S.42). Die Zuordnung eines konkreten Arbeitsplatzes in das im Tarifsystem verankerte Bewertungsraster muß betrieblich erfolgen. Dieselbe androzentrische Blindheit, die die an typischen Frauenarbeitsplätzen anfallenden Merkmale bereits in Tarifsystemen vernachlässigt, wirkt bei der Entscheidung über die Zuordnung von Arbeitsplätzen in das Tarifsystem: Frauenarbeitsplätze werden oft zu niedrig eingestuft, wie unter anderem die von Arbeiterinnen gewonnenen Eingruppierungsklagen zeigen.

Über- und außertarifliche Zulagen sind ein weiteres betriebliches Steuerungsinstrument zur Aufrechterhaltung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles (Drohsel 1986). Freiwillige Zulagen können für jede Tätigkeit und an allen Arbeitsplätzen gewährt werden und es ist betriebliche Praxis, mit diversen Zulagen bestimmte arbeitspolitische Interessen durchzusetzen. Erst durch die Gerichte mußten die Frauen die Unzulässigkeit einiger dieser Zulagen feststellen lassen. So wurden Nachtarbeitszulagen, die Männer nur für ihre potentielle Nachtarbeit erhielten, für rechtswidrig erklärt. Als ebensowenig haltbar erwies sich die nur an Männer gezahlte Arbeitsmarktzulage, die damit begründet wurde, daß ohne diese Zulage keine Männer für die Arbeit zu finden seien (Pfarr/Bertelsmann 1981). Da kein Rechtsanspruch auf die Zulagen besteht, werden Forderungen von Frauen auf Gleichbehandlung von Seiten des Betriebes häufig mit der Drohung der Rücknahme der Zulagen für Männer beantwortet. Dadurch werden die Frauen in eine fatale Situation gebracht, und sie verlieren nicht selten den Mut, sich für ihre Gleichbehandlung einzusetzen.

Im Akkordsystem sind die Verhandlungspielräume innerbetrieblicher Lohngestaltung relativ weit: Bei der Definition der Normalleistung (was ist 100%?), der Schätzung des Leistungsgrades (was ist 10% oder 20% Mehrleistung), bei der Häufigkeit und der Be-

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stimmung des Zeitpunktes von Zeitaufnahmen haben betriebliche Interessenvertretungen entscheidenden Einfluß. Ist aber diese betriebliche Interessenvertretung nicht so stark, etwa in den Klein- und Mittelbetrieben, in denen Frauen vornehmlich beschäftigt sind, wird der betriebliche Entscheidungsspielraum zu Lasten der Akkordarbeiter/innen ausgenutzt, wie Aulenbacher (1991) für die Textilindustrie nachweist. In den typischen Frauenbereichen der Metallindustrie ist dieselbe Tendenz nachzuweisen: während die Akkordabrechnungen in der Gießereiindustrie (Männerdomäne) im Durchschnitt ca. 169% betragen, rechnen die Arbeiterinnen in typischen Frauenbereichen nur mit durchschnittlich 139% ab (Elsner/Volkholz, 1991).

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3.4 Betriebliche Personal- und Organisationspolitik

Die Organisation der Arbeit, Aufgabenbündelungen und Arbeitsabläufe sowie die Zuweisung von Personen zu den Arbeitsplätzen sind Gegenstand betrieblicher Personal- und Organisationspolitik. Hier werden die Entscheidungen über den Grad der Hierarchisierung und der Taylorisierung, über Arbeitsverdichtung oder Belastungsabbau an Arbeitsplätzen getroffen. Durch die Schaffung niedrig bewertbarer Arbeitsplätze oder durch hohe Flexibilitätsanforderungen an höher bewerteten Stellen werden die Voraussetzungen dafür geschaffen , daß die Arbeitsplätze geschlechtsspezifisch besetzt werden können. In Verbindung mit Annahmen über bestimmte Merkmale und Qualitäten männlicher und weiblicher Arbeitskräfte bereitet die betriebliche Arbeitsorganisation vor, was die Personalpolitik vollzieht: die Plazierung mehrheitlich von Frauen auf den je schlechter dotierten und niedriger positionierten Arbeitsplätzen. Daß das Geschlecht die entscheidende Rolle bei der betrieblichen Selektion von Arbeitskräften spielt, und nicht, wie üblicherweise angenommen, die vorhandene Qualifikation der Arbeitskraft, konnte empirisch erwiesen werden (Fiedler/Regenhardt, 1987). Bei vergleichbarer schulischer und beruflicher Qualifikation erhalten Frauen systematisch die schlechteren Arbeitsplätze: Sowohl beim Berufseinstieg als auch beim weiteren Berufsverlauf ist die berufliche Qualifikation bei Frauen nur eine notwendige, keineswegs aber hinreichende Bedingung, um in höhere Positionen des oberen primären Segments zugelassen zu werden. Andere empirische Untersuchungen über weibliche Angestellte zeigen die differenzierten Mechanismen auf, mit denen die geschlechtsspezifische Arbeitsplatzzuweisung und Laufbahnlenkung vollzogen wird (Goldmann 1988):

  • In Abteilungen, die alle Berufsanfänger/innen durchlaufen, bleiben Frauen viel länger als Männer auf einfacheren Positionen, die für Männer oft nur eine Durchlaufstation bedeuten.

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  • Bei statusgleichem Einsatz werden Frauen im innerbetrieblichen Arbeitsteilungsprozeß die Routineaufgaben (z.B. an Datenendgeräten) zugewiesen. Sie machen diese Arbeit besser und zuverlässiger als Männer, gleichzeitig aber wird die Arbeit abgewertet, indem sie als Assistenzarbeit definiert wird.

  • In aufstiegsrelevanten Bereichen werden Frauen seltener eingesetzt.

Untersuchungen bei Bankkaufleuten zeigen, daß nach 5 bis 6 Jahren der Beschäftigung im erlernten Beruf Männer zu 70%, Frauen aber nur zu 25% besser dotierte, dispositive Sachbearbeiterpositionen mit Leitungsfunktionen innehaben (Czech 1989). Selbst unter für Frauen optimalen Bedingungen, also in gemischt geschlechtlichen Berufen, bei hohem Qualifikationsniveau und bei einem entsprechenden Fachkräftemangel, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Druckvorstufeberufen gegeben waren, werden geschlechtsspezifische Diskriminierungsmechanismen wirksam: die Flexibilität in Bezug auf den betrieblichen Einsatz muß von Frauen glaubhaft gemacht werden, - während sie bei Männern fraglos unterstellt wird (Töpsch 1991). Auch im Managementbereich verdienen Frauen auf der gleichen Hierarchiestufe wie Männer 20% weniger, weil sie in den weniger bedeutsamen, sprich weniger gut dotierten Abteilungen eingesetzt sind oder in Branchen und Betrieben wie Klein- und Mittelbetrieben arbeiten, die weniger gut bezahlen.

Die Kehrseite der Arbeitsplatzdiskriminierung, also der Vorenthaltung besser bezahlter Positionen und der entsprechenden Minderbezahlung weiblicher Arbeitskraft, ist die unentgeltliche Nutzung von Qualifikationen der Frauen, eine indirekte, aber hochwirksame Form der Lohndiskriminierung: Die bildungspolitisch gewollte und auch erreichte Angleichung des schulischen Qualifikationsniveaus der Geschlechter brachte für Frauen ein "Qualifikationsparadoxon": die Versprechungen, die mit erhöhten Bildungsabschlüssen für junge Männer im Erwerbssystem verbunden sind, gelten für junge Frauen nicht: als sie nämlich zunehmend qualifizierte Schulabschlüsse vorweisen konnten, wurden die Eingangsvoraussetzungen für attraktive Ausbildungsberufe höher geschraubt, so daß sie doch wieder dort einmündeten, wo Frauen schon immer waren, allerdings mit höherem schulischen Abschluß und unter Verdrängung der jungen Frauen, die einen solchen höheren Abschluß nicht schafften. Die Qualifikationen aus höherer Schulbildung, aber auch die extrafunktionalen Qualifikationen, die sich Frauen in privaten und unbezahlten Arbeitsfeldern aneignen, werden allerdings an vielen Arbeitsplätzen gebraucht, von den jungen Frauen auch eingesetzt, jedoch nicht honoriert, weder durch Entgelt noch durch Aufstiegschancen. Für die Verwaltungsarbeit von

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Frauen in Klein- und Mittelbetrieben konnte Gottschall u.a. (1989) zeigen, daß die Frauen durchaus qualifizierte Arbeiten in verschiedenen Bereichen flexibel und mit Unterstützung neuer Technologien leisten, daß sie aber nicht entsprechend vergütet werden. Ebenso ist die Situation in öffentlichen Verwaltungen (Stiegler 1990). Als Schreibkräfte, also nach dem niedrigsten Tarif eingruppiert, erfüllen Frauen gerade in kleinen Organisationseinheiten oder in Sekretariaten Arbeitsaufgaben, die tariflich um mehrere Stufen höher angesiedelt sind, ohne daß sich dies in der Vergütung niederschlägt. Keese (1993) hat in mehreren Branchen beobachtet, daß die "natürliche Leitung" von Frauen in kleinen Arbeitsgruppen bei der Eingruppierung nicht berücksichtigt wird.

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3.5 Familienpolitik

Wenn sich die folgende Darstellung nur auf die Familienpolitik beschränkt, so soll damit nicht der Einfluß anderer Politikfelder, insbesondere der Bildungs,- Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf das geschlechtshierarchische Lohngefälle negiert werden. In der Familienpolitik wird er allerdings am deutlichsten: alle familienpolitischen Maßnahmen wirken nicht nur auf die Situation der Frauen in der Familie, sondern sie betreffen genauso ihre Position im Erwerbsarbeitssystem. Familienpolitik hat es immer mit dem Widerspruch zwischen der privaten und unbezahlten Arbeit in der Familie und der Erwerbsarbeit der Frauen zu tun. Als Zielvorstellung wird die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie " formuliert und es wurden dazu eine Reihe von Maßnahmen und Unterstützungsleistungen entwickelt. Wenn diese von den Formulierungen her auch immer für Männer gelten, zeigt doch die Realität, wie stark die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, z.B. auch die Minderbezahlung der Frauenerwerbsarbeit, und die geschlechtsspezifischen Zuweisungsprozesse wirken, so daß es fast nur Frauen sind, die von diesen Maßnahmen betroffen sind bzw. sie in Anspruch nehmen.

Alle familienpolitischen Maßnahmen, die darauf abzielen, die private und unbezahlte Arbeit für Kinder, Kranke und Alte zu ermöglichen und erträglich zu machen, stabilisieren indirekt die geschlechtshierarchische Lohndifferenz, solange sie nicht für beide Geschlechter verbindlich sind. Wenn für die familiäre Arbeit die Freistellung von der Erwerbsarbeit vorgesehen wird (Erziehungsurlaub, Pflegeurlaub, Kinderkrankentage), so wirken genau diese Freistellungsmöglichkeiten labilisierend auf die weibliche Erwerbsarbeit. Sie verstärken das betriebliche Kalkül, nach dem Frauenerwerbsarbeit als zweitrangig gelten muß, weil ihr nicht dieselbe Verfügbarkeit eigen ist wie der Erwerbsarbeit der Männer. In der Personalplanung müssen Frauen im gebährfähigen Alter als eher unsicherer Faktor behandelt werden, Mütter müssen als zeitlich und räumlich weniger mobil und flexibel gelten als Väter. Diese Zweitrangigkeit der weiblichen Ar-

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beitskraft, die nicht nur auf Vorurteilen beruht sondern vielfach den realen Bedingungen entspricht, hat allerdings tarif- lohn- und personalpolitische Konsequenzen (vgl. oben). Landenberger (1991) hat die Bestandteile des von ihr so genannten Maßnahmepakets "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" in seinen Auswirkungen auf das Erwerbsarbeitssystem analysiert und kommt zu dem Ergebnis, daß die Priorität der Maßnahmen auf der Förderung der Nichterwerbsarbeit der Frauen während der Erziehungsphase liegt, und daß die Maßnahmen die bestehenden Segmentierungen und Marginalisierungstendenzen der weiblichen Erwerbsarbeit verfestigen. Damit bewirken sie, trotz anderer Zielsetzung, eine Verstärkung der Labilisierung der weiblichen Erwerbsarbeit sowie der Niedriglöhne und nicht tarifgebundenen Bezahlung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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