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Marion Murböck, Filiz Arslan: „Erneuern und Reden gehören zusammen …!" Zum interkulturellen Dialog in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf



Einwanderung: Nebeneinander – Miteinander?

Dreißig Jahre und mehr sind nun vergangen, seit die sogenannten „Gastarbeiter" aus den ehemaligen Anwerbeländern nach Deutschland migrierten. Viele von ihnen kamen mit einem offenen Zeithorizont in das für sie fremde Land. Ursprünglich kamen sie mit dem Ziel, nach unbestimmter Dauer wieder in das Heimatland zurückzukehren. Doch mit der Zeit veränderten sich sowohl ihre Lebenslage als auch die Lebensperspektive. Aus dem befristeten Aufenthalt wurde eine dauerhafte Einwanderung.

Fachleute aus Wissenschaft, Gewerkschaften oder der Ausländerarbeit erkannten diesen Prozeß bereits frühzeitig. Sie versuchten, den politisch Verantwortlichen diese Situation deutlich zu machen und forderten entsprechendes Handeln. Weite Teile der Politik allerdings widersprachen der These, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sei und lehnten damit die Verantwortung für eine Integration der Einwanderer in die Gesellschaft ab. Es kann also mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß eine umfassende Integrationspolitik in Deutschland bisher nicht stattgefunden hat.

Durch die Zuwanderung von Migranten, Aussiedlern, Flüchtlingen etc. und aufgrund der ausbleibenden Integrationspolitik ist die Gesellschaft in Deutschland zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden. Mit der Bezeichnung „multikulturell" wird das bloße Nebeneinander, die Koexistenz der Kulturen ausgedrückt (vgl. Auernheimer 1996, S. 2). Dagegen wird mit dem Begriff „interkulturell" das Bestreben gekennzeichnet, die verschiedenen Kulturen aufeinander zu beziehen, um ein gemeinsames Miteinander zu erreichen (vgl. ebd.).

Fragt man sich nun, ob es ein interkulturelles Zusammenleben oder einen interkulturellen Dialog in Nordrhein-Westfalens Städten, Stadtteilen, Nachbarschaften oder Hausgemeinschaften gibt, so muß dies bisher mehrheitlich

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verneint werden. Im täglichen Leben isolieren sich viele Deutsche und Nichtdeutsche in ihren eigenen vier Wänden, haben kaum Kontakte zu Nachbarn im Haus, auf der Straße und in der näheren Umgebung. Oft wissen sie nur wenig über den anderen, über die Kultur, den Alltag, die Lebensauffassung etc. Vermutungen, Klischees und Vorurteile verzerren dieses Bild des Fremden noch zusätzlich. Natürlich gibt es positive Beispiele, wo die Vielfalt der Nationalitäten in Nachbarschaften als Bereicherung empfunden wird, aber insgesamt kann man nicht von einem gleichberechtigten, friedlichen und vorurteilsfreien Miteinander sprechen, sondern bestenfalls von einem Nebeneinander; nur – langfristig gesehen ist eine multikulturelle Gesellschaft zu wenig. Solange das Zusammenleben verschiedener Kulturen von Vorurteilen, verursacht durch mangelnde Kenntnisse übereinander, geprägt ist, sind Konflikte vorprogrammiert. Daher kann friedliches Nebeneinander lediglich die Basis für die Entwicklung einer interkulturellen Gesellschaft sein. Das integrierte Handlungsprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" bietet hierfür zentrale Ansatzpunkte. Hintergrund, Organisation und Inhalte stehen daher im Zentrum der folgenden Ausführungen.

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„Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf"

Die Assoziationen mit diesem Begriff sind so vielfältig wie die Situationen in den Stadtteilen selbst und sind vor allem geprägt durch die individuelle Sichtweise des jeweiligen Betrachters. Aus dem Blickwinkel des Themas Zusammenleben/Integration sind folgende Charakteristika von zentraler Bedeutung: In Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf leben im gesamtstädtischen Vergleich häufig überprozentual viele Migranten und Migrantinnen, zusätzlich trifft man in Einzelfällen große Gruppen von Aussiedlern und Aussiedlerinnen an. Deren Situation ist durch verschiedene Aspekte geprägt, angefangen bei Arbeitslosigkeit über Sprachschwierigkeiten hin zu Diskriminierung und Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Leben der Mehrheitsgesellschaft. Die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ist meist auf die eigene ethnische Gruppe begrenzt. Angesichts dieser Umstände bedarf es besonderer Anstrengungen, für und mit diesen Gruppen gleichberechtigte Lebensbedingungen zu schaffen.

Die Landespolitik in Nordrhein-Westfalen sieht diese Notwendigkeit. Doch sie betrachtet dieses Thema nicht isoliert, sondern sie geht davon aus, daß es sich bei dem Bereich „Zusammenleben verschiedener Gruppen/Integra

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tion" nur um ein Themenfeld innerhalb eines wesentlich komplexeren Handlungsfeldes (vgl. Abbildung 2) handelt.

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Zentrale Entwicklungen, Mechanismen in der Stadtentwicklung

Die Entstehung und Problematik von sogenannten ‘benachteiligten Stadtteilen’ in deutschen Städten, von ‘Quartiers en Crise’ [ Fn.1: ‘Quartiers en Crise’ ist der Name eines Netzwerkes auf europäischer Ebene, das 1989 gegründet wurde. Ziel war es, im Hinblick auf die wachsende soziale Ausgrenzung und die zunehmende räumliche Polarisierung innovative und zukunftsweisende Strategien zu erproben und zu vergleichen, um eine europäische Politik gegen sozialen Ausschluß zu entwickeln (vgl. Institut für Landes - und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW, 1995).] in Frankreich oder von ‘probleemcumulatiegebieden’ [ Fn.2: Das probleemcumulatiegebieden-Programm wurde 1985 in den Niederlanden von staatlicher Seite initiiert. Es handelte sich um einen integrierten Ansatz zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere, im Rahmen dessen insbesondere Beschäftigung und Kaufkraft in die Stadtteile gebracht werden sollten, um diese vor einem weiteren Abgleiten zu bewahren (vgl. Staubach 1997, S. 262).] in den Niederlanden beherrschen seit geraumer Zeit die Diskussionen zum Thema Stadtentwicklung. Es handelt sich bei all diesen Stadtteilen um (groß-)städtische Verdichtungsräume, die in Zeiten industriellen und städtischen Wachstums entstanden sind und die im Laufe des wirtschaftlichen Strukturwandels nicht mehr von der allgemeinen Positiventwicklung profitieren konnten. Sie waren im Gegenteil Auffangbecken für die Verlierer der Umstrukturierung, sind es heute noch und werden es vermutlich auch weiterhin sein.

Im Zusammenhang mit Mechanismen des Wohnungsmarktes und der Entwicklung der Wohnqualität hoffte man lange Zeit auf den ‘Filtering-down-Prozeß’. Diese Theorie besagt, daß sich Verbesserungen der Wohnsituation für obere Einkommensschichten (Zunahme der Wohnfläche, verbesserte Standards) auch auf die Wohnsituation der unteren Einkommensgruppen auswirken sollten (vgl. Mündemann 1992, S. 138f.). Doch mittlerweile scheint es richtiger zu sein, von einem ‘Filtering-out-Prozeß’ zu sprechen. Denn – so beschreiben es Häußermann und Oswald unter dem Thema ‘Zuwanderung und Stadtentwicklung’ –

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„(…) einkommensschwache Haushalte werden aus den sich in Aufwertungsprozessen befindlichen Stadtteilen nach und nach herausgefiltert und in den verbleibenden Inseln mit billigen Wohnungen zusammengedrängt" (Häußermann/Oswald 1997, S. 18).

Einzelne Gruppen sind von dieser Umverteilung besonders betroffen und gelten damit als klassische Bewohnergruppen der Stadtteile, die an den Aufwertungsprozessen aufgrund ausbleibender Investitionen und zunehmender finanzieller Unsicherheit nicht teilhaben. Zu ihnen gehören Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose (vor allem jene, die durch den wirtschaftlichen Strukturwandel ihren Arbeitsplatz auf der Zeche oder im Stahlwerk verloren haben), Alleinerziehende (dies sind meist Frauen), alte Menschen, Kinder und Jugendliche und eben auch Nichtdeutsche. In der Regel und nicht immer korrekterweise wird das Vorhandensein dieser Gruppen als Indikator für eine Benachteiligung des Stadtteils herangezogen. Richtiger ist, daß all diese Gruppen bei der Wahl ihres Wohnstandortes eigentlich keine Wahl haben, da sie nicht über das ausreichende Einkommen verfügen oder aufgrund von Vorurteilen und Diskriminierung in anderen Gegenden keine Wohnung erhalten.

Daß z.B. Kinder und Jugendliche, also die heranwachsende Generation, als ein solcher Indikator betrachtet werden, ist deswegen falsch, weil sie kein Benachteiligungsfaktor sind, was durch die Bezeichnung Indikator suggeriert wird. Es ist vielmehr so, daß Kinder und Jugendliche ganz besondere Bedarfe an ihr Umfeld stellen und daß hier für ihre Zukunft die entscheidenden Weichen gestellt werden. Konkret bedeutet dies besondere Anforderungen an Schule und Erziehung, an Freizeitangebote und Sozialisationsbedingungen, die in den benachteiligten Stadtteilen nur teilweise erfüllt werden können. Allerdings ist diese Sichtweise auch eine deutliche Aussage darüber, wie die Zukunftschancen dieser Stadtteile eingeschätzt werden: Nicht nur Menschen, die momentan wirtschaftlich oder gesellschaftlich den Anschluß verloren haben, leben hier, sondern in der allgemeinen Betrachtungsweise vor allem diejenigen, die kaum eine Perspektive haben, ein gesamtgesellschaftlich integriertes Leben zu führen. Dem Begriff ‘Integration’ liegt hier die soziologische Definition von Integration zugrunde: ein integraler Bestandteil sein, eine Rolle oder Funktion im Gesamtmechanismus spielen (vgl. Esser 1998, S. 130). Die Bewohner der benachteiligten Stadtteile haben zur Zeit kaum Aussicht darauf, eine derartige Aufgabe einnehmen

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zu können. Nichts anderes meint Perspektivlosigkeit, eine Eigenschaft, die benachteiligten Stadtteilen häufig zugesprochen wird.

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Zum integrierten Handlungsprogramm

‘Erneuern und Reden gehören zusammen’, so lautet der Titel dieses Beitrags. Dieser Anspruch wird im integrierten Handlungsprogramm konsequent verfolgt und wird im folgenden in drei Zusammenhängen verdeutlicht. Zunächst soll im folgenden Abschnitt kurz erläutert werden, wie das integrierte Handlungsprogramm auf den unterschiedlichen administrativen Ebenen arbeitet:



Abb. 1: Beziehungen von Ressourcenströmen und Wirkungen


Rein organisatorisch betrachtet heißt integriertes Handeln in diesem Programm, daß auf Landesebene ressortübergreifend Fördermittel gebündelt und problemorientiert eingesetzt werden. Diese Mittel werden bewilligt auf der Grundlage von integrierten Handlungskonzepten, die auf kommunaler Ebene erstellt werden und in denen die Probleme und Handlungsbedarfe des jeweiligen Stadtteils mit besonderem Erneuerungsbedarf beschrieben werden. Darüber hinaus enthalten die Handlungskonzepte Projektideen und Strategien, wie den vorhandenen Problemen begegnet werden soll. Auch auf kommunaler Ebene soll ämterübergreifend zusammengearbeitet werden. Auf Stadtteilebene schließlich ist ein koordiniertes und kombiniertes Angebot erforderlich; das heißt, die Akteure vor Ort stimmen ihre Angebo

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te für den Stadtteil aufeinander ab und/oder bauen aufeinander auf. Nach Möglichkeit sollen alle relevanten Akteure vor Ort – ganz besonders die Bewohner – mit in die Prozesse eingebunden werden.

Neben der Zusammenarbeit der Akteure auf den jeweiligen Ebenen ist ein entscheidendes Kriterium, daß die Informationen und Kooperationen auch vertikal stattfinden, also zwischen Stadtteil und Kommune, zwischen Kommune und Land. Mitarbeiter v.a. des seinerzeitigen Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW (MSKS) nehmen an Besprechungen und Veranstaltungen vor Ort teil, um möglichst nah an den Entwicklungen zu sein. Reden im Sinne von Informationsfluß und Koordinierung von Aktivitäten ist also ein zentrales Element, ohne das eine integrierte Erneuerung nicht durchführbar ist.

Mit dem Ziel, Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf zu stabilisieren, ist eine Vielzahl von Handlungsnotwendigkeiten verbunden, die miteinander eng verzahnt sind. Daher ist auch die integrierte Herangehensweise von zentraler Bedeutung, und daher wird auch von ‘besonderem’ Erneuerungsbedarf gesprochen. Gemeinsame Problemanalysen und die Abstimmung inhaltlicher Konzepte, die im Ergebnis in der Aufstellung eines integrierten Handlungskonzeptes für einen Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf münden, bilden somit die zweite Ebene von Erneuern und Reden.

Damit ist der notwendige organisatorische Rahmen der integrierten Erneuerung skizziert. Um den dritten wichtigen Zusammenhang zwischen Erneuern und Reden zu verdeutlichen, muß zunächst ein Blick auf die Themen und die Maßnahmen der integrierten Erneuerung geworfen werden.

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Handlungsbedarf in vielen Lebensbereichen oder die Vielfalt der Möglichkeiten

Die Benachteiligung der Menschen und ihres Lebensumfeldes zeigt sich in vielen Aspekten. Es wäre deutlich zu kurz gefaßt, wenn Gegenmaßnahmen z.B. nur im baulichen oder nur im arbeitsmarktpolitischen Bereich ergriffen würden. Im folgenden werden die Problem- und Handlungsfelder skizziert sowie am Beispiel Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord exemplarische Projekte kurz erläutert, um so die Komplexität des gewählten Erneuerungsansatzes zu verdeutlichen.

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Defizit/Status quo

Handlungsfeld(er)

Projekt in Gelsenkirchen

Aus baulicher Sicht weisen die Stadtteile zum großen Teil qualitativ defizitäre Bausubstanz und quantitativ geringe Wohnflächen und dadurch Überbelegung auf. Es finden sich hier überproportional viele Mietwohnungen im unteren Preissegment bei gleichzeitiger gesamtstädtischer Unterversorgung.

Städtebau/
Wohnungspolitik

1996/1997 wurden im Rahmen des IBA-Projektes „Einfach und selber bauen" 28 Häuser als Eigenheime für „kleine Leute" im nachbarschaftlichen Zusammenhang nach ökologischen Standards in Gruppenselbsthilfe errichtet.

Aus ökonomischer Sicht sind hohe Arbeitslosenzahlen, Langzeitarbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und eine hohe Anzahl Sozialhilfeempfänger aufgrund einer wachsenden Spaltung des Arbeitsmarktes zu nennen.

Arbeitsmarkt-/
Strukturpolitik/
Wirtschaftsförderung

Zur Zeit findet in Gelsenkirchen ein Erfahrungsprojekt zur lokalen Ökonomie statt. Darüber hinaus werden bauliche Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der GAFÖG (Arbeitsförderungsgesellschaft – gemeinnützige GmbH), der GABS (Gesellschaft für Arbeitsförderung, berufliche Bildung und Soziokultur) sowie der Jugendberufshilfe (Jugendamt) durchgeführt.


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Defizit/Status quo

Handlungsfeld(er)

Projekt in Gelsenkirchen

Soziologisch kann man die Bildung einseitiger Bevölkerungsstrukturen feststellen, innerhalb derer die eigenen Verhaltensmuster fortlaufend bestätigt werden und die sich gegeneinander zur Stärkung der eigenen Identität abgrenzen.

Zusammenleben/
Identität/
soziale Netze/
Kriminalprävention

Projekte wie JULIUS B – Jungsein und leben in unserem Stadtteil Bismarck – und die Herausgabe der multikulturellen Jugendzeitschrift Together unterstützen das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen im Stadtteil.

Im Hinblick auf die Qualifikation zeichnen sich ein relativ niedriges Bildungsniveau und hohe Schulabbrecherzahlen ab, u.a. bedingt durch bestehende v.a. berufliche Perspektivlosigkeit.

Schule/
Bildung/
Kulturpolitik

Seit Ende der Sommerferien 1998 ist die neu gebaute „Evangelische Gesamtschule Bismarck" als Stätte ganzheitlichen Lernens mit dem Schwerpunkt interkultureller Erziehung geöffnet. Sie soll gleichzeitig Stadtteilschule, Begegnungsort, kulturelles Zentrum und ökologischer Lernort sein.

Ökologisch gesehen weisen die Stadtteile eine starke Beeinträchtigung des Wohnumfeldes durch Industrie- und Verkehrsimmissionen sowie darüber hinaus einen Mangel an Freiflächen auf.

Ökologie

Durch Haus- und Hofflächenbegrünung, die Aufwertung von Freiflächen und die Aktivierung alter ehemals industriell genutzter Flächen (z.B. eine Zechenbahntrasse) wird der Stadtteil ökologisch aufgewertet. Des weiteren ist zur Zeit ein Pilotprojekt „Energieberatung zur CO2-Minimierung" in Vorbereitung.

Defizite im Gesundheitsbereich zeigen sich in teilweise fehlender ärztlicher Versorgung und Defiziten in der motorischen Entwicklung der Kinder sowie durch unausgewogene Ernährung.

Sozial- und
Gesundheitspolitik/
Sport

Das Gesundheitshaus Lahrshof will besonders im präventiven Bereich die medizinische Versorgung im Stadtteil verbessern. Dazu gehören u.a. Beratung und Kurse zur gesundheitlichen Prävention.

Die exemplarisch beschriebenen Maßnahmen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen. Je nach Notwendigkeit sind sie zielgruppenspezifisch oder zielgruppenübergreifend ausgerichtet. In der Regel zeichnen sich Stadtteilprojekte dadurch aus, daß sie in erster Linie gebietsbezogen entwickelt werden und somit mehreren Zielgruppen offenstehen. Ein weiteres, übergeordnetes Merkmal ist die fortschreitende und zunehmend kleinräumige Polarisierung, wodurch die beschriebenen Aspekte konzentrierter zu Tage treten.

Die integrierte Erneuerung beinhaltet also eine ganze Palette von Handlungsfeldern, die das Leben unterschiedlichster Zielgruppen betreffen. Das heißt, daß trotz der eingangs beschriebenen speziellen Problematik von

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Migranten und Migrantinnen Gesamtstrategien erforderlich sind, die der komplexen Problematik der sozialräumlichen und ökonomischen Polarisierung begegnen. Zentrales Ziel ist es dabei, die einzelnen Handlungsfelder miteinander zu vernetzen, um so z.B. durch die Kombination von Stadterneuerung und Beschäftigung/Qualifizierung Synergieeffekte zu erzielen.

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Stadtteile mit besonderem Erneuerungspotential

Das integrierte Handlungsprogramm ist nicht nur Reaktion und Problemlösungsversuch. Es eröffnet darüber hinaus eine Reihe von Chancen und neuen Entwicklungen. Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf sind keine stagnierenden Stadtteile, sondern sie befinden sich im Aufbruch. Das integrierte Handlungsprogramm mit seiner gezielten Unterstützung integrierter Projekte gerade in benachteiligten Stadtteilen hat eine kreative Atmosphäre geschaffen und ermöglicht unterschiedlichste Maßnahme- und Akteurskonstellationen. Die folgenden Punkte sind Beispiele für die positive Entwicklung:

  • Projekte zur Stärkung der lokalen Ökonomie sind eine wichtige Ergänzung zur klassischen Wirtschaftsförderung.
  • Stadtteilaktivitäten stärken das bürgerschaftliche Engagement und verbessern die Identität mit dem eigenen Wohnort.
  • Durch die Zusammenarbeit der Akteure ergeben sich viele neue Kooperationen und (soziale) Netze.
  • Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf zeichnen sich in vielen Fällen durch die Kreativität der Akteure und die kulturelle Vielfalt aus, die eine andere Qualität städtischen Lebens ermöglicht.

Vor allem aber, und das ist in diesem thematischen Kontext von herausgehobener Bedeutung, liegt das besondere Potential der Stadtteile in der dritten relevanten Verknüpfung von Erneuerung und Reden, der engen Verbindung von integrierter Stadtteilerneuerung und (interkulturellem) Dialog! Das eine eröffnet Chancen für das andere, denn ohne einen intensiven Dialog mit den Bewohnern (nicht nur mit den artikulationsstarken Gruppen, sondern auch mit denen, die man nur schwer erreicht) und ohne einen Dialog der Bewohner untereinander ist eine ganzheitliche Erneuerung gar nicht möglich, da sie sonst nur Teilinteressen vertreten würde. Andersherum

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bietet gerade die integrierte Erneuerung Chancen für den interkulturellen Dialog, da eine wirksame Erneuerungsstrategie und eine Stabilisierung des Stadtteils nur unter Mitwirkung aller geschehen kann. Dafür ist der interkulturelle Dialog erforderlich, und nur der interkulturelle Dialog kann auf Dauer zu einem interkulturellen Zusammenleben führen.

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Vier Forderungen zum Schluß

Es liegt auf der Hand, daß nur in Stadtteilen, in denen man andere Kulturen im Alltag erleben kann, das multikulturelle und das interkulturelle Miteinander erfahren und gelebt werden können. Es ist ebenso deutlich, daß die ethnische Segregation häufig unfreiwillig einsetzt und durch die Mechanismen des Wohnungsmarktes gesteuert wird. Aber dennoch muß der Wunsch nach einem Leben unter Gleichgesinnten respektiert werden und darf nicht automatisch mit einer Ghettoisierung gleichgesetzt werden. Daher läßt sich auch auf die Frage, ob zur Realisierung des interkulturellen Dialogs die räumliche ethnische Segregation oder die multikulturelle Mischung als Konzept anzustreben ist, keine generelle Antwort finden. Nur die Menschen selbst können die für sie individuell geeignete Möglichkeit finden; Entscheidungen kann man nur im Dialog mit ihnen treffen. Diese Entscheidungsmöglichkeiten, also die Gestaltungsfreiheit des eigenen Lebens, muß dann aber auch gewährleistet sein. Deshalb sollen an dieser Stelle noch einmal vier Aspekte betont werden.

  • Der interkulturelle Dialog ist darauf angewiesen, daß Menschen sich auf die andere Kultur und die andere Sprache einlassen. Dies gilt im Sinne von Integration als wechselseitigem Prozeß sowohl für Deutsche als auch für Nichtdeutsche. Die jeweilige Muttersprache muß als selbstverständlich anerkannt werden. Das heißt, daß z.B. in Kindergärten neben der deutschen Sprache auch die eigene Muttersprache zugelassen werden muß und daß Menschen, die häufig mit Nichtdeutschen zu tun haben (z.B. in Kindergärten oder in Ämtern), bereit sind, sich mit deren Muttersprache auseinandersetzen.
  • Die Zugangsmöglichkeiten für Nichtdeutsche zum Wohnungsmarkt müssen verbessert werden. Zum einen muß der oft vorhandenen institutionellen Diskriminierung im Bereich der Wohnungspolitik und der Wohnungsvergabe begegnet werden. Zum anderen brauchen Nichtdeutsche

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  • Ansprechpartner vor Ort, die Orientierung und praktische Hilfe anbieten. Durch eine Verbesserung der Wahlmöglichkeiten kann eine erzwungene Ghettoisierung, wie sie häufig der Fall ist, verhindert werden, sowie einseitige Belegungsstrukturen, die auch von Nichtdeutschen nicht durchweg positiv empfunden werden, vermieden werden.
  • Nichtdeutsche müssen an Prozessen im Stadtteil beteiligt werden. Sie brauchen mehr Mitwirkungsmöglichkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten bei Planungsprozessen, am gesellschaftlichen Leben und vor allem an Verantwortungspositionen, z.B. als Kulturarbeiter, Jugendarbeiter, Pädagogen, allgemein als Multiplikatoren. In Ansätzen findet dies bereits statt, z.B. durch die deutsch-türkische Besetzung der Stadtteilbüros in vielen Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf oder durch die Betreuung türkischer Frauen durch eine türkische Psychologin in Essen-Katernberg. Dies sind aber nur Ansätze, die noch lange nicht ausreichen. Nicht nur für Nichtdeutsche soll etwas getan werden. Sie müssen vor allem selbst etwas für sich tun können; dazu gehört unter anderem die Möglichkeit der Selbstorganisation. Nichtdeutsche müssen als gleichberechtigte Stadtteilbewohner akzeptiert werden.
  • Die rechtliche Gleichstellung muß als Voraussetzung der Dialogbereitschaft erfolgen. Hierzu gehört die Durchsetzung des Wahlrechts und die doppelte Staatsbürgerschaft. Nur wenn man das Recht zur gesellschaftlichen Mitbestimmung hat, wird man sich auch für diese Gesellschaft interessieren und engagieren. Schließlich ist die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage in Form des Anti-Diskriminierungsgesetzes notwendig, um den gleichwertigen Umgang miteinander auf einer allgemeingültigen Basis zu regeln.

Diese Forderungen enthalten elementar notwendige Veränderungen der herrschenden Rahmenbedingungen, ohne die ein wirklich interkulturelles, sprich gleichberechtigtes Zusammenleben der Kulturen nicht möglich ist. Das integrierte Handlungsprogramm der Landesregierung NRW ist als ein Beitrag zur Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen zu sehen, der in den Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf die Voraussetzungen für ein interkulturelles Zusammenleben schafft.

Erneuerung und Reden gehören zusammen, und dies wird in den Stadtteilen auch so praktiziert. Es sind aber bisher nur kleine Anfänge, die zur Zeit

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nur von wenigen initiiert werden. Dieser Prozeß muß eine eigene Dynamik entwickeln, er muß sich verselbständigen und muß ausgeweitet werden. Dafür ist wiederum die Erneuerung, das heißt die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Stadtteilen Voraussetzung.

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Literatur

Auernheimer, G. (1996): Einführung in die interkulturelle Erziehung, Darmstadt.

Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei (DoMIT) (Hrsg.) (1998): Fremde Heimat. Eine Geschichte der Einwanderung aus der Türkei, Essen.

Esser, H. (1998): Ist das Konzept der Integration gescheitert? – Zur Bilanz der Migrationspolitik, in: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 4/98, S. 128–135.

Häußermann, H., I. Oswald (Hrsg.) (1997): Zuwanderung und Stadtentwicklung – LEVIATHAN Sonderheft 17/1997, Opladen/Wiesbaden.

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW (Hrsg.) (1994): ILS Schriften 87 – Stadtviertel in der Krise – Innovative Ansätze zu einer integrierten Quartiersentwicklung in Europa, Dortmund.

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW (Hrsg.) (1997): Handlungskonzept Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord – Materialien, Dortmund.

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW (Hrsg.) (1997): ILS Schriften 118 – Zusammenleben im Stadtteil – Möglichkeiten der Förderung interkultureller Lebensqualität, Dortmund.

Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (Hrsg.) (1997): Interkultureller Dialog – Ansätze, Anregungen und Konzepte für eine interkulturell ausgerichtete Kulturarbeit und Kulturpolitik, Essen.

Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW (Hrsg.) (1998): Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf – Ressortübergreifendes Handlungsprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

Mündemann, T. (1992): Kein Dach über dem Kopf – Keinen Boden unter den Füßen – Report über Wohnungsnot und Wohnungsmarkt in Deutschland, Hamburg.

Murböck, M. (1997): Integrierte Ansätze zur Stabilisierung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf – Anspruch und Wirklichkeit, Diplomarbeit im Fachbereich Raumplanung der Universität Dortmund.

Staubach, R. (1997): Aktuelle Ansätze zur Stadterneuerung in Lehre und Forschung, in: Jahrbuch Stadterneuerung 1997, Berlin, S. 257–287.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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