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Günther Schultze: Zusammenfassung

Der Konferenzort war nicht zufällig gewählt. Duisburg blickt auf eine lange Geschichte von Zuwanderung zurück. Bärbel Zieling führt aus, daß heute ca. 88.000 Nicht-Deutsche, der überwiegende Teil davon Menschen mit einem türkischen Paß, in dieser Stadt leben. Die Mehrzahl von ihnen fühlt sich wohl. Aber es gibt durchaus Probleme im Zusammenleben. Besonders in Quartieren, in denen ein überdurchschnittlich hoher Anteil Nicht-Deutscher leben, wie beispielsweise Duisburg-Marxloh, zeigen sich Schwierigkeiten sehr deutlich. Die Stadt ist mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union bemüht, in diesen Stadtteilen die soziale Infrastruktur zu verbessern und eine Stadterneuerung durchzuführen. Neben Projekten, die die soziale Akzeptanz zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern erhöhen sollen, wird besonderer Wert auf die wirtschaftliche Entwicklung gelegt.

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen unterstützt mit verschiedenen Programmen die Integrationsprozesse Zugewanderter. Ghettos sind für Anton Rütten Wohnquartiere, in denen ethnische Minderheiten zwanghaft zusammenleben. Ethnische Kolonien beruhen hingegen auf freiwilligen Entscheidungen und können durchaus positive Wirkungen für den Integrationsprozeß haben. Hierbei ist zwischen der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und kommunikativen Integration zu unterscheiden. In Stadtteilen mit einem hohen Zuwandereranteil werden problematische gesellschaftliche Entwicklungen schneller sichtbar und äußern sich intensiver als in privilegierten Stadtteilen. Als negativ erweist sich nach wie vor, daß vielen Zuwanderern noch nicht einmal das kommunale Wahlrecht zusteht und auch die Einbürgerungszahlen relativ gering sind. Die Landesregierung NRW unterstützt eine Vielzahl von Integrationsprojekten. Dabei wird Wert auf die Förderung der Migrantenselbstorganisationen gelegt. Neben der sozialen und beruflichen Integration sollen in Zukunft auch Projekte verstärkt gefördert werden, die ethnische Konflikte aufspüren und rechtzeitig Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

Für Friedrich Heckmann ist Koloniebildung die freiwillige Aufnahme oder Weiterführung innerethnischer Beziehungen. Kettenwanderungen sind ein

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wichtiges Begründungsmoment ethnischer Kolonien. Freizeitvereine und politische und religiöse Organisationen sind konstituierende Merkmale dieser Einwanderungskolonien. Sie bilden auch ethnische Ökonomien aus, die mehr oder weniger vollständig die Bedürfnisse der Einwanderer abdecken können. Ethnische Kolonien haben die Funktion, die Identität und Psyche von Neueinwanderern zu stabilisieren. Sie haben positive Funktionen, wenn sie lediglich Übergangscharakter haben und nicht zu einer Verfestigung ethnischer Minderheitslagen beitragen. Je geschlossener die Mehrheitsgesellschaft gegenüber Zuwanderern ist, desto eher kommt es zu einer Abschottung. Eine Ad-hoc-Politik, die strukturelle Entscheidungsfragen in der Schwebe beläßt, ist problematisch. Erfolgversprechend ist vielmehr eine Akkulturationsstrategie, die mittel- bis langfristig zu einer Einebnung ethnischer Unterschiede beiträgt.

Für Michael Krummacher ist Migration ein westdeutsches Großstadtphänomen. In einzelnen Stadtteilen wohnen konzentriert unterprivilegierte Gruppen wie Langzeitarbeitslose, arme, alte Menschen, Alleinerziehende, Suchtkranke usw. Die Bausubstanz ist oftmals schlecht und die Beschäftigungsmöglichkeiten gering. Ein Wegschauen oder eine Laisser-faire-Politik kann zu einem Stadtentwicklungsszenarium führen, das dem von „Horrorfilmen" ähnelt: Die Einkaufs- und Kaufkraftverluste der Bewohner nehmen zu, die Wohnsubstanz verschlechtert sich, die sozialen Infrastruktureinrichtungen verkommen, die Konflikte im Stadtteil, auch zwischen Zuwanderern und Einheimischen, nehmen zu. Bei einem anderen Szenarium, dem des „Abenteuerfilms", müssen zunächst die Ressourcen und Potentiale der im Stadtteil Wohnenden aufgegriffen werden. Hierbei spielen die Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle. Bei der Renovierung von Wohnungen sind Migrantenhaushalte einzubeziehen. Die Ausländerbeiräte als derzeit existierende Vertretungsorgane sind zu stärken. Integrierte kommunale Handlungskonzepte müssen die Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern helfen. Es sind Verfahren zu entwickeln, die den benachteiligten Gruppen im Planungsprozeß ausreichend Gehör verschaffen.

Duisburg-Marxloh ist ein solcher Stadtteil mit einem hohen Migrantenanteil, einer hohen Arbeitslosenquote und einer relativ schlechten Bausubstanz. Brigitte Grandt berichtet über ein Stadtteilprojekt, das die Schaffung von Arbeitsplätzen, den sozialen Zusammenhalt und die Verbesserung der Infrastruktur zum Ziel hat. Zielgruppen der Projektarbeit sind u.a. Kinder, Eltern,

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Senioren und Vereine. Auch die Schulen werden einbezogen. Der Prozeß der persönlichen Verständigung, wie er für den Arbeitsplatz erkennbar ist, soll auf das gesamte Wohnviertel und die Nachbarschaft übertragen werden. Besondere Bedeutung kommt der Wirtschaftsförderung zu. Ercan Idik und Heiner Maschke beraten und qualifizieren ausländische Selbständige. Sie unterstützen deutsche und ausländische Existenzgründer. Ziel ist, Duisburg-Marxloh zu einem regional bedeutsamen Handels- und Gewerbezentrum auszubauen. Dabei soll auch die Reduzierung von Jugendarbeitslosigkeit geleistet werden. Begleitet werden diese Aktivitäten durch Angebote der Sozialarbeit. Karl-August Schwarthans schildert die Weiterentwicklung der Sozialarbeit vom Spezialdienst für Ausländer hin zu interkulturell geöffneten Regelangeboten für alle Bewohner des Stadtteils. Neben speziellen Angeboten für Zielgruppen gibt es im Ortskern ein Zentrum der Arbeiterwohlfahrt, in dem unterschiedliche soziale Dienstleistungen angeboten werden.

Ein weiteres klassisches Beispiel für einen Stadtteil mit hohem Migrantenanteil ist Berlin Kreuzberg. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre fanden vor allem türkische Zuwanderer dort einen Wohnsitz. Die kommunalen Pläne der „Kahlschlagsanierung" und des „Verwahrlosen-Lassens" von Wohnraum führten zu dieser Konzentration. In einzelnen Quartieren liegt der Migrantenanteil heute bei ca. 60%. Die Bevölkerungsstruktur setzt sich zusammen aus den Resten des ursprünglichen Arbeitermilieus, der links-alternativen Szene, neuen, mobilen und aktiven Gruppen wie Studenten, Künstlern und Akademikern und den meist türkischen Einwanderern. Hans-Günter Kleff betont, daß die behutsame Stadterneuerung fortgesetzt werden muß, die auch in der Vergangenheit zu einer wesentlichen Verbesserung der Wohnsituation beigetragen hat.

Nach Eberhard Seidel-Pielen distanziert sich inzwischen das links-liberale Milieu in Kreuzberg stärker als früher von der Kultur und den Vergemeinschaftungsformen der Einwanderer. Themen wie Fundamentalismus, Gewalt und undemokratische Norm- und Wertsysteme bestimmen verstärkt die öffentliche Diskussion. Sowohl die Mehrheits- als auch die Minderheitsgesellschaft ethnisieren gesellschaftliche und soziale Probleme des Stadtteils. Die Vereinigung Deutschlands und der Mauerfall verschärften die Konflikte in Kreuzberg. Die Aktivierung antitürkischer Ressentiments hat viel zur Homogenisierung der neudeutschen Nation beigetragen.

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Ein Modellprojekt zu Konfliktmanagement und Problemlösungsstrategien hat die Stadt Frankfurt/Main durchgeführt. Nach Rosi Wolf-Almanasreh zeigt sich, daß in der Mehrzahl der Fälle nicht ethnisch-kulturelle Unterschiede, sondern soziale oder persönliche Fragen Ursachen von Konflikten in Nachbarschaften sind. Als Vermittler wurden Deutsche und Nicht-Deutsche in speziellen Qualifizierungsmaßnahmen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten arbeitet eng mit der Polizei und anderen Ämtern zusammen. Häufig werden Migranten und Flüchtlinge auch als Sündenböcke genutzt, um das Spannungsfeld zwischen Institutionen und deutschen Bürgern zu überbrücken. Parteien sind manchmal Mitverursacher von Konflikten, da sie ohne ausreichende Kenntnisse der Hintergründe eingreifen. Viele Konflikte könnten durch eine bessere Quartiers- und Belegungsplanung von einzelnen Straßenzügen verhindert werden. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, daß zwar nicht in allen Fällen eine Konfliktlösung, wohl aber in den meisten Fällen eine Deeskalation der Konfliktprozesse eingeleitet werden konnte. Konflikte lassen sich nicht prinzipiell vermeiden, aber Normen zur Konflikt- und Streitaustragung können erlernt werden.

In NRW gibt es ein spezielles Förderprogramm für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Marion Murböck und Filiz Arslan beschreiben diese Projekte als eine Chance, über die Erneuerung von Stadtteilen den interkulturellen Dialog zu fördern. Das integrierte Handlungsprogramm sieht vor, daß ressortübergreifende Fördermittel eingesetzt werden, um eine ämterübergreifende Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene in die Wege zu leiten. Hierbei sollen Aspekte der Wohnungsbau- und Arbeitsmarktpolitik sowie Fragen der Schule, Ökologie und der sozialen Gesundheitspolitik berücksichtigt werden. Es ist noch ein weiter Weg hin zu einer interkulturellen Gesellschaft, in der die Menschen nicht nebeneinander leben, sondern ihre Kulturen aufeinander beziehen und ein gemeinsames Miteinander anstreben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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