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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 103]

Rosi Wolf-Almanasreh [Fn.1: Es wird hiermit ausdrücklich darauf hingewiesen, daß meine Darstellungen in diesem Re ferat Ergebnis meiner eigenen Einschätzungen und Erfahrungen sind und meine persönlichen Auffassungen und nicht die Meinung des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main wiedergeben.] : „Wir sind alle überfordert …!"
Konfliktmanagement und Problemlösungsstrategien in multi-ethnischen Stadtteilen


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Im Rahmen des Programmes der Europäischen Kommission „Städte gegen Rassismus" wurde in Frankfurt am Main durch das Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) zwischen Mitte 1995 und Ende 1997 ein Modellprojekt entwickelt und durchgeführt, das nunmehr unter dem Namen „Stadtteilvermittlung" weitergeführt wird. Das Ziel, die Methode und der Erfolg dieser Maßnahme sollen im folgenden kurz dargestellt werden.

Bei Überlegungen in bezug auf vorhandene oder mögliche Konflikte in Stadtteilen mit hohem Einwandereranteil möchte ich hier primär folgenden Fragen nachgehen, die sich in der Praxis immer wieder stellten:

  1. Sind die Ursachen für Konflikte primär auf die ethnische Zugehörigkeit einzelner Konfliktparteien – etwa, daß bei einem eskalierenden Streit Kleingärtner deutscher und italienischer Herkunft sind – zurückzuführen oder hat die ethnische bzw. kulturelle Zuschreibung eine Funktion, und was ist die tatsächliche Ursache des Konfliktes?
  2. Warum Konfliktvermittlung und -management? Ist Konfliktvermittlung als Teil modernen Stadtmanagements nötig?
  3. Welche Rolle spielen soziale Fragen, Fragen der Stadt- und Quartiersplanung?
  4. Welche Rolle spielen die politischen Parteien? Was ist ihre Aufgabe?
  5. Sind vorhandene Institutionen und politische Gremien (Verwaltung, Polizei, Legislative und Justiz) in der Lage und – sowohl in bezug auf die Kompetenzen der Mitarbeiter/innen als auch der vorhandenen Instru

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  • mentarien – bereit, Fragestellungen, die eine moderne, offene Einwanderergesellschaft aufwirft, angemessen zu begegnen?


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1. Zunächst eine kurze Darstellung der Frankfurter Situation

Frankfurt hat ca. 700.000 Einwohner. Es ist in der Bundesrepublik Deutschland die Großstadt mit dem höchsten Anteil nicht-deutscher Wohnbevölkerung. Im Jahre 1996 betrug er 28,6% (z.B. Stuttgart 24,1%, München 22,8%) im Unterschied zu 20,3% im Jahr 1987. Von knapp 200.000 ausländischen Staatsangehörigen kommen 26,2% aus EU-Staaten, 23,8% aus den Staaten Ex-Jugoslawiens, 19,3% aus der Türkei, 4,6% aus Marokko, 2,5% aus Polen und 2,4% aus dem Iran. Insgesamt verzeichnet das Amt für Statistik 179 Nationalitäten (Ende 1997). Ca. ein Viertel der Migrantenbevölkerung Frankfurts lebt seit mehr als 15 Jahren in Deutschland, ca. 20% ist unter 18 Jahren, aber nur 4% über 65 Jahre alt. Der Anteil der Schüler/innen ausländischer Herkunft beträgt an den allgemeinbildenden Schulen (1996) im Durchschnitt 36,7%. Dieser Prozentsatz liegt bei den Hauptschulen bei 56,7% und an Gymnasien bei 22,6%. Die Zahl der Einbürgerungen stieg von 474 im Jahr 1987 auf 3.632 im Jahre 1996. Der Anteil der nicht-deutschen Eheschließungen wuchs im gleichen Zeitraum von 19,0% auf 28,2% aller Eheschließungen.

Der Anteil der Erwerbstätigkeit liegt bei den Migranten mit 26,4% (1996) knapp unter ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Bei der Verteilung der sozialen Risiken und der sozialen Problemlagen ergeben sich aber deutliche Unterschiede. Im ersten Frankfurter Sozialbericht lassen sie sich anhand der Indikatoren wie Sozialhilfebezug, Arbeitslosenquote, Qualifikationsstruktur und Unterversorgung im Wohnungsbereich nachweisen. Während der Sozialhilfebezug 1984–1990 bei der deutschen Bevölkerung zurückgegangen ist, ist er bei der Migrantenbevölkerung um 12% gestiegen. Teilweise läßt sich der starke Anstieg durch die Situation der neu zugewanderten Flüchtlinge erklären. Von 1990–1996 ist der Sozialhilfebezug bei der deutschen um 34% und bei der nicht-deutschen Bevölkerung um 40% gestiegen. Auch die Altersarmut wächst rasch unter der nicht-deutschen Bevölkerung. 1994 waren 16,7% der Migranten im Rentenalter auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen.

Die Arbeitslosigkeit – wichtiger Faktor für den Sozialhilfebezug – betrug 1996 bei der deutschen Bevölkerung 9,8% und bei der nicht-deutschen

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15,4%. Bei der Qualifikationsstruktur sind die Unterschiede deutlicher sichtbar: Während bei der deutschen Bevölkerung nur ca. 20% aller Beschäftigten ohne Ausbildung sind, beträgt dieser Anteil bei den Migranten etwa 50%. Während bei der deutschen Bevölkerung nur ein Drittel aller Arbeitslosen keine Ausbildung hat, sind es bei der nicht-deutschen etwa 80%. Auch Wohnungsnot trifft die Migrantenbevölkerung stärker. Während nur 2% aller deutschen Haushalte beim Wohnungsamt als unterversorgt registriert sind, sind es bei der Migrantenbevölkerung 7,7%. Letztere werden nur bis zu einer bestimmten Belegungsquote bei der Wohnungsvermittlung in Wohnhäusern und Stadtteilen berücksichtigt. Sie entspricht etwa dem Ausländeranteil. Auch beim Wohnungsbestand verfügen Migranten über eine deutlich geringe Wohngröße als Deutsche. Die Beschäftigung Frankfurter Jugendlicher ist 1980–1995 um 40,9% zurückgegangen, die Zahl der Ausbildungsverhältnisse um 28,4%. Opfer dieser Entwicklung sind vor allem Migrantenjugendliche.

Die hier kurz skizzierte Entwicklung in der Krise zeigt die Gefahr deutlich auf, daß die „Unterschichtung" der Gesellschaft sich über die nächsten Generationen fortschreibt. Zwar begründet die Migration, die mehr als ein Viertel der Bevölkerung Frankfurts ausmacht, keine einheitliche soziale Lage. Bestimmten Gruppen unter den Einwanderern gelingt der soziale Aufstieg, doch um so stärker unterscheiden sich dafür andere Migrantengruppen durch die Kumulierung von sozialen Risiken von der Lebenslage der deutschen Bevölkerung.

Damit komme ich bereits zur Erörterung der 1. Frage: Kann man nach Kenntnis des Sozialberichts noch davon ausgehen, daß vorhandene und mögliche Konflikte auf ethnisch-kulturelle Hintergründe allein oder eher auf soziale Ursachen zurückzuführen sind?

Die vorliegenden Untersuchungen räumlicher Verteilung der sozialen Risiken ergeben folgendes Bild: Die Segregation nach sozialen Merkmalen ist deutlicher ausgeprägt als nach ethnischen. Nur 5–10% der nicht-deutschen Bevölkerung wohnen in Frankfurt am Main in segregierten Stadtbezirken. In Stadtteilen mit überdurchschnittlich hohem Migrantenanteil ist zwar der Sozialhilfebezug insgesamt nicht hoch, doch die deutsche „Minderheit", die dort wohnt, ist stärker auf Sozialhilfe angewiesen als die ausländische. Bei Maßnahmen zur Prävention von Konflikten oder gar der konkreten Bearbeitung von solchen ist dieser Aspekt von ausschlaggebender Bedeutung, da

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soziale Verwerfungen und Sozialneid wichtige Ursachen für die Herausstellung ethnischer Zuschreibungen sein dürften. Es gibt in Frankfurt viele städtische Teilgebiete mit überdurchschnittlich hohem Migrantenanteil. Es gibt auch sogenannte Multiproblemzonen, wie am Rande der Innenstadt, wo ethnische und soziale Segregation zusammenfallen. Auch das Zusammenfallen von hoher Migrantenwohnbevölkerung in Stadtteilen mit hoher internationaler Kriminalität (Bahnhofsviertel ca. 95% der Straftäter ausländische Staatsangehörige) gibt immer wieder Anlaß für falsche Zuschreibungen, kommen doch die Straftäter sehr häufig nicht aus der in Frankfurt ansässigen ausländischen Wohnbevölkerung. Widersprüchlich wird die Lage dadurch, daß es andererseits deutliche Tendenzen gibt, die aufzeigen, daß immer mehr Jugendliche aus Migrantenfamilien, die hier geboren oder aufgewachsen sind, auf die „schiefe Bahn geraten" (vgl. z.B. im Stadtteil Bockenheim, wo die Mehrheit der durch kriminelle Handlungen auffälligen Jugendlichen im Stadtteil wohnen).

Tatsache ist, daß die Mehrheit der nicht-deutschen Sozialhilfebezieher in Frankfurt eher in Bezirken sozialer Mischung wohnt. Sie wohnen dort im wahrsten Sinne des Wortes im multikulturellen Nebeneinander, ohne daß eine bestimmte ethnische Gruppe dominiert. [ Fn.2: Literatur: Bartelheimer, Peter: Risiken für die soziale Stadt, Erster Frankfurter Sozialbericht 1997; ders.: Zwei Jahre Sozialberichterstattung – eine Zwischenbilanz, in: Frankfurter Statistische Berichte, 3/97; Henning, Eike u.a.: Ethnisch-residentielle Segregation von Migranten in Frankfurt am Main und Amsterdam, in: ebd.; Ausländer und Ausländerinnen in Frankfurt am Main, Statistische Portraits, Amt für Statistik, Wahlen und Einwohnerwesen, Frankfurt am Main1997.]

Ein anderer Aspekt, der als mögliche Konfliktzone immer wieder genannt wird, soll hier erwähnt werden: die Anwesenheit von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Eine Untersuchung des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten im Jahre 1997 ergab, daß sich ca. 110 unterschiedliche religiöse Gemeinden in Frankfurt am Main neben den beiden großen evangelischen und katholischen Kirchen aufgrund der Zuwanderung im Laufe der letzten 30 Jahre entwickelt haben. Darunter befinden sich derzeit 25 muslimische Gemeinden. In Frankfurt am Main leben – grob geschätzt – ca. 80.000 Muslime, ca. 10% bis 15% von ihnen – so ebenfalls eine Schätzung des AmkA – sind praktizierende Gläubige. Bisher hat es weder zwischen diesen Gemeinden noch zwischen Gruppen der deutschen Bevölkerung oder Gruppen der Migrantenbevölkerung und diesen muslimi

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schen Gemeinden relevante Konflikte gegeben. Es entwickelt sich aber derzeit zunehmend eine kontroverse Diskussion über die Einrichtung oder den Bau von Moscheen, Tempeln, Friedhöfen oder andere, religiösen Praktiken zuzuordnende Regelungen. Ferner wird immer wieder berichtet, daß es verstärkt innerhalb von Schulen zu Mißverständnissen oder Konflikten kommt, die seitens der involvierten Gruppen oder Personen auf „religiöse Unterschiede" zurückgeführt werden.

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2. Warum Konfliktbearbeitung in einer Großstadt?

Anstoß für die Einrichtung einer systematischen Konfliktmanagement-„Agentur" im AmkA waren die fremdenfeindlichen Ereignisse und Entwicklungen in anderen Städten Europas. Die Brandanschläge in Rostock, Mölln und Solingen und die Tausende von Gewaltakten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gegen Migranten und Flüchtlinge oder andere Minderheiten in den Jahren nach der Öffnung der östlichen Grenzen bis 1997 führten zu Überlegungen, wie man möglichst wirkungsvoll solche Gewaltausbrüche verhindern kann und inwieweit es Möglichkeiten der frühen Erkennung von Spannungslagen in Stadtteilen, Häuserzeilen oder Hausgemeinschaften geben könnte. Uns schwebte eine Art „Frühwarnsystem" vor, das von Bürgerinnen und Bürgern mittelfristig selbst getragen wird und in der Folge auch von den involvierten Parteien bearbeitet werden müßte. Ein solches Frühwarnsystem müßte, soll es funktionieren, auch mit den vorhandenen Institutionen (Polizei und Behörden) vernetzt und verbindlich systematisch moderiert werden. Aus den Analysen der Vorfälle in Mölln und Solingen ging zudem hervor, daß die vorhandenen Institutionen (Polizei, Ämter, Gerichtsbarkeit) dann, wenn sie systematisch zusammenarbeiten würden, bestimmte Entwicklungen (z.B. die Gefahr, die von einzelnen Tätern ausgeht) sogar hätten im Vorfeld erkennen können. Nur bestehen weder praktische noch formale Regelungen für dieses Zusammenwirken. Auch die Anwohner/innen hatten oft bestimmte Vorgänge beobachtet; es gab aber keine Stelle, die zuständig ist, vor einem Ereignis zu agieren.

Unstrittig ist, daß Gewaltausbrüche nicht nur dramatische und menschenfeindliche Akte gegen Menschen sind und das Miteinander nachhaltig stören, sondern daß sie auch dem Ansehen einer Stadt, einer Region, ja sogar dem Land insgesamt sehr schaden. Davon auszugehen, daß es sich dabei lediglich um einen „Imageverlust" handelt, ist nachweislich falsch. Der Ruf

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einer Region hat u.a. Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum, auf Investoren und Touristen, auf die Entwicklung einer Stadt.

Ein weiterer Faktor, der dem Projekt zugrunde lag, war die Frage nach der Qualität des Zusammenlebens unterschiedlicher sozialer und nationaler Gruppen. Es geht hier um die Bedeutung der allgemeinen „Atmosphäre" in einem Gemeinwesen und die Auswirkungen von massiven Störungen auf die Menschen. Aus historischer Erfahrung ist bekannt, welche nachhaltigen Auswirkungen Marginalisierungen oder gar Progrome haben und wie schwer es ist, einmal entstandenes Mißtrauen und Ressentiments zu überwinden. Natürlich wurden wir bei diesen Überlegungen auch mit dem Vorwurf konfrontiert, Konfliktbearbeitung sei nur „Schönheitsreparatur", da man annehmen kann, daß es sich bei der Mehrzahl der Ursachen von Problemen um strukturelle Fragen handelt. Arbeitslosigkeit, fehlende Bildungsbeteiligung, mangelhafter Wohnraum usw. ließen sich nicht, so die berechtigte Vorhaltung, mit Konfliktvermittlung überwinden. Diese Aspekte wurden von Anfang an in die Überlegungen einbezogen. Sie waren mit der entscheidende Faktor, warum die Organisation der „Stadtteilvermittlung" als Teil der städtischen Politik und Verwaltung angesiedelt wurde. Hierzu soll später noch etwas gesagt werden.

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3. Die Ziele des Projektes

  1. Verhinderung von Gewaltausbrüchen;
  2. Unterstützung von Verwaltung und Polizei bei der Bearbeitung von Konflikten in der Stadt;
  3. Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Konfliktvermittlung und Stärkung der Verantwortlichkeit der Anwohner für den sozialen Frieden in ihrem Umfeld;
  4. Mobilisierung der vorhandenen Ressourcen und Vernetzung der existierenden Institutionen zur Bearbeitung von Konflikten;
  5. Herstellung von Kommunikation, um ein demokratisches Aushandeln des Konfliktes zu erzielen;
  6. Erkenntnisgewinn über strukturelle und soziale Hintergründe konkreter Ereignisse im Stadtteil und deren begleitender Bearbeitung auf politischer und verwaltungstechnischer Ebene;

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  1. Behebung struktureller Mängel;
  2. Öffentlichkeitsarbeit.


Es erschien wichtig, Prozesse und Erfahrungen bei der konkreten Regelung von Problemen zu nutzen, um alle Beteiligten in die Verantwortung zu stellen. Dabei sollten Institutionen, politische Gremien und aktive Bürger/innen in Verbindung gebracht werden, um neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln.

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4. Das Projekt „Stadtteilvermittlung"

Die beschriebene Maßnahme zielt auf Konfliktvermittlung, Konfliktmanagement und – sofern es soweit kommt – auf Mediation. Zielgruppe ist die Bevölkerung der Stadt Frankfurt am Main, unabhängig von sozialer, kultureller oder nationaler Herkunft oder Zuordnung. Ihr liegt das spezielle Training und der direkte Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Sprache und beruflicher Ausbildung zugrunde, die bei schwelenden oder bereits ausgebrochenen Konflikten z.B. im Stadtteil oder in einer Hausgemeinschaft – unabhängig von nötigen Maßnahmen von Ordnungsbehörden und Polizei – eintreten mit dem Ziel, die Konfliktsituation zu deeskalieren, den Konflikt zu lösen oder Möglichkeiten zu finden, wie künftig mit den Problemen, die den Konflikt auslösten, umgegangen werden soll. Ihre Aufgabe ist die Erstellung einer Konfliktanalyse nach dem Prinzip der „Allparteilichkeit", der Zusammenführung der Konfliktpartner, der Vermittlung und ggf. der Moderation bei Gesprächen. Sie werden flankiert von einer Moderationsstelle im AmkA, die sowohl die technische Organisation, die Bearbeitung der Meldungen und die Einbeziehung von Behörden und Institutionen an einem sogenannten „Runden Tisch" zur raschen Klärung von den Konflikten zugrunde liegenden sozialen und technischen Fragen vornimmt. Stadtteilvermittler werden regelmäßig supervisiert und erhalten für ihre Arbeit eine Kostenerstattung von i.d.R. DM 25,- pro Stunde. Um die Qualität der Arbeit zu sichern, finden nach dem systematischen Training zum Vermittler oder zur Vermittlerin regelmäßig (mindestens einmal pro Jahr) Fortbildungsseminare statt.

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Von Meldung bis Mediation




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Konfliktmeldungen können von unterschiedlichen Personen oder Institutionen direkt an das AmkA, an die Polizei, an das Büro der Oberbürgermeisterin gerichtet werden. Jeder kann auf einen Konflikt oder ein Spannungsfeld hinweisen. Auch das Jugendamt, die Polizei oder beispielsweise eine Schule kann das AmkA ansprechen (siehe Übersicht). Das AmkA übernimmt dann die Vorabklärung und organisiert den „Einsatz der Vermittler/innen" vor Ort.

Aufgrund der unterschiedlichen Konfliktarten und -beteiligten und Örtlichkeiten bestimmt sich die Auswahl der Stadtteilvermittler/innen entsprechend. Geht es z.B. um Streitigkeiten zwischen einer älteren deutschen Frau und ihren türkischen Nachbarn, so macht es Sinn, eine weibliche deutschsprachige (womöglich ältere) Vermittlerin und einen türkischsprachigen Vermittler einzusetzen. Aufgrund der Dynamik des Projektes stehen bisher nicht für jeden Stadtteil ausreichende dort wohnende Vermittler/innen zur Verfügung. Deshalb erfolgt der „Einsatz" aus dem zentralen Vermittler-Pool. Das mittelfristige Ziel ist jedoch die Delegation in den Stadtteil. Zunächst soll anhand einiger Beispiele, die zu Vermittlungstätigkeiten führten, verdeutlicht werden, um welche Fragen es geht. Dann wird kurz schematisch dargestellt, wie sich die Situation nach einem Jahr Laufzeit darstellt.

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4.1 Wie ausländische spielende Kinder die „Ureinwohner" bedrohen und „der Löwenzahn" in Nachbars Garten fliegt

Dargestellt wird ein Beispiel, das kürzlich in Frankfurt am Main für einige Aufregung gesorgt hat (siehe Zeitungsartikel auf S. 112). Ausgangspunkt war eine Diskussion über spielende Kinder, meist Kinder ausländischer Familien. Sie wurden als störend empfunden. Es ging primär um die Gestaltung eines Spielplatzes zwischen einigen Häusern.

Ein Flugblatt, das auf unverantwortliche Weise die Unzufriedenheit einiger Bürger/innen mit der Situation im Wohnblock nutzt, um generell gegen Einwanderer und Flüchtlinge zu hetzen, zeigt einen immer wiederkehrenden Mechanismus: Es gibt soziale Probleme, und eine Minderheit wird dafür verantwortlich gemacht, also zum Sündenbock erklärt. Zur Beilegung der aufgeregten Situation zwischen den Anwohnern im Stadtteil wurden zwei Stadtteilvermittler/innen aktiv.

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Wie spielende Kinder die „Ureinwohner" bedrohen

CDU-Mann brachte in Eckenheim ein Flugblatt gegen ein Flüchtlingsheim in Umlauf, das auch Rot-Grün diffamiert


Bürgermeister Achim Vandreike (SPD) nennt den Vorgang „unsäglich" und „empörend". Lutz Sikorski, der Fraktionschef der Grünen im Römer, urteilt: „Die Politik der Rechtsradikalen ist in Teilen der Frankfurter CDU längst gelandet." Wilfried Möller, der Vorsitzende des CDU-Stadtbezirksverbandes Eckenheim, sagt kleinlaut: „Ich habe einen Fehler gemacht" – eine späte Einsicht.

In der Runkeler Straße, am Rande Eckenheims, liegt ein Heim, in dem Asylbewerber und Flüchtlinge leben. „80 Leute und 60 Kinder", zählt CDU-Mann Möller. „Bürger haben sich beschwert." Worüber? „Es spielen 25 bis 30 Kinder Fußball – und das hallt zwischen den Häusern." Möller hat ein Flugblatt verteilt in Eckenheim. Darauf steht: „Mitbürger! Wir sind das Volk! Wehren wir uns!" Und: „Die Abzocker-Gehilfen: Rot-Grün beschützt illegale Ausländer beim Sozialhilfemißbrauch!"

Das sei, betont Möller, ja ein Standard-Flugblatt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Roland Koch, gewesen. Nun hatte der CDU-Stadtbezirksvorsitzende aber eine Idee, die er gut fand. Direkt unter die Worte „Mitbürger! Wir sind das Volk! Wehren wir uns" kopierte er den Hinweis: „Übrigens: In der Sitzung des Ortsbeirates 10 am Dienstag, 19. Mai, ab 19.30 Uhr in Bonames, Kath. Gemeindezentrum, Oberer Kalbacher Weg 7, wird erneut über das Thema Runkeler Straße 1-5 verhandelt" – also über das Haus voller Asylbewerber und Flüchtlinge.

Aufgeregte Bürger brachten das Flugblatt, das sie in ihren Briefkästen fanden, den Grünen im Römer. Die schlugen Alarm.

Fraktionschef Sikorski: „Die CDU erklärt Ausländer und Flüchtlinge zur Bedrohung für das deutsche Volk – die Sprache ist geeignet, Menschen aufzuhetzen!" Sikorski nennt es „einen Skandal, daß die CDU-Honoratioren in der Paulskirche den Appell des Bundespräsidenten für Menschlichkeit und Freiheit beklatschen, während ihre Vertreter vor Ort offen rassistisch agieren!" Und Bürgermeister Vandreike findet: „Die Sprache erinnert an Phrasen, die aus dem rechtsextremen Lager bekannt sind."

Warum hat Möller das Flugblatt verteilt? „Ich wollte, daß die Leute sehen, daß die CDU was macht", sagt er. Und: „Die Gefahr der Gewalt hab’ ich in keiner Weise gesehen." Möller, der im Ortsbeirat sitzt, hat dort einen Antrag eingebracht, in dem von „Ureinwohnern" die Rede ist, die belästigt werden. Er fordert „Betreuer", die dafür sorgen, daß der Lärm „nachmittags bis 20 Uhr" unterbunden wird.

Inzwischen sind Mitarbeiter des Sozialamtes und des städtischen Kinderbüros vor Ort gewesen. Ralph Klinkenborg, Sprecher von Bürgermeister und Sozialdezernent Vandreike, berichtet, daß ein „Spielzimmer" eingerichtet werden soll im Flüchtlings-Haus und daß auch draußen „Spielgeräte aufgestellt werden". Klinkenborg: „Wir werden gucken, daß der Lärm reduziert werden kann."

Eine Erinnerung kommt auf im Römer an den unsäglichen „Ausländer-Wahlkampf" der CDU in Frankfurt im Winter 1988/89. Ist es wieder soweit, mit Blick auf die Bundestagswahl? CDU-Mann Möller: „Vielleicht hab’ ich mir das nicht richtig überlegt."


Quelle: Frankfurter Rundschau vom 23.5.1998

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Ein zweites Beispiel bezieht sich auf den Streit zweier Kleingärtner, einem Italiener und einem Deutschen, der dazu führte, daß die gesamte Kleingartenanlage zum Schauplatz eines polarisierten und eskalierenden Streites wurde. Ursache war die Anpflanzung einer bestimmten zum Konsum vorgesehenen Sorte Löwenzahn durch den Italiener. Das „Herumfliegen der weißen Samen" in Nachbars Garten und die unterschiedliche Nutzung und Bedeutung des Löwenzahns – hier als gesundes Gemüse/dort als Hasenfutter und „Unkraut" – führten zu scheinbar unüberwindbaren Differenzen, die zwei Jahre lang mit steigender Aggressivität ausgetragen wurden. Zwar sind vergleichbare Streitigkeiten über Unkraut und dessen Beseitigung und die unterschiedliche Gartennutzung auch zwischen deutschen Nachbarn bekannt (ich verweise auf die vielen bekannten Gerichtsurteile über quakende Frösche und krähende Hähne), hier wurden sie aber als unüberbrückbare „kulturelle Unterschiede" gehandelt. Der Streit wurde von den deutschen Kleingarteneignern zum „ethnischen Konflikt" erklärt, der aufzeige, daß „sich Ausländer niemals anpassen und eben deshalb lieber wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollen". Dabei wurde das gesamte „Ausländerproblem", die sogenannte „Überflutung", offene und latente Vorurteile über Süditaliener und „Südländer" abgehandelt. Ein wesentlicher Aspekt, nämlich der, daß der deutsche Nachbar das Grundstück an seiner Seite lieber seinem Sohn hätte zukommen lassen anstelle dem Italiener, ging in der Hitze des Gefechts zunächst völlig verloren. Das brachte erst die systematische Konfliktvermittlung zutage.

Die Streitigkeiten der Kleingärtner, die abschließend und gut beigelegt werden konnten, führten im AmkA zusätzlich zu weiteren Überprüfungen und Überlegungen, nämlich der grundsätzlichen Frage nach dem Zugang von Migranten zu städtischen Kleingärten. Wie viele ausländische Frankfurter haben einen Kleingarten? Welche Hürden gibt es für sie, wenn sie einen solchen anmieten oder pachten wollen? Welche Erwartungen haben sie? Wie verhalten sich die Vorstände der Kleingartenvereine, wenn sich ausländische Familien um einen Garten bewerben? Sind ausländische Kleingartenbesitzer in den (deutschen) Vereinen aktiv? Aus den Ergebnissen der Konfliktanalyse und der weiteren Recherche entwickelte sich eine auf strukturelle Fragen gerichtete weitere innerstädtische Maßnahme.

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4.2 Die Auswertung der im Zeitraum eines Jahres gemeldeten Konflikte ergab folgendes Bild:

  1. 107 Konflikte wurden im AmkA gemeldet und bearbeitet. In 26 Fällen wurden jeweils zwei Stadtteilvermittler/innen eingesetzt.

  2. Folgende Konflikttypen konnten ausgemacht werden:

      Nachbarschaftskonflikte insgesamt ..................... 84

        davon deutsch/deutsch ............................... 9

        deutsch/ausländisch ................................. 67

        ausländisch/ausländisch .............................. 5

        unklar ........................................................ 3

      Jugendliche untereinander ................................... 11

      „atmosphärische" Konflikte .................................. 3

      andere ................................................................. 9

  3. Gemeldet wurden die Konflikte von:

    Ämtern/Institutionen (u.a. Polizei).................................. 38

    Privat .......................................................................... 64

      davon: deutsche Frauen ..................................... 37

      deutsche Männer ............................................... 20

      ausländische Frauen ............................................. 1

      ausländische Männer ........................................... 6

    andere ........................................................................... 3

  4. 4) Genannte Konfliktursachen:
    • Lärm, Müll, Belästigungen
      (i.d.R. „verursacht durch Ausländer") ............................. 63
    • Beschimpfungen/Beleidigungen/Nötigung
      (meist deutsch/ausländisch) ............................................ 17
    • Schlägerei/Körperverletzung .......................................... 12
    • unerlaubtes Campieren" ................................................... 8
    • Kriminalität (Diebstahl, Drogen, Sachbeschädigung) ....... 12
    • Betteln ............................................................................ 5
    • Wohnsituation und damit verbundene Probleme ................ 5
    • andere ........................................................................... 13

In den Fällen, in welchen Stadtteilvermittler/innen tätig geworden waren, hatten bereits Polizei, Ordnungsamt und andere Institutionen vergeblich mit formalen Mitteln versucht, die schwelenden Spannungen abzubauen. In allen Fällen waren Drohungen laut geworden, die ein systematisches Handeln

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erforderlich machten. Die Vermittler/innen waren pro Fall zwischen sechs Wochen und einem Jahr tätig. In den meisten Fällen konnte die bestehende Spannungssituation abgebaut werden. In einigen Fällen wurden soziale Probleme erfolgreich bearbeitet, um den Konflikt zu lösen. In einigen anderen Fällen wurde inzwischen erneut ein Konfliktmanagement nötig. Die Mehrzahl der Fälle endete durch Vermittlungstätigkeiten oder Formen von Konfliktmanagement. Nur in zwei Fällen erfolgte eine (erfolgreiche) Mediation.

Bei dem Versuch, eine Antwort auf die oben gestellte Frage, ob Konflikte auf ethnisch-kulturelle oder soziale Hintergründe zurückzuführen sind, zu geben, stellt sich vor dem Hintergrund der oben vorgenommenen Zustandsbeschreibung und den letzten vier Jahren Konfliktvermittlung durch das AmkA dar, daß den meisten Konflikten soziale oder persönliche Ursachen zugrunde liegen. Die ethnisch-kulturelle Zuschreibung wird in der Regel nicht selten unbewußt als Erklärungsmuster für ein Problem und als mögliches Hilfsmittel zur Gemeinschaftsbildung (also z.B. Solidarisierung der deutschen Bevölkerung gegen die Roma) genutzt. Tatsächliche oder vermutete kulturelle Unterschiede, Klischees und Vorurteile vermischen sich oft und dienen als Begründungen für die vorhandenen Probleme. Die Tatsache, daß die vermeintlichen oder tatsächlichen Verursacher eines Problems Ausländer oder Angehörige einer Minderheit sind, fungiert zudem als Legitimation für die Vorrangigkeit eigener Ansprüche. Bei diesen Mechanismen spielt eine Mischung von Vorurteilen, praktischen Erfahrungen, Ängsten, tiefer Unzufriedenheit mit der eigenen Situation und der Wunsch nach Unterstützung und Gehör durch die Politik und andere eine große Rolle. Sowohl deutsche als auch ausländische Bürger/innen nutzen die ethnisch-kulturellen Zuschreibungen als Erklärungen für Konflikte. Nicht selten werden kulturelle Aspekte („Italiener essen Löwenzahn") überhöht und zum Hauptgrund eines Konfliktes gemacht. Tatsächlich geht es aber oft um alltägliche Auseinandersetzungen, wie sie auch zwischen monokulturellen Personen oder Gruppen vorkommen. Oft führt die falsche Sichtweise („kultureller Konflikt") zu Blockaden und Unsicherheiten im Handeln. Dies gilt auch für Vertreter/innen von Institutionen und der Polizei. „Das sind Marokkaner, da kennen wir uns nicht aus …!" Es war für die Vermittler/innen von großer Bedeutung, durch die begleitende Supervision jeweils zu reflektieren, um was es bei den Streitigkeiten ging und welche Rolle – bei beiden Seiten – Vorurteile und Klischees spielen und inwieweit die eigenen Ängste, nicht rassistisch oder ausländerfeindlich sein zu wollen, in die Konfliktbearbeitung hineinspielen.

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Die Erfahrungen von Ausgrenzung und Ablehnung von Ausländern und Ausländerinnen sowie ihre bewußten oder unbewußten Ängste, die insbesondere aufgrund der Brandanschläge und anderer Gewaltakte entstanden sind, führen bei ihnen ebenfalls oft zu pauschalen Zuschreibungen gegenüber „allen Deutschen", die als „ausländerfeindlich", „rassistisch", „Nazis" und „arrogant" beschrieben werden. Hinzu kommt, daß nur wenige wirklich intensive und gute private Kontakte zu Deutschen haben und deshalb ihre Vorurteile nicht überprüfen können. Viele ausländische Gesprächspartner äußern Angst, im Konflikt „sowieso für schuldig erklärt zu werden" und zeigen deutlich, daß sie kein Vertrauen in die deutschen Institutionen wie beispielsweise Behörden, Polizei oder Schulleitungen haben. Deshalb ist es erforderlich, daß es unter den Stadtteilvermittlern auch muttersprachliche Kräfte gibt.

Aus unserer Sicht kann festgehalten werden, daß Konflikte in Großstädten zwischen ethnischen Minderheiten oder zwischen deutschen und ausländischen Bürgern oder Gruppen zumeist soziale Hintergründe haben. Dies will nicht verleugnen, daß es unterschiedliche kulturelle Lebensentwürfe, verschiedene religiöse Bräuche, Werthaltungen und Lebensgewohnheiten gibt, die durch die Zuwanderung und die Heterogenität der Bevölkerung in einigen Häusern und Stadtteilen mit einem hohen Anteil von Zuwanderern entstanden sind und tatsächlich existieren. Diese Vielfalt kann in Einzelfällen auch zu Streit und Spannungen führen, insbesondere dann, wenn räumliche Enge, keine Spielmöglichkeiten für die Kinder und andere soziale Probleme keine Ausweichmöglichkeiten und keine Entfaltungsmöglichkeiten für die einzelnen Bewohner bereitstellen.

Damit komme ich zur zweiten Fragestellung.

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5. Welche Rolle spielen soziale Fragen, Fragen der Stadt- und Quartiersplanung?

Bei der Auswertung der Konflikte, die dem AmkA in den letzten vier Jahren vorgetragen wurden, ist deutlich geworden, daß eskalierende und bedrohliche Streitigkeiten zu 90% in Häusern, Straßenzügen oder Stadtteilen mit großen sozialen Verwerfungen aufgetreten sind. Meine zweite These lautet: Strukturelle Probleme sind eine weitere wichtige Ursache für Konflikte. Migranten und Flüchtlinge fungieren in dem Spannungsfeld zwischen Institutionen und deutschen Bürgern als Sündenböcke.

[Seite der Druckausgabe: 117]

Einige Beispiele mögen das grob beschreiben: Sanierungsbedürftige Häuser, die als Spekulationsobjekte dienen, werden durch die Vermietung an obdachlose Roma „heruntergemietet". Ziel ist buchstäblich die Vertreibung der dort wohnenden bürgerlichen Mieter (Frankfurt-Westend, Kettenhofweg/Frankfurt-Bockenheim, Häusergasse). Das Verhalten der Roma (genannt werden u.a. „viele Besucher", „lautes Reden", „viele Kinder", „fehlende Müllentsorgung", „Falschparken"), deren Aufenthalt unklar ist (staatenlos – Duldung – keine Sozialhilfe gem. § 120 BSHG), führt zu Klagen der Mitbewohner und der Nachbarn.

Hochhäuser in sozialen Brennpunkten, in welchen es auch vor Einzug ausländischer Familien zu sozialen Problemen, Vandalismus, Kleindiebstählen, laut ausgetragenen und gewaltsamen Familienkonflikten usw. gekommen war, gelten durch die Zunahme sozial schwacher ausländischer Mieter nun plötzlich als gefährdete Zonen für „ethnische Konflikte".

Lösungsansätze: Durch eine Vereinbarung, die der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main mit relevanten Wohnungsbaugesellschaften in bezug auf die Vergabe sozialen Wohnraums geschlossen hat, sollen pro Haus bzw. Wohnblock lediglich 30% an ausländische Familien, 10% an Aussiedler und 10% an randständige Familien vermietet werden. Da es bereits Stadtteile mit einem sehr hohen Anteil ausländischer Wohnbevölkerung (bis zu 80%) gibt, gleichzeitig aber Sozialbauwohnungen oder bezahlbare Altbauwohnungen für größere Familien nur in bestimmten (teilweise nicht sanierten) Stadtvierteln zu finden sind, führt dies dazu, daß ausländische (besonders große) Familien kaum noch vermittelt werden können. Da EU-Staater aufgrund des Gleichbehandlungsgebots der europäischen Verträge ebenso wie binationale Familien oder eingebürgerte Ausländer nicht unter diese Kategorie von Mietern gezählt werden dürfen, führt die vereinbarte Regelung erneut zu einer Segregation, nunmehr innerhalb der Einwandererbevölkerung. Gleichzeitig finden sich Stadtteile, in welchen nur 0,5 oder 1–2% der Bewohner ausländischer Herkunft bzw. ausländische Staatsangehörige sind. Hausgemeinschaften wehren sich hier aber vehement gegen die Wohnungsbaugesellschaften, wenn diese – in Erfüllung der Vereinbarungen mit der Stadt – an ausländische Familien vermieten möchten. Diese Regelung produziert ungewollt Konflikte, da sie die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt zwischen den verschiedenen nationalen Gruppen nicht entschärfen kann und in manchen Fällen noch die Benachteiligung der Zuwanderer verstärkt.

[Seite der Druckausgabe: 118]

Deutlich wird aber auch, daß hier Konflikte strukturelle Ursachen haben und mittelfristig durch eine bessere Quartiersplanung und Belegungspolitik vermieden werden müßten. Alle diese Beispiele – und sie könnten fortgesetzt werden – bedürfen, auch dann, wenn die Ursachen sozialer oder struktureller Natur sind, der kontinuierlichen Konfliktbefriedung oder des Konfliktmanagements, wenn verhindert werden soll, daß es – wie anderswo in Deutschland – zu Gewaltanwendung gegen Minderheiten kommt.

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6. Welche Rolle spielen politische Parteien beim Entstehen und bei der Bearbeitung von Konflikten in der Stadt?

Bei der Bearbeitung vieler Konflikte wurde immer wieder deutlich, daß politische Parteien eine bedeutende Rolle sowohl beim Entstehen als auch bei der Bearbeitung von Konflikten spielen. Meine These lautet: Die politischen Parteien sind manchmal Mitverursacher von Konflikten; sie nehmen die ihnen von der Verfassung übertragene Rolle nur unzulänglich wahr und gefährden damit mittelfristig die demokratische Grundlage des Zusammenlebens mit den Einwanderern. Sie dienen manchmal als Verstärker vorhandener Vorurteile; sie wecken Ängste und fördern durch kulturalistische Aussagen die Ethnisierung von Streitigkeiten. Sie verhindern manchmal durch die Verstärkung der faktischen und ideologischen Ausgrenzung der ausländischen Bevölkerungsgruppen direkt oder indirekt deren Integration in unser Gesellschaftssystem. Ihre Äußerungen fördern das Mißtrauen der Zuwanderer anstatt Vertrauen in die demokratischen Strukturen zu wecken. Meiner Auffassung nach ist eine Demokratie, die die Würde und Rechte ihrer Minderheiten nicht schützt und respektiert, unglaubwürdig. Es steht zu befürchten, daß sich breite Teile der jungen Einwanderergeneration leider nicht mit diesem Land identifizieren können und wir vermutlich – sollte es nicht gelingen, eine versachlichte Integrationspolitik zu verwirklichen – mehrere Generationen brauchen, um Vertrauen aufzubauen.

Manche Konflikte – ein praktisches Beispiel wurde oben aufgezeigt – eskalierten erst, nachdem politische Parteien regelrecht „Partei ergriffen" und sich eingemischt haben. Die Selbstbefassung einzelner Parteienvertreter/innen, die häufig fehlende Sensibilität in bezug auf rassistische und/oder diskriminierende Äußerungen über Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe oder Religion verstärken zudem vorhandene Vorurteile und tragen manchmal dazu bei, daß Probleme verschärft werden.

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7. Konfliktmanagement als Teil moderner Stadtpolitik

Zuletzt möchte ich die Frage aufwerfen, ob unsere Institutionen und formalen Regelungsinstrumente noch geeignet sind, alle auftretenden Konflikte zu bearbeiten oder zu lösen oder zu „managen". Benötigen wir zusätzliche oder ganz andere Konfliktbearbeitungsmethoden? Lassen sich Konflikte immer lösen? Wie erfolgreich sind Konfliktvermittlung, Konfliktmanagement oder Mediation?

Unstreitig ist, daß sich in modernen Großstädten, u.a. angesichts der Migrationsbewegungen, veränderten familiären Lebens- und Beziehungsformen, tiefgreifenden Einschnitten in Arbeitsmarktprozesse durch ökonomische und technologische Entwicklungen u.v.m., die traditionellen Beziehungen zwischen Bürgern immer mehr auflösen. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebensstilen und sozialen und kulturellen Milieus, die sich von den traditionellen Vierteln und Schichtungen deutscher Großstädte bis zu den siebziger Jahren deutlich unterscheiden. Auch die Autorität der Eltern bei der Kindererziehung (welche die notwendige Basisqualifikation im Umgang mit sozialen Beziehungen vermittelt) und die Autorität der älteren Menschen gegenüber den sozialen Gemeinschaften und der Institutionen verliert aufgrund divergierender Vorstellungen von Moral, Recht und Ordnung an Kraft. Hinzu kommt, daß der relative Reichtum in Deutschland, die in breiten Kreisen erworbene soziale Sicherheit ein Lebensgefühl immerwährenden Wohlstandes vermittelt haben – ein Gefühl, das durch die Öffnung von Grenzen vehement gestört wurde und durch den über Medien möglichen Blick in die ganze Welt ins Wanken geraten ist. Konflikte werden in dieser Lage oft bedrohlicher als früher wahrgenommen und können auch tatsächlich nicht mehr so leicht wie bisher gelöst werden. Auch die Stadtteile verändern sich: Die Menschen kennen ihre Nachbarn nicht mehr. Gewachsene Strukturen brechen auseinander, die Homogenität vieler kommunaler Lebensräume hat sich aufgelöst. Aufgrund der Anonymität fehlt das gegenseitige Vertrauen. Bei kleinen Konflikten werden die Menschen leicht zu Verdächtigen und Gegnern statt zu Partnern. Es herrscht zunehmend Mißtrauen. Die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, die zuvor im Bewußtsein der Menschen keine Bedeutung hatte, wird zum Bindeglied einer vermeintlichen Gemeinsamkeit und soll einen Schutzraum herstellen, der die verlorene Geborgenheit ersetzen kann.

Die Zuwanderer, in sich sowohl sozial als auch kulturell und religiös inhomogen, teilen die allgemeinen Unsicherheiten, die durch Migrationserfah

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rungen und oft unklare Lebensplanung noch verstärkt werden. Der Schritt aus einer agrarisch geprägten traditionellen Lebensform in die einer Industriegesellschaft ist teilweise dramatisch, schmerzhaft und nicht selten zerstörerisch in vielerlei Weise. Migrations- und Integrationsfragen spielen also zusätzlich für alle Teile der Stadtbevölkerung zunehmend eine wichtige Rolle. Der gegenseitige Akkulturationsprozeß ist schwierig und insbesondere dann, wenn die verschiedenen Aspekte der Armut hinzukommen, besonders problematisch. Es können hier notgedrungen Konflikte entstehen. In der Regel rufen Konfliktparteien öffentliche Stellen an. Meistens tun dies aber nur Deutsche. Sie wenden sich an Beschwerdestellen bei Oberbürgermeistern, Ämtern, Polizei, Schiedsleuten, Rechtsanwälten und Gerichten. Diese sollen mit den vorhandenen Vorschriften und ordnungsrechtlichen Instrumenten und Methoden die Konflikte lösen. Ausländische Bürger/innen versuchen meist, den Konflikt „zu verdrängen", ihn „auszuhalten" oder ihn „selbst zu lösen", manchmal auch mit Hilfe von Familienangehörigen oder Freunden. Behörden und Polizei wird wenig Vertrauen in bezug auf Konfliktlösungskompetenz entgegengebracht.

In gewisser Weise stimmt das „Gefühl", das viele Bürger gegenüber Behörden haben. Kommunale Institutionen, die sich nicht immer im selben Tempo verändern können wie das soziale Milieu, für das sie zuständig sind, sind oft nicht ausreichend auf den Umgang mit neuen Situationen vorbereitet. Die Erfahrung zeigt, daß die bisher eingesetzten formalen Instrumente und Mittel häufig nicht mehr greifen. Viele öffentliche Stellen, auch die Polizei, sind mit den Aufgaben, die unsere Stadtgesellschaften aufwerfen, manchmal überfordert. Dies – so möchte ich betonen – ist nicht als Vorwurf zu verstehen, sondern zielt auf die Tatsache, daß Institutionen auf die raschen Veränderungen und unterschiedlichen Bedürfnisse in der erforderlichen Schnelligkeit nicht reagieren können. Die Überlegungen, die vorhandenen Konfliktbearbeitungsinstrumente durch moderne Vermittlungstätigkeiten mit Hilfe von kompetenten Bürgerinnen und Bürgern zu ergänzen, entstanden aus dieser Gesamtsicht und den praktischen Erfahrungen. Aus den Überlegungen, die ich kurz dargestellt habe, ergab sich, daß der Arbeitsansatz des Projektes richtig ist.

Im Ergebnis kann man feststellen, daß Konfliktvermittlung nicht geeignet ist, abschließend Konflikte aus der Welt zu räumen, sondern ein Instrument der Deeskalation in einer konkreten Spannungssituation darstellt, das Bürger/in

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nen in der Bereitschaft und Fähigkeit stärken soll, Verantwortung für das Leben im Stadtteil unter den gegebenen Bedingungen zu übernehmen. Das schließt auch ein, sich politisch für soziale und strukturelle Veränderungen einzusetzen. Es ist bedeutsam, daß deutsche und ausländische Stadtteilvermittler unterschiedlichen Alters und Geschlechts involviert sind, die die Kommunikation zwischen Nachbarn, Institutionen und anderen jeweils betroffenen Stellen und Personen fördern, Institutionen vernetzen und den Prozeß der demokratischen Konfliktbearbeitung fördern.

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8. Streiten ist normal

Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich abschließend in bezug auf die Wertung und Akzeptanz kultureller Aspekte noch folgendes festhalten: Streit gehört zwangsläufig zum menschlichen Dasein. Aber auch Streit hat Normen. Normen des Zusammenlebens müssen, erst recht in einer pluralistischen Gesellschaft, immer wieder neu ausgehandelt und erarbeitet werden, sei es im Prozeß der Sozialisation, sei es in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Streit und Gewalt (psychische und physische Gewalt) stehen in engem Zusammenhang. In unserer Phantasie spielt Gewalt als möglicher Lösungsweg eine wichtige Rolle. Daß in einer multikulturellen Gesellschaft neben den individuellen Vorstellungen auch höchst unterschiedliche Rechtsauffassungen aufeinandertreffen und unterschiedliche historische Entwicklungsphasen oft nebeneinander auskommen müssen, wird von vielen Menschen nicht bewußt wahrgenommen. Nur im Konflikt stoßen diese Welten aufeinander.

Bei den Konfliktbearbeitungen im AmkA ging es sowohl um Streitigkeiten zwischen deutschen und ausländischen Nachbarn in Hausgemeinschaften oder in Nachbarschaften; es ging um Streitigkeiten und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen, um Konflikte zwischen ausländischen Großfamilien oder zwischen Deutschen, um überbelegte Wohnhäuser, Lärmbelästigungen und unerlaubte Müllablagerungen, um spielende störende Kinder auf Rasenanlagen, die große Ansammlung von Menschen einer Nationalität zu bestimmten Wochentagen oder Tageszeiten, Konflikte in Krankenhäusern bei Tod von Angehörigen einer Minderheit, um Bestattungen, um Kopftuchtragen in einer Schule, um Moscheebauten oder vermeintliche bzw. tatsächliche Belästigungen durch Migrantenvereine. Es gab immer wieder Einzelbeschwerden über Verhalten von Polizeibeam

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ten und öffentlichen Bediensteten, über strukturelle Probleme bei Behörden oder das Verhalten von privaten Sicherheitsdiensten.

Die Vermittlerinnen und Vermittler unterschiedlichen Alters oder Sprache wurden nur dann eingesetzt, wenn sich nach einer ersten Konfliktanalyse im AmkA andeutete, daß ein bis zwei Gespräche nicht ausreichen würden, um eine Beilegung des Konfliktes herbeizuführen und wenn der Eindruck bestand, daß der vorhandene Streit zum Einsatz von Gewalt führen könnte. In manchen Konfliktbereichen waren die Vermittler bis zu drei Monaten, im Einzelfall sogar viel länger tätig. Es bestätigte sich, daß es verschiedene Ergebnisse bei den einzelnen Interventionen geben muß: Es gab Konflikte, die nicht lösbar sind, sozusagen immer wieder auftreten und einer neuen Deeskalation bedürfen (lautes Feiern an schönen Sommertagen, Müllablagerungen, strukturelle Konfliktlagen). Andere Konflikte konnten im Rahmen einer sinnvollen Vermittlungs- und Bearbeitungstätigkeit durch die Befähigung der Beteiligten, selbst aktiv zu werden, buchstäblich „gemanagt" werden. In wenigen Bereichen kam es zu einem Mediationsverfahren, das bisher immer erfolgreich war. Ein weiterer Teil von Konflikten ist nicht lösbar, weil die Beteiligten sich einer Vermittlung entziehen oder den Bearbeitungsprozeß hintertreiben bzw. boykottieran. Die uns bekannten Fälle konnten oft aufgrund politischer Hintergründe nicht zu einem sinnvollen Abschluß kommen.

Wichtig erscheint mir abschließend darauf hinzuweisen, daß es immer eine Arbeitsteilung bei der Konfliktbearbeitung gab: Das AmkA als Kontakt-, Moderations- und Anlaufstelle nahm sich der sozialen und – soweit möglich – strukturellen Fragen direkt an, manchmal unter Einberufung eines „Runden Tisches" mit allen involvierten öffentlichen Stellen, um rasche Aufgabenverteilung und -lösung zu erzielen. Die Stadtteilvermittler/innen waren da, um mit den Beteiligten vor Ort einzeln oder gemeinsam zu reden, in Deutsch oder einer anderen Sprache.

Aus einigen Konfliktkonstellationen wurden Projekte entwickelt, um vorhandene Probleme, die wiederholt auftraten, grundsätzlich anzugehen. So gab es

  • Fortbildungsmaßnahmen für Bedienstete und die Polizei;
  • Kurse für Roma-Kinder zur Hinführung zur Schule und Elternarbeit;
  • Beratungsangebote für bestimmte Zielgruppen;

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  • Bereitstellung von Wohnraum;
  • Zusammenarbeit mit Wohnungsbaugesellschaften;
  • Einrichtung von street work;
  • Aufstellung von Containern als Jugendtreffs.

Das Projekt Stadtteilvermittlung ist aus meiner Sicht erfolgreich. Derzeit erhalten weitere Multiplikatoren – Sozialbezirksvorsteher, Schiedsleute, Vertrauenslehrer und Mitglieder der Ortsbeiräte – ein Trainingsangebot. Sie sollen mit den Stadtteilvermittlern vernetzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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